Das US-amerikanische Repräsentantenhaus hat vor zwei Wochen zu Gunsten des so genannten Stupak-Pitts abortion ban entschieden, welches das (bereits bestehende) Verbot der Verwendung von Bundesmitteln für Abtreibung bestätigte. Der Stupak-Pitts Zusatz hat nicht nur zur Folge, dass Abtreibung nun nicht mehr Teil der umfassenden Gesundheitsreform ist, sondern verhindert in der Konsequenz auch, dass jene privaten Krankenkassen, die Teil des neuen Gesundheitssystems werden, weiterhin die Kosten für eine Abtreibung übernehmen. Der Abbruch ungewollter Schwangerschaften bleibt demnach privat, teuer und der Zugang wird zudem erschwert.
In der Konsequenz hat sich enormer Widerstand entwickelt. Nachdem NARAL Pro-Choice America dem Kapitol in Washington 97.000 Unterschriften überreichte (gesammelt in nur 72 Stunden!), werden außerdem alle UnterstützerInnen dazu aufgefordert, jene SenatorInnen zu kontaktieren, die den so genannten swing voters angehören und von denen die Entscheidung der Reform im Senat abhängen könnte.
Auch das Center for Reproductive Rights hat sich eine Kampagne in ungewöhnlicher Kulisse überlegt und vor wenigen Tagen folgendes Video veröffentlicht:
Die Komödiantin Cory Kahaney erzählt ihrem Publikum von zwei PatientInnen, die jeweils eine Brustverkleinung auf Grund von Rückenschmerzen und eine Nasen-OP auf Grund von Atemproblem bekommen und dies selbstverständlich von der Krankenkasse übernommen wird. Das Publikum lacht. Sie erzählt dann von einer dritten Patientin, die in der elften Woche schwanger ist und ihren Arzt/ihre Ärztin fragt, ob sie eine Abtreibung bezahlt bekommt, da sie gerade herausgefunden hat, dass ihr Kind schwer behindert und kaum lebensfähig auf die Welt käme. Hier lautet die Anwort „Nein“. Das Publikum schweigt und ist bedrückt: Denn diese Tatsache wird mehr und mehr Realität.
Der Clip endet mit dem Satz:
“Don’t let Congress ban abortion coverage millions of women already have.”
(Verhindere, dass der Kongress Abtreibungsschutz verbietet, den Millionen von Frauen bereits haben.)
Tolles Beispiel hat sich Cory da ausgesucht. Ich gehe gerne mal gegen Abtreibungsgegner auf die Straße, aber nicht für das Recht auf Privateuthanasie.
@ Adrian
Ähnliches habe ich auch zuerst gedacht, deshalb habe ich es erst mal unkommentiert stehen gelassen. Ich hätte andere Beispiele passender und repräsentiver gefunden, denn ich bezweifele, dass das oben beschriebene Beispiel einer der Hauptgründe für Schwangerschaftsabbrüche ist. Allerdings macht Kahaney auf etwas Wichtiges aufmerksam: Manche Schönheits-OPs können als Leiden verpackt werden (nicht dass ich glaube, dass das die Regel sei, aber passiert halt mal) und werden von der Krankenkasse übernommen, wohingegen Abtreibung noch immer etwas ist, was automatisch private und finanzielle Last von Frauen und ihren Familien bleibt.
Unabhängig vom Beispiel – bei dem ich Euch beiden Recht gebe, ist es wirklich eine furchtbare Entwicklung, die den Leuten dort blüht. Ganz schön unfassbar.
ich finde es zu einfach, das angeführte beispiel als „Privateuthanasie“ abzutun.
schließlich berichtet Cory aus einer gesellschaft (oder irre ich?), in der werdende mütter zu vorsorgeuntersuchungen inklusive abklärung aller möglichen risiken geradezu verpflichtet sind. und damit rechnen müssen, dass sie ganz blöde gefragt werden, wieso sie ’so was‘ überhaupt zur welt gebracht haben! wie sie (väter übrigens auch!) auch damit rechnen müssen, hierzulande jedenfalls, dass sie den elektrisch betriebenen rollstuhl für ihr kind bei der krankenkasse einklagen müssen, und zwar mindestens bis zum jeweiligen landessozialgericht.
ich habe keine ahnung, wie das in USA wäre … aber … ich stelle mir das auch dort nicht gerade unterhaltsam und putzig vor.
@Adrian
Wenn in dieser Gesellschaft auch Kinder mit Behinderungen willkommen sind, am normalen Leben teilnehmen können und samt ihren Familien alle benötigte Unterstützung bekommen …
Dann ist es vielleicht legitim Leute anzugreifen, die ein behindertes Kind abtreiben. Solange die Situation so ist wie von Rahab, Kanaan angerissen, hat dieser Standpunkt keine Berechtigung.
@Neeva: meine Schwester hat ein behindertes Kind. Ich versichere dir, die
Akzeptanz und die Unterstützung sind nicht das Hauptproblem. (Die
beiden haben Geld.) Das verdammte Hauptproblem ist, dass du ein
behindertes Kind hast, das niemals sprechen oder laufen oder was
weiß ich wird! Dein ganzes zukünftiges Leben reduziert sich auf
dieses Kind, sonst passiert NICHTS mehr. Und die große Schwester
muss halt sehen, wo sie bleibt, weil einfach so viel Energie und Kraft
abgezogen wird.
Was ich sagen will: Man kann sich dafür entscheiden, das
durchzuziehen. Aber ich würde diese Entscheidung niemandem
aufzwingen, und wenn die Unterstützung noch so groß wäre.
Unterstützung hin oder her, es ist immer noch DEIN Kind,
und die wirklichen Probleme, und die Entscheidungen (noch ne
Operation oder nicht? Soll ich ein Stück von meiner Leber spenden,
wie es der Arzt mir dringend empfiehlt?) und die Beziehungskrisen,
die nimmt dir keiner ab. Keiner. Und es gibt keine Berechtigung,
irgendwen anzugreifen, weil er bzw. sie sich dagegen
entscheidet, wie auch immer die äußeren Bedingungen sind.
@Rahab, Neeva: Es geht nicht darum, Leute anzugreifen. Es geht darum, dass dieser Fall nicht als Werbung oder Argument für Abtreibungen zu nutzen ist.
@Katharina: Mit dem gleichen Argument lässt sich die Tötung eines behinderten Kindes nach der Geburt begründen. Oder anders gesagt: Es ist völlig unbrauchbar, und hat erst recht nichts mit Feminismus zu tun.
@Adrian Lang
wenn du von „Privateuthanasie“ sprichst, dann greifst du an! und bringst gleichzeitig jede schwangerschaftsunterbrechung auf die ebene von euthanasie – welche hierzulande zumindest immer noch auch als ‚vernichtung unwerten lebens‘ verstanden wird. war es so von dir gemeint?
Ui, da tut sich was auf… Thema Behinderung ist für ich in der Abtreibungsfrage heikel… Stellt Euch mal zwei Frauen vor:
1., der geschilderte Fall, 11. Woche, schwerste Behinderung erwartet, deshalb entscheidet sich die Frau für eine Abtreibung.
2. Auch 11. Woche, Frau sagt wörtlich: Ich habe keinen Bock darauf, jetzt ein Kind zu bekommen und meine Schwangerschaft fortzusetzen, deshalb treibe ich jetzt ab.
Bei 2 werden viele mit dem Kopf schütteln, bei 1 mitleidig ihr zustimmen. Obwohl für mich Fall 2 weniger problematisch ist, weil die Frau nur entscheidet, ihrem Körper keine Fortsetzung der Schwangerschaft zuzumuten und völlig legitim ihr Recht in Anspruch nimmt. 1 dagegen sagt ja zu einem Kind, wird wohl sogar gewollt schwanger und nur die erwartete Behinderung ist ein Kriterium. Das geht auch in Richtung Euthanasie… ginge, sage ich lieber. Denn ein Embryo in der 11. Woche hat, egal ob sich daraus ein „gesundes“ oder behindertes Kind entwickeln würde kein Lebensrecht, das über die Entscheidungsfreiheit der Frau zu stellen ist. Dennoch ist die Tatsache der Berücksichtung einer Behinderung bei der (individuellen) Einschätzung des Lebensrechtes heikel. Gerade bei der Frage nach der Entscheidung in der 11. Woche bin ich gespalten…
die abtreibungsdebatte in den kontext behinderung zu stellen, halte ich für ziemlich daneben.
ich gehe mit adrians meinung völlig d’accord. es ist nämlich nicht nur DEIN behindertes kind, sondern EIN behindertes kind, ein mensch mit recht auf leben. und die schwierigkeiten, die eltern mit diesem kind erfahren und das kind in erster linie natürlich selbst, ist nicht auf die behinderung als solche zurückzuführen, sondern auf eine gesellschaft, die bis heute nicht willens ist, behinderte als einen teil davon zu sehen. du bist nicht behindert, du wirst behindert. im familiären, wie im gesellschaftlichen alltag. das sollten frauen, die ein behindertes kind austragen (werden) viell. noch einmal überlegen, bevor sie sich für oder gegen einen schwangerschaftsabbruch entscheiden. letztlich bleibt es aber eine individual-entscheidung, die nicht von der umwelt moralisch zu bewerten ist.
@Adrian Lang
Hat nichts mit Feminismus zu tun? Wer glaubst Du wird in den meisten Fällen für das behinderte Kind den Job aufgeben und sich die meiste Zeit kümmern?
Die kleine Schwester eine guten Freundin ist stark behindert. Die Mutter meinte
auch zu meiner Freundin und ihren Bruder, dass wenn die Behinderte das erste Kind
gewesen wäre die anderen beiden gar nicht existieren würden. Schließlich braucht
die kleine einfach den ganzen Tag Betreuung und zwar den Rest des Lebens. Sie wird niemals
für sich selbst sorgen können… und die KLeine wird auch die jüngste bleiben, weil noch
ein Kind einfach nicht möglich ist, da die kleine so viel Betreuung braucht…
@Katharina: Ich wünsche deiner Schwester viel Kraft und Energie. Hilft der Vater des Kindes
viel mit, oder ist sie auf sich gestellt?
@lantzschi (aber ich will es nicht an diesem deinen/einen posting festmachen)
der kontext ist schon richtig, wie die unterscheidung zwischen EIN und DEIN kind sehr schön zeigt. auch wenn die übliche argumentation umgedreht wird.
üblich ist zu sagen: abtreibung ist mord, denn ein kind ist ungeborenes leben, und mensch, vor allem frau, dürfe über eine solche weitreichende frage nicht bzw. nicht allein, vor allem nicht ohne beratung, entscheiden. weshalb die fristenlösung zugunsten der indikationslösung verworfen wurde. die indikationen stellten allesamt ’situationen‘ dar, von welchen gemeint wurde, es könnten sich alle vorstellen, dass in einer derartigen ’situation‘ die fortsetzung einer schwangerschaft unzumutbar sei. in der nunmehr geltenden fassung -> http://dejure.org/gesetze/StGB/218a.html
sind die indikationen im satz „wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann.“ untergebracht – auch wenn sie nicht mehr ausdrücklich drinstehen.
etwas zugespitzt gesagt: wenn ärztlich bejaht wird, dass die schwangere die situation ‚richtig‘ beurteilt hat, dann bleibt der schwangerschaftsabbruch straflos.
die argumentation bei lantzschi modifiziert das nun und sagt: wenn die schwangere die situation ganz unspezifisch als ganze nicht fortsetzen möchte, dann soll sie das dürfen. wenn sie aber die situation als eine ganz bestimmte nicht fortsetzen möchte, dann ist das verwerflich bzw. könnte verwerflich sein. und damit vorwerfbar.
letztlich geht es also immer um die frage: können, sollen, dürfen frauen allein über die fortsetzung einer schwangerschaft entscheiden. und das unter bedingungen, in denen die entscheidung gegen die fortsetzung einer schwangerschaft nicht die für einen eingriff unter womöglich lebensgefährlichen bedingungen bedeutet, von den finanziellen möglichkeiten der schwangeren (bzw. ihres umfeldes) abhängig ist.
oder noch anders gesagt: können wir jeder schwangeren, die sich gegen die fortsetzung einer schwangerschaft aus welchen gründen auch immer entscheidet, zubilligen, dass sie dies in jedem fall aus ‚guten gründen‘ tut?
Ganz kurz wollte ich noch mal an die Fakten erinnern, bevor die Diskussion eventuell in eine falsche Richtung schlägt:
Es geht im Video nicht per se um „behinderte“ Kinder, sondern um eine Behinderung, die im schlimmsten Fall zur Todgeburt führt. Jene oben beschriebene Frau muss das Baby dennoch austragen, da ihre Krankenversicherung die Kosten des Schwangerschaftsabbruches nicht übernimmt.
Im Video heisst es:
„(…) parts of its brain and scalp are missing – it’s fatal“
(Teile des Gehirns und der Kopfhaut fehlen – es ist tödlich.)
Im Blog hatte ich geschrieben, dass das Kind schwer behindert und kaum lebensfähig auf die Welt käme – „kaum“ müsste also sogar mit „nicht“ ersetzt werden.
Generell finde ich, dass eine Frau und andere Involvierte die Entscheidung treffen dürfen sollten, ob sie nach Betrachtung der Tatsachen wirklich imstande ist ein kaum oder nicht lebensfähiges Kind auszutragen und ggf. aufzuziehen.
@Magda: Bei deinen Beitrag, dass das Kind nicht lebensfähig ist, musste ich echt schlucken.
Wahnsinn! Jetzt muss die Frau das Kind austragen und darf es anschließend beerdigen. Ich
finde das echt unglaublich. das dann eine Nasen-Op aber gezahlt wird ist doch der blanke
Hohn.
Ein weiterer Aspekt, den ich da mal noch einwerfen möchte, ist übrigens zumindest hier in Deutschland die ätzende Rechtslage, wann ein Embryo ein Mensch ist. Es gibt da nämlich bestimmte Grenzen, meines Wissens nach muss das Kind zB mindestens 500 Gramm Gewicht haben bei der Geburt und/oder eine gewisse Zeit selbständig gelebt haben. Beides ist oft eine Zitterpartie, je nach dem, wie schwerwiegend die Schädigungen sind.
Entschließen sich also Eltern zum Beispiel dazu, eine Lebendgeburt einzuleiten, weil klar ist, dass das Kind entweder noch im Mutterleib versterben würde oder auf keinen Fall nach der Geburt lebensfähig wäre, dann kommt zu all den Qualen auch noch dazu, dass das Kind vielleicht gar nicht als Kind anerkannt wird. Und das bedeutet unter anderem, sowas wie Mutterschutz etc fällt weg (die Mutter hat ja trotzdem eine Schwangerschaft und eine Geburt hinter sich), es gibt keine Eintragung ins Stammbuch und man darf sein Kind nicht selbst beerdigen. Es gibt Krankenhäuser, die diese Kinder selbst bestatten. Und es gibt Krankenhäuser, die sie „entsorgen“.
@rahab
ich finde deinen letzten kommentar außerordentlich gut und richtig. ich argumentiere nicht gegen einen schwangerschaftsabbruch generell oder im speziellen fall einer behinderung. ich bin nach wie vor der meinung, das frauen dieses selbstbestimmungsrecht haben dürfen. und niemand hat ihre entscheidung zu werten.
trotzdem sollte die entscheidungsfindung eben nicht über generelle oder spezielle aspekte erfolgen, sondern über das zusammenspiel zwischen individuum und umwelt. bin ICH also bereit ein behindertes kind auf die welt zu bringen oder nicht oder entscheide ich mich dafür/dagegen, weil die gesellschaft mich in der erziehung eines behinderten kindes „behindert“? und da ist meine meinung, dass diese frau das unabhängig der äußeren bedingungen entscheiden sollte. so bleibt ihre entscheidung eine rein subjektive. ansonsten entscheidet man doch für das ungeborene behinderte und legt damit fest, wie wertvoll das leben eines behinderten menschen sein kann. das steht uns nicht zu, finde ich.
@lantzschi
falls es nicht deutlich genug geworden ist – ich wollte dir nichts unterstellen. wahrhaftig nicht!
es ging mir einzig darum zu zeigen, wie versteckt ein argument sein kann, das im grunde frauen das selbstbestimmungsrecht abspricht. – und ich vermute mal (oder hoffe doch sehr!), dass Cory ihr beispiel auch deshalb gewählt hat, um ihre zuschauer_innen genau darauf zu bringen. und nicht, um eine diskussion behindertes kind ./. anlegen-lassen abstehender ohren loszutreten.
Ja, aber weshalb dann ein extremes Beispiel, schwerste Behinderung, erst 11. Woche? Es ist doch scheinheilig, immer auf diese Extreme zu pochen, das ist im Übrigen auch etwas was ich der akutellen (besonders amerikanischen, in Europa ist das Thema eigentlich „tot) Diskussion unterstelle. Immer Beispiele von Extremsituationen, es hat einfach kaum jemand mehr Rückgrat genug um zu sagen, ich bin Pro Choice, weil es allein die Entscheidung der Frau ist, abzutreiben oder nicht, selbst wenn sie einen wohlhabenden superlieben Ehemann hat, einen eigenen Zweitwagen und das Kind laut allen Prognosen kerngesund wäre. Leider drückt man zu sehr auf die Mitleidsdrüse (Behinderung, Vergewaltigung, etc.)
Nachtrag @ Anna (obwohl das Thema OT ist, aber wenn es eingeworfen hast…).
Soviel ich verstanden habe, gibt es diese Grenze von 500g. Darüber hinaus ist eine Totgeburt/Abtreibung auch zu bestatten. Und ab dieser Grenze (oder ist es 1000g?) hat das Krankenhaus auch eine Meldung an die Polizei zu machen, da diese Verpflichtet ist, alle Todesursachen von Menschen (als solches gilt ein so geborener Fötus eben) zu registrieren. Dann steht unter Todesursache Abtreibung (ok, fragt mich nicht, inwiefern und welche Daten dazu erhoben werden).
Reden wir von einer normalen Abtreibung, dann handelt es ich um Gewichte in der Größenordnung von 50, 80, vielleicht maximal 100g. Die fehlende Pflicht zur Bestattung ist gut, die fehlende Möglichkeit ebenfalls. Sobald man gestatten würde einen solchen Fötus, egal ob Fehlgeburt oder durch Abtreibung gestorben, zu bestatten, würde damit schon ein Menschsein suggeriert. Ist ja logisch, was auf einem Friedhof für Menschen zu bestatten ist, war ein Mensch, also ist seine Vernichtung die Tötung eines Menschen. So etwas darf nicht Einzug halten, damit würde an der Entscheidungsfreiheit der Frauen sofort wieder gerüttelt. Die medizinische korrekte Entsorgung ist die einzige Möglichkeit.
Was macht man aber mit Fehlgeburten/Abtreibungen über 500g? Prinzipiell ist eine Bestattung richtig. Aber auf keinen Fall, wenn es sich um einen medizinisch indizierten Abbruch wegen Behinderung gehandelt hat. Denn so wird dem Fötus einerseits ein Mensch-Sein zugesprochen, andererseits aber ihm das Lebensrecht nur wegen seiner Behinderung abgesprochen. Das ist doch ein Dilemma. Gerade deshalb bin ich immer noch gegen die medizinische Indikation aus embryopathalogischen Gründen als spezieller Abtreibungsgrund: Fristen setzen, bis wann eine Abtreibung möglich ist, darüber hinaus wirklich nur in direkten Notlagen es erlauben. Wäre nur konsequent, die 500g Grenze könnte durchaus angewendet werden, vorher Abtreibung möglich, danach nicht mehr.
@Ariane
ich habe lange überlegt, ob ich auf deine klage über die scheinheiligkeit der extrembeispiele eingehe. ich habe schließlich versucht zu zeigen, dass gerade das extrembeispiel geeignet ist, zu dem zurückzufinden, was da eigentlich zur entscheidung ansteht, nämlich das selbstbestimmungsrecht.
wobei nun die frage ist, weshalb frauen auf diesem selbstbestimmungsrecht bestehen müssen (sei versichert: ich bestehe darauf!) und gleichzeitig von ihrer gesellschaft verlangen können (müssen!), dass sie dafür nicht bestraft werden, weder im strafrechtlichen sinne noch durch gefährdung ihrer gesundheit.
wahrscheinlich wird es erst mal wieder für verwirrung sorgen, aber ich verlinke zu dieser frage auf ein interview mit Sarah Hrdy in der aktuellen zeit -> http://www.zeit.de/2009/48/Klein-Muetter-48.
vielleicht helfen deren in diesem interview nur angerissene überlegungen zum infantizid etwas weiter?
@ Ariane
Naja, mit Rückgrat hat das nicht so viel zu tun – in konservativen Teilen der USA kommt man mit einer von dir beschriebenen Argumentation kaum an und muss zu Extrembeispielen greifen, wenn man anti-choice FanatikerInnen überhaupt erreichen möchte. Dieses Video soll auch wahrscheinlich nicht die liberalen, in Großstädten lebenden und weltoffenen pro choice Leute ansprechen. Wenn es so einfach wäre, gäbe es doch nicht solche Kontroversen.
@ Magda
Du bist vielleicht Realistin, ich Traumtänzerin. Natürlich kann man deiner Argumentation und der hier beschriebenen anhand einer Schwangerschaft bei erwarteter Behinderung eine bestimmte Logik nicht absprechen. So ist die Liberalisierung erfolgreich in Westeuropa verlaufen. So in Deutschland, wo man über eine Indikationslösung, die immer weiter aufgeweicht wurde zu einer fast-Fristenregelung gekommen ist oder auch interessant, in der Schweiz, wo die Gefährdung der Gesundheit der Frau im Lauf der Jahrzehnte immer lascher definiert wurde, bis ein Gutachten nur eine Formsache war, bis man eingesehen hat, man kann nun auch diese kippen. Das bringt uns Frauen am Ende vielleicht doch weiter als „mein Bauch gehört mir“, und da würde ich auch niemandem einen Vorwurf machen, der mit Extrembeispielen anfängt zu kämpfen. Ist legitim und in der Politik häufig der Fall.
Störend ist aber das Beispiel in mehrfacher Hinsicht, wenn ein geschädigter Fötus angeführt wird. Einerseits weil es dabei um die Frage der Abtreibung nach diagnostizierter Behinderung geht, die ich doch gerne von der grundsätzlichen Frage nach Abtreibung trennen würde. Die Amis gehen da anders ran, sie hätten nach Deutschland blicken sollen: Hier werden Abtreibungen aus medizinischen Gründen von den Kassen übernommen – bei sonstigen Gründen nur bei sozial Schwachen. Will die Pro Choice Bewegung das übernehmen? Ein Klausel in das Gesetz einschieben, das bei medizinischer oder embryopathologischer Indikation eine Kostenübernahme garantiert? Was ist dann mit den übrigen 99% der Abtreibungen?
Andererseits, so sehr eine Abtreibung auch sozial Schwachen möglich sein sollte, so sehe ich eine Verknüpfung mit Gesundheitsleistungen problematisch. Eine Abtreibung – es sei denn aus medizinischen Gründen – ist keine Krankheit, die Frau ist in der Regel nicht krank und dumm, die nicht verhüten kann oder hat psychische Probleme, welche sie zu einer Abtreibung zwingen. Es ist eine freie Entscheidung, das zu tun, das hat wirklich nicht viel in Krankenversicherungsfragen zu suchen. Wäre das nicht wirklich die Chance für ein alternatives Modell? In dem Abtreibungen generell direkt vom Staat übernommen werden, oder sozial Schwache ein Recht auf kostenfreie Abtreibung haben – natürlich auch auf kostenfreie Verhütung?
Ich verstehe ja die Aufregung, in der Praxis kümmert diese Grundsatzdiskussion eine Frau die abtreiben will und das Geld dafür nicht hat, wenig. Wahrscheinlich schweife ich wieder zu sehr in die Theorie ab.
Wollte nur noch eines hinzufügen, losgelöst von dem Beispiel der diagnostizierten Behinderung. Es ist logisch, wer wenig Geld hat, hat auch Schwierigkeiten das zu beschaffen. Aber wieviel kostet eine Abtreibung? Gewinnorientierte Praxen bieten sie in Lokalanästhesie für gut 200 Euro an (andere bieten sie zu überhöhten Preisen an, ist so, weil in Deutschland dafür kein Markt funktioniert und wenn meistens der Staat es zahlt, es den Betroffenen egal ist, wenn der Arzt dann doch 800 Euro verrechnet – solche Wucherpreise wären natürlich zu unterbinden). 200, 250 Euro sind schon eine Menge Geld (für mich wenigstens), aber abgesehen von absoluten Härtefällen doch keine Katastrophe und irgendwie aufzubringen. Ich halte deshalb die Diskussion, ob der Staat/Kassen Abtreibungen zu übernehmen hat, für sekundär, wichtiger ist der freie und ungehinderte Zugang.
nein, Ariane! der weg zum heutigen §§218ff ging in der BRD etwas anders – aber es geht hier jetzt nicht um details der rechtsgeschichte. dass das, was wir hier heute haben, den titel „erfolgreiche Liberalisierung“ verdient, das bestreite ich allerdings ganz entschieden!
was ich nun jedoch überhaupt nicht verstehe, das sind deine überlegungen (die ich fast geneigt bin, grübeleien zu nennen) ab welchem gewicht einem fetus eine bestattung (oder eine andere form des ‚öffentlichen‘ gedenkens zukommen könnte und unter welchen umständen nicht.
woher die scheu, skrupel (?), den menschlichen fetus einen menschen auf dem weg dorthin (also zum menschen) zu nennen? und zwar unabhängig davon, ob der fetus nach/durch spontan-abort zu tode kam oder durch den aus welchen gründen auch immer gewollten und durchgeführten abbruch der schwangerschaft?
@ Rahab
Natürlich, war kein kontinuierlicher Vorgang, aber die Akzeptanz einer Pseudo-Fristenregelung war auch nur möglich, weil seit Jahren in der BRD die Indikationen eher locker gehandhabt worden sind, einfach gesagt, eine Frau welche sie wollte, hat sie meistens auch bekommen. Ist nur grob vereinfacht, das ist mir klar.
Natürlich, dann kam noch die Geschichte mit der DDR hinzu, deren Abtreibungsregelung auch zu berücksichten war und zu diesem unheilvollen Konstrukt aus Pflichtberatung, Straffreiheit dennoch Rechtswidrigkeit geführt hat. Ich glaube aber kaum, Politik und Gerichte hätten unsere „liberale“ Regelung ermöglicht, wenn bis dato Abtreibung nur bei Lebensgefahr oder Vergewaltigung möglich gewesen wäre.
Zu meinen Skurpeln. Ich bin für die Möglichkeit einer Abtreibung, weil es sich beim Embryo und beim Fötus bis zu einem bestimmten Stadium um keinen Menschen, sondern nur um eine Vorstufe dazu handelt. Platkativ ausgedrückt: Ich spreche einem Embryo das Mensch-Sein ab und halte deshalb eine Abtreibung für ethisch unbedenklich. Sobald er aber als Mensch anerkannt wird, wird es schwierig, dann ist es schlicht und einfach Tötung eines Menschen die so nicht richtig sein kann. Das gegenwärtige Konstrukt (bis zu den Geburtswehen=Abtreibung, danach=Tötung/Mord) ist unbrauchbar, weil biologisch gesehen nicht vertretbar. Lieber wäre eine Grenze, ein Mensch ist ab einem Geburtsgewicht von 300/400/600g – über die Details könnte man streiten – als so einer zu sehen, vorher handelt es sich um eine Zellansammlung ohne Rechte. Sicher wäre das auch willkürlich, aber die konsequenteste Lösung.
@Ariane
…. ich komme drauf zurück, muß nur erst mal wieder eine reise antreten … bin aber schon jetzt der meinung, dass die lösung über gewicht keine besonders gelungene wäre…