Viel zu oft gehen unkritische Wissenschaft und Berichterstattung eine unglückliche Verbindung ein. Das Ergebnis sind dann die vermeintlich harmlosen bunten Meldungen, die sich so schön verkaufen, weil sie unser Weltbild bestätigen. Erkenntniswert null, dabei lohnt es sich, genauer hinzuschauen (siehe auch den PhD Science News Cycle). Ein Beispiel:
Dienstag berichtete DRadio Wissen über eine Studie, nach der Paare glücklicher sind, wenn der BMI der Frau niedriger sei als der des Mannes. Botschaft an die Frauen mal wieder: Seid schlank! Befragt wurden 169 heterosexuelle Paare unter 35 Jahren. Alleine diese Auswahl ist schon kritisch, weil oft ältere Frauen berichten, erst spät mit ihrem Gewicht und Aussehen Frieden geschlossen zu haben. Eine Forscherin betonte aber, so der Telegraph, es käme nicht auf das absolute Gewicht an, sondern das relative – auch eine schwerere Frau könne glücklichsein, Hauptsache ihr Ehemann sei noch schwerer. Na immerhin?
Leider findet sich bisher nichts zu der Studie auf der Seite der Universität von Tennesse. Auch steht nirgendwo, in welcher wissenschaftlichen Zeitschrift die Ergebnisse veröffentlicht werden und ob sie dabei einer Peer Review, einer wissenschaftlichen Begutachtung, unterzogen werden. So bleibt leider unklar, was die Wissenschaftler_innen berücksichtigt haben: Den gesellschaftlichen Druck auf Frauen, schlank und hübsch zu sein. Die Idee, ein Mann könne sich mit seiner Ehefrau schmücken. Das Bild einer Ehefrau als Trophäe einer erfolgreichen Jagd. Die Sticheleien, wenn Frauen mit Männern zusammen sind, die vermeintlich außerhalb ihrer „Liga“ sind („was findet der nur an ihr?“). Denn all diese Stereotype sind bis heute noch lebendig und beeinflußen unsere Selbsteinschätzung und unser Glück. Studien und Berichterstattung darüber, die diese Punkte auslassen, festigen leider nur den Status Quo und verpassen die Chance zu kritischer Auseinandersetzung.
Apropos Berichterstattung: Auf Twitter hatte DRadio Wissen noch mal einen ganz anderen Text gewählt.
Aus der Frage nach dem Gewicht wurde auf einmal „stark“ und „zart“ – auf Nachfrage hies es, stark sei im Sinne von „kräftig“ verwendet worden. Tatsächlich sind beides Wörter, die sich eben nicht auf die untersuchte Eigenschaft (Gewicht, Masse) beziehen, sondern auf Kraft. Das wirft natürlich gleich das Bild des starken Mannes auf, der seiner Partnerin das Marmeladenglas öffnet – dabei wurde dies gar nicht untersucht. Außerdem können schlanke Frauen durchaus Kraft haben, während ihr Partner eher untrainiert ist.
So wird aus einer obskuren Studie die Botschaft, für ihr Glück müssten sich Frauen einen starken Mann und Beschützer wählen, während sie selbst nicht nur schlank, sondern auch noch schwach sein sollten.
Tipp: Studien, in deren Titel oder Abstract das Wort Glück auftaucht, ungelesen in die Tonne stopfen. Geht nicht anders.
Ignorieren hilft nur nicht, wenn DRadio Wissen die fröhlich in die Welt verbreitet und damit an unserem Gesellschaftsbild mitarbeitet.
Gibt es eigentlich auch Studien darüber, wie viele Studien falsch sind?
@Robert: Ja, da gibt es einige Daten. Das schwankt allerdings je nach Fachgebiet sehr stark.
Kann man das Geld für solche Studien nicht in wat sinnvolles stecken?
So Krebsforschung oder so?
@Helga – wenn nicht ignorieren was sonst/dann ?
meine denke/erfahrung : weil i.d. zeit die ich „son mainstream-zeugs“ ignoriere (ich weiss ja, dass es dies nicht nur bei dr-radio gibt) kann ich mich zB im webz gezielt nach anderem informieren/lesen/inspirieren lassen/ selbst-reflektieren/mitmachen usw.
@Lars Fischer – ist unbedingt auch/meine erfahrung ;)
es gibt allerdings ein sog. The Longevity Project und im webz infos dazu.
@Robert – studien/abstracts zB im kognitiven- und verhaltenspsychologischen bereich werden wenn dann mEn/auch generell in englisch publiziert.
und es gibt zB Ben Goldacre „Bad Science“ und diverse andere u.a. skeptische infos/blogs im webz.
Ich würde hier auch gar nicht mal sagen dass die Studie „falsch“ im strengen sinne ist. Das sind die wenigsten wissenschaftlichen arbeiten. Das eigentliche Problem speziell bei solchen Untersuchungen ist eher, dass man sehr viele Variablen hat, die untereinander nicht unabhängig sind. Man unterstellt dabei, dass es einen einfachen gerichteten Zusammenhang zwischen einer Variable (BMI) und einer anderen (Lebensglück) gibt, aber das entspricht meistens nicht der Realität.
Die Schwierigkeit könnte man auch nur dann umgehen, wenn man solche Forschungen grundsätzlich einstellen würde, und das ist ja nicht Sinn der Sache. Es hat schon seinen Wert, derartige Zusammenhänge zu erforschen, aber einfache Schlussfolgerungen wie die in dieser Meldung verbieten sich natürlich.
@Angelika: Jede_r Einzelne kann solche Forschung und Berichterstattung gern ignorieren. Insgesamt muss aber auf die Probleme hingewiesen werden – sonst ändert sich ja nichts. Beides festigt ja unser Weltbild und steht nicht einfach so für sich.
@Lars Fischer: Feministische Wissenschaftskritik davon gibt es ja schon länger und ich hoffe immer, dass sich „reflektierte Wissenschaft“ weiter durchsetzen würde, vor allem weil das eigentlich selbstverständlich sein müsste, aber irgendwie…
Für einen Einstieg in das Thema feministische Wissenschaftskritik: http://science.orf.at/stories/1658638/