Jetzt isses raus!

Ich muss euch etwas sagen. Etwas, das sich für eine Feministin, vor allem eine junge Feministin in Deutschland irgendwie nicht gehört:

Ich halte den Roman „Feuchtgebiete“ für so ziemlich das schlechteste, was ich in den letzten Jahren gelesen habe. Nicht wegen des ganzen Ekel-Kram, dazu gleich mehr. Sondern wegen des „Plot“, wenn man das, was da passiert, überhaupt so nennen darf. Mir ist keine Rezension bekannt, in der das mal wirklich angesprochen wird. Alle sind mit Tampons, Kotze, Hämorrhoiden, Kackeschwitze und all dem anderen Kram dermaßen beschäftigt, dass die stilistischen Schwächen nicht auffallen.

Die Hauptfigur ist einfach gezeichnet und bedient alle billigen Klischees des Scheidungskindes. Leider ist sie dafür schon zu alt. Einer 10-jährigen Protagonistin würde ich diese Gedanken abnehmen. Aber nicht einer 18-jährigen. Die eigentliche Handlung ist platt, belanglos und dabei leider nicht mal wirklich gut geschrieben. Nicht zu vergessen natürlich der Schluss, der wirklich an den, pardon, Schamhaaren herbeigezogen wirkt.

Besonders werfe ich der von mir sonst verehrten Charlotte Roche vor, dass sie als erklärte Feministin sich tatsächlich in jeglicher Hinsicht in ein „Die Mutter ist an allem schuld“ flüchtet: Helene ist total gestört: Die Mutter ist schuld! Helene hat ein verqueres Verhältnis zu ihrem Körper: Die Mutter ist schuld! Und klar, Mama hat Papa weggetrieben. Papa hingegen ist der Gute, egal was er macht. Geht es noch simpler? Roche geht in Interviews sogar so weit, jeder Frau, die nicht mit gebrauchten Tampons um sich wirft, eine gestörte Mutter mit Hygienezwang zu unterstellen. Noch mal langsam, dieser Punkt ist wichtig: Eine überzeugte Feministin fährt die „Die Mutter ist an allem schuld und zwar nur sie ganz allein“-Schiene. Stößt das denn niemandem auf? Vor allem ärgert mich die Tatsache, dass ich von Charlotte Roche stilistisch wie inhaltlich mehr erwartet habe. Viel mehr. Ich bin fast schon persönlich beleidigt, dass sie so ein Buch geschrieben hat!

Den Ekelkram hingegen finde ich eher langweilig. Ich musste an zwei Stellen schlucken, einmal, als Helene und ihre Freundin ihre eigene Kotze essen und einmal, als sie sich selber extrem hart verletzt. Alles andere rief nicht viel mehr als ein müdes Schulterzucken hervor.

Was mich zu meinem zweiten Problem führt: Ja, der Roman hat bestimmt bei einigen Freundinnen oder Beziehungen dazu geführt, dass man mal wieder über intime Dinge geredet hat, Dinge, die vielleicht sonst nicht thematisiert worden wären. Dennoch bin ich insgesamt in einem Konflikt. Ich bin Feministin. Und trotzdem menstruiere ich am liebsten ganz privat. Ich sehe auch nicht so ganz ein, warum es die Frauenbewegung voranbringt, wenn ich mit meinem Unisitznachbarn über meine Pilzinfektion plaudere. Und bin ich erst dann eine richtige Feministin, wenn ich nicht mehr täglich die Unterwäsche wechsle?

Es ist ein schmaler Grad zwischen normaler Intimität und übertriebener Scham, Geheimnistuerei oder Hygienezwängen. Ich wohnte einmal mit einer Frau zusammen, die es immer „total eklig“ fand, wenn sie ihre Tage hatte (für die wäre vielleicht das Tampon-Abo – bitte googlen – etwas gewesen). Sowas ist natürlich auch nicht gesund.

Aber so bin ich nicht und außer dieser Frau kenne ich persönlich auch keine andere, die so ist. Ich finde mich nicht eklig und wenn es Probleme gibt oder mir etwas weh tut, dann kann ich das sehr genau benennen, ohne dabei Vokabeln wie „mein Schmuckkästchen“ zu bemühen. Aber ich möchte mich bitte auch als Feministin nicht alles jedem erzählen müssen. Und ich will mich, bitte, auch als Feministin regelmäßig waschen dürfen!

Ob Charlotte das wieder gut machen kann?

19 Kommentare zu „Jetzt isses raus!

  1. toller beitrag, insbesondere der hinweis auf die schwächelnde qualität des buches als buch. die stelle mit der massiven selbstverletzung war meine einzige aufschreckstelle, wie schön, dass jemand mitzuckt!

  2. kann das so nicht unterstreichen, dir scheinen ein paar Zwischentöne beim Lesen verloren gegangen zu sein (Papa ist nicht der Gute; nein: keine Frau ist so oder soll so sein, darum geht es nicht; nein, der Roman fordert nicht dazu auf, über jegliche Intimitäten zu plaudern… uvm.)
    „Roche geht in Interviews sogar so weit, jeder Frau, die nicht mit gebrauchten Tampons um sich wirft, eine gestörte Mutter mit Hygienezwang zu unterstellen.“ wo hast du das denn her?

    Also ich fand das Buch wirklich sehr gut, grandios geradezu. Könnte daran liegen, dass ich bei jeder Stelle (auch die von dir angeführten) ziemlich gut nachfühlen konnte, was Roche damit wahrscheinlich erreichen wollte und grinste deswegen oft (bzw. war erschüttert, denn das mit der Mutter ist wahrscheinlich die Verarbeitung (im psychologischen Sinne) der Geschichte, die ja ihrer eigenen Mutter passiert ist).

  3. aber an diesem Roman scheiden sich ja die Geister, und das ist auch okay so. Die eine kann damit sehr viel anfangen, die andere nüscht. So ist das eben manchmal mit der vermaledeiten Literatur. Ich bin ja auch ein Fan so manchen Buches von Paolo Coelho, der bei anderen gerne Würgereiz auslöst ;)

  4. Liebe Anna, ich bin froh über deinen Beitrag! Ich finde auch, dass (fast) in der gesamten Berichterstattung über „Feuchtgebiete“ das eigentliche Thema – Mädchen auf der Suche nach Liebe, heiler Familie + dem Prinzen, der sie rettet – völlig abhanden gekommen ist. Nur einige wenige sehen in Helen eine romantische Heldin, die ihr Innerstes nach Außen kehrt, um gehört/gesehen/wahrgenommen zu werden. Die drastische Sprache ist ja nur ein Kunstgriff, quasi Dekor für eine ziemlich dürftige Geschichte. Ich sehe „Feuchtgebiete“ als Katalysator: egal, ob man das Buch gut oder schlecht findet, dank Charlotte Roche kann man jetzt schon beim Frühstück über Hämorrhoiden und Scheidenschleim sprechen. Aber das sollte man bitteschön nicht mit Feminismus verwechseln!

  5. hallo anna! danke. danke. danke.

    nachdem ich mich an die “ekel-passagen” erstaunlich schnell gewohnt hatte, blieb leider nicht viel übrig. diese zwanghaftige besessenheit vom ganzen hygiene-thema wirkte auf mich extrem unentspannt, unlässig, verkrampft und kein bisschen natürlich oder wild (oder wie auch immer es hätte rüberkommen sollen).
    ein mädchen verzweifelt auf der suche nach annerkennung und aufmerksamkeit. sein sex-leben beliebig nach den ausgefallenen wünschen der sex-partner zu gestalten, wirkte auf mich auch nicht so mega-mäßig feministisch-selbstbestimmt. letzlich gings dann dieser helen doch immer nur um darum den männern in ihrem leben zu gefallen. dass ihre strategie dabei smegma-parfum und demonstrierte “tabulosigket” ist, ändert nichts daran.
    dieses vezweifelte lieber-pfleger-finde-mich-doch bitte-bitte-ganz-doll-aufregend – langweilig. arzttochtermäßg langweilig. meine eltern haben mich nicht richtig lieb – langweilig. schreibstil – langweilig. langweilig, langweilig, langweilig.
    hach. charlotte roche, heldin meiner jugend.

  6. Anna, dankedankedanke, Du sprichst mir aus der Seele.
    Man kann von dem ganzen Ekelkram denken was man will (ich fand’s laaaangweilig!) aber das ändert nichts an dem grottenschlechten Stil, dem nicht vorhandenen Plot und der meiner Meinung nach bedenklichen Botschaft.

    Apropos: Brillenträgern die Brille von der Nase reissen, wie ist ein solches Arschlochverjalten vereinbar mit einer irgendwie positiv besetzten Person? Superrevolutionär.

    Und um nochmal zu wiederholen was ich zu der Person sagte, die mich dazu bewegt hat, dieses Machwerk zu lesen: wer so ausgiebig über Arschficken reden kann, kann sich auch damit abfinden, daß Mami und Papi sich nicht mehr liebhaben.

  7. @goofos: willst du bei deiner schwester denn hygienezwänge induzieren? wenn ja, dafür könnt’s schon taugen. ein hygiene-besseneres, zwänglerisches role-modell als helen memel findet sich so schnell nicht.

  8. Danke für Eure Kommentare.
    Ich wollte nur mal anmerken, dass sich diese (Katrin mal ausgenommen :) ) absolut mit den Reaktionen in meinem engen und weiteren Umfeld decken. Wirklich egal, mit wem ich geredet habe, immer kam der Satz: „Gott sei Dank, du findest es also auch schlecht!“ (Meist, nicht immer, von Frauen, die wie ich auch persönlich enttäuscht waren bzw Charlotte sehr schätzen).

    Gofoos, wie alt ist denn Deine Schwester?

  9. @ Anna: Aber ich gehör doch auch zu deinem Umfeld …

    Ich fand das Buch höchstamüsant, vor allem mit der hysterischen Debatte im Hinterkopf. Wobei ich auch extrem tolerant gegenüber schlichter Sprache bin und eher die Krise krieg, wenn mich einer mit seinem Wortschatz beeindrucken will – so Schönschreiberei macht mich immer voll fertig. Deswegen isses mir beim Lesen wurscht gewesen, dass das Buch so mittel geschrieben war. Deine Kritik an der Handlung kann ich nachvollziehen, ist mir aber alles nicht aufgestoßen. Der Spaß hat überwogen.

  10. Okay, ich präzisiere:
    „… mein nicht explizit feministisches Umfeld…“
    Besser? :-)

    Klar, diese Debatte darum ist ein Witz und mit der im Kopf isses auch amüsant zu lesen, über was sich eigentlich alle so aufregen…
    Aber leider konnte das bei mir so unglaublich schlimme Dialoge wie wenn dieser Pfleger meint: „Ich habe viel über dich nachgedacht und mit einem Freund geredet. Der meint, du könntest Exhibitionistin sein.“ nicht überwiegen (und im nächsten Satz will er unbedingt mal die Wunde sehen… als Pfleger hat er sowas scheinbar noch nie gesehen!).

    Wirklich leider. Ich hätte echt gerne mehr Spaß gehabt und mich weniger geärgert.

Kommentare sind geschlossen.

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