Gulag mild – Der Prozess gegen Pussy Riot in 5 Akten

Moskau: Der Schauprozess nimmt eine Wende ein. Im selben Gericht, wo vor drei Jahren am Ex-Oligarchen Michail Chodorkowski ein Exempel statuiert wurde, da sitzt Pussy Riot im Käfig. Schau­prozesse gegen Oppositionelle stehen in langer, sow­jetischer Tra­dition und werden unter Putin lediglich reaktiviert. Sie dienen der Ab­schreckung. Jetzt fordert er ein mildes Urteil für die drei Künstlerinnen des feministischen Punk­rock­kollektivs.

Auslöser für die Anklage war ihre regimekritische Aufführung im Februar. Kurz zuvor hatte der Patriarch Kyrill sich offen für den Präsidentschaftsanwärter Putin ausgesprochen, Putin sei ein Geschenk Gottes, so der Kirchenfürst. Pussy Riot prangerte das an und führte ein Punk-Gebet in seiner Kirche auf. Der Patriarch Kyrill will darin den Spott des Teufels gesehen haben. Andere sehen darin die Ver­zahnung zwischen der russischen Orthodoxen Kirche und dem Kreml. All das in­mitten eines fragwürdigen Präsidentschafts­wahl­kampfs.

Pussy Riot wird nun „Rowdytum aus religiösen Hass“ vorgeworfen, wofür den drei angeklagten Künstlerinnen bis zu sieben Jahre Haft drohen könnte. Weil der öffentliche, diplomatische Druck steigt, greift Putin nun doch in das laufende Verfahren ein, was einen Blick auf die Autonomie der Judikativen werfen lässt, weil sie sich davon beeinflussen lassen wird. Die drei jungen Frauen hätten ihre Lektion gelernt, meint er. Putin hat sich nass gemacht, sagt Pussy Riot. Wie die Anklage juristisch zu begründen ist, bleibt ein schwieriges Unterfangen so wie die Akten, die zu spät auftauchen und Undurchsichtigkeit aufzeigen. Und weil fair anders aussieht und Grundlagen offensichtlich fehlen, hier eine Vorstellung davon, wie es ablaufen hätte können.

1. Akt: Erlöserkathedrale (max. Dauer 40 Sekunden)

PUSSY RIOT* (Chor):  Mutter Gottes, du Jungfrau, vertreibe Putin! Vertreibe Putin!

(…) – Alle Pfarrkinder kriechen zur Verbeugung. Das Gespenst der Freiheit im Himmel. Homosexuelle werden in Ketten nach Sibirien geschickt. Der KGB-Chef ist euer oberster Heiliger, er steckt die Demonstranten ins Gefängnis. Um den Heiligsten nicht zu trüben, müssen Frauen gebären und lieben.

(…)

Mutter Gottes, du Jungfrau, werde Feministin, werde Feministin!

(…)

Der Patriarch glaubt an Putin. Besser sollte er, der Hund, an Gott glauben.

(Sicherheitsleute stürmen den Altar, Pussy Riot geht in Handschellen ab)

* Angeklagte PUSSY-RIOT-Sängerinnen: Nadezhda Tolokonnikova, 22, Maria Alyokhina, 24, Yekaterina Samutsevich, 29.

 

2. Akt: Puta_stan (fiktiver Ort)

Zwei Männer sitzen zusammen und lachen. Ganz so als ob es nie eine Oktoberrevolution gegeben hätte und die Kirche und der Staat eins sind.

PATRIARCH: (zitiert) „Soll er an Gott glauben, der Hund“ (Pause) Ich bin doch kein Hund!

(lachen, Putin greift in die Tasche, holt eine Schatulle hervor)

ZAR: Für Sie, Eure Seligkeit, eine kleine Wertschätzung (überreicht Schatulle)

PATRIARCH*: Gott segne Sie (öffnet Schatulle, lächelt, bindet die Uhr um sein Handgelenk, Marke: ROLEX)

ZAR: Amen. (PAUSE) Am besten nicht wieder damit photographieren lassen, Eure Seligkeit

(Gläser klirren, Kaviar auf der polierten Tischplatte)

* Der Patriarch hat eine Vorliebe für irdische Luxusgüter.

 

3. Akt: Gerichtssaal (eine Adaption) 2. TAG von XY Tagen 

Die Musikerinnen sitzen abgemagert auf der Anklagebank im Käfig. Maria Alyokhina bittet das Gericht um Vertagung, weil sie unter Kopfschmerzen leidet. Der Wunsch wird ihr abgesprochen. Draußen vor dem Gerichtssaal viele Unterstützer_innen und neben ihnen noch mehr Polizei.

ANWÄLTIN: Sie werden nach Mitternacht ins Gefängnis zurückgebracht, bekommen kein Abendessen und können dann nur wenige Stunden schlafen

RICHTERIN: (schweigt)

RICHTERIN: Was ist Euer Beruf?

PUSSY RIOT: Künstlerinnen. Feministinnen und Künstlerinnen

RICHTERIN: Und wer hat Euch gesagt, dass ihr Feministinnen seid? Wer hat Euch das Recht gegeben, das in der Kirche zu tun?

PUSSY RIOT: Niemand. (nicht konfrontativ) Wer hat uns zur Menschheit gezählt?

RICHTERIN: Und habt ihr dafür studiert?

PUSSY RIOT: Für was?

RICHTERIN: Feministinnen zu sein? Habt Ihr versucht Schulen zu besuchen, wo sie [Feministinnen] ausbilden. . . wo werden sie ausgebildet . . .

PUSSY RIOT: Das kommt nicht von Bildung

RICHTERIN: Von was dann?

PUSSY RIOT: Es kommt vom . . . (Pause) . . . Patriarchat

ANWÄLTIN: Der Auftritt war ein verzweifelter Versuch gewesen, um dass politische System zu ändern.

MARIA ALYOKHINA: (kippt um, Schwächeanfall)

 

4. Akt: GULAG (aus Alexander Solschenizyn „Der Archipel des Gulag“, 1985)

„Das Universum hat so viele Zentren, so viele Lebewesen darin wohnen. Jeder von uns ist ein Mittelpunkt des Alls, und die Schöpfung bricht in tausend Stücke, wenn Sie es zischen hören: „SIE SIND VERHAFTET !“

Wenn schon Sie verhaftet werden – wie soll dann etwas anderes vor diesem Erdbeben verschont bleiben?“

(…)

„Ver-haf-tet-wer-den, das ist: ein Aufblitzen und ein Schlag, durch die das Gegenwärtige sofort in die Vergangenheit versetzt und das Unmögliche zur rechtmäßigen Gegenwart wird. Das ist alles. Mehr zu begreifen gelingt Ihnen weder in der ersten Stunde noch nach dem ersten Tag“

 

5. Akt: Die rechtsnihilistische Urteilsverkündung

(…)*

 

*bitte nicht in Gesetzbücher schauen.

Ein Kommentar zu „Gulag mild – Der Prozess gegen Pussy Riot in 5 Akten

  1. Feminismus kommt nicht von Bildung? Für mich schon, zumindest zum Teil.
    Und der Rest kommt vom Denken…

    Wäre ein recht gutes Drehbuch, musste schmunzeln…

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