Heutigen Kolonialismus im Blick: Indigene Feminismen

Dieser Text ist Teil 77 von 140 der Serie Die Feministische Bibliothek

Erst gestern twitterte Lauren Chief Elk mal wieder eine Erinnerung, dass „Dekolonisation“ (Und auch „Kolonisation“) nicht einfach eine Metapher sei, vor allem keine, die vorwiegend weiße Menschen verwenden sollten in ihren Reden gegen Gentrifikation oder zu anderen sozialen Themen. Das ist kein Phänomen allein im englischsprachigen Raum. Als im letzten Sommer Angela Merkel das Internet als „Neuland“ bezeichnete, dauertes es auch nicht lang bis entsprechende Metaphern folgten. Damals schrieb ich:

Neuland (also das Internet) wurde mit Amerika gleichgesetzt. Einige Internet-User_innen (was ich gesehen habe vor allem weiße Typen) sehen sich als Native Americans, wobei natürlich immer der rassistische Begriff verwendet wird, und vergleichen in das Internet eingreifende Politken mit Jahrhunderten kolonialer Gewalt_Unterdrückung. Mit diesem Vergleich wird bis heute andauernde Gewalt verharmlost und das Erleben von rassistischer Gewalt affirmiert. Mit eigenem, hier oftmals auch besonders privilegiertem, Leid gleichgesetzt. Soll das die Ebene sein auf der Netzpolitiken verhandelt werden?

Auseinandersetzungen mit Kolonialismus/Dekolonisation sollten nicht nur als Quelle für Metaphern herhalten, sondern Bestandteil feministischer Gesellschaftschaftsanalysen sein. Indigener Feminismus (oder auch hier gleich besser im Plural „indigene Feminismen“), der dies selbstverständlich tut und Ansätze bietet, ist im deutschsprachigen Raum allerdings kaum Thema. Häufig wird die Relevanz nicht erkannt, die bis heute andauernden kolonialen Strukturen ignoriert oder höchstens weit weg (lies nach Amerika) geschoben (als wäre es dann weniger schlimm und als gäbe es keine Verknüpfungen). Ausgeblendet werden dabei beispielsweise auch die Kämpfe der Sami in Nordeuropa um ihre Rechte. Letzte Woche wurde der @sweden-Twitteraccount, in dem jede Woche eine andere schwedische Person schreibt, von Ylva Maria Pavval befüllt, die diese Möglichkeit nutze um eben über dieses Thema zu berichten.

Auf Deutsch habe ich leider noch keine guten Bücher gefunden, die sich mit feministischem Aktivismus und_oder feministischen Theorien indigener Frauen auseinandersetzen, aber in den letzten Jahren erschienen im englischsprachigen Raum zunehmend solche Werke, vor allem in Kanada. Drei Sammelbände möchte ich heute kurz vorstellen.

Cover von Making Space for Indigenous FeminismIm August 2002 fand ein Aboriginal Feminism Symposium statt, organisiert von Joyce Green. Fünf Jahre später erschien dann Making Space For Indigenous Feminism, in welchem Aufsätze von Teilnehmer_innen des Symposiums, aber auch anderen Personen, die nachträglich angesprochen wurden, versammelt sind. Die Aufsätze lassen sich in drei Kategorien einteilen: 1. Texte, die Theorien zu indigenem Feminismus erörtern. Joyce Green entwirft so im ersten Aufsatz die Möglichkeiten eines indigenen Feminismus und zeigt auch auf, in welcher schwierigen Position indigene Frauen stehen, die sich als Feminist_innen positionieren, und zum einen vom feministischen Mainstream nicht gehört werden und von anderen indigenen Aktivist_innen als „verwestlicht“ beschimpft werden. 2. Es folgen Beschreibungen konkreter Themen, zu denen indigene Feminist_innen arbeiten. Dabei wird durch eine Mehrzahl an Texten deutlich gemacht, wie zentral der Themenkomplex Kolonialismus-Imperialismus-Souveränität für die Aktivist_innen ist. 3. Der letzte Teil umfasst Berichte von Feminist_innen über ihre ganz konkreten Aktivismus-Geschichten. Im Buch gibt es zwar einen Schwerpunkt auf Nordamerika, aber Rauna Kuokkanen und Jorunn Eikjok tragen jeweils Texte aus Sami-Perspektiven bei und Kathie Irwin schreibt über Maori Frauen und Leadership in Neuseeland.

Der Sammelband versucht nicht eine homogene Theorie indigenen Feminismus zu entwerfen, sondern zeigt unterschiedliche Perspektiven und Zugänge. Er macht sichtbar, dass es zum einen für viele dieser Feminist_innen ähnliche Erfahrungen mit Kolonialismus gibt, aber konkrete Lebenserfahrungen sich natürlich auch von Land zu Land und auch innerhalb von Ländern unterscheiden. Immer wieder beschreiben die Autor_innen, wie wichtig der Kampf um Zugang zu Land, Dekolonisation im engeren und weiteren Sinne, Einsatz gegen Gewalt, die vor allem indigene Frauen in überproportionaler Art und Weise trifft und der Fokus auf den Erhalt kultureller Praxen und Empowerment durch Spirituelles, ist. Cover von Indigenous Women and Feminism

Diese Punkte finden sich eigentlich auch alle wieder im Sammelband Indigenous Women and Feminism. Politics, Activism, Culture, der im Jahr 2010 erschien. Im Einfühungsaufsatz „Indigenous Feminism: Theorizing the Issues“ geben Shari M. Huhndorf und Cheryl Suzack einen guten Überblick über Themenfelder, der Aneignung oder Ablehung des Begriffs „Feminismus“ und historischen Entwicklungen vor allem in Kanada. Der Rest des Buchs ist, wie der Titel bereits verrät, ebenfalls in drei Teile geteilt.

Zu erst fokussieren sich die Autor_innen auf „Politik“. Minni Grey beschreibt beispielsweise ihre eigene politische Geschicht in „From the Tundra to the Boardroom to Everywhere in Between: Politics and the Changing Roles of Inuit Women in the Arctic“ und Laura E. Donaldson analysiert, wie sich Cherokee Frauen gegen den Verkauf ihres Lands eingesetzt haben und welche Rolle westlicher Patriarchalismus im Kolonialismus spielte und und spielt. Der zweite Teil wendet sich dem „Aktivismus“ zu, wobei die Trennung zwischen dem ersten und zweiten Teil sich nicht immer ganz erschließt, was aber letzten Endes auch nicht so wichtig scheint. Interessant ist im zweiten Teil auch der Blick außerhalb der Amerikas nach Asien im Aufsatz „Beyond Feminism: Indigenous Ainu Women and Narratives of Empowerment in Japan“. Der letzte Teil bietet sieben Artikel zu Themen, die im ersten Sammelband weniger präsent sind: Kulturelle Produktionen wie Literatur, Film oder visuelle Kunst von indigenen Frauen. Dabei wird in den unterschiedlichen Aufsätzen untersucht, welche Verhandlungen innerhalb der Kunst stattfinden und welche Möglichkeiten diese Ausdrucksformen eröffnen.

Cover von This Is An Honour SongThis is an Honour Song. Twenty Years Since the Blockades ist kein Sammelband, der sich explizit mit Feminsmen auseinandersetzt und der Fokus ist auch an sich sehr viel konkreter als in den beiden zuvor vorgestellten Büchern. Das Buch widmet sich allein der sogenannten „Oka-Krise“ im Jahr 1990, während der Mohawks in Kanada nahe der Stadt Oka verhinderten, dass ein von ihnen als Grabstädte genutzer Pinienwald durch einen Golfplatz einverleibt wurde. Die Auseinandersetzungen, die über siebzig Tage andauerten, werden heute oftmals als eine Initialzündung für weiteren Aktivismus zu Landrechten in Kanada angesehen.

Der Band vereint Essays, Gedichte, Erinnerungen, Theaterstücke, visuelle Kunst und andere Formen, die in ihrer Gesamtheit einen Eindruck nicht nur von der ganz spezifischen Situation, sondern überhaupt der bis heute aktuellen Realität von Kolonialismus bieten. In den Texten werden Aktivist_innen vorgestellt, Robinder Kaur Sehdev denkt über mögliche anti-rassistischen feministischen Allianzen nach und June McCue trägt einen Honour Song bei. So ist das Buch, welches von Leanne Simpson und Kiera L. Ladner herausgegeben wurde, zwar keins bei dem Feminismus auf dem Cover steht, aber in welchen auf unterschiedlichsten Ebenen mehr Feminismus steckt als in Büchern, die diesen versprechen.

Literaturangaben:

Joyce Green (Herausgeberin). 2007. Making Space for Indigenous Feminism. Fernwood Publishing/ Zed Books. 254 Seiten.
Cheryl Suzack, Shari M. Huhndorf, Jeanne Perreault, Jean Barman (Herausgeberinnen). 2010. Indigenous Women and Feminism. Politics, Activism, Culture. UBC Press. 333 Seiten.
Leanne Simpson und Kiera L. Ladner (Herausgeberinnen). 2010. This Is An Honour Song. Twenty Years Since the Blockades. Arbeiter Ring Publishing. 366 Seiten.

5 Kommentare zu „Heutigen Kolonialismus im Blick: Indigene Feminismen

  1. Tausend Dank für diesen Beitrag!! Die ersten zwei vorgestellten Bücher kann ich sehr empfehlen!

    Weitere Tipps von meiner Seite:

    Aileen Moreton-Robinson: Talkin‘ Up to the White Woman: Indigenous Women and Feminism (Schwerpunkt liegt auf den australischen Aborigines-Frauen)

    Alison Jones: Bitter Sweet: Indigenous Women in the Pacific

    Linda Tuhiwai Smith: Decolonizing Methodologies: Research and Indigenous Peoples (Klassiker!!)

    Alles von Lee Maracle und Paula Gunn Allen.

    Und Film-Tipps (leider bislang nur in den USA)

    http://www.missnavajomovie.com/

    http://www.cw4w.com/#about-the-film (über die wunderbare Wilma Mankiller)

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