Jochen König ist Autor, wohnt mit seiner vierjährigen Tochter Fritzi in Berlin, interessiert sich für die gesellschaftlichen Debatten rund um Feminismus, Familie und Geschlecht und hat ein Buch über sein Leben mit Fritzi geschrieben, das sich um diese Themen dreht.
Im Zug ist es nur eine Stunde von Berlin bis zur deutsch-polnischen Grenze. Und trotzdem haben viele Menschen hier wenig bis keinerlei Bezug zu Polen. Bis vor wenigen Jahren wusste ich selbst kaum etwas über dieses Land. Der Blick richtet sich eindeutig Richtung Westen. In deutschen Schulen wird französisch unterrichtet, die Französische Revolution ist auch weniger geschichtlich Interessierten ein Begriff und gesellschaftspolitische Debatten in Frankreich (wie beispielweise über die Homoehe) sind auch in deutschen Medien präsent. Vergleichbare Diskussionen in Polen werden dagegen in Deutschland kaum wahrgenommen. In Warschau bin ich unter anderem mit Sylwia Chutnik verabredet, um sie zu interviewen. Sie ist Mitbegründerin der Fundacja MaMa und im Jahr 2008 erschien ihr Roman Kieszonkowy atlas kobiet – 2011 auch auf Deutsch unter dem Titel Weibskram. (Ein weiteres Interview mit ihr, das auf ‘fuckermothers’ bereits erschien, führte Anna Kasten.)
Fritzi und ich machen uns auf den Weg nach Warschau. Etwas mehr als fünf Stunden im Zug von der einen Hauptstadt in die andere. Wir wohnen in Warschau in einem Hostel in Praga, einem Stadtteil östlich der Wisła (Weichsel), der in vielerlei Hinsicht an Prenzlauer Berg in den 90er Jahren erinnert. Als ich zuletzt vor mehr als zehn Jahren in Warschau war, habe ich im Zug noch einen Stempel in meinen Reisepass bekommen und mich während meines gesamten Aufenthalts nicht getraut die Wisła zu überqueren. Nur aus sicherer Entfernung, vom westlichen Ufer aus, habe ich das alte Stadion in Praga mit dem damals angeblich größten Basar Osteuropas gesehen. Heute steht an selber Stelle das Nationalstadion, das für die Fußballeuropameisterschaft der Männer 2012 errichtet wurde.
Mit Sylwia Chutnik treffen wir uns im zur Fundacja MaMa gehörenden MaMa Cafe etwas südlich der Innenstadt. Das Café hat sogar Club Mate im Angebot. Es dient vor allem als Anlauf- und Begegnungsort für Mütter. Darüber hinaus versucht sich die Stiftung an gesellschaftlichen Debatten rund um Mutterschaft zu beteiligen und unterstützt Frauen/Mütter auf vielfältige Art und Weise. Fritzi spielt in der Spielecke des Cafés und ich stelle Sylwia ein paar Fragen.
2006 hast du die Fundacja MaMa gegründet. Kannst du erklären wie es dazu kam? Was war der Ausgangspunkt und was war das Ziel?
Seit ich 16 Jahre alt bin, bin ich Teil einer anarcho-feministischen Bewegung, organisiert eher in informellen Gruppen. Als ich mit 24 Jahren dann Mutter wurde, ich hatte gerade mein Studium beendet, merkte ich, dass meine eigenen feministischen Gruppen nichts über Mutterschaft wussten. Viele hatten ein Problem mit meinem Mutter-sein. Sie verstanden nicht, dass ich eine Mutter sein wollte. Du Arme, du hast ein Kind, deine politischen Aktivitäten sind nun Geschichte, dein Leben ist vorbei. Es gab keine Gruppen oder Projekte, die sich mit Feminismus und Mutterschaft auseinandersetzten. Es gab keine Reflexionen über Mutterschaft aus feministischer Perspektive. Als mein Sohn zweieinhalb war, war ich so frustriert. Ich hatte keinen Platz mehr in meiner feministischen Bewegung. Außerdem stand ich unter dem Druck des Mythos der Mutter Polin. Eine Mutter solle ihre eigenen Ambitionen vergessen, um dem Staat einen Soldaten für den Krieg zu schenken. Dazu der popkulturelle Druck, erfolgreich im Beruf und eine gute Ehefrau zu sein. Und ich war mittendrin. Ich wollte etwas Offizielles starten. Ich hatte auch keine Lust mehr auf große Diskussionen und Plena, die ich aus den Kollektiven und Gruppen kannte, bei denen ich bisher mitgemacht hatte. Also gründeten wir zu dritt eine Stiftung.
Wie ist die Situation heute?
Wir sind jetzt mehr Leute. Seit drei Jahren haben wir größere Räume. Wir werden in den Medien wahrgenommen. Wir waren starke junge Mütter, die etwas tun wollen. Aus medialer und popkultureller Perspektive waren wir gut genug, um wahrgenommen zu werden. Wir haben das für uns genutzt. Wir wussten, was wir wollten. Wir haben uns an der öffentlichen Debatte beteiligt und durch die Medien haben wir es geschafft unsere Botschaften zu verbreiten. Was sich dagegen nicht verändert hat: wir sind zwar größer geworden, haben aber immer noch kaum Geld.
Was bedeutet für dich/euch Feminismus im Kontext von Mutterschaft?
Am Anfang war das gleichzeitige Sprechen über Mutterschaft und Feminismus ein Oxymoron. In der öffentlichen Wahrnehmung hatte eine Feministin jeden Monat eine Abtreibung und konnte deshalb gar keine Kinder haben. Wir mussten also am Anfang erst einmal diskutieren, was es bedeutet Mutter und Feministin zu sein. Wichtig ist auch für uns: pro-choice – selbst entscheiden zu können, ein Kind zu bekommen oder nicht. Dazu glauben wir, dass es Müttern bereits besser geht, wenn sie sich aus dem Haus trauen. Wir sind stärker und nicht so frustriert, wenn wir zusammen sind und einen Ort haben, an dem wir uns treffen können.
Es herrscht ein ungeheurer Druck auf Mütter: Sie müssen gute, liebevolle Mütter sein, dazu erfolgreich im Job und gleichzeitig sexuell attraktiv. Wie läuft der Diskurs in Polen?
Vier Aspekte spielen in dem Zusammenhang in Polen eine Rolle. Der bereits angesprochene post-romantische Mythos der Mutter Polin. Die kommunistische Zeit ist von Bedeutung, die Entbehrungen und dabei trotz aller Widrigkeiten eine gute Mutter zu sein. Der Katholizismus, der den Müttern eindeutig die Rolle als Hausfrau zuweist, die für Kinder und Haushalt zuständig ist, während der Ehemann Geld verdienen geht. Dazu kommt dann noch der Kapitalismus, der uns sagt, was wir brauchen und was wir nicht brauchen und was wir mit unseren Ehemännern und Kindern machen möchten. Es ist harte Arbeit als Mutter zu erkennen, dass es auch in Ordnung ist keinem dieser Wege zu folgen.
In Deutschland gibt es in den letzten Jahren einen regelrechten Hype um neue Väter. Gibt es etwas Vergleichbares in Polen?
Immer mehr Frauen sind sauer auf die Väter und haben keine Geduld mehr. Wir sind ganz am Anfang. Väter fangen an übers Vater-sein zu sprechen und es gibt auch einige Diskussionen in den Medien. Väter fangen an Spaß am Vater-sein zu haben. Es ändert sich etwas. Ich möchte daran glauben. Es sind aber kleine Schritte. Wir sind in Warschau, einer großen Stadt, ich hoffe das ist nicht der einzige Grund für meine Hoffnung. Nicht weit entfernt von hier gibt es seit einem halben Jahr einen Väter-Club. Wir freuen uns darüber. Erst dachten wir, das sei eine echte Revolution, aber es gehen nicht sehr viele Väter dort hin. Darüber hinaus gibt es viele Vätergruppen, die vor allem zusammen gegen ihre jeweiligen Ex-Frauen kämpfen und sich gegenseitig in Fragen ums Sorgerecht unterstützen. Wir sind eine Stiftung für Mütter und wir warten sehnsüchtig auf eine ähnliche Stiftung für Väter.
Meine Sprachkenntnisse reichen leider nicht aus, um mich mit Sylwia Chutnik über diese Themen auf Polnisch zu unterhalten. Das hier dokumentierte Gespräch haben wir auf Englisch geführt – die gekürzte und sicherlich an vielen Stellen fehlerhafte und ungenaue Übersetzung ins Deutsche stammt von mir.
Während Fritzi auf meinem Schoß sitzt, plaudern wir noch etwas über ihr Buch und ihre darin sehr düster und pessimistisch formulierte Perspektive auf die polnische Gesellschaft („Marysia Kozak war elf Jahre alt und ahnte, dass die Welt fürchterlich war.“) sowie die Beteiligung der Fundacja MaMa an der von MTV Poland produzierten Sendung Teen Mom Poland. Ich erzähle ihr auch noch etwas von meiner pessimistischen Perspektive auf die so genannten neuen Vätern und dass in Deutschland alle gefeiert werden, die etwas mehr Zeit mit den eigenen Kindern verbringen, dass wir von einer gerechten Aufteilung der Verantwortung für Kinder allerdings noch sehr weit entfernt sind.
Fritzi und ich verbringen noch zwei weitere Tage in Warschau. Wir spazieren in der Wintersonne durch die Straßen, treffen noch weitere spannende Menschen und versuchen uns auf unseren Wegen durch die Stadt mit dem Bussystem zurecht zu finden. Dann sitzen wir wieder im Berlin-Warszawa-Express. Zuhause schwärmt Fritzis vor allem von unserem Besuch in der Galeria Bzzz! im Centrum Nauki Kopernik.