Lass meinen fetten Körper in Ruhe!

Dieser Text ist Teil 15 von 45 der Serie (Mein) Fett ist politisch

Dieser Text ist eine Übersetzung des Blogposts Back Off My Fat Body„, der kürzlich bei Dances with Fat erschienen ist. Wir danken der Autorin für die Erlaubnis zur Zweitverwertung! Ragen wollte immer eine fette Tänzerin sein und fand heraus, dass sie dazu erstmal Fat Activist werden musste. Jetzt tanzt sie nicht nur, sondern spricht und schreibt auch in Vollzeit über Selbstwertschätzung, Körperbilder und Gesundheit in jeder Größer und freut sich auf eine Welt, in der wir erkannt haben, dass jeder Körper großartig ist.

Eine Anmerkung zum Adjektiv „fett“: Das Wort wird in der Fat-Acceptance-Bewegung als Selbstbezeichnung und politischer Begriff verwendet – eine objektive Beschreibung dafür, was „dick“ oder „dünn“ ist, gibt es nicht.

Bild: Substantia Jones für adipositivity.com

Jeden Tag vernehme ich Botschaften aus der Gesellschaft über meinen fetten Körper. Mir wird mitgeteilt, dass er ein Zeichen moralischen Versagens ist, ein Zeichen von Faulheit, er ist unzulänglich, unattraktiv, bla bla bla – die negativen Botschaften kommen unablässig und sind allgegenwärtig.

Lange Zeit war ich dermaßen entschlossen meinen Körper dafür zu hassen, dem kulturellen Standard von Schönheit nicht zu genügen, dass ich ihn niemals wertschätzte für das, was er tat. Anstatt diesen fantastischen Körper zu verteidigen, der mir ermöglicht, all das zu tun, was ich jeden Tag, jeden Augenblick tue, fiel ich ein in den Chor der Missbilligung. Ich verriet meinen eigenen Körper, um einer willkürlichen Klischeevorstellung von Schönheit anzuhängen, versehen mit einem Quäntchen missgünstiger Billigung, das bestimmt war von meiner permanenten Selbstabwertung, so dass meine Kritiker_innen sich gar nicht erst darum kümmern mussten das zu tun.

Wenn ich eines gelernt habe auf meiner Reise weg von Selbsthass, gestörtem Essverhalten und zwanghafter sportlicher Betätigung, dann ist es, dass mein Körper nicht weniger verdient als meine bedingungslose Liebe und lautstarke Unterstützung. Deshalb sage ich allen, die meinen, mein Körper sei irgendetwas anderes als großartig:

Mein fetter Körper ist viel zu wertvoll, als dass er wie ein gebrauchtes Auto behandelt werden sollte, dessen Wert durch die eine oder andere Verschleißerscheinung reduziert ist. Er ist viel zu erstaunlich, um eine Metapher zu sein oder ein politisches Statement. Er ist viel zu komplex, um nach demselben Prinzip betrieben zu werden wie ein Rasenmäher. Er ist viel zu tiefgründig, um auf ein Verhältnis zwischen Gewicht und Größe reduziert zu werden. Und er ist viel zu großartig, um von irgendjemandem verurteilt zu werden.

Mein fetter Körper ist kein Abbild meines Versagens, meiner Sünden oder meiner Fehler. Mein fetter Körper ist kein Gradmesser für meinen Gesundheitszustand oder meine Fitness. Mein fetter Körper steht nicht zur  Diskussion, öffentlichen Debatte oder  Beurteilung. Mein fetter Körper ist kein Zeichen dafür, dass ich Hilfe brauche oder Hinweise benötige, um Entscheidungen über mein Leben oder meine Gesundheit zu treffen. Mein fetter Körper ist mein ständiger Begleiter, der mir dabei hilft, all das zu tun, was ich tagtäglich und jede Sekunde tue, und er verdient Respekt und Bewunderung.

Wenn du dich nicht in der Lage siehst, meinen Körper wertzuschätzen und ihm mit Respekt und Bewunderung zu begegnen, dann ist das dein Defizit, nicht meines; arbeite daran oder lass es bleiben, aber mich kümmert es nicht. Ebenso wenig bin ich interessiert daran, deine Meinung zu diesem Thema zu hören, also wenn du mit mir zusammen sein möchtest, bist du zu 100% verantwortlich dafür, zu tun was nötig ist, um diese Gedanken für dich zu behalten. Wenn du dazu nicht imstande bist, werde ich aufhören Zeit mit dir zu verbringen – ich verbringe meine Zeit mit Menschen, die mich angemessen behandeln.

Ich werde meinen wunderschönen fetten Körper handhaben wie eine Waffe. Ich werde ihn lieben, ich werde für ihn sorgen, ich werde ihn bewegen, ich werde ihn in der Öffentlichkeit zeigen, ich werde meinen Körper heftigst verteidigen gegen alle, die ihn als irgendetwas anderes einstufen wollen als großartig. Du bist gewarnt – lass mich gefälligst in Frieden.

16 Kommentare zu „Lass meinen fetten Körper in Ruhe!

  1. Eine gute Ansage, finde ich. Als Philosophie-Studentin (will ja nicht behaupten „Philosophin ^^) wundert mich aber dieser harte Ich Mein Körper-Dualismus. Wer ist denn „ich“ und wo kommt dieser Körper her, den die Autorin (und viele andere, dieses Denken ist ja sehr verbreitet) hier beschreibt? Dass das so unhinterfragt bleibt, finde ich schade. Körperakzeptanz für alle könnte meiner Auffassung nach leichter sein, wenn mensch den Gedanken zuließe, dass „Körper“ und „ich“ doch als Eines betrachtet werden sollte. Könnte. Naja, wollte ich nur mal loswerden.

  2. Aus Reflex habe ich, nach dem Lesen des ersten Kommentars, nach dem Like-Button gesucht. Den gibt’s nicht. Aber ich bin so überzeugt von der Aussage, liebe Auralibby, dass es mir die Zeit wert ist. Also Achtung: Dein Gedanke GEFÄLLT MIR SEHR!

  3. @ Auralibby

    Ich glaube, dass ich nicht genau weiß, worauf du hinaus willst (vielleicht, weil ich keine Ahnung von Philosophie habe…?)
    Ich hatte nicht das Gefühl, dass die Autorin „Ich“ und „Mein Körper“ so stark voneinander trennt, eher im Gegenteil: Sie macht deutlich, dass dieser Körper so eine wichtige Rolle spielt, dass sie sich ganz vehement gegen diskriminierende Anrufungen von außen wehrt.

  4. Liebe Magda
    „Ich werde meinen wunderschönen fetten Körper handhaben wie eine Waffe.“
    Klingt für mich doch eher Dualismus von Ich und Gebrauchsgegenstand Körper.
    Aber auch wenn der Artikel diese Thematik nicht ins Zentrum stellt, ist sie doch gesellschaftlich relevant. Oder?

  5. @Auralibby: Als (irgendwann mal gewordene) Psychologin bin ich ziemlich vertraut mit dem Thema was du ansprichst, „Leib-Seele-Problem“ ist ja auch so ein Stichwort aus der Richtung. Generell finde ich das auch eine spannende Frage – was ist „ich“, in welchem Zusammenhang steht das mit „Körper“, wo sind (keine) Grenzen nach innen und außen etc., auch im Kontext von Aussagen wie „Ich bin mehr als mein Körper“. Ich finde allerdings nicht dass sich der obige Text zwingend dafür anbietet, über solche Fragen nachzudenken, denn ich habe ihn nicht so verstanden, dass dort so eine Trennung aufgemacht oder perpetuiert wird, eher im Gegenteil. Vielleicht verstehe ich aber auch nicht genau worauf du hinaus willst?

  6. @ Anna

    Ich habe gerade so meine Probleme, dass nachzuvollziehen (also ich weiß gerade nicht, ob dein Einwand für mich anhand des obigen Beispiels einfach keinen Sinn macht oder ob ich es vielleicht nicht begreife…) Ich verstehe nicht, was an der Aussage “Ich werde meinen wunderschönen fetten Körper handhaben wie eine Waffe.” – die ich eher als Metapher, als Kampfansage aus diskriminierter Perspektive, als Selbstermächtigung verstehe – so problematisch ist?

  7. @Anna: Ehrlich gesagt finde ich das jetzt ein bisschen spitzfindige Stilkritik: Weiter oben im Text wird die „Vergegenständlichung“ des Körpers ja explizit zurück gewiesen. In dem von dir zitierten Satz wird der Zusammenhang „Gegenstand“ (Waffe) und „Körper“ literarisch und sinnbildlich ja ganz anders besetzt/verwendet. “Ich werde meinen wunderschönen fetten Körper handhaben wie eine Waffe.” ist eine selbstbestimmte Kampfansage gegen Diskriminierung und Abwertung, eine Aussage der Selbstermächtigung und des Empowerments – nicht der Selbstobjektifizierung.

  8. Die ist überhaupt nicht problematisch, sondern ein Beispiel für die Instrumentalisierung des Körpers. Ich finde einfach nur den Gedanken von Auralibby interessant, dass Ich und Körper häufig getrennt betrachtet werden. Semiotisch generiert das ja schon die Sprache „Ich und mein Körper“. Mehr Tiefgang versteckte sich hinter meinem LIKE nicht:)

  9. Mir ist unklar, warum der Text als eine grundsätzliche philosophische Dichotomie von Körper und „Ich“ interpretiert wird, wenn es hier doch explizit darum geht, zugleich eine Liebeserklärung und Verteidiungslinie für jenen Körper zu etablieren, weil er eben nicht nur irgendwie zum „Ich“ gehört, sondern grundlegender Teil des „Ichs“ ist, das hier ganz explizit verteidigt wird gegen Angriffe. Diese Angriffe zielen jedoch genau auf den „fetten Körper“: dieser steht im Mittelpunkt von fatshaming und über diesen werden vorurteilslastige Rückschlüsse auf die „Gesamt“-Person gezogen.

    Die Kritik von Dances with Fat ist hier (und noch viel mehr in der Fat-Positivity-Bewegung) doch gerade, dass der Vorstellung widersprochen wird, dass ein (wahres, schlankes) „Ich“ in dem fetten Körper eingeschlossen wäre, und es soll gezeigt werden, dass der Körper Teil des Ichs ist und als solcher Verteidigung verdient als etwas zu Wertschätzendes und nicht zu Bekämpfendes. Gerade in fat-shaming-Diskursen wird aber oft versucht, eben jenen fetten Körper als unabhängig vom Ich gezielt zu pathologisieren und dicke Leute darüber zu entpersonalisieren (siehe z.B. „headless fatty“-Fotos) – genau das kritisiert Ragen hier doch und lässt sich daher darauf ein, einen Schritt zurück (oder nach vorne) zu gehen, und auch ihren fetten Körper explizit als solchen zu verteidigen und nicht nur zu argumentieren, dass sie ja mehr sei als der Körper und fat-shaming daher persönlich verletzend.

    Ich finde es sehr wichtig, auch konkret fette Körper als solche zu verteidigen und nicht ausschließlich fatshaming als persönlich verletzende Ich-Diskriminierung offenzulegen. Ich finde, Ragen schafft es hier wunderbar, eine oft pathologisierte Physik für wertvoll und verteidigenswert zu erklären.

  10. „Ich werde meinen wunderschönen fetten Körper handhaben wie eine Waffe.“
    My body the hand grenade ;-)

Kommentare sind geschlossen.

Betrieben von WordPress | Theme: Baskerville 2 von Anders Noren.

Nach oben ↑