Am 22. Juni fanden in München Proteste gegen die aktuelle Gesetzlage für Asylsuchende. Im Anschluss an die Demonstration traten 95 Asylsuchende, die ein Camp auf dem Rindermarkt aufgeschlagen hatten, in den Hungerstreik. In einer erste Erklärung schrieben die Beteiligten:
Wir sind hier wegen des Krieges (mit den Waffen und den hoch entwickelten Unterdrückungstechnologien die in Ihren Ländern hergestellt wurden), der unsere Sicherheit in den Gebieten zerstört hat, wo wir geboren wurden. Wir sind hier wegen hunderter Jahre Kolonialisierung, Ausbeutung und fatalen Wirtschaftsboykotts, die die politische und ökonomische Infrastruktur peripherer Länder zerstört haben. Wir sind hier, weil Ihre Regierungen politische und wirtschaftliche Freundschaften mit Diktaturen schließen und somit außerhalb der Grenzen der ‚ersten Welt’ die Möglichkeit zum Formieren von zivilem Widerstand in diesen geographischen Bereichen zerstören.
Deswegen sehen wir die Deutsche Regierung (und andere Regierungen der ersten Welt) nicht in der Position, uns um die Gründe für unser Hier-Sein zu fragen oder in ihrem eigenen Rechtssystem darüber zu urteilen. Wir wissen, dass Wohlfahrt und Sicherheit ein Recht für Alle ist, und um unsere frühesten Rechte des Menschen (Recht zu Bleiben, Recht auf Bildung, Recht auf Arbeit, Bewegungsfreiheit, Recht auf freie Wahl des Lebensortes etc.) zu realisieren, gibt es für uns nur eine Möglichkeit, und das ist die Anerkennung unserer Asylanträge.
Über 50 der Protestierenden traten am 25. Juni in den „trockenen“ Hungerstreik. Bei dieser Form des Hungerstreiks wird auch keien Flüssigkeit mehr aufgenommen. Es wurden immer wieder Erklärungen veröffentlicht, in denen die Asylsuchenden, ihr Protestmittel erklärten, auf historische Kontinuitäten hinwiesen und von den (erfolglosen) Verhandlungen mit Politiker_innen berichteten.
Am Sonntag in den frühen Morgenstunden wurde das Camp auf dem Rindermarkt gewaltvoll von der Polizei geräumt. In einem Interview gab Münchens Bürgermeister Christian Ude (SPD) an, dass der Polizei eben die Uhrzeit von 5 Uhr am besten gepasst hätte. Ude stellt das Einschreiten der Polizei als für ihn sehr schwere Entscheidung da, versucht sicht als armes Opfer einer furchtbaren Situation zu stilisieren. Das Auflösen des Protests wurde vor allem als „Rettungsaktion“ für die Streikenden gerahmt, anstatt auf deren Forderungen einzugehen und zu verstehen, was Menschen überhaupt dazu bringt, solche Mittel zu ergreifen. Auf seiner Facebookseite verkündete Ude freudig:
Da das Münchner Hungerstreikdrama beendet werden konnte, komme ich heute Abend nun doch ins Festzelt in Rothenburg ob der Tauber.
Als ob für die wirklich Betroffenen irgendetwas geklärt oder beendet wäre. Hauptssache nicht mehr so ein sichtbarer Protest, wie ihn die Asylsuchenden über Tage hatten aufrecht erhalten können.
Ganz besonders äußert sich Ude noch in dem gleichen Interview zu einer schwangeren Protestierenden. Bereits am 26.Juni hatten die Aslysuchenden in ihrer dritten Pressemitteilung geschrieben, dass auch eine schwangere Frau vor Ort sei, diese sich aber nicht im Hungerstreik befänd.
Eine (schwangere) Frau, die für ihre Rechte (und die Rechte anderer) eintritt? Das kann sich SPD-Mann Ude nicht vorstellen. Konfrontiert mit der Aussage, dass die Frau bei der Räumung umgeschubst worden sei, gibt er an, dass er „schon drei Tage vorher Wetten abgeschlossen [hätte]: Die Schwangere ist wahrscheinlich nur dabei, damit man hinterher erzählen kann, sie sei von der Polizei misshandelt worden sei.“
Mit diesem kurzem Statement spricht Ude der Frau jegliches eigenständige politische Handeln ab. Er beschreibt sie als sei sie ein Demonstrations-Feature, welches andere Protestierende (wahrscheinlich ausschließlich Männer) mitgebracht hätten, um dann – ja, was eigentlich? Gewalt zu inszenieren? Denn Ude negiert sofort auch jegliche Gewalterfahrung bei der Räumung. Es ginge um das „klassische Reportoire“. Frauen als Requisiten für den Protest. Und doch waren es im Vorfeld der Räumung vor allem die Politiker_innen, die den „nötigen Schutz“ eben jener Frau (und einiger anwesenden Kinder) versuchten zu instrumentalisieren. Die politischen Forderungen: Uninteressant.
Fortlaufende Informationen zu den Protesten (nicht nur in München) findet ihr auf Refugee Tent Action.
Danke für den Artikel!
Was mich bei der Berichterstattung der Mainstream-Medien im Bezug auf den Protest der Asylsuchenden ja sehr stört, ist dass die Motive der Menschen meistens total verkürzt dargestellt werden („sie wollen damit erreichen, dass ihre Asylanträge anerkannt werden“).
Dadurch entsteht ein verzerrter Eindruck, es klingt so, als würden die Protestierenden die Stadt München (und den deutschen Staat) mit unberechtigten Forderungen erpressen…
Finde es daher gut, im Netz auf fundiertere Berichte und Einschätzungen zu stoßen!
„Dadurch entsteht ein verzerrter Eindruck, es klingt so, als würden die Protestierenden die Stadt München (und den deutschen Staat) mit unberechtigten Forderungen erpressen…“
Das finde ich aber ein höchst problematisches Statement. Asylrecht in Dtl. wurde in den 90er Jahren mehr oder weniger abgeschafft, die Anerkennungsrate nach § 16a liegt irgendwo unter 2%. Was für ein Konzept von berechtigten vs unberechtigten Forderungen steckt da dahinter, wenn man von der Forderung nach Anerkennung der Asylanträge sagt, sie sei eine „unberechtigte Forderung“ oder gar „Erpressung“?
@Michi:
Ich wollte damit nicht ausdrücken, dass ich der Meinung bin, die Asylsuchenden würden den Staat erpressen (ganz im Gegenteil!).
Wenn man über die Hungerstreikaktion lediglich in verkürzter Form berichtet, klingt es in meinen Ohren allerdings schnell so, als wäre dies der Fall.
Denn was z.B. in den Nachrichten über die Hintergründe der Aktion berichtet wurde, war lediglich die Forderung nach Anerkennung der Asylanträge. Nicht berichtet wurde von der Kritik dieser Menschen an westlicher Außen- und Wirtschaftspolitik oder von dem Protest gegen die menschenunwürdige Behandlung, die sich Asylsuchende hierzulande oft gefallen lassen müssen.
Und alles in einem größeren Zusammenhang darzustellen (Kolonialgeschichte etc.) wurde ebenfalls versäumt, obwohl die Hungerstreikenden in ihrer Erklärung ja auch darauf hinweisen.
Wenn das alles weggelassen wird, bleiben in der Berichterstattung nur noch: die Forderung nach Anerkennung der Asylanträge (die ohne eine Erwähnung der Hintergründe schnell den Anschein erweckt, unbegründet oder „unberechtigt“ zu sein) und der Hungerstreik (das Druckmittel zur Durchsetzung dieser Forderungen, was, wenn man über die Hintergründe eben nicht informiert wird, wie „Erpressung“ rüberkommt – auch wenn das vllt von meiner Seite aus etwas überspitzt formuliert war).
Hoffe, es ist jetzt etwas klarer geworden, was ich sagen wollte…
dass die deutsche mehrheitsgesellschaft sowohl in der breite, als auch innerhalb ihrer politischen eliten rassistisch, chauvinistisch und sexistisch argumentiert wird zu recht im artikel offenbart.
mir erscheint jedoch gerade der letzte aspekt in der kommentardiskussion ein durchaus kritischer punkt zu sein.
die forderung(en) des hungerstreiks bezogen sich ausschliesslich auf anwesende hungerstreiker – also auch auf die frau? oder nur für die männer? – ein ansatz, der unabhängig von der (lebens)fristsetzung ein von vornherein unsolidarischer war und ist.
insofern wurde es o.g. mainstream m.e. nach relativ einfach gemacht entsolidarisierende vermutungen und unterstellungen zu platzieren.
die der „citizen – non citizen“-dichotomie prinzipiell zugrunde liegende forderung ist privilegienbasiert – nicht primär problemorientiert. deshalb wurde auch nur eine forderung zur lösung aller damit verbundenen misstände formuliert – leider aber eben nur für die akteure selbst.
ein prinzipiell solidarischer lösungsansatz sähe für mich (als privilegierter nicht-weisser) anders aus!
Mir fehlen immernoch die Worte, obwohl ich meine Entrüstung auch schon niedergeschrieben habe. http://myprivatejoke.wordpress.com/2013/07/07/ude/
Eine aktuelle Diskussion auf jetzt.de zeigt mir aber leider, dass es auch viele Menschen gibt, die diese Aussage von Ude garnicht „so schlimm“ finden.