Am Wochenende habe ich „Neue deutsche Mädchen“ gelesen. Das dauerte vier Stunden, ich hatte einen unterhaltsamen Nachmittag in der Sonne, aber war nach der Lektüre auch irgendwie ratlos. Jana Hensel und Elisabeth Raether beschreiben wort- und anekdotenreich ihr Leben in Hamburg, Paris und Berlin und einen Lebensstil, der im Klappentext als der ihrer Generation bezeichnet wird: kurze Affären und Beziehungen, die ersten (Praktikums-) Erfahrungen im Job; ein bisschen das Leben der Eltern, ein bisschen das Leben der Freunde.
Dieses über-sich-selbst-erzählen ist die Schwäche des Buches. Denn auch wenn der Klappentext etwas anderes verspricht, wie viele junge Frauen können sich schon mit einem Leben zwischen Gästelistenpartys, Einladungen zu schicken Dinners oder coolen Abrisshausfeten identifizieren, deren Beschreibung etwas zu sehr die Atmosphäre des Buches bestimmt. Das ist wirklich schade. Denn ihr Anliegen ist ein Gutes: Die beiden erzählen aus ihrer Vergangenheit von sich selbst, ihren Wünschen und Gedanken; und setzen dazwischen immer wieder ins Heute über, in dem sie desillusionierende Erfahrungen im Beruf, die x-te gescheiterte Beziehung und die schwere Idee von einem glücklichen Leben reflektieren. Im Vergangenheitsmodus schreibt Elisabeth Raether beispielsweise noch:
„Ich war eigentlich ganz froh, dass Christian die Organisation unseres Zusammenlebens übernahm und ich mich weitgehend passiv verhalten konnte.“
Im Heute-Modus erkennt sie:
„Ich habe von mir verlangt, mich seinen Erwartungen anzupassen, und habe nie von ihm verlangt, dass er sich meinen Erwartungen anpasst. Ich habe diese Erwartungen nicht einmal formuliert.“
Ihnen wird klar, dass sie viel emanzipierter werden müssen, dass die Klischees vom verliebten Weibchen und sich aufopfernden Müttern unsere Freiheit einschränken, dass eine Beziehung nicht daraus bestehen kann, immer genau das zu tun, was der Andere vermeintlich erwartet, dass sie den Mund aufmachen müssen gegen die Boys-Netzwerke in den Firmen, und dass sie auch überhaupt erst einmal rauskriegen müssen wie das geht mit dem weiblichen Erfolg:
„Diejenigen, die es geschafft hatten, sprachen nicht darüber, dass sie Frauen waren. Ebendeshalb aber konnten sie für viele keine Vorbilder sein: Ihr Aufstieg vollzog sich so wundersam, dass es unmöglich schien, einen solchen Weg zu planen. (…) Ihr Erfolg war immer ein Einzelfall, das Ergebnis gelungener Anpassung, nicht das veränderter gesellschaftlicher Bedingungen.“
Die beiden Autorinnen schneiden viele Problemfelder an: Rollenerwartungen, Familienleben, Berufstätigkeit, moderne Männer, alter Feminismus, Selbstbewusstsein und Selbstzweifel. All diese hätten sie aber gerne öfter mal etwas genauer untersuchen und dafür auf die eine oder andere Anekdote verzichten können. Was meine Ratlosigkeit über die Absicht des Buches am Ende wenigstens noch ein bisschen abgefangen hat, war der allerletzte Satz auf Seite 206:
„Es wird nämlich so sein, dass die meisten Frauen sich ihre Wünsche selbst erfüllen: Sie bitten ihren Mann, der sie zum Juwelier begleitet, um seine Meinung und zahlen am Ende ihren Schmuck selbst.“
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“Es wird nämlich so sein, dass die meisten Frauen sich ihre Wünsche selbst erfüllen: Sie bitten ihren Mann, der sie zum Juwelier begleitet, um seine Meinung und zahlen am Ende ihren Schmuck selbst.”
Bei uns (=meiner Frau und mir (30)) zu Hause läuft das so. Und in unserem Freundeskreis, soweit ich weiß, auch. Nicht nur bei Juwelierfragen.
Und ich bin wirklich froh darüber und wollte auch nie mit Frauen zusammenleben, die so passiv sind, wie die Autorin das aus der Zeit mit ihrem Christian erzählt. Aber leider weiß ich, dass es tatsächlich allzu oft so ist. Auch in unserer Generation noch, ja.
Aus dem Buch ist also nicht allzu viel Anregendes/ Konstruktives über Rollenverhalten und die anderen genannten Themen zu erfahren? Gerade die Frage dieser Orientierungslosigkeit, sowohl für (junge) Frauen wie auch für (junge) Männer scheint hier und gegenwärtig eine viel eklatantere Quelle von Selbstzweifeln und (privaten) Irrwegen/Abwegen zu sein als wenige Zeit früher. Oder täuscht mich da meine subjektive Wahrnehmung?
@ IJ.Biermann: Ich denke, dass es sehr darauf ankommt, wie weit man selbst schon mit der Analyse derzeitiger Geschlechterrollen ist. Wer den Backlash in unserem Land schon genutzt hat, um sich Ideen und fortschrittliche Modelle für ein gemeinsames, selbstbestimmtes Leben zu überlegen, für den ist in dem Buch wirklich nicht sehr viel drin. Da hat man als Leser eher das Gefühl, die Autorinnen haben noch sehr viel vor sich, nämlich das, was man selbst schon hinter sich hat – das Erkennen und Handeln.
Mein Gefühl sagt mir aber, dass ganz viele Menschen noch ganz am Anfang stehen und nur so ein dumpfes, ungutes Gefühl verspüren, was die Rückkehr zu klassischen Mustern angeht oder Einschränkungen durch Rollenerwartungen. Die könnten sich in dem Buch selbst wiedererkennen und dann vielleicht (hoffentlich) zum Nachdenken angeregt werden.
„Gerade die Frage dieser Orientierungslosigkeit, sowohl für (junge) Frauen wie auch für (junge) Männer scheint hier und gegenwärtig eine viel eklatantere Quelle von Selbstzweifeln und (privaten) Irrwegen/Abwegen zu sein als wenige Zeit früher. Oder täuscht mich da meine subjektive Wahrnehmung?“
– Täuschen ist zu viel, und zu wenig, gesagt.
Zu viel, weil es sehr viele junge Menschen gibt, die alles daran setzen, selbstgesteckte Ziele zu verwirklichen.
Zu wenig, weil es beobachtbar ist, dass Krisen sehr viel häufiger und sehr viel früher vorkommen.
Sprach man früher von „Midlife-Crisis“, könnte ich mir durchaus vorstellen, dass das für unsere Generation gar nicht mehr zutrifft, weil man nicht mehr 20-30 Jahre stringent in eine Richtung leben kann, sondern sich sehr häufig neu orientieren muss. Und mit jeder von außen erzwungenen Krise setzt eine Welle ein, die mit Selbstzweifeln beginnt und sich mit wieder aufrappeln endet. Nur dann eben mit mehr Wissen über größere Zusammenhänge (vermute ich mal, wenn ich da von mir ausgehen kann^^)
Ein weiteres, dadurch zustande kommendes, Phänomen, sind die starken reiflichen Unterschiede im Alter zwischen 18 und 30. Es ist durchaus möglich, dass man mit 30 auf 22 Jährige trifft, die schon einen ähnlichen gedanklichen Horizont aufweisen können, wie es genauso möglich ist, einen gleichaltrigen zu treffen, der stark jugendliche Züge trägt (und das nicht, weil er sich die Jugend bewahren will, sondern weil es noch keinen Anlass zur Selbstreflexion gab).
Aber das ist in soweit blanke philosophisch-subjektive Beobachtung, als sich viele dieser Situation nicht bewusst sind.