Frauen als Täterinnen und Unterstützerinnen eines patriarchal organisierten Gewaltsystems wurden seit Beginn der Frauenbewegung immer wieder benannt, doch selten führte diese Benennung zu einer methodologischen und epistemologischen Veränderung innerhalb feministischer Forschung und Kritik. Unversalisierbar schien die Auffassung, das Patriarchat stelle eine allumfassende ausschließlich von Männern initiierte und ausgeübte Form der Unterdrückung von Frauen dar. Zu tief saßen Trauma und Scham über die Gewaltverbrechen und Menschenrechtsverletzungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, an denen Männer und Frauen im gleichen Maße beteiligt waren, unter denen Männer und Frauen im gleichen Maße litten.
Die Täter-Opfer-Dichotomie begann erst in den 1980er Jahren brüchig zu werden, als kritische Feminist_innen die These der Mittäterinnenschaft nachhaltig innerhalb feministischer Diskurse etablieren konnten und so eine selbstkritische Perspektive auf das Geschlechterverhältnis eröffneten. Christina Thürmer-Rohr trug einen wesentlichen Teil dazu bei, das feministische Selbstbild zu überdenken und feministischer Forschung einen anderen methodologischen Zugang an die Hand zu geben, Herrschafts- und Machtformen zu analysieren und zu hinterfragen.
In „Die unheilbare Pluralität der Welt – von Patriarchatskritik zur Totalitarismusforschung“ fasst Thürmer-Rohr den feministischen Diskurs des 20. Jahrhunderts grob zusammen und erläutert in chronologischer Abfolge politisches Denken und Handeln des Feminismus mit seinen jeweiligen Epistemen in Bezug auf Gewalt, Macht und Herrschaft. Weiter verknüpft sie Erkenntnisse der Totalitarismus- und feministischer Forschung und rekurriert dabei immer wieder auf Hannah Arendt, die Anerkennung von Dialog und Pluralismus forderte und in der Vielfalt und Verschiedenheit von Menschen ein Mittel gegen totalitäre Bewegungen, Systeme und Denkansätze sah.
Die inhaltliche Nähe zu Arendts Erkenntnissen zu Formen totaler Herrschaft fußt auf Thürmer-Rohrs eigener Biografie: Ihr Vater war in der Zeit des Nationalsozialismus Offizier der Wehrmacht. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs beginnt Thürmer-Rohr sich kritisch mit ihren eigenen traumatischen Erfahrungen und ihrer Rolle als Frau in einem totalitären System, als Familienmitglied eines seiner Unterstützer_innen und dem Funktionieren des Systems selbst auseinander zu setzen. Später wendet sie sich gegen ihren Vater.
Weiterhin beeinflusst ist Thürmer-Rohrs Denken — neben der Totalitarismusforschung und Theorien Hannah Arendts — von dekonstruktivistischen Ansätzen: Sie hinterfragt Kategorien wie „Geschlecht“ und „Frau“, statt diese zu generalisierenden Begriffen zu machen, mit denen im Feminismus lange Zeit gearbeitet wurde (und noch immer wird). Was bedeuten Kategorien und welche Menschen sind damit gemeint? Wie inklusiv sind diese Kategorien?
Thürmer-Rohr begegnet geschlechtsspezifischen Identitätsbehauptungen mit großer Skepsis und wendet sich gegen die Einteilung von Menschen in feministische Subjekte und Objekte. Die Kategorie „Frau“ ist für Thürmer-Rohr die „totalitäre Antwort auf eine totalitäre Geschlechterpolitik“. Das Klassifizieren von Menschen beschreibt sie als Gewaltakt, als Aussortieren des Anderen und als nicht legitimierte Aneignung des vermeintlich Eigenen.
So nimmt Thürmer-Rohr eine kritische Perspektive zum Feminismus ein, verwehrt sich jedoch jeglichen antifeministischen Auslegungen und Instrumentalisierungen ihrer Theorien. Vielmehr ist ihr Denken gekennzeichnet von einer Herangehensweise, die wie Arendt auf Pluralismus und Vielfalt abzielt. Auf das Ineinandergreifen von Kategorien, die sie nicht als Merkmale eines Menschen begreift, sondern als gewaltvolle Überstülpung und „Planierung von Differenz“.
In „Die unheilbare Pluralität der Welt“ wendet sich Thürmer-Rohr postmoderner Philosophie zu, die in den Identitätsstiftungen der Moderne die Hauptursache für Terror, Gewalt, Macht und Herrschaft sah. Besonders in der Gegenüberstellung von Kategorien wie „Mann – Frau“ wird deutlich, dass hier Menschen auf eine angeblich wesentliche Eigenschaft reduziert werden, wobei das jeweilige „Wesensmerkmal“ und das Verhältnis der beiden zueinander universal und jederzeit ihre Wirkung entfalte. Mit dieser Vorstellung von einer dichotomen Aufteilung der Welt geht auch eine dichotome Vorstellung von Strukturen, sozialen, politischen und gesellschaftlichen Räumen einher, eine dichotome Vorstellung von Macht und Herrschaft, eine dichotome Vorstellung von Gewalt und eine dichotome Vorstellung von Täter_innen und Opfern.
Die Einteilung von Menschen in gegenüber gestellte Identitäten und die damit einhergehende Zuweisung von Eigenschaften, kulturellen und biologischen Codes, die Frauen lange Zeit gesellschaftliche wie politische Teilhabe erschwerte oder verunmöglichte, die einhergingen mit Gewaltanwendung und Machtausübung über das vermeintlich Andere, verlängert sich also nach Thürmer-Rohr in der feministischen Kritik dieser Zustände. Indem Frauen als universelle Opfer des Patriarchats konstruiert werden, können sie demnach also nicht gleichzeitig auch Gespielinnen, Mittäterinnen und Unterstützerinnen oder selbst Täterinnen sein. Sie werden erneut zu Objekten gemacht, ihnen wird erneut das Recht abgesprochen, sich als Individuen zu positionieren, die auf unterschiedliche Weise verstrickt sind in ein wesentlich komplexeres und diffizileres Feld von Macht, Herrschaft und Gewalt, als es bis dato von Feminist_innen gezeichnet wurde.
Thürmer-Rohrs Kritik an der feministischen Patriarchatslogik und seiner vereinfachenden Sichtweise beschränkt sich dabei nicht nur auf die Aufarbeitung der Gewaltverbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus, sie bezieht ganz allgemein Stellung zu allen Formen von Herrschaft und verdeutlicht den Zusammenhang einer feministischen Aneignungspolitik qua Subjekt „Frau“ und totalitären Normierungsprozessen. Das biologische wie soziale Geschlecht als einzig gültige Unrechtskategorie zu beschreiben, vernebele den Blick auf andere Formen der Ausübung von Dominanz und Herrschaft und damit eine selbstkritische Auseinandersetzung mit diesen. Als Beispiel führt sie Kolonialismus und Postkolonialismus an.
Mit der These von Mittäterinnenschaft ist es möglich auch innerhalb der vermeintlichen Opfergruppe „Frau“ Dominanzkulturen und Mechanismen aufzuspüren, die neben dem Patriarchat andere Unrechtsregime produzieren. So werden die Belange von subalternen Gruppen sichtbar, für die Patriarchat und Sexismus weniger Ausschluss produzieren, denn beispielsweise Rassismus. Thürmer-Rohr wird deutlich, dass Frauen jahrzehntelang ignorierten, dass auch sie nicht freigesprochen werden können von initiierten Ausschlüssen und Gewaltakten jeglicher Art.
Thürmer-Rohrs Kritik am Feminismus stellt damit allerdings keinen Delegitimierungsversuch desselbigen dar. Vielmehr kann „Die unheilbare Pluralität der Welt“ als eine Handlungsaufforderung verstanden werden, feministische Forschung und politische Praxis des Feminismus selbstreflektierend wahrzunehmen und die eigene Positionierung immer wieder neu zu denken und in Bezug zum feministischen Subjekt zu setzen. Thürmer-Rohr plädiert für ein weiter gefasstes Verständnis von Herrschaft, für einen Feminismus, der sich gegen alle Formen totalitärer Herrschaft wendet, ein Feminismus, der inklusiv und pluralistisch strukturiert ist. Sie gab damit wichtige Impulse für die feministische Forschung jener Zeit, eröffnete neue politische Handlungsfelder und verlieh antirassistischer Arbeit innerhalb des Feminismus insgesamt mehr Gewicht.
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Christina Thürmer-Rohr (1998): „Die unheilbare Pluralität der Welt. Von Patriarchatskritik zur Totalitarismusforschung“
Respekt !
Der nächste Schritt wäre die Aussage: „Frauen waren nicht nur Mittäter – Frauen waren und sind auch Täter“.
@Hans
wenn du den Text aufmerksam gelesen hättest, wüsstest du, dass das genau da so steht. Frauen unterstützten Gewalt nicht nur, sie übten sie auch direkt aus.
„Thürmer-Rohr plädiert für ein weiter gefasstes Verständnis von Herrschaft, für einen Feminismus, der sich gegen alle Formen totalitärer Herrschaft wendet, ein Feminismus, der inklusiv und pluralistisch strukturiert ist. Sie gab damit wichtige Impulse für die feministische Forschung jener Zeit, eröffnete neue politische Handlungsfelder und verlieh antirassistischer Arbeit innerhalb des Feminismus insgesamt mehr Gewicht.“
Der Beitrag ist klasse und erweitert die Sichtweise !
Den Namen Thürmer-Rohr habe ich irgendwo schonmal gelesen, ich glaube in „Heldendämmerung“. Nichtwissende behaupten ja immer wieder, der Feminismus sei von einer reinen Opferkultur besetzt, was mit o.g. Beitrag entsprechend widerlegt ist.
Bei Simone de Beauvoir las ich ebenfalls etwas über ein „heimliches Einvernehmen“ :
“Es ist leichter, ein Geschlecht anzuklagen, als das andere zu entschuldigen” schreibt Montaigne. Das Austeilen von Lob und Tadel führt zu nichts. Wenn dieser Teufelskreis so schwer zu durchbrechen ist, liegt das in Wirklichkeit daran, dass jedes der beiden Geschlechter zugleich Opfer seiner selbst und Opfer des anderen ist. Zwischen zwei Gegnern, die sich in Freiheit gegenübertreten, kann eine Einigung leicht hergestellt werden, zumal ihr Kampf niemanden nützt. Aber die Schwierigkeit der ganzen Angelegenheit rührt daher, dass beide Lager sich im heimlichen Einvernehmen mit dem jeweiligen “Feind” befinden. Die Frau verfolgt einen Traum der Selbstaufgabe und der Mann einen Traum der Entfremdung. Die Unauthentizität zahlt sich nicht aus. jeder verübelt dem anderen das Unglück, das er sich zugezogen hat, indem er der Versuchung des bequemsten Weges nachgab. Was einer an dem anderen hasst, ist offensichtliche Scheitern der eigenen Unaufrichtigkeit und der eigenen Feigheit.”
(Quelle : Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht, S. 885)
“Tatsache ist, daß die Männer bei ihren Gefährtinnen auf mehr heimliches Einvernehmen stoßen als die Unterdrücker gewöhnlich bei den Unterdrückten.” (ebd. S. 887).
Die vereinfachende Pauschalisierung „Opferfeminismus“ ist damit eindeutig widerlegt.
Ich würde mir von manchen meiner Geschlechtsgenossen mehr Bereitschaft wünschen, die selbstschädigenden Mechanismen patriarchaler Männlichkeit mehr selbstkritisch zu reflektieren statt das häufig beobachtbare Abwehrverhalten. Ich denke, da wären wir insgesamt viel weiter und die Lebensumstände für viele Frauen und Männer bereits wesentlich angenehmer.
Der moderne Feminismus macht es vor.
http://www.kofra.de/htm/Zeitung/kofra104.pdf
„Frauenspezifischer Umgang mit Aggression In weiblicher Sozialisation wird Aggression verstärkt durch das Verbreiten von Gerüchten, Lügen und Halbwahrheiten, oder durch Entzug von Zuwendung ausgelebt.“ (S.6)
„Das „Klammern“ am „Opfer-Status“ geschieht so im Dienste der relationalen Machterhaltung, die gleichzeitig verschleiert werden soll. Einfühlung und Verständnis gegenüber Personen in Dominanz- und Machtpositionen ist im allgemeinen eng mit patriarchaler Herrschaftsgeschichte verknüpft und wird u.a. am öffentlichen Umgang mit männlicher Aggression, die durch die Bemühung eines „Opfer Status“ des Aggressors entschuldigt wird, deutlich.“ (S. 7)
By the way : Markant aufklärend fand ich z.B. wieder S. 16, wusste ich auch noch nicht :
„Dabei wird das moderne Boxen von beiden Geschlechtern seit dem 18. Jahrhundert ausgeübt. Historische Quellen zu Frauenboxen, das in der
Öffentlichkeit stattfand, bietet die englische Daily Post, in der 1728 diese…“
Hab mir gerade noch den Beitrag von Fr. Thürmer-Rohr der FU Berlin angesehen.
Hier finden sich weitere interessante Ansätze :
„Frauen werden nicht nur verstrickt, verletzt und mißbraucht von einem schädigenden System, sondern sie steigen auch eigentätig ein, sie gewinnen auch etwas, sie ernten Privilegien und fragwürdige Anerkennungen, sie profitieren von ihren Rollen – sofern sie sie erf’üllen. Die Bereitschaft von Frauen zur magdseligen oder herrenhaften Unterstützung eines patriarchal organisierten Tuns und Denkens sind gerade der Triumph, den dieses feiern kann.“
„Meiner Meinung nach befindet sich feministische Kritik zumindest indirekt bereits mitten in dieser Auseinandersetzung, auch wenn sie explizit selten auf den Totalitarismusbegriff zurückgreift. Viele konfrontieren sich seit längerem bewußt mit einer Realität, die den ordentlichen Trennungsversuchen zwischen unten, oben, Opfern, Tätern, gut, böse selten standhielt [5]. Die teils stolzen, teils dümmlichen Dichotomisierungen, die aus den ehemaligen Ordnungsversuchen und Prioritätssetzungen folgten, kann kaum noch jemand aufrechterhalten.“
Und bei dieser Passage kam mir instinktiv der Begriff „Agentinnen des Wandels“ in den Sinn :
„Die Mittäterschaftsthese war in erster Linie gemeint als methodischer Versuch, den Funktionsweisen der patriarchalen Gesellschaft auf die Spur zu kommen, die ritualisierte Zusammenarbeit der Geschlechter für den hartnäckigen Erfolg organisierter Ungerechtigkeiten zu durchschauen, zu analysieren, zu konterkarieren. Die feministische Arbeit müßte demnach ihre wesentlichen aktuellen Ziele darin sehen, Frauen herauszufordern und zu ermutigen, ihre eigene kollektive Unterstützungs- und Zuarbeit an einem ihnen und anderen Unrecht zufügenden System aufzudecken und Wege zur Entkoppelung, zur Entsolidarisierung finden. Auf den ersten Blick mag die These weniger zur Provokation männlicher Gegner geeignet sein als zur Provokation einer „weiblichen“ Identität, mit der Frauen sich selbst gern als das „andere Geschlecht“ gesehen hatten, als unwesentliche Andere oder glücksversprechende Andere des Mannes, als das Andere der Männlichkeit, das Andere der patriarchalen Vernunft, im Besitz auch eines anderen Verhaltens, einer geschlechtsspezifischen Moral, Sprache, Denkweise etc. Der Mittäterschaftsthese geht es um Gesellschaftsanalyse und -kritik.“
Wie auch die Fußnote (6) finde ich markant :
„Männer wären also gefragt als Dekonstrukteure ihrer eigenen Herstellung.“
Deckt sich m.E. mit schlüssig belegten Schlußfolgerungen von Fr. Ute Scheub in „Heldendämmerung“ und der Chance zu feministisch-inspirierter Friedensarbeit.
In der Diskussion bei Westart im WDR vor ein paar Monaten, an der u.a. Fr. Barbara Sichtermann und Hr. Dr Gesterkamp teilnahmen, wurden ähnliche Zusammenhänge bemerkt.
Hey Thomas,
danke für das Lob und die weiteren theoretischen Ausführungen. Dass Ute Scheub ähnlich wie Thürmer-Rohr argumentiert, ist nicht verwunderlich, scheint sie doch eine Bewunderin von ihr zu sein, siehe Taz-Beitrag, den ich am Ende verlinkt habe. Ich habe mich in meinem Text übrigens konkret auf Thürmer-Rohrs Text für die FU Berlin bezogen. Ich denke, dass das noch mal eine relativ schlüssige Zusammenfassung der Mittäterinnenschaftsthese ist, feministische Strömungen als solche in diesem Kontext reflektiert und eine neue Begriffsführung, Totalitarismus, vorschlägt, auch wenn ich diesen letzten Punkt in benanntem Beitrag etwas zu kurz gedacht, abstrakt und irgendwie zusammenhangslos dargestellt finde. Will nicht sagen, dass beides nicht zusammenginge, habe nur den Eindruck, dass es 1998 von ihr noch nicht fertig gedacht war.
Liebe Grüße
Liebe Nadine,
„..dass es 1998 von ihr noch nicht fertig gedacht war.“
Das denke ich in manchen Passagen auch, jedoch fände ich es interessant, hier einen weiterführenden Ansatz zu entdecken.
„Die Kategorie „Frau“ ist für Thürmer-Rohr die „totalitäre Antwort auf eine totalitäre Geschlechterpolitik“. Das Klassifizieren von Menschen beschreibt sie als Gewaltakt..“
Diese Passage passt wie ein Mosaiksteinchen zu Simone de Beauvoirs Abhandlung „Mythos Frau“, die dieses androzentrisch geprägte projektive kulturell verinnerlichte Wunschgerüst lediglich vermenschlichen wollte.
“Hätte Montherlant das Ewigweibliche entmythologisiert, müsste man ihn dazu beglückwünschen : indem man die Frau negiert, kann man den Frauen helfen, sich als Menschen zu bejahen.Aber wie wir gesehen haben, vernichtet er das Idol nicht, sondern verwandelt es in ein Ungeheuer.”
(Quelle : Das andere Geschlecht, de Beauvoir, S.261)
Diese mythologischen und historischen Quellen waren mir früher nicht so vergegenwärtigt, von daher war es für mich bisher schwer mit dem Begriff „Patriarchat“ zu folgen. Mittlerweile ist das alles etwas für mich Klarer und benutze in diesem Zusammenhang auch gerne den Begriff „Geschlechterhierarchie“, die kulturell und sozialisationsgemäß von Männern und Frauen verinnerlicht und gelebt werden.
http://maedchenmannschaft.net/wer-war%e2%80%a6-funmilayo-ransome-kuti/
„Ransome-Kuti war der Auffassung, dass Frauen durch ihre soziale Konditionierung negative Selbstbilder internalisieren und passiv sowie apathisch werden. So kritisierte sie…“
Diese verinnerlichten androzentrischen-patriarchalen Grundprozesse zu verstehen und so zu verwerten, das vermehrt Männerbewegte die für sie schädlichen Schwierigkeiten verstehen und verwerten :
http://www.welt.de/debatte/kommentare/article9375347/Warum-immer-nur-Maenner-ihre-Familien-ausloeschen.html?wtmc=Newsletter.NL_Weltbewegt
„Die Frau ist des Mannes emotionaler Lebensquell…
Jungen werden ermuntert, sich zu behaupten, aber systematisch daran gehindert, ihre Emotionen auszudrücken und ihre Bindungsfähigkeit zu entfalten….Sie ist – nicht bewusst, aber doch faktisch – sein emotionaler Lebensquell. Versiegt er, bricht beim Mann hilflose Panik aus.“
wäre m.E. eine zielführende Vision in der 3. Welle des Feminismus.
So fügen sich vielleicht die Mosaiksteinchen im Geschlechterpuzzle zu einem für Frauen und Männer lebenswerteren und -verbessernden Gesamtbild zusammen.
Der weiterführende Ansatz ist mir bei Thürmer-Rohr klar, ihr Dekonstruktivismus und gesellschaftstheoretischer Rahmen sind mir äußerst sympathisch. Das, was du als zielführende Vision des 3.-Welle-Feminismus beschreibst, ist m.E.n. in Theorie und Praxis bereits Wirklichkeit.
Seit ein paar Jahren entbrennt ein heißer Kampf um die Frage der Ebenen (mikro, meso, makro, alle zusammen, jede für sich?) und welche Theorie/Politik am besten fährt, um Geschlechterverhältnisse nicht nur zu verlagern oder zu re-produzieren, sondern gänzlich aus dem Strukturgebenden zu verbannen. Ich sehe mittlerweile einen Theorie-/Themenmix, der mir ganz besonders behagt, weil er inklusiv funktioniert und nicht unbedingt das Rad neu erfinden will.
Fragt sich dabei lediglich, ob das dann in einer 4. Welle münden kann, oder doch akademisch verhaftet bleibt.
„oder doch akademisch verhaftet bleibt.“
Ja, in der Praxis sehe ich das Problem.
Viele möchten irgendwie etwas anders machen, aber keine und keiner weiß so recht, wie.
Im Unsicherheitsfall fällt man/frau zurück in Althergebrachtem und Gewohnheiten.
Durchgreifende Veränderungen werden m.E. leider eher erst dann möglich, wenn der Leidensdruck groß genug ist.
Ein Beispiel : Ich versuchte, auf weiterführender Ebene den Diversity-Gedanken näherzubringen. Ich will nicht ins Detail gehen, aber es ist nicht einfach. Die (vorwiegend Männer), die dort sind, fühlen sich scheinbar recht wohl – insbesondere in Branchen, die als „konservativ“ bekannt sind.
Warum sollten sie sich auch unwohl fühlen? Ich fühle mich auch nicht unwohl in meiner eigenen peer-group ;) Mit diversity habe ich ja auch so meine Probleme, aber das ist ein anderes Feld…
Weil der gesellschaftliche Druck noch hoch genug ist. Darüberhinaus hat sich der “Markt” weiterentwickelt. Entweder man/frau sieht und bemerkt es und sieht optimistisch nach neuen Möglichkeiten oder man verharrt weiter in seiner Vorwurfswelt. Für manche scheint diese sehr liebgewonnen zu sein.
Hans fragt in einfachen Worten nach „Frauen waren und sind auch Täter“. Die Antwort, die daraufhin kommt ist: „Genau das steht dort“.
Es mag sein, dass es verklausuliert so zu lesen sein könnte. Für mich liest es sich aber auch so, wie es sich für Hans gelesen hat. Wenn man nicht willens ist, in klaren Worten zu sprechen, sondern akademisch verklausuliert, wird Feminismus weiterhin akademisch abstrakt bleiben und nicht bei den Menschen ankommen sondern eine Beschäftigung für Glasperlenspieler bleiben.
So meinte ich es. Es einfach schreiben:
FRAUEN SIND AUCH TÄTER.
@MimoD, @hans
Einfach mal die Überschrift lesen.
Und wenn ihr einen interessanten Text zum Thema schreibt (auch in einer Sprache, die nicht nur Glasperlenspieler_innen benutzen!) verlinken wir auch gerne einen Text von euch.
Ansonsten erkennt bitte an, dass Nadine selbst darüber entscheidet, in welcher Form sie Thematiken aufarbeitet.
Für mich geht es hier auch einfach um folgende Feststellung :
„Im Gegensatz zur Behauptung mancher Männeraktivisten, Feministinnen wollten Frauen immer nur als Opfer darstellen, haben
feministische Wissenschaftlerinnen als Erste darauf hingewiesen, dass Frauen auch Täterinnen sein können. Die Anthropologin Sarah Blaffer Hrdy schrieb mit „Mutter Natur“ unter anderem eine Geschichte der Kindstötungen durch Mütter, und die Soziologin Tina Thürmer-Rohr prägte das Wort von den Mittäterinnen im Nationalsozialismus. Die Wissenschaftlerinnen wollten mit der rosaroten Kuschelecke aufräumen, mit der Vorstellung, das friedfertige Weib pflege und heile, was der gewalttätige Mann an Wunden schlage.“
(Quelle : Heldendämmerung, Ute Scheub, S.88)
Dann der Kernsatz :
„Und sie wollten die große Bandbreite menschlicher Freiheit aufzeigen.“
Aber ich habe auch in anderen Diskussionssträngen immer wieder den Eindruck, gewisse Sachverhalte WOLLEN nicht verstanden
werden.
Kulturell bedingt wurden jedoch die Aufmerksamkeiten auf folgende Sachverhalte gelenkt :
„Auch in psychoanalytischen Kernkonzepten sucht man häufig vergeblich nach der Ursache der unterschiedlichen Äußerungsfroemen der Agressionen bei beiden Geschlechtern. Bereits Margarethe Mitscherlich hat bemängelt, dass die spezifisch männliche Gewalttätigkeit nicht untersucht wird, und stellt das Vorhandensein eines dem Menschen innewohnenden unveränderbaren Agressionstriebs in Frage, „denn sonst wäre es ja unverständlich, warum nur die eine Häfte der Menschheit gewalttätig sei (1992:3)
(Quelle : Männliche Identitäten, Damasch/Metzger/Teising, S. 109, Beitrag von Nils Möller/Mirjam Weisenberger „Männlichkeitsentwicklung zwischen konstruktiver und destruktiver Agression“)
Hier kommt die Betonung der soziokulturellen Prägung gewaltsamen Verhaltens manchen Interessierten und Engagierten
eigentlich sehr entgegen und liefert mit o.g. feministischen Positionen weiterverfolgbare Lösungsansätze – insbesondere im
Hinblick auf das Kernthema zwischenmännliche Gewalt.
Auf diegesellschafter.de sind manche nur damit beschäftigt zu publizieren, ob irgendwo auch eine Frau gewalttätig geworden ist.
Soetwas führt zu nichts und ist billig revanchistisch. Wie sollen gesellschaftliche Verhältnisse bestimmte Gewalterfahrungen
erkennen und lösen, wenn nicht einmal Männer sie selbst als Gewalterfahrung wahrnehmen und formulieren?
@Thomas Meierfels
Ich verstehe nicht, was du sagen möchtest in diesem Zusammenhang.
@Thomas
Zur Gewalt: Es ist mittlerweile auch umstritten, ob es so etwas wie geschlechtsspezifische Gewalt überhaupt gibt. Heißt: Ob sich Männer und Frauen in der Art der Gewaltanwendung und in den Motiven wirklich unterscheiden lassen, wenn sie gewalttätig sind. Dazu mehr zu finden in der Gewaltforschung und angelesen auch unter Constanze Ohms – Das Fremde in mir (dort geht es um Gewalt in Beziehungen unter Lesben)
Das ob zu thematisieren ist mittlerweile so langweilig, weil die Äußerung auch Frauen seien gewalttätig nun wohl niemand mehr hinterm Ofen vorlockt, von wegen Tabubruch und so ;-) Es ist nur bemerkenswert, dass das immer dann hervorgekramt wird, wenn es speziell um Gewalt gegen Frauen geht.
@Nadine :
„weil die Äußerung auch Frauen seien gewalttätig nun wohl niemand mehr hinterm Ofen vorlockt, von wegen Tabubruch und so ;“
So sehe ich das auch. Und der Langweiler „Tabubruch“ hat ja Dr. Gesterkamp in „Geschlechterkampf von rechts“ sehr
gut anaysiert, vor allem die dahinterwirkenden Motive.
Auch in „Krise der Kerle“ findet sich in Zusammenhang mit gender-mainstreaming folgende Anmerkung :
„Es war stets eine Illusion, dass Frauen per se die besseren Menschen seien und nur zahlreicher vertreten sein müssten, um Organisationen zu verändern. Die einfache weibliche Kopie männlicher Einstellungen zum Beruf führt nicht zu Strukturveränderungen, …“ (S.118).
Auf der anderen Seite meine ich, wenn kulturell bedingt männlich mit stark, agressiv, dominant, durchsetzungsstark assoziiert wird und weiblich als fürsorglich, ausgleichend, empathisch, u.a., welche logische Schlußfolgerung liegt dann irgendwann nahe, insbesondere bei solche Einflüssen im Säuglingsalter ?
„Der Säuglingsforscher Daniel Stern veranschaulicht, wie der Geist des abwesenden, gleichwohl im Ineren der Mutter präsenten Vaters durch selektive Affektbestimmung schon sehr früh die Interaktion mit ihrem Sohn rägt.“
(Quelle : Männliche Identität, S. 23)
Hier geht eine Mutter auf das Kontaktverhalten ihres 10 Monate alten Sohnes eher zurückhaltend und aktivitätsfördernd ein, indem sie glaubt, er solle die Initiative bestimmen.
Eine selbstentfernte Abgrenzungsmännlichkeit befördert die Nichtwahrnehmung männlicher Gewalterlebnisse.
Die Folge solcher patriarchalen Strukturen sind nach meinen Erkenntnissen :
Frauen werden mythologisiert auf ein Podest gehoben, wobei sich dann darüber beschwert wird, dass sie sich dort befinden.
Homophobe Effekte kennzeichnen m.E. patriarchalische Kulturkreise und ich denke, dies ist auch der Grund feministischer Kritiken – m.E. zu recht, um hier diese schädlichen Effekte zu heilen.
In diesem Zusammenhang möchte ich meine Geschlechtsgenossen ehrlich gesagt nicht aus dem Obligo entlassen, sich mit ihrer eigenen Wertelandschaft kritisch zu befassen – wie es der Feminismus vorlebt.
Zu Constanze Ohm konnte ich hier auf die Schnelle etwas anlesen :
http://www.wolfsmutter.com/artikel1143?PHPSESSID=329f01f4425d28c7e4374545b1dbc03a
„Aus diesen Interviews und der Literaturauswertung erarbeitet sie zwei Kategorien von Gewaltdynamiken, die Täter-Opfer-Dynamik, bei der im Paargefüge klar eine Täterin und ein Opfer zu erkennen ist und die Beidseitige-Akteurinnen-Dynamik, bei der beide Partnerinnen an der Gewaltausübung beteiligt sind (was möglicherweise öfter vorkommt als die monodirektionale Gewaltausübung). Diese beiden Kategorien unterteilt die Autorin nochmals in eine Misshandlungsbeziehung und eine Affektakzentuierte Gewaltdynamik in der ersteren Kategorie und in eine Fürsorgekollusion und Traumatisierte Partnerschaft bei der bidirektionalen Gewaltausübung.“
Da ich zu der Quelle aus „Heldendämmerung“ noch etwas recherchieren wollte :
„Die Anthropologin Sarah Blaffer Hrdy schrieb mit “Mutter Natur” unter anderem eine Geschichte der Kindstötungen durch Mütter, und die Soziologin Tina Thürmer-Rohr..“
stieß ich zufällig auf dieses Interview mit einer m.E. interessanten eststellung :
http://www.wissen.de/wde/generator/wissen/ressorts/bildung/index,page=1308838,chunk=3.html
„Es brauchte also ein Dorf, um ein Kind zu erziehen?
Ja, das alte Sprichwort fasst das sehr schön zusammen. Dazu gehört der Vater, aber auch andere Männer, mit denen die Mutter eine Beziehung hat, ob geheim oder öffentlich. All die Verwandten, die Großmütter, Tanten und Onkels waren da sicherlich wichtig. Bisher wurden vor allem diese genetischen Bande betont, das ist auch für die Evolution der kooperativen Aufzucht zunächst sehr wichtig.
Aber ich glaube, dass – wenn sich einmal kooperative Aufzucht entwickelt hat – die emotionale Barriere, anderen nicht verwandten Gruppenmitgliedern zu helfen, sehr niedrig ist. Deshalb verspüren wir Menschen eine ganz besondere Zuneigung zu Kindern. Und auch wenn Frauen eine niedrigere emotionale Barriere ihnen gegenüber empfinden als Männer, so haben diese sicherlich ein Versorgungspotenzial. Mir scheint, je häufiger sie mit Kindern zu tun haben, desto “anfälliger“ werden sie für den Nachwuchs.“
Bestätigt m.E. wiederum eine vorzugsweise soziokulturelle Prägung und eine hohe Variabilität menschlichen geschlechtsübergreifenden Verhaltens.