Die Diskriminierung von dicken_fetten Menschen ist allgegenwärtig – und doch betrifft sie uns unterschiedlich: Je nachdem, welche anderen Formen von Diskriminierung mit der Abwertung von Dicksein zusammenspielen und je nachdem, welche Strategien wir bewusst oder unbewusst entwickelt haben, um etwas leichter (ha!) durch den Alltag zu kommen, kann sich das Erleben von Dickenfeindlichkeit stark unterscheiden. Manche Strategien orientieren sich an gesellschaftlichen Normen und bewirken, dass der_die Dicke dadurch etwas „Aufwertung“ erfährt. Die Dicken halt, die es ein bisschen richtiger, ein bisschen besser machen – die „Guten Dicken“ eben! („Gut“?! Selbstverständlich nur aus der Perspektive der Norm!).
Es ist (meist) nicht schlimm, zu den „Guten Dicken“ zu gehören. Jeder Mensch erfüllt auf die eine oder andere Art bestimmte gesellschaftliche Normen, weil wir komplexe menschliche Wesen sind, duh! Aber es ist ein Problem, dass dieses Konstrukt der „Guten Dicken“ ständig gegen uns verwendet werden kann, denn die damit verbundenen Normen schaden allen, die sie nicht erfüllen können oder wollen. Und sie lauern überall.
Hinweis: Folgende Passagen können dicke Portionen von Sarkasmus und Ironie enthalten.
Die Gute Dicke isst nicht viel. Jedenfalls nicht mehr als diejenigen, mit denen sie Mittag oder Abendbrot isst. Es ist auch nicht schlecht, eine Mahlzeit einfach wegzulassen. Was bei schlanken Menschen besorgniserregend wäre, macht eine Dicke eben zu einer Guten Dicken – denn Gewichtsverlust ist ja das einzige, wofür sie lebt! Ständig darüber zu sprechen, dass sie abnehmen will, macht die Gute Dicke eben ein bisschen erleuchteter als all die anderen willenlosen und faulen Säcke.
Die Guten Dicken machen Sport. Dafür bestellen sie sich ihre Klamotten natürlich teuer online, denn das gängige Sportgeschäft stellt keine passenden Sportklamotten zur Verfügung. Die Guten Dicken machen eine Sportart, in der das eigene Körperfett wenig bis gar nicht zu sehen ist. Schwimmen ist zwar „gut für die Gelenke“, belästigt aber auch die (schlanken) Badegäste. Aber Gute Dicke würden sich ja eh nicht über dickenfeindliche Witze im Schwimmbad aufregen. Sie würden mitlachen!
Denn: Die Guten Dicken lachen viel. Sie sind humorvoll und unterhalten am besten die ganze Party. Traurige Dicke sind nämlich deprimierend – sie sind bestimmt traurig, weil sie wieder kein Kilo verloren haben. Falls dicke Menschen doch mal aus anderen Gründen traurig sind, wird ihnen ganz schnell eine dicke, robuste Schutzschicht zugeschrieben. Das packen die schon!
Die Guten Dicken packen halt immer an. Bloß keine Müdigkeit oder Schwäche zeigen. Denn diese würde ja auf die Körpermasse zurückgeführt werden. Tja, faul und inaktiv sind die Guten Dicken natürlich nicht!
Die Gute Dicke kleidet sich genderkonform. Das heißt, wenn du geboren wurdest und jemand entschied „Das ist ein Mädchen!“, solltest du verdammt nochmal auch Kleider tragen. Und Schmuck. Und Jungs anhimmeln (ganz wichtig!). Am besten hast du das Körperfett an „den richtigen Stellen“ (ein bisschen Arsch und Hüfte, viel Busen, aber dafür eine schmale Taille), denn der Körper der Guten Dicken orientiert sich an sanduhrenförmigen Schönheitsnormen. Wenn schon dick, dann aber am liebsten so, dass mensch dich „kurvige Lady“ oder „Vollweib“ (ugh…) nennen kann.
Der Gute Dicke tut alles, um seine Männlichkeit gleich doppelt zu beweisen, denn dicken Typen wird Männlichkeit oft abgesprochen. Klar wird sich über seine dicke „Wampe“ lustig gemacht, aber trotzdem zieht der cis-Typ sein Shirt aus und trommelt kräftig auf seinem Baum rum, um allen Menschen, die in der Öffentlichkeit ihr Shirt nicht unsanktioniert ausziehen können, zu beweisen, dass mensch zwar dick, aber hey, immerhin supermännlich ist. Da applaudiert dann das Patriarchat. Viele finden zwar, dass der Dicke mal ein bisschen weniger Eisbein essen sollte, aber so lange man(n) bei hegemonialen Männlichkeitsritualen mitmachen, ist man(n) der Gute Dicke.
Die Guten Dicken haben Geld. Dann können sie sich überteuerte Klamotten in so genannten „Übergrößenläden“ kaufen, den großzügigen Gastgeber auf Partys mimen und (teilweise unnütze) gesundheitliche Kuren, medizinische Tests (Blutdruck! Diabetes! Leberverfettung!) und Diätcamps selbst zahlen. Dann liegen sie mit ihren dicken Bäuchen den dünnen Menschen wenigstens nicht auf der Tasche!
Die Guten Dicken sind weiß (oder thematisieren Rassismus nie). Rassistische Körpernormen bewirken, dass insbesondere Schwarzen Frauen ein größeres Selbstbewusstsein und (körperliche sowie mentale) Stärke zugeschrieben wird („Angry Black Woman“), was wiederum heißt, dass empathielose Weiße davon ausgehen, dass Schwarze Frauen gar nicht so richtig unter Körpernormen leiden, demnach auch nicht so richtig betroffen sind. Und so kann der Mythos aufrecht erhalten werden, dass Dickenfeindlichkeit die „letzte noch zu bearbeitende Form von Diskriminierung ist.“ Gute Dicke hinterfragen diesen Mythos natürlich nicht.
Die Guten Dicken sind gesund. Das ist gar nicht so einfach, weil ein dicker Körper ja per se als ungesund gilt. Aber wenn schon dick, dann bitte keine anderen Auffälligkeiten! Dick und Diabetes? Selbst schuld! Dick und depressiv? Nimm erst einmal ab! Dick und Asthma? Tja, bestimmt wegen der Fettröllchen, die auf die Lungen drücken. Damit keine Zweifel aufkommen: Schnaufende Dicke beim Treppensteigen sind bestimmt keine Guten Dicken. Die einzigen, die nach medizinischen Standards nicht „gesund“ sind, aber trotzdem zu den Guten Dicken gehören, sind jene, die nachweisen können, dass sie „nicht selbst schuld“ an ihrem Gewicht sind. „Ey, ich habe eine Stoffwechselkrankheit!!!“ heißt übersetzt auch so viel wie: „Ich bin aber nicht so faul / verfressen / unkontrolliert wie die ganzen anderen Dicken!“
Gute Dicke haben keinen Sex. Zumindest nicht in Filmen oder Serien, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Genau genommen ist schon eine minimalromantische Aktion wie Händchenhalten, in der ein dicker Mensch (geschweige denn zwei oder mehr) involviert sind, absolute Rarität. Im Pornogeschäft liegt das eh in der Fetischabteilung, denn die Lust am eigenen Körper ist sowieso schlanken, weißen, nicht-behinderten, vanilla-hetero und genderkonformen Menschen vorbehalten. Deren Sexualität ist dann „normal“, Fetisch sind im wahrsten Sinne des Wortes Die Anderen.
Die Gute Dicke ist eh froh, dass sie überhaupt einen Mann abbekommt. Warte, sie steht gar nicht auf Typen?! Tja, welcher Typ würde auch schon „auf die stehen, höhöhöh“ [insert dutzende lesbenfeindliche Witze].
Die Guten Dicken beschweren sich nicht. Obwohl sie jeden Tag in der Schule, auf der Arbeit, im Sportverein, in der Mensa, beim Arzt_Ärztin… gesagt bekommen, dass ihre Körper voller Makel sind. Und sie nicken eifrig, wenn schlanke Menschen diskriminierenden Scheiß von sich geben und sich in ihrer eigenen Norm bestätigen. Gute Dicke stützen jene Normen, die ihnen schaden. Und freuen sich, dass sie (dieses Mal) nicht gemeint waren, sondern „die andere Dicke da hinten“.
Es ist meist nicht schlimm, zu den „Guten Dicken“ zu gehören (außer mensch diskriminiert fleißig mit). Aber es ist ein Problem, dass dieses Konstrukt der „Guten Dicken“ ständig gegen uns verwendet werden kann, denn die damit verbundenen Normen schaden allen, die sie nicht erfüllen können oder wollen.
So: Please, leave no fatty behind! (Inspiration für diesen Blogtext).
Danke, dafür dass man als dicke Person mit Stoffwechselerkrankung auch noch hier beleidigt wird. Es gibt zB Menschen, wie mich, die nicht glauben, dass stark erhöhtes Körperfett überhaupt keine gesundheitlichen negativen Folgen hat. Ja, meine Fettleber kommt wirklich durch Übergewicht (nicht durch einen zu hohen BMI, sondern „Übergewicht“ für meinen Körper, zu viel Fett um meine Organe, etc), und ja, es ist wirklich extra schwer abzunehmen mit einer Stoffwechselerkrankung, und nein, deswegen denke ich nicht, dass andere dicke Menschen „faul“ sind oder irgendetwas in die Richtung.
Menschen haben das Recht in ihren Körpern zu leben und akzeptiert zu werden. Ich weiß sehr gut in was für einer schrecklichen Gesellschaft wir leben und wie man wahrgenommen wird, wenn man nicht ins Schönheitsschema passt und arbiträr „zu dick“ ist. Ich glaube an Fat acceptence und health at any size. Aber ich glaube nicht daran, unwissenschaftliche Aussagen über Gesundheit und Körper zu machen nur weil sie besser in die eigene Agenda passen. Wenn man sich entscheidet, zu versuchen abzunehmen und das auch noch tut, obwohl es extra schwer durch körperliche Einschränkungen ist (und zwar nicht weil ich mich der gesellschaftlichen Norm anpassen will, sondern weil ich aus Erfahrung weiß wie viel gesünder, beweglicher, etc ich dann bin – aber selbst „mehr gesellschaftliche Akzeptanz“ sich zu wünschen, finde ich legitim), dann wird man auch noch ausgelacht weil man nicht „stark“ genug ist nicht abnehmen zu wollen? Herzlichen Glückwunsch, jetzt bin ich nirgendwo willkommen, in keinem „safe space“, nicht in der normalen Gesellschaft, nirgends. Nur weil man irrationalerweise als Heuchler gesehen wird. Als wäre es heuchlerisch für die Akzeptanz aller Körper einzutreten und trotzdem über meinen Körper und mein Handeln bestimmen zu wollen.
Ps: ich bin keine „gute“ Dicke. Ich kleide mich viel zu wenig weiblich, bin viel zu agressiv und unfreundlich usw. Das ist ein wirkliches und ernstes Phänomen was du beschreibst, aber vielleicht hätte weniger Sarkasmus und Ironie gut getan.
Hallo Lea,
in meinem Beitrag geht es mir nicht darum, deine Haltungen / Lebensumstände / Aussagen abzuwerten, sondern darum, aufzuzeigen, wie sich bestimmte Haltungen / Lebensumstände / Aussagen in gesellschaftliche Normen einfügen. Wenn eine dicke Person ständig betont, dass sie abnehmen will (weil „ungesund und so“), dann bettet sich das in eine gesellschaftliche Norm ein, dass Dicke nun mal aus gesundheitlichen Gründen Gewicht verlieren müssen. Ich kritisiere damit nicht deine persönliche Entscheidung, aber weise darauf hin, dass diese Entscheidung nicht in einem luftleeren Raum passiert. Auf der persönlichen Ebene heißt das natürlich nicht, dass du deine Lebensentscheidungen so treffen sollst, dass sie möglichst radikal und norm-hinterfragend sind (das kann mensch gar nicht immer tun, also jedenfalls tue ich das nicht). Aber ich würde dich doch echt bitten, deine persönliche Entscheidung nicht mit generellen Aussagen zu Körpergewicht und Gesundheitszustand zu vermengen, wie du das an einigen Stellen in deinem Beitrag tust.
Wie kommst du darauf, dass ich unwissenschaftliche Aussagen über Körper mache? Hast du dich mal mit Fat Acceptance und Health At Every Size Perspektiven oder gar Studien beschäftigt? Dort werden genau jene generalisierenden Aussagen hinterfragt, die du hier tätigst. Diese „unwissenschaftlich“-Keule ist übrigens ein alter, langweiliger Hut, um (wissenschafts-)kritisches Wissen und Perspektiven abzuwerten.
Du schreibst
und ich sage: Well, das denkt übrigens die überwiegende Mehrheit, so please tell me something new. Überall wirst du dafür ein enthusiastisches Nicken ernten, nur von mir auf diese Blog nicht. Gerade um einen „safer space“ zu kreieren, heißt das, dass wir gemeinsam Normen und Alltagswissen reflektieren, in Frage und manchmal auf den Kopf stellen. Wenn deine obigen Aussagen in deinen „safer space“ gehören, dann ist das toll für dich. Ich mach halt meinen eigenen Space auf!
Ich musste gerade sehr lachen weil Elsa und ich letztens sehr euphorisch Bauchtrommel spielten xD be a radical fatty and play the Bauchtrommel even if you identify as a woman :D
NA KLAR, KATRIN!!!
be a radical fatty and play the Bauchtrommel ESPECIALLY if you identify as a woman
:D
Was ich meinte war, es gibt auch Menschen die Bücher wie „Health at every size“ gelesen haben, die http://www.fatnutritionist.com lesen und sich mit Physiologie, Biologie und Studien beschäftigen. Alles was es an „Beweisen“ gibt ist, dass Menschen unterschiedliche Körper haben, die unterschiedliche Bedürfnisse haben. Sicherlich gibt es jedoch keinen Beweis dafür, dass es nicht für manche Menschen gesünder sein kann weniger Körperfett zu haben als sie es zu einem bestimmten anderen Zeitpunkt tun. Das muss diese Person nicht unbedingt aus Studien wissen, sondern zB aus Erfahrung. Darauf lässt sich überhaupt nichts auf andere Personen übertragen.
Ich bin total dafür, dass man Dinge hinterfragt, aber wann man wie ich seit 10 Jahren sich mit der fat acceptence & health at every size beschäftigt, merkt man leider, dass dort nun auch meistens einfach ein „Konsens“ ist, den man nicht kritisieren darf. Und wenn man das tut, dann kommt man einfach vond er anderen „bösen“ Seite. Das ist was ich mit Safe Space meinte. Wenn alles was man geschafft hat ist, einen weiteren verhärteten Konsens zu treffen, den man nicht kritisieren darf, dann frage ich mich doch sehr was man als gesellschaftliche Bewegung erreicht hat.
Mir ging es übrigens auch noch mehr dazu, dass du sagtest, Menschen die eine Stoffwechselerkrankung haben würden zu den „Guten Dicken“ zählen. Ich kann dir versichern, dass einem 9 von 10 Malen sowieso nicht geglaubt wird und Menschen denken, das man sie anlügt um eine „Ausrede“ zu haben. Genauso wie Dicken Menschen niemand glaubt, dass man eine Essstörung hat oder hatte (und diese nicht BED ist). Ich versichere dir, die meisten Menschen sehen das nicht als „guten“ Dicken an, sondern nur als lügenden.
Hallo Lea,
Danke für deine erklärenden Worte. Du darfst hier immer kritisieren, dagegen habe ich gar nichts. Ich störe mich nur an der Form deiner Kritik und teilweise auch an dem Inhalt. Ich denke nach wie vor, dass du meinen Artikel „in den falschen Hals“ bekommen hast: Ich schrieb nicht (!), dass dicke Menschen mit Krankheiten (auch jene, die anscheinend_angeblich_who_knows? zu Gewichtszunahme führen) zu den „Guten Dicken“ gehören. Sondern ich kritisiere Menschen, die dass immer wieder „zu ihrer Entschuldigung“ betonen, um sich von anderen dicken Menschen abzugrenzen. Es ist doch völlig egal, warum jemand dick ist. Niemand erforscht, warum manche Menschen dünn sind. Jede_r hat ein Recht auf ihren_seinen Körper und ich kann es echt nicht mehr hören, wenn dicke Leute sich „entschuldigen“ oder sich zu anderen Dicken abgrenzen, weil „sie ja eine Krankheit“ haben. Das heißt nicht, dass es nicht wichtig ist, über Krankheiten und allen Dingen, die das Leben erschweren, zu sprechen, aber bitte nicht so, dass daraus dann die Erzählung entsteht, dass eine ja „nichts für ihr Gewicht kann“ (also ergo ein bisschen besser als die anderen Dicken sein muss). Ich habe eine ehrliche Frage an dich: Warum hältst du es für wichtig, dass Leute wissen, dass du eine Stoffwechselerkrankung hast? Was ist der Zugewinn an Wissen für dein Gegenüber?
Ich verstehe übrigens deinen Ärger über einen bestimmten Konsens in Fat Communities (bzw. in politischen Communities generell), der dann nicht mehr hinterfragt werden darf, sehe es aber ambivalenter. Denn ja, dein obiger Kommentar ist kritikwürdig. Und zwar nicht, weil du „dem Konsens“ in Fat Communities widersprichst (was das Thema Gesundheit angeht, gibt es m.E. auch nicht den einen Konsens, da schwirren auch in Fat Communities noch ganz schöne viele Normen rum). Ich finde deinen Kommentar kritikwürdig, weil du gesellschaftliche Normen wiederholst. Übrigens lebt eine Bewegung von Diskussion und auch von Widersprüchen und Streits – denn nur so kann sie weitergetragen werden.
: D
Schöner, humoristischer und vor allem inhaltlich interessanter Text.
Über dieses Thema habe ich so noch nicht nachgedacht und finde richtig was du schreibst
Es gibt eben eine ganze Menge an Vorurteilen und Stereotypen die in der Welt unterwegs sind, egal in welchen noch so aufklärerischen Kreisen.
Der hier war mir noch kein Begriff und von daher ist es schön jetzt zu wissen wo es im eigenen Kopf noch was zu tun gibt.
Darüber hinaus ist eine Spaltung von gesellschaftlichen Gruppen in akzeptierte und nicht akzeptierte Mitglieder sicher auch in anderen Fragen zu finden.
Spontan fallen mir da zum Beispiel die Themen Migration und Arbeitslosigkeit ein.