Immer noch die Gretchenfrage

Eine Tagung der Böll-Stiftung beschäftigte sich mit dem Verhältnis von Religion und Frauenrechten. Entkommt man der patriarchischen Falle, die allen Religionen innewohnt?

Freitagsgedanken
(C) Frl. Zucker - fraeuleinzucker.blogspot.com/

Wenn man zu einer Konferenz mit dem Titel „Religion Revisited – Frauenrechte und die politische Instrumentalisierung von Religion“ geht, dann tut das wahrscheinlich niemand ohne bestimmte Erwartungen. Diese können religiös geprägt sein: Vielleicht erhofft man sich Lösungen für offenkundige Dilemmata innerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft. Oder man erwartet sich ein klares religionskritisches Signal und Wege zu mehr Säkularisierung im eigenen Staat oder in anderen Staaten auf der Welt. Wenn man als FeministIn hingeht, dann möchte man Antworten auf Fragen der Gleichberechtigung, religiös begründeter Gewalt gegen Frauen weltweit, reproduktiver Selbstbestimmung und viele mehr. Denn gerade als FeministIn fühlt man sich in einem kulturkritischen Dilemma: Auf der einen Seite möchte man nicht in kolonialer Manier intolerant mit den eigenen Vorstellungen als Ideal ein Urteil über andere Kulturen fällen. Auf der anderen Seite will man die notwendige Kritik an menschen- und vor allem frauenverachtender, religiös begründeter Gesetze und Handlungen äußern.

Wahrnehmung der Frauen

In den großen Religionen der Welt finden sich hierarchische Strukturen, welche traditionell ein Patriarchat begründen. Nur sehr schleppend und stets auf Druck von außen, nie durch eigene Aktivität, öffnen sich manche ein kleines bisschen, indem sie auch Frauen in hohen religiösen Ämtern akzeptieren. In anderen Religionen hingegen scheint sich entweder gar nichts zu tun, oder sie verschärfen gar ihre Unterdrückung von Frauen, wie dies in einigen islamistischen Staaten, etwa momentan in Afghanistan, der Fall ist. Die internationale Frauenrechts- und Entwicklungsorganisation AWID (Association For Women’s Rights in Development) beobachtet diese Entwicklungen kritisch und hat eine Befragung an über 1.600 Frauenrechts-AktivistInnen durchgeführt, um Auskunft über deren Wahrnehmung der Gefahr religiöser Fundamentalismen für die Rechte von Frauen zu erhalten. Diese Befragung war Basis eines Tagungs-Workshops.

Zusammenfassend: Fundamentalismen gibt es in allen Religionen der Welt – so die Wahrnehmung der Befragten, die aus vielen Ländern der Welt kamen und nahezu alle möglichen, selbst die kleinsten Religionen repräsentierten. Eine Mehrheit der Befragten AktivistInnen empfand religiösen Fundamentalismus als Problem für ihre eigene Arbeit. Als charakteristischste Merkmale nannten sie „absolutistisch“ und „intolerant“ (42 Prozent der Befragten). 24 Prozent gaben „gegen Frauen“ und „patriarchalisch“ an. AWID fand in der Beschreibung des Verhaltens verschiedener religiöser Fundamentalismen vor allem eine ganz besondere Gemeinsamkeit: Das Ziel, den Körper und die Sexualität der Frauen auf die eine oder andere Art zu kontrollieren. Ein aktuelles Beispiel ist die Sex-Pflicht in der afghanischen Ehe. Oder die Kontrolle weiblicher Körper durch verschieden starke Verschleierung derselben. Ein drittes Beispiel ist die Kontrolle der weiblichen Sexualität durch strikte Verbote von Verhütungsmitteln und durch ein Abtreibungsverbot.

Ratlosigkeit über Religionen

Sehr schnell drehte sich der Workshop um eine Gretchenfrage: Sind Fundamentalismen schon in der Basis der Religionen – meistens den Heiligen Schriften – angelegt, oder sind sie ein Produkt falscher Interpretationen und der Instrumentalisierung der Religionen durch Menschen? Diese Frage spaltete die anwesenden, die tatsächlich sehr vielfältige religiöse Hintergründe hatten, in zwei Lager. Workshopleiterin Cassandra Balchin, Consultant für AWID, erklärte der Gruppe desillusionierend, dass sie diese Frage nicht würden klären können. Dass dies stets die Frage sei, die alle Menschen in zwei Lager teilte. Und auch die Abschlussdiskussion der Konferenz, der eine Muslimin, eine Katholikin (Catholics pro Choice) und eine Protestantin angehörten, konnte eine Frage der Moderatorin einfach nicht beantworten: Können Kirchen aktive Akteure, gar die Spitze einer Bewegung für mehr Frauenrechte in den Religionen sein?

Vielleicht könnten sie das. Wenn sie an einer Modernisierung der eigenen Ideologien interessiert wären. Wenn sie kein Problem damit hätten, eine „Bibel in gerechter Sprache“ übersetzen zu lassen (wie Beate Blatz von Protestantische Frauen in Deutschland berichtete, haben die MitarbeiterInnen an diesem Projekt keine Chance mehr auf eine kirchliche Karriere in der EKD). Vielleicht könnten sie das, wenn die Frage „Sind Fundamentalismen schon in der Basis der Religionen angelegt?“ definitiv mit NEIN beantwortet werden könnte. Doch wenn wir sehen, dass wirklich alle Religionen dieser Welt Fundamentalismen entwickelten; wenn wir sehen, dass ihnen allen die Kontrolle der weiblichen Sexualität gemeinsam ist; wenn wir sehen, dass alle Religionen ein Patriarchat stabilisieren – wie sollen wir dann die Hoffnung aufbringen, dass diese Religionen es selbst sein könnten, die ihre Jahrhunderte alten Strukturen, Schriften und Traditionen in Frage stellen könnten?

Was wir stattdessen erleben ist ein Vormarsch der religiösen Fundamentalismen. Ein christlicher Workshopteilnehmer stellte vorsichtig die Frage, ob nicht vielleicht auch die Emanzipation der Frauen diese Gegenreaktion hervorgerufen haben könnte. Wieder so eine Frage, die natürlich niemand beantworten konnte. Am Ende der Konferenz blieben viele Fragezeichen übrig. Und der Eindruck, dass aus religiöser Pietät eine atheistische Position unterrepräsentiert blieb. Genauso wie der ursprüngliche Ansatz der Konferenz, nämlich die Frage zu klären, wie Religionen politisch instrumentalisiert würden oder die Politik religiös instrumentalisiert (Henne oder Ei?) in den Hintergrund geriet. Zwei traurige Botschaften blieben am Ende der Konferenz stehen: a) Nein, es gibt keinen wirklich säkularen Staat und b) nein, es gibt auf die zentralen, die religionskritischen Fragen keine Antworten, denn sie gefährden die Basis der Religionen an sich. Sie sind eine inakzeptable Gefahr – selbst für religiöse FeministInnen.

(Dieser Text erschien ursprünglich als Kolumne auf Freitag.de)

3 Kommentare zu „Immer noch die Gretchenfrage

  1. nun ja – allen religionen wohnt das patriarchat bestimmt nicht inne. aber etlichen, darunter denmonotheistisch abrahamitischen. und denen, welche mit diesen allzueng in berührung gekommen sind.
    wobei auch zu bedenken ist, dass das judentum (z.b.) nicht einfach per se patriarchalisch war. sondern eher wurde. was in manchen texten noch auffindbar ist (ich denke da an die sog. vätergeschichten, die eigentlich viel stärker müttergeschichten sind). so viel zur geschichte – auf wunsch hole ich gern mal etwas weiter aus.
    für heutige institutionalisierte religionen läßt sich allerdings nicht anderes sagen, als das andro-zentrische strukturen ihre betriebesvoraussetzungen sind. die bilden gewissermaßen eine „natürliche“ grenze. jenseits der grenze wird es schwierig, jedenfalls für den klerus – und sei dieser auch weiblich.

  2. etliche vor-monotheistische. die wir heute nicht mehr als religionen, sondern nur noch als kulte kennen.

    ich denke, wir haben hier mit mindestens zwei problemen zu tun.
    1. damit, dass der monotheismus begriff wie praxis von religion durchgreifend verändert hat.
    2. damit, dass wir uns religion gar nicht mehr anders als in der engen verbindung von krone&altar vorstellen können.

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