Nach den jüngsten Prügelattacken in Hamburg und Berlin werden sich wahrscheinlich die Befürworter zunehmender Sicherheitsmaßnahmen erneut zu Wort melden. Denn tatsächlich scheinen solche Zwischenfälle in der letzten Zeit immer öfter aufzutreten. Dabei prügeln einzelne Männer oder Männergruppen meistens andere, ihnen völlig unbekannte Männer – so extrem, dass die die Opfer ins Krankenhaus müssen, oder sogar ums Leben kommen. Die Gewaltszenen geschehen in öffentlichen Verkehrsmitteln oder auf der Straße, und die Täter haben oft keinen auch nur im Ansatz nachvollziehbaren Grund.
Die Medienberichte darüber klingen in vielen Fällen banal, oder thematisieren in rassistischer Weise die ethnische Herkunft der Tatverdächtigen. Panikmache und neue Forderungen nach mehr Überwachung sind oft das einzige Ergebnis der Mediatisierung. Wichtige und unangenehme Fragen bleiben dabei ausgeklammert. Denn, auch wenn die Anzahl der Gewaltüberfälle und Körperverletzungen laut den letzten offiziellen Statistiken gesunken ist und keinen Grund zur Panik bietet, bleibt jede Gewalttat natürlich eine zu viel. Letztendlich sind viele von uns nicht bereit zu akzeptieren, dass Männer seit eh und je andere Männer verprügeln und dies einfach auch weiterhin tun werden.
Die Zwischenfälle deuten selbstverständlich auf viele wirtschaftliche und soziale Faktoren hin, die unter dem Motto „Prekarisierung“ und „Verrohung der Gesellschaft“ verstanden werden und überall in den europäischen Großstädten zu beobachten sind. Doch darüber hinaus wird dadurch offensichtlich, dass „der neue Mann“, über den die deutschen Medien so oft schöne Features und Reportagen schreiben, noch lange keine Selbstverständlichkeit ist. Dieser neue Mann, der von denselben Kommentatoren immer wieder zum Opfer des Feminismus erklärt wird, scheint vielmehr allzu oft in der U-Bahn dem „alten Mann“ zum Opfer zu fallen. Der zeigt ihm regelmäßig, was ein richtiger Mann kann.
Was wir tatsächlich brauchen, sind also nicht weitere Überwachungsmaßnahmen, sondern mehr Klarheit über die Ziele unserer Bildungssysteme und die Verwirklichung einer modernen, antipatriarchalen und konsequenten Geschlechtspolitik, die Machismo und Gewalt niemals toleriert oder verharmlost.
Der neue Mann und die „alte“ Brutalität sind logische Folge des patriarchalen Paradigmas, weil das nach wie vor dem Denken, Sprechen und Handeln immanent ist. Erst durch einen Paradigmawechsel wird sich das erst verändern können. Alles andere ist m.E. nur Verschleierung dieser Tatsache. Und im Verschleiern sind ja gerade Politiker Weltmeister.
Das patriarchale Paradigma
Körperverletzung ist immer noch ein Kavaliersdelikt und gehört nach Meinung der Meisten zu einer männlichen Sozialisation dazu, genauso andere männliche Dominanzstrategien wie Vergewaltigung oder Raub.
Aber solange Jungen sich prügeln dürfen, bis Zähne fliegen oder Blut fließt, um ihren männlichen Bewegungsdrang und ihr Jungensein auszuleben, solange wird Körperverletzung als Wachsen in die Männerwelt ritualisiert.
Das muss aber sein, da der Feminismus ja Jungen und Männer zu verweichlichten Memmen machen will.
Warum genügend Männer das auch noch weiterhin unterstützen, ist mir ein Rätsel. Aber Väter wollen wohl immer noch keine Memmen und „Tunten“ – immer noch gern gesagt, wenn es um „Unmännlichkeit“ geht.
Die „Fressehauen“-Mentalität ist immer noch sehr verwurzelt.
Herrschaft und Dominanz bring doch Status.
Neue Männer? Wo?
Mütter nicht, oder wie ist das gemeint?
Der prügelnde Mann wird auch romantisiert. Ich habe vorgestern in den ZDF-Sonntagsfilm reingezappt, da haben sich gerade zwei Männer wegen einer Frau geprügelt. Der, der angefangen hatte, wurde dann zwar verlassen, aber offenbar nicht deswegen, sondern weil er ein arrogantes Arschloch war oder so.
@empört: Ich habe durchaus den Eindruck, dass Mütter im Gegensatz zu Vätern lieber „Memmen“ als „Schläger“ zum Sohn haben. Was wohl auch damit zu tun hat, dass eben klassischerweise gerade die Mütter die weiteren Folgen ausbaden dürfen – denn wer darf dem Sohnemann später die Schrammen versorgen? Wer die blutigen T-Shirts waschen? Wen ruft die Schule/verärgerte Eltern an? Meistens ja doch die Mutter, auch heutzutage noch.
@Irene: sehe ich auch so, verstehe ich aber genausowenig. Als mein Freund das letzte Mal in eine Schlägerei verwickelt und ich dabei war, war mir das nur uuuuunglaublich peinlich!!! Dabei ging es zwar nicht um mich – aber wäre es so gewesen, es wäre mir noch viel peinlicher gewesen als sowieso schon!
Zu kurz gesprungen.
Tatsächlich verschwimmen hier die Geschlechtergrenzen in der heutigen Zeit. Auch wenn (Straßen)gewalt nach wie vor männlich dominiert bleibt, geht die Tendenz doch dahin, dass es mehr und mehr weibliche Straftaten dieser Art gibt gibt. Das nur am Rande.
Das Problem an der Geschlechtergrenze entlangzudenken, finde ich nicht sehr ergiebig. Ich würde unkontrollierte Gewalt mit Durkheim als Rebellion gegen das soziale Umfeld werten wollen (ob gegen sich oder gegen andere, das hinwiederum ist wieder eine Genderfrage, da hat @Irene sicherlich recht). Gewalt schlicht nicht zu tolerieren, ist ein Lippenbekenntnis von denen, die es sich leisten können, Moral zu produzieren, und wenn man nach besserer Bildung ruft, muss man auch sagen, wofür. Sollen die jetzigen Straftäter dann kultivierter perspektivlos sein? Ohne dass sie uns schockieren und/oder möglicherweise traktieren?
@GwenDragon
„[…] zu einer männlichen Sozialisation dazu, genauso andere männliche Dominanzstrategien wie Vergewaltigung oder Raub.“
WHAT?
Bei dem Satz is mir ja grad die Bemme ausm Mund gefallen.
Dass „Gewalt“ ein Teil des menschlichen / männlichen Lebens ist und somit zur Sozialisierung beiträgt ist mir klar. Aber dass Vergewaltigung (!!!) und Raub (!!) dazu gehören war mir bisher nicht klar – gibt es dazu irgendwelche Belege?
Ich habe überdies nicht den Eindruck, dass die Lage schlimmer wird. Sie bleibt einfach schlimm.
Es gab seit jeher Leute, die ihre Probleme nur durch Gewalt zu lösen vermochten und die gibt es heute immer noch. Die Motive mögen anders sein aber die Dummheit die dahinter steckt bleibt die selbe.
Ich habe mich selbst noch nicht mit jmd. geprügelt und ich habe auch kein Bedürfnis danach und in meinem Freundeskreis sieht es ähnlich aus (von Notwehr mal abgesehen). Aber vielleicht habe ich einfach nur Glück gehabt…
Das Problem an sich ist vielschichtig, hier ein paar Sachen, die mir dazu auch noch in den Sinn kommen:
1. oft hört man, dass eine Männergruppe eine andere „aus dem Hinterhalt und ohne Vorwarnung“ attackiert hat. Ich glaube in vielen Fällen stimmt das nicht. Meist schaukeln sich solche Situationen von verbaler Gewalt hoch, sodass es „Schuldige“ in beiden Lagern gibt und meist einfach von keiner Seite deeskaliert wurde.
Ich meine, wenn mich nach einer Schlägerei die Pozilei befragen würde, wäre ich auch das Unschuldslamm…ist doch klar.
2. In der (gelben) Presse werden Namen oft aus Personenschutzgründen geändert.
Allerdings wird dabei ab und zu bei der Nationalität getrickst. So wird aus der Schlagzeile „Sven X. und Rudi Y. haben sich auf dem Schulhof geprügelt“ gern mal „Murat Ö. und Ömer U. (Namen geändert) haben sich auf dem Schulhof geprügelt“…welcher Zweck damit verfolgt wird dürft ihr 3x raten.
3. körperliche Gewalt (z.B. in der Schule) ist ein krasses Thema insbesondere weil man sie direkt beobachten kann. Meiner Meinung nach viel schwerer wiegt die verbale Prügel, die jeder sicherlich aus der Schulzeit kennt – die von Mitschülern und Lehrern gleichermaßen ausgeübt wird. Die hinterlässt unsichtbare Wunden, die sich nicht so leicht in der Presse verwursten lassen.
Habt ihr euch mal diese Isharegossip -Seite angesehen? Also was da krasses diskutiert wird…da rollen sich einem die Fußnägel auf.
Ich glaube einfach, dass einigen Menschen das „Mitfühlen“ in der Erziehung nicht mitgegeben wird und sie daher so verroht sind, dass sie vielleicht nicht merken oder in Kauf nehmen, dass sie andere verletzen.
patriarchistische Menschen könnten jetzt sagen „ja da seht ihrs. Frauen leisten den Großteil der Erziehungsarbeit und das kommt dabei raus“.
Aber ich glaube eher, dass das Milieu und der Freundeskreis bei Jugendlichen den Ausschlag gibt und dass die Erziehung der Eltern nicht das ausschließliche Merkmal ist.
Naja nur so ein paar Sachen in meinem Kopf…
„Was wir tatsächlich brauchen, sind also nicht weitere Überwachungsmaßnahmen, sondern mehr Klarheit über die Ziele unserer Bildungssysteme und die Verwirklichung einer modernen, antipatriarchalen und konsequenten Geschlechtspolitik, die Machismo und Gewalt niemals toleriert oder verharmlost.“
nicht zu vergessen, dass wir alle tiere sind…..einen teil seines wesens zu unterdrücken bedeutet nur dass er irgendwo/wann extrem ausbricht….
antipatriachal? wäre also ein matriachat….das gleiche nur in rot….
wie wärs mit einer koexistenz?
Es ist zu kurz gedacht nur die destruktiven Seiten von Männlichkeit zu betrachten. Was z.B. bewegt einen jungen Mann dazu, bei „Jugend forscht“ mitzumachen, später in die Wissenschaften zu gehen und dem Nobelpreis entgegen zu forschen? Man muss auch Beispiele gelungener Männlichkeit betrachten und zum Vergleich heranziehen, um destruktive Männlichkeit verstehen zu können.
Die Analyse, dass der Gewalt mit antipatriarchaler Geschlechterpolitik begegnet werden könnte, halte ich auch für falsch. Patriarchale bzw. männliche Sozialisation zeigt sich in erster Linie darin, dass die meisten Männer brav ihren Jobs nachgehen, die in ihrer Gesamtheit die ganze Gesellschaft am Laufen halten.
Das Problem ist, dass „der alte Mann“ sich nicht für Feminismus, Gender etc. interessiert. In den gesellschaftlichen Schichten, in denen der „alte Mann“ Zuhause ist, werden ja auch noch ganz andere Geschlechterrollen (männlich wie weiblich) praktiziert.
Ich habe oft den Eindruck Frau hat sich in der Vergangenheit lieber eher bequem an „leichten Zielen“, wie den eher gebildeten und sensibleren Männern und in der Bürokratie „abgearbeitet“ hat, um die geschlechtlich richtige sprachliche Bezeichnung von Berufen und Institutionen durchzusetzen.
Lol @ René: Wissenschaft ist gelungene Männlichkeit. Ich denke, da werden dir viele erfolgreiche Wissenschaftlerinnen was anderes erzählen.
@Silviu: Danke für diesen Artikel!
Patriarchale bzw. männliche Sozialisation zeigt sich in erster Linie darin, dass die meisten Männer brav ihren Jobs nachgehen, die in ihrer Gesamtheit die ganze Gesellschaft am Laufen halten.
@Rene:
Genau, und wir Frauen räumen nur euren Müll weg, damit ihr unbehindert weiter machen könnt.
Mann mann, die ewig Gestrigen lassen schön grüßen.
@XYZ
hast Du einen Beleg für Deine Behauptung, dass in der Presse bei Berichten über Gewaltdelikte angeblich oft „bei der Nationalität getrickst“ also aus deutschen Namen solche mit arbabisch/türkischem Klang gemacht werden?
@ black
Zumindest hatte ich in einem Beitrag, der nicht freigeschaltet wurde, berichtet, dass ausländische Täter für das gleiche Vergehen mit weit aus geringern Strafen zu rechnen haben. Ich hatte sogar 2 Beispiele aus den Medien verlinkt
Wieso wird so etwas zensiert? Ist schon „lustig“ wenn jemand die Wahrheit nicht hören will, aber sich dann dann über andere Dinge aufregt.
Wenn das hier freigeschaltet wird, schicke ich mal einen Beleg, dass Ausländer bei solchen Taten zu Deutschen gemacht werden. Ansonsten lass ich es gleich.
@ John
Wir „zensieren“ nicht, sondern geben solchen offensichtlich falschen Verallgemeinerungen und Aussagen, die i.d.R. „die Ausländer“ (oder wahlweise: „die Frauen“, „die Männer“) beinhalten keinen Raum. Wir bitten von Generalisierungen abzusehen.
@Peter & Rene: Eure Annahme, dass Gewalt, Erfolg in der Karriere, in der Wissenschaft oder was auch immer einfach zu einem vermeintlichen (biologistisch oder naturalistisch begründeten) „Ewigmännlichen“ gehören, teile ich nicht. Das „Ewigmännliche“ halte ich für ein extrem schädliches ideologisches Konstrukt, eben so wie das „Ewigweibliche“.
@GwenDragon & Irene: Ich stimme zu. Gewalt wird heute noch in breiten Kreisen unserer Gesellschaften entweder verharmlost, toleriert oder irgendwie gerechtfertigt (z.B. mit dem Hinweis auf das „Ewigmännliche“). Das lässt sich – natürlich in unterschiedlicher Art und Weise – nicht nur bei dem „bildungsfernen“ Prekariat, sondern durchaus auch in „besseren“ Milieus beobachten. Man denke etwa an schwule Paare aus der Mittelschicht, die „ein bisschen“ Gewalt bei Spannungen in der eigenen Beziehung normal oder veständlich finden und bereit sind, damit zu leben.
@ black:
schaumal hier: http://www.bildblog.de/1419/der-moerder-ist-immer-der-tuerke
Im Bildblog finden sich noch andere Beispiele. Z.B. werden bei mehreren Tatbeteiligten die nicht-deutschen Tatverdächtigen in der Berichterstattung gerne hervorgehoben, die deutschen Tatverdächtigen beiläufig erwähnt.
@Fred: Danke für die Kritik. Dass Gewalt AUCH Ergebnis der „Prekarisierung“ und Perspektivlosigkeit ist, bestreite ich sicherlich nicht (s. Text). Allerdings müssen wir m.E. mit diesem Argument vorsichtig umgehen. Denn einerseits lässt sich nicht das ganze Phänomen pauschal auf die soziale Frage zurückführen (s. Antwort auf die Kommentare von GwenDragon und Irene). Andererseits: Wollen wir wirklich Körperverletzungen und Machismo so lange hinnehmen oder rechtfertigen, bis sich die soziale Frage löst? Das ist ein schwieriges Problem. Die Antwort kann aber m.E. nicht einfach „Ja“ lauten.
@Silviu
Doch!
Nein, Quatsch, Du hast natürlich recht. Aber immerhin wird es diese Art der Strassengewalt so lange geben, wie die soziale Frage ungelöst bleibt. Von demher muss die Lösung der sozialen Frage zwar nicht das goal der Ansätze sein, aber durchaus ihr aim. (Scheißanglizismen, aber das kann man auf Deutsch nicht so schön sagen.)
Und da frage ioch mich schon, ob man der Sache einen Gefallen tut, indem man diese Sorte Täter unter „Machismo“ subsummiert und ein gegenöffentliches Männlichkeitsbild auf ihn fundiert. Ich denke gerade nicht, dass dieser Machismo ein „über die soziale Frage hinaus“ ist, sondern dass das Aggressionspotential über angelernte und übernommene Muster abgeführt wird: und erst hier greift das Männlichkeitsbild, weil es Handlungsoptionen bietet (die dann wieder vom Staat sanktioniert werden). Aber es ist in diesem konkreten Fall nicht ursächlich.
Das heißt, die absolut wünschenswerte „Verwirklichung einer modernen, antipatriarchalen und konsequenten Geschlechtspolitik“ würde in diesem konkreten Fall nur eine Umleitung der Aggressionen bedeuten, aber keine Lösung.
Ich glaube ja nicht daran das sich Aggression und Gewalt jemals besiegen lassen.
Warum? Weil Menschen dazu fähig sind. Was im Rahmen unserer Möglichkeiten liegt wird auch passieren, und zwar immer wieder. Es wird immer Gründe geben warum Person A auf B neidisch sein kann und das wird unweigerlich zum Kampf führen, „rational“ dann wenn der mögliche Verlust ohne Gewalt größer wäre als mit, „irrational“ wenn das eigene Im-Unrecht-Sein eindeutig ist.
Leider sind gesellschaftliche Sanktionen das einzige Mittel um dies einzudämmen, auch im Matriarchat.
@Fred: Hmm… Das ist ja eine lange Debatte. Ich bin mit Dir (und Foucault :-) ) einverstanden, dass wir einerseits das Prekariat und das Aggressionspotential „produzieren“ und es andererseits scheinheilig durch Disziplinierung, Psychologisierung, Polizeiüberwachung und Justizrepression sanktionieren. Das ist natürlich nicht schön.
Foucault hat aber mit erstaunlicher Konsequenz die einfache politische/ethische Frage „Was sollen wir denn in dieser Situation machen?“ ausgeklammert oder vermieden. Und wenn er sich dazu überhaupt äußerte, hatte ich immer den Eindruck, dass er bereit ist, genau wie Marx das Baby mit dem Badewasser auszuschütten, also z.B. den Rechtsstaat an sich als „bürgerliche Fiktion“ zu denunzieren, „revolutionäre“ Ad-Hoc-Justiz in Iran zu begrüßen etc.
Demgegenüber würde ich eher sagen: Wir werden nicht gleich alle Widersprüche der Gesellschaft lösen können. Wir müssen etwas gegen Prekarisierung machen, klar. Aber in der Zwischenzeit brauchen wir eben eine „Umleitung der Aggression“, die zwar keine Lösung, aber letztendlich nicht so schlimm wäre.
@Nandoo:
„Was im Rahmen unserer Möglichkeiten liegt wird auch passieren, und zwar immer wieder, …. [und lässt] sich nicht besiegen.“
Das ist Defätismus pur. Übrigens liegen Genozide und sogar ein Holokaust durchaus „im Rahmen unserer Möglichkeiten“. Die lassen sich auch nicht besiegen?
Hallo Silviu,
Du schreibst weiter oben:
„Andererseits: Wollen wir wirklich Körperverletzungen und Machismo so lange hinnehmen oder rechtfertigen, bis sich die soziale Frage löst? Das ist ein schwieriges Problem. Die Antwort kann aber m.E. nicht einfach “Ja” lauten.“
Das ist nach meiner Meinung die falsche Frage, denn hinnehmen kann ich ja rein logisch nur etwas das gerade passiert oder bereits passiert ist. Wir (=die Gesellschaft) nehmen die Gewalttaten ja gar nicht hin, sondern bestrafen die Täter. Gerade bei Prügelattacken werden die Täter in der Regel ja auch gefasst, da sie die Tat oft nicht sonderlich „raffiniert“ ausführen.
Das Problem ist nur, dass die Bestrafung der Täter neue Taten in Zukunft nicht verhindert. Wir müssen also künftige noch nicht erfolgte Taten verhindern und uns nicht fragen , ob wir bereits verübte Taten „hinnehmen“.
Nochmal @siliviu,
wenn Du die ansicht an könne künftige Gewalttaten nicht verhindern (so Nandoo) als Defätismus bezeichnest, dann wäre es an Dir einen Gegenvorschlag zu unterbreiten, wie sich denn Gewalt und Agression besirgen lassen sollen.
Gewalt ist ein sehr wirksames Mittel persönliche Ziele auf Kosten anderer zu erreichen. Das mag gesellschaftlich und moralisch verwerflich sein, gehört aber zum natürlichen Repertoir menschlichen Verhaltens. Ich bezweilfle auch dass man das beseitigen kann.
@black: Mit „hinnehmen“ meinte ich nicht die einzelnen Gewalttaten, sondern das Phänomen. Du hast also recht: Es sollte mehr ums Verhindern, und weniger um die Repression gehen.
Wie wir das Phänomen verhindern oder „besiegen“ können, ist zumindest prinzipiell relativ klar: Bessere Chancen für die sozial benachteiligten in unseren Gesellschaften, viel mehr Geld für bessere Schulen, in Deutschland ein klares Ende der Frühsegregation im Bildunssystem, das klare Ziel, nicht nur nützliche Arbeitnehmer, sondern vor allem gute, „demokratiefähige“ Bürger zu „produzieren“, dazu öffentliche Kampagnen gegen Gewalt und Machismo. Das ist, was der Staat tun kann.
Privat können wir Folgendes tun: Auf Naturalismus und Defätismus verzichten, „Es-war-doch-immer-so“-Argumente kritisieren, aufhören, uns mit Affen-Vergleichen zu rechtfertigen, den aggresiven Partner sofort rauszuschmeißen, Tunten-Witze ähnlich wie Juden-Witze betrachten, mit Machos nicht in die Kiste gehen, demonstrieren, bei einem Zwischenfall in der U-Bahn uns einmischen, Filme oder Musik machen, Bücher, Artikel oder Blogs schreiben etc.
@Silviu Ja, Foucault, der hilft auch immer bloß in der Analyse und lässt einen mit dem Rest allein. Der Arsch. Nichtsdestotrotz denke ich, dass das das falsche Ereignis ist, um Machismus zu konstatieren.
Ich formulier das mal absichtlich sehr hart: Die Adressierung der Täter als Machisten erklärt die Tat aus sich heraus nicht, es ist summarisch und nicht am Einzelfall belegt, und es ist dazu geeignet, in einer Art Trotzreaktion von potentziellen Tätern als Rollenbild übernommen zu werden. Das sind die Gefahren, die dieses (ja doch schon von oben herab gefällte) Urteil mit sich bringt.
Zurück zum Machismus: Es ist ja ohne Frage richtig, dass in diesem Milieu der Machismus das wahrscheinlich beherrschende Männerbild ist. Aber was macht man mit dieser Erkenntnis? Irgendwie muss man die da auch rauszwingen.
Wer wird das leisten können? Jetzt werd ich ausnahmsweise mal pragmatisch: Das Bildungssystem zu reformieren ist in Hamburg gescheitert und es wird in den Städten auf absehbare Zeit immer weiter scheitern, weil jede Entscheidung, die den Wissensvorsprung der Mittelklasse gefährdet, die Abwahl der jeweiligen politischen Kraft zur Folge haben oder einen Volksentscheid nach sich ziehen wird, und ich kann mir kein Szenario vorstellen, das im Ergebnis anders ausfällt als in Hamburg. Um da zu einem gesamtgesellschaftlichen Konsens zu kommen, der die Reform des Bildungssystems zur Folge hätte, muss das Problembewusstsein dafür größer werden: und da gibt es gerade nicht sehr viele Möglichkeiten. Immerhin existiert inzwischen eine kleinere Debatte, die sich ím Widerspruch zur blödsinnigen These der „Jugendverrohung“ entwickelt hat und deren einziges Feuerchen, das sie noch am Leben erhält, tragischerweise die Übergriffe Jugendlicher im öffentlichen Raum sind. Das schockt und rüttelt auf, aber gerade da sollte man imho nicht aufhören darauf hinzuweisen, dass es sich um ein soziales Problem handelt und eine größere soziale Durchmischung solche Vorfälle weiter reduziert.
Wer kann, wenn die Erziehungsanstalten versagen, noch reagieren? Die jetzigen Opfer, das Umfeld. Wahrscheinlich gehts am Ende um die Ermächtigung jener Gruppen, die tagtäglich unter diesem Machismus zu leiden haben. Und Ermächtigung heißt da nicht nur: gegen die Unterdrückung durch eben jene Delinquenten, von denen wir reden. Sondern auch Ermächtigung gegen gentrifizierende Investoren, gegen bevormundende Sozialämter, gegen Psychopathologisierung etc. Dass da ein gewisses Gruppenbewusstsein plus Handlungswille entwickelt wird, auf lokaler Ebene. Dann wird es schnell um die Rückeroberung des öffentlichen Raums gehen, um ein Recht aufs Dasein und Sosein, wobei dann die Frage ist, welche Strategie greifen wird. Wie drängt man diese Übergriffe zurück? Und dann ist das Diktum, dass „Gewalt niemals toleriert“ wird, natürlich wohlfeil: wir sehen ja in Frankreich, dass sich die Wideraneignung der Umgebung gewaltlos nicht vollziehen lässt.
Na, es ist in der Tat eine endlose Debatte, und ich bin mir noch nicht mal sicher, ob ich in meinem Drang zur Verkürzung einigermaßen nachvollziehbar war.
viele erziehen, ohne „anstalten“ zu sein. DIE müssen ermächtigt werden. dazu gehört z.b auch eine ehrlich debatte über gewaltvermittelnde oder -verherrlichende inhalte in medien und computerspielen, vermittlung von männlichkeits- und weiblichkeitsbildern über spielzeug, kinderkleidung usw.
@siliviu
Du schreibst sehr zutreffend:
„Wie wir das Phänomen verhindern oder “besiegen” können, ist zumindest prinzipiell relativ klar: Bessere Chancen für die sozial benachteiligten in unseren Gesellschaften, viel mehr Geld für bessere Schulen, in Deutschland ein klares Ende der Frühsegregation im Bildunssystem, das klare Ziel, nicht nur nützliche Arbeitnehmer, sondern vor allem gute, “demokratiefähige” Bürger zu “produzieren”, dazu öffentliche Kampagnen gegen Gewalt und Machismo. Das ist, was der Staat tun kann.“
Fällt Dir auf, dass dieses Vorgehen so ziemlich die meisten der gegenwärtigen gesellschaftlichen Probleme lösen würde und das diese Lösung eigentlich auch allgemein bekannt ist, aber trotzdem nie wirklich umgesetzt wird?
Jede soziale Maßnahme der Politik scheint immer nur irgendwie den Status quo zu bewahren (langfristig nicht mal das) aber keine Veränderung herbeiführen (zu wollen?).
Ich bin über den Artikel und das Thema beeindruckt !
Die kontraproduktive fehlinterpretierte „Männlichkeit“ und der allgemein als „normal“ angesehenen zwischenmännlichen Gewaltkultur, wie sie mir auch von frühester Kindheit an vermittelt wurde, da sehe ich eine Menge Bearbeitungs- und Forschungsbedarf.
@Gwen Dragon :
„Aber solange Jungen sich prügeln dürfen, bis Zähne fliegen oder Blut fließt, um ihren männlichen Bewegungsdrang und ihr Jungensein auszuleben, solange wird Körperverletzung als Wachsen in die Männerwelt ritualisiert.
Das muss aber sein, da der Feminismus ja Jungen und Männer zu verweichlichten Memmen machen will.“
Passt 100%ig, genauso wie der Erklärungsansatz von Silviu :
„Die Zwischenfälle deuten selbstverständlich auf viele wirtschaftliche und soziale Faktoren hin, die unter dem Motto „Prekarisierung“ und „Verrohung der Gesellschaft“ verstanden werden und überall in den europäischen Großstädten zu beobachten sind.“….“Dieser neue Mann, der von denselben Kommentatoren immer wieder zum Opfer des Feminismus erklärt wird, scheint vielmehr allzu oft in der U-Bahn dem „alten Mann“ zum Opfer zu fallen. Der zeigt ihm regelmäßig, was ein richtiger Mann kann.“
Mitten ins Schwarze !
Diese alten fehlinterpretierten Männlichkeiten treiben Männer später in ein selbstentferntes Risikoverhalten, und dann wundert man/frau sich dass Männer im statistischen Mittel 5,4, Jahre früher sterben.
Nicht im „bösen Feminismus“, der die armen Jungs und armen Männer „umerzieht“ (es gibt Leute, die das wirklich glauben..), sondern in der zwischenmännlichen Gewaltkultur liegt die Lösung der männlichen Gretchenfrage.