(C) Eva Hillreiner, www.evahillreiner.de
Ich weiß nicht, wie oft ich in den letzten Wochen gefragt wurde, ob ich mein Kind eigentlich nicht vermisse, wenn ich es nur am Wochenende sehe. Ja, das tue ich. Und trotzdem frage ich mich, ob ein Mann, der jobbedingt sein(e) Kind(er) nur am Wochenende sieht ähnlich oft diese Frage gestellt bekommt.
Auf der anderen Seite werde ich aber auch oft gefragt, ob ich es genieße, unter der Woche meine Ruhe zu haben. Und dann ertappe ich mich immer wieder dabei, dass ich meine Begeisterung über den tollen Job, den ich habe, relativiere, indem ich darüber klage, dass ich mein Kind so selten sehe. Männer in ähnlichen Situationen hingegen erzählen begeistert, dass sie es genießen, viel arbeiten zu können und abends noch Zeit für andere Dinge und vor allem ihre Ruhe zu haben. Schlechtes Gewissen? Fehlanzeige. Klar, sie kommen ja auch ihrer Rolle als Ernährer nach, sie arbeiten viel, Geld kommt rein, was will die Familie mehr? Ich hingegen habe ständig das Gefühl, mich dafür rechtfertigen zu müssen, dass ich meinen Mann mit dem Kind alleine lasse.
Dabei geht es weniger darum, dass mein Gegenüber diese Rechtfertigung von mir verlangt, als vielmehr darum, dass es sich dabei um ein Problem handelt, welches ICH habe. Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn das Kind am Sonntag abend herzerweichend weint, wenn ich gehe, ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn mein Mann mir erzählt, dass das Kind nachts 50 Minuten geschrien hat, ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn mein Mann feststellt, dass er an 50% der Besprechungen in seinem Job nicht mehr teilnehmen kann, weil die um 15 Uhr beginnen, das Kind aber spätestens um 16 Uhr aus der Krippe abgeholt werden muss. Denn: eine Mutter lässt ihr Kind nicht alleine, eine Mutter ist da und tröstet das Kind, wenn es nachts weint UND eine Ehefrau unterstützt die Karriere ihres Mannes.
Bullshit! Aber die Sozialisation durch Hollywood und TV sitzt wohl leider viel tiefer als uns lieb ist. Also arbeite ich daran, mir klarzumachen, dass eine Mutter auch dann für ihre Familie sorgt, wenn sie für mehr als die Hälfte des Familieneinkommens sorgt, wenn sie am Wochenende sich ausgeglichen und glücklich vollumfänglich um ihre Lieben kümmert und wenn sie unter der Woche an den vielen freien einsamen Abenden Kinderkleidung näht und strickt ;-)
Da hilft dann nur gezielte Gegenkonditionierung.
Gegen das schlechte Gewissen, weil der Mann nachts mit dem Kind allein war, könnte frau sich ja fragen, ob der Mann etwa das Kind nicht trösten kann.
mit der gegenkonditionierung schiesst du dir ja nur selbst ins auge, weil du dann implizierst, dass nur eine mutter ihr kind trösten kann und dich dann noch unentbehrlicher machst.
ich glaube auch, dass es eher darum geht, dass WIR ein problem damit haben. wenn mein sohn „papa arbeit“ sagt, wenn mein mann nicht da ist, dann finde ich das ganz normal. sagt er aber „mama arbeit“, wenn mein mann ihn von den tageseltern holt, habe ich sofort ein schlechtes gewissen. eva hat völlig recht, wenn sie sagt: BULLSHIT!!!
ich arbeite gern und ich bin froh, wenn ich mein kind mal nicht um mich habe. und jetzt automatisch anfügen, dass ich ihn natürlich über alles liebe und so weiter, mache ich auch mal einfach nicht. ätsch!
(nur am Rande: der Text ist von unserer Lieben Adele, das Bild ist von Eva Hillreiner)
Hollywood-, TV- und andere Konditionierung ist in der Tat ein nach wie vor schlimmes Problem, das zweifelsohne nicht besser wird. Und ich frage mich oft, wie man dem etwas entgegensetzen kann.
Zur Beruhigung möchte ich aber anmerken, dass die Sache mit dem schlechten Gewissen für uns Männer deiner/unserer Generation genau so existiert, zumindest in dem Umfeld, in dem ich mich bewege.
Wenn ich (*1978) arbeitsbedingt mal drei, oder sieben Tage unterwegs bin, oder wenn ich mitbekomme, dass meine Frau mal nicht zu ihren Besprechungen gehen kann, weil ich gerade den „Vorrang“ habe, geht es mir mit schlechtem Gewissen nicht anders als dir. Insofern ist (Gegen-)Konditionierung für jede/n eine schwierige Sache.
Zuletzt war unsere Tochter krank, als ich eine Woche lang weg war – und wenn ich nach so einer Abwesenheit nur morgens zum Brot kaufen gehe o.ä., fällt auch mir auf, dass sie (18 Monate alt) gleich Angst bekommt, dass ich wieder lange weg bleibe. Und bei uns ist es nicht einmal so, dass ich mit meiner Arbeit (bisher jedenfalls) die Rolle als „Ernährer“ erfüllen könnte. In dieser Hinsicht habe ich aber weniger ein schlechtes Gewissen als wegen der Abwesenheit. Glücklicherweise ist es bei uns aber nicht die Regel, sondern stets im (Ab)Wechsel(n) begriffen; so bin ich beispielsweise diese Woche die Hautpaufpasser und Kindergartenzuständige.
Ich kenne dein Berufsumfeld natürlich nicht, aber um auch mal etwas Positives zu formulieren kann ich sagen, dass in meinem Umfeld die Mütter häufiger einer intensiven Arbeit nachgehen und die Väter nicht weniger für die Erziehung und die Kinderaufsicht da sind als die Frauen. Hier im Kindergarten sind es nicht selten morgens fast nur Väter, die die Kleinen bringen.
Mit war (und ist) jedenfalls immer wichtig, dass mein Kind die Chance bekommt, zu beiden Elternteilen gleich intensive Bindung aufzubauen, und darauf achte ich auch, so lange wir es uns finanziell leisten können. ((Wobei „finanziell leisten“ können sehr relativ ist, denn genau genommen können wir uns überhaupt nichts leisten.))
Bei uns ist der Papa zuhause und ich gehe arbeiten. Neulich wurde ich von einer anderen Mutter gefragt, ob ich denn voll arbeiten müsste. Ja muss ich, weil die Miete bezahlt werden will. Niemand stellt in Frage, wenn ein Mann trotz Kindern voll arbeiten geht. Wenn ich bei beruflichen Terminen erwähne, dass ich ein Kind habe, kommt immer gleich die erstaunte Frage, wo das denn tagsüber wäre. Wenn ich dann sage, dass der Papa zuhause ist, dann kommen auch manchmal komische Antworten: „Kann der denn solange von der Arbeit wegbleiben?“ oder „Achso ja, Männer können das bestimmt auch…“
ich entschuldige mich bei adele für die namensverwechslung. klarer fall von kindbedingter schlaflosigkeitsidiotie.
Ok, jetzt sehe ich auch dass man den Satz auch genau andersrum verstehen kann, als ich meinte.
Ich meinte, arbeitende Mütter, die das Kind mit dem Vater alleinlassen (oder den Vater mit dem Kind alleinlassen :-)), sollen sich vor Augen halten, dass Väter die Kinder genausogut betreuen können. Dieses ganze schlechte Gewissen kommt doch von dem eingepflanzten Mythos, dass alle Frauen grundsätzlich Kinder besser betreuen könnten als jeder Mann.
So etwa „Das Kind hat geschrien und ich war nicht da“ -> „Stop mal, damit impliziere ich mein Mann käme damit nicht klar“ -> „Aber er kann es doch“ -> „Also war das Kind gut betreut“ -> „Also brauche ich kein schlechtes Gewissen zu haben“
das war @inFemmes ersten Kommentar
Ich hatte letzthin eine Reportage (ich glaube ML) über Elternzeit gesehen, bei der die Frauen arbeiteten und da haben die Frauen sehr lange geargwöhnt, ihr Mann/Partner kann das nicht, Kind und Haushalt handlen, und hinterlässt Chaos zu Hause.
Schlechtes gewissen, weil ich es tun sollte -> Ich kann es besser -> Mein Partner kann es nicht richtig.
So erzeugt sich eine auch noch eine emotionelle Doppelbelastung und will vielleicht gar nicht, dass der Partner ein miterziehender Elternteil ist.
So tief kann anerzogener Sexismus wirken, vielleicht auch ein bisschen Eifersucht auf den intensiveren Umgang mit dem Kind.
Solange Paar sich dem bewusst sind und darüber reden können, ist es ja lösbar.
Vielleicht werden ja Frauen zu sehr dazu erzogen, ihr eigenes Verhalten zu überdenken und manches als Fehler anzusehen, besonders wenn es von irgendwelchen mysteriösen Geschlechtsrollenregeln abweicht. Das erzeugt wohl auch ein schlechtes Gewissen.
Klar werden Kinder früher oder später über die Abwesenheit der Mutter meckern, genauso wie sich sich beim Vater ärgern. Beim Zuhausebleiben der Mutter ergeben sich auch nur andere Probleme, die Kindern später mal aus Tapet bringen.
Ich wünsche allen, die lange (und möglichweise auch anderswo weiter weg) arbeiten müssen, sich nicht so sehr den Kopf zu zerbrechen, ob sie ein schlechte Mutter ist. Mütter die arbeitend für ihre Kinder sorgen, sind heutzutage auch Elternteile, die ihren Kindern ein gesichertes Aufwachsen ermöglichen. Das sind positive Vorbilder.
Es kommt auf die Qualität der Beziehung zum Kind an, denke ich, nicht auf die Dauer der Anwesenheit.
Mütter machen viel richtig. Auch wenn Kinder das spät anerkennen.
Aber was rede ich, bin ja nur Kind, keine Mutter.
Die Mütter und Väter von heute sind nicht zu beneiden. Wenn es nach Ratgebern, Entwicklungspsychologen, Pädagogen, Medien, Kirchen und Politikern ginge, würden sie sowieso alles falsch machen.
neeva: dann sind wir ja doch einer meinung :)
Ich glaube, mein schlechtes gewissen rührt nicht daher, dass ich denke, mein Mann kann das nicht. Ich bin mir sicher, dass er es prima hinbekommt, das Kind zu trösten. Vielmehr habe ich ein schlechtes Gewissen, weil die gesamte „Last“ bei ihm liegt. Er kann diese Verantwortung nicht abgeben, wenn er zu erschöpft, müde, genervt,… ist. Außerdem habe ich ein schlechtes Gewissen, dass das Kind überhaupt weinen muss, wenn ich gehe. Ich weiß, dass es sich innerhalb von ein paar Minuten von seinem Vater (oder auch der Babysitterin) beruhigen lässt.
Ich finde den Hinweis von ijp interesaant, dass ‚moderne‘ Männer ebenfalls ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie ihre Kinder berufsbedingt alleine lassen müssen. Vielleicht ist es sowohl von Männern als auch von Frauen nicht richtig ihre Kinder regelmäßig über einen längeren Zeitraum alleine zu lassen. Ich rede hier von mehreren Tagen nicht von einem Krippentag. Wieso sollte es richtig sein, sein Kind für mehrere Tage alleine zu lassen, nur weil die Männer dies tun? Im Gegenteil, eigentlich sollten die Männer es auch nicht mehr tun (können), weil sie sich um ihr Kind kümmern müssen und dies nunmal ein 24 Stunden Job ist. Versteht mich nicht falsch, ich bin nicht gegen Leistung und Arbeit, sofern sie sich im Rahmen bewegt. Ich finde aber auch das Männern und Frauen ein Recht auf ein Familienleben haben, welches auch aus Alltag besteht. Nur am Wochenende Zeit mit seinem Kind verbringen zu können ist einfach zu wenig. Wenigstens eine Stunde am Tag mit dem wachen Kind, sollte doch wohl möglich sein. Dies sollte eine Forderung an die Gesellschaft sein und ist meiner Ansicht nach feministisch und fürsorglich.
vielleicht repetierst du hier aber auch genau das, was eltern ein schlechtes gewissen macht. vielleicht ist es für kinder gar kein problem, wenn ein elternteil mal weg ist, solange das kind guter obhut ist. vielleicht ist das nämlich gar kein problem der kinder sondern eines der eltern.
oder mal anders gefragt: was genau sollte daran falsch sein, ein kind mehrere tage bei einer anderen bezugsperson zu lassen?
@Adele
Also ich kenne dich nicht, aber ich in deiner Situation würde Trennungsschmerz und schlechtes Gewissen schlecht auseinanderhalten können. Ich würde die Trennung selbst als Belastung empfinden, was natürlich durch Kindertränen beim Abschied nicht eben vermindert wird.
Gegen das schlechte Gewissen kann man sich versuchen zu beruhigen, aber die Trennung nicht schlimm zufinden ist schlicht unmöglich.
Wenn man „Hollywood -Sozialisation“ bezüglich stereotyper Mütterlichkeitsbilder reflektiert und bemerkt, dass diese was mit den eigenen Gefühlen machen, dann sollte man_frau auch reflektieren, dass die andere Seite der Medaille wohl die Fixierung auf Vollzeit Erwerbsarbeit ist, die auch überwunden werden muss. Karriere geil finden, ist ja auch ein Gefühl, was ihren Usprung wohl im gegenwärtigen Leistungsdiskurs hat.
Feministische Politik muss die Überwindung beider Normen fordern, stereotype Mutterbilder und jegliche essentialistische Zuschreibungen sind genauso fehl am Platz wie das Propagieren einer das ganze Leben einnehmenden Erwerbsarbeit bei Männern und Frauen!
Jedoch gibt es leider innere und äußere Zwänge, deswegen möchte ich auch niemandem
seinen oder ihren individuellen Lebensstil vorwerfen.
Im Grunde wollte ich das ausdrücken, was Tinitus soviel schöner dargestellt hat. Und eine meiner Begründungen die Erwerbsarbeit in Frage zu stellen ist das Bedürfnis der Eltern bei ihrem Kind zu sein („Trennungsschmerz“) und das Bedürfnis der Kinder mit dauerhaften Bezugspersonen verbunden zu sein. Das heißt nicht das sich diese den ganzen Tag um ihr Kind kümmern müssen, aber eine gemeinsame Mahlzeit am Tag mit der GANZEN Familie ist wichtig.
@bumsfallera: Das Verreisen über mehrere Tage ist deswegen so schwierig für Kinder, weil sie noch kein abstraktes Zeitgefühl haben. Sie orientieren sich an sich wiederholenden Handlungen. Ein Kind in der Krippe weiß, sofern es eingewöhnt ist, nach dem Mittagessen folgt der Mittagschlaf und dann holt mich mein/e Vater/Mutter ab. Es kann aber im Kleinkindalter mit der Tatsache in 5 Nächten nichts anfangen.
Ich wollte noch hinterschicken, dass ich es zwar nicht für erstrebenswert halte, zu Gunsten meiner Karriere für mehrere Tage auf meine Familie zu verzichten, dass dies aber für manche Familien genau richtig sein kann. Das wichtigste sind schließlich immer zufriedene und ausgeglichene Eltern.
@tinitus und Mia:
Auch wenn ihr euch das vielleicht nicht vorstellen könnt, aber der Halbsatz
ist vollkommen ernst gemeint. Ich mache meinen Job gerne, er ist in keinster Weise ein reiner Broterwerb. Dass dadurch ein nicht zu verachtender Betrag Geld auf mein Konto überwiesen wird, ist ein netter Nebeneffekt, aber ich bin in der zugegeben nicht sehr selbstverständlichen glücklichen Situation, dass ich wirklich jeden Morgen gerne zur Arbeit gehe. Mein Mann übrigens ebenso, das ist ja leider der Grund dafür, warum wir so ein zerrissenes Familienleben führen. Wenn eineR von uns beiden keinen Bock auf den Job hätte, dann würden wir uns diesen Streß sicher nicht antun. Natürlich erleichtert mir mein Gehalt die Rechtfertigung vor mir und meiner Umwelt, warum ich meine Familie alleine lasse, aber das war nie die Motivation für diese Lösung. Und ijb z.B. verlässt seine Familie sogar, obwohl er noch nicht einmal diese Rechtfertigung vorweisen kann, sondern einfach „nur“ Spaß an seiner Arbeit hat. Reflexhafte Kapitalismuskritik ist hier also etwas fehl am Platz.
@ Neeva: Gegen den Trennungsschmerz versuche ich mich gar nicht zu wehren, ich wundere mich nur, dass dieser in den Erzählungen der meisten Wochenendväter nicht vorkommt. Es gibt Väter, die ihn empfinden (s. ijb, oder aber auch mein Mann), aber sie scheinen mir seltener bzw. gut versteckt hinter der Rollenerwartung des abgebrühten Haupternährers.
ich habe den satz bezüglich deiner begeisterung (und die deines mannes) für den job durchaus gelesen. aber die entsteht ja nicht im luftleeren raum (genauso wie mütterliche gefühle) da geht’s um anerkennung für eine bestimmte form von geleisteter arbeit, um identitätsstiftungsprozesse, um geld, macht und ja, vielleicht würdest du ähnliches auch unentgeltlich machen, weil es dir spaß macht. aber ich finde, dass mensch das zumindest auch mal aus der perspektive betrachten kann.
ich bezeichne das als feministische ökonomiekritik (nämlich eines androzentrischen verständinsses von erwerbsarbeit und normalarbeitsverhältnissen, welche als norm nur zustande kommen konnten, weil die reproduktionsarbeit in diesem ein-verdiener-modell dann die frauen leisten mussten, jedoch weniger anerkannt)
jetzt müssen sich alle an dieser norm orientieren, männer und frauen- das kann m.E. nicht aufgehen, das wollte ich nur zum ausdruck bringen und in die diskussion mit einwerfen und ich habe dieses nicht-aufgehen in deine schilderung hineingelesen
vielleicht noch eine perspektive: wärs nicht ganz nett, wenn du den job machen könntest, aber weniger stunden pro woche und dein mann auch? vielleicht so, dass auch noch eine andere person so einen tollen job wie du bekommen könnte?
tinitus: „jetzt müssen sich alle an dieser norm orientieren, männer und frauen- das kann m.E. nicht aufgehen“
Diese Einschätzung vernachlässigt, finde ich, die Tatsache der individuellen Unterschiede in Begabung, Intelligenz, Persönlichkeit, Leidenschaft, Ehrgeiz, Ausbildung. Es gibt einfach Menschen, die eine ganz starke, wie heißt das noch mal, intrinsische Motivation verspüren, genau das zu tun, was sie tun. Und zwar exzessiv und obsessiv – jedenfalls nicht gemäß den handelsüblichen Modellen von Work-Life-Balance.
Auch wenn solche Menschen tendenziell eher männlich als weiblich sind, heißt das nicht, dass man diese Art zu leben und für eine Sache „zu brennen“, bei Frauen irgendwie unpassend und nicht nachahmenswert, weil zu „androzentrisch“ finden muss. Ich wünsche jeder einzelnen Frau, die so gestrickt ist und leben will, dass sie die Freiheit und den Mut hat, das „durchzuziehen“.
Dabei kann man sich auch um Unterstützung bemühen: Zum Beispiel engagiert sich eine Christiane Nüsslein-Volhard, die dem beschriebenen Typus doch irgendwie entspricht, speziell für weibliche Nachwuchstalente dieses Formats in Form einer Stiftung.
Schreib doch mal „unserer“ Nobelpreisträgerin und versuch sie davon zu überzeugen, dass ihre Lebensweise und Forschungstätigkeit lediglich Ausdruck eines „androzentrischen verständinsses von erwerbsarbeit und normalarbeitsverhältnissen“ ist. Oder dass sie – oder die von ihr geförderten Nachwuchsspitzentalente – doch ruhig mal ein bisschen weniger arbeiten sollten, damit „auch noch eine andere person so einen tollen job“ bekommen könnte.
Klar ist das jetzt eine Zuspitzung. Aber wer, wenn nicht „der Feminismus“ sollte Verständnis dafür aufbringen, dass weibliche Spitzenkräfte in welchen Bereichen auch immer so richtig auf die Tube drücken wollen und können, anstatt zu versuchen, sie auf ein merkwürdig anmutendes Mittelmaß zurückzuholen, wo man in – aus meiner Sicht – klischeegetränkter Weise sich darüber einig zu sein scheint, was Frauen/Mütter sollen, wollen, können.
Ich kann Al nur zustimmen, tinitus‘ Ausführungen klingen für mich allzusehr nach Christa Müller…
Natürlich kann man darüber diskutieren, ob eine 40 Stunden Woche familienfreundlich ist, aber darum ging es in diesem Beitrag doch überhaupt nicht. Es ging darum, dass ich mich in geschlechterstereotypen Verhaltensweisen wiederfinde, obwohl oder gerade weil ich mich nicht gerade geschlechterstereotyp verhalte.
ich glaube das problem bzw. dilemma ist eher, dass ich hier strukturen angreife und zur reflektion dieser auffordere und ihr euch in eurer subjektivität angegriffen fühlt.
ich verstehe immer noch nicht, warum einerseits klar zu sein scheint, dass muttergefühle sozial konstruiert sind (das denke ich) also nicht ausdruck eines tief in der frau sitzenden individuellen bedürfnisses oder instinkts sind (ieeeee!), dass das bedürfnis nach karriere und erfolg aber was total individuelles, in dem jeweiligen charakter der menschen angelegtes angesehen wird. wenn die gesellschaftlich zugeschriebene Rolle als Mutter, die ja auch viel mit dir macht, reflektiert wird (so wie du es ja auch getan hast), kann man dann nicht auch die rolle als karrierefrau reflektieren? deswegen muss ja niemand aufhören gerne mutter, karrierefrau oder sonstwas zu sein. nur den ansatz habe ich eben bei deinem text vermisst.
ich fordere niemanden auf anders zu handeln, aber ein bewusstsein über die eigene gesellschaftlichen rollenbilder zu entwickeln und auch mal zu fragen, woher bedürfnisse, gefühle und vorlieben kommen.
und natürlich sollen frauen und männer auch karriere machen dürfen, aber für mich ist das verharren in dieser forderung kein zuende gedachter feminismus, der nicht auch noch andere kategorien mit einbezieht und nicht nur weiße gebildete heterosexuelle frauen der mittelschicht mitdenkt. da wir hier auf einem feministischen blog sind, lese ich deinen eintrag aus feministischer perspektive und daraus ergeben sich für mich die von mir angebrachten fragestellungen.
ich habe nie gesagt, dass kinderbetreuung kindern schadet oder dass ich an irgendwelche natürlich begründeten fähigkeiten von männern und frauen glaube. ich habe immer betont, dass die norm von vollzeit erwerbsarbeit für frauen UND männer hinterfragt werden sollte. ich lehne christa müllers essentialistische ansichten und agrumente ab. ich fühle mich sogar sehr unverstanden, weil ich mich schon seit jahren über sie aufrege!
und mal abgesehen davon, gibts ja nicht nur die rolle als mutter und karrierefrau, sondern auch als parterin, freundin, musikerin, künstlerin, bloggerin, politisch engagierte, hobbies-ausübende, ehrenamtlich arbeitende, was weiß ich. wenn kinder vorhanden sind, sollten frauen wie männer doch auch die möglichkeit haben diese unterschiedlichen betätigungen auszuüben. auch deshalb brauchen wir betreuungseinrichtungen. und weil die kinder da ganz viel lernen um auch freund_in, musiker_in, künstler_in, blogger_in etc zu werden….
sorry aber das mit christa müller war echt danaben!
tinitus: „ich glaube das problem bzw. dilemma ist eher, dass ich hier strukturen angreife und zur reflektion dieser auffordere und ihr euch in eurer subjektivität angegriffen fühlt.“
Das dachte ich auch beim zweiten Lesen deines Texts. Wenn man nur immer so genau wüsste, wann die Leute die „Strukturen“ (unter denen kann ich mir immer nur schlecht was Konkretes vorstellen) meinen, und wann Individuen… Auch für mich gibt es einen Zusammenhang, in dem der Satz „jetzt müssen sich alle an dieser norm orientieren, männer und frauen- das kann m.E. nicht aufgehen“ Sinn macht: wenn man ihn statistisch versteht.
Also so, wie man ihn aus dem verbalen Gleichstellungs-Lullefix ableiten kann, das PolitikerInnen (und zunehmend auch Leute aus der Wirtschaft) auf nationaler und europäischer Ebene auf Knopfdruck abspulen können, immer eine, genau, Statistik in Reichweite, die die Unterrepräsentanz von Frauen in einem beliebigen Bereich zeigt. Was natürlich gar nicht geht in pluralistischen Demokratien mit freier Ausbildungs- und Berufswahl, nein nein. Es wird sich erst ausgeruht, wenn da überall 50:50 in den Tabellen steht. Bis dahin wird getalkshowt, gegendermainstreamt, gefördert, gefordert, geforscht, gemacht und getan.
Die Gleichstellungs- anstelle der rein juristischen Gleichberechtigungsnorm ist in der Tat für mich eine solche Norm, an der sich laut großer Teile der Politik „jetzt alle orientieren müssen“ – so gesehen würde ich dir recht geben, tinitus. Das Lästige an dieser Norm ist aus meiner Sicht der politisch-ökonomisch bevormundende Begleitton, in Tateinheit mit der – sicher nicht böswilligen – Zeichnung eines irgendwie defizitären Charakters der statistischen Durchschnittsfrau.
Die im politischen Mainstream mittlerweile durchweg verankerte Überzeugung, dass das frauenpolitische Paradies erst dann erreicht ist, wenn Frauen sich im Durchschnitt in allen als irgendwie attraktiv erachteten Bereichen genauso wie Männer verhalten, damit die messbaren Ergebnisse dieses Verhaltens sich in einem 50:50 Verhältnis widerspiegeln, finde ich in der Tat „androzentrisch“.
Fazit aus beiden Posts: Ich als Frau will weder von der Politik als – statistisch gesehen – unvollkommener Mann betrachtet und behandelt werden, noch möchte ich, sollte ich dennoch als Frau in einer Weise herausragen, wie dies ansonsten eher Männer tun, als eine Frau betrachtet werden, die übereifrig versucht, einem androzentrischen Weltbild zu entsprechen.
tinitus: „ich verstehe immer noch nicht, warum einerseits klar zu sein scheint, dass muttergefühle sozial konstruiert sind (das denke ich) also nicht ausdruck eines tief in der frau sitzenden individuellen bedürfnisses oder instinkts sind (ieeeee!), dass das bedürfnis nach karriere und erfolg aber was total individuelles, in dem jeweiligen charakter der menschen angelegtes angesehen wird.“
Dieses Paradox existiert bei mir nicht, weil ich weder „Muttergefühle“ noch das „Bedürfnis nach Karriere und Erfolg“ als ausschließlich sozial konstruierte Angelegenheiten betrachte.
Mir haben die Beiträge von Tinitus sehr gefallen, ich finde die grundsätzliche Kritik an einem Arbeitsmarkt und einem ökonomischen System das gemeinsames Familienleben unmöglich macht sehr richtig.
Mein Freund und ich sind in der ausgesprochen priviligierten Situation beide unsere Karriere verfolgen zu können und gleichzeitg Kinderbetreuung und Haushalt exakt zu teilen, weil wir eben beide flexible Arbeitszeiten haben und unser Leben so immer wieder den aktuellen Bedürfnissen anpassen können. Das ständige Aushandeln ist zwar manchmal furchtbar nervtötend, aber ansonsten ist dieses Modell für mich persönlich ausgesprochen gut.
Mich stören an eurer Argumentation zwei Dinge:
1. gerne zur Arbeit gehen = geil auf Karriere sein
2. Karriere = androzentrisch = schlecht
Natürlich würde ich es vorziehen, wenn ich einen tollen Job in der gleichen Stadt wie mein Mann hätte. In Hamburg gabs aber weder einen tollen noch einen mitteltollen noch einen akzeptablen Job. Da ich mein Hirn aber nun mal gerne anstrenge und mich mit technischen Entwicklungen von Großanlagen beschäftigen möchte, brauche ich einen Arbeitgeber, der mir dies ermöglicht, das kann man nämlich schlecht als Hobby betreiben. Und wer diese Kolumne hier schon länger verfolgt, der/die hat sicher mitbekommen, dass es gar nicht die böseböse Arbeitswelt ist, die uns diese Situation aufzwingt, sondern die sehr bescheidene Krippensituation in Köln und Umgebung. Mein Mann ist nämlich in der privilegierten Situation, dass er auch vom Rheinland aus arbeiten könnte, wenn das Kind hier versorgt wäre. „Kind versorgt“ lässt sich aber gerade leider nur in Hamburg realisieren. Vielleicht ist das der Grund, warum ich es nicht schaffe, meinen Wunsch nach geistiger Herausforderung gebührend zu reflektieren.
Mir ist ehrlich noch immer nicht klar, was die Reflexion über „den gegenwärtigen Leistungsdiskurs“ mit der Reflexion über Rollenklischees zu tun hat. Mir geht es um Zuschreibungen, was eine Mutter/ein Vater zu tun und zu fühlen hat. Eltern, die ihr Kind bei den Großeltern abliefern, damit sie 1 Woche auf Malle mal so richtig die Sau raus lassen können, haben vielleicht ganz ähnliche Schuldgefühle, das bestreite ich doch gar nicht. Die Serie „Muttiblog“ ist aber ganz absichtlich mehr im Tagebuchstil gehalten, eben weil es soviele Lebensentwürfe wie es Mütter gibt. Mit anderen Worten: Diese Kolumne erhebt keinen Anspruch auf Objektivität sondern ist bewusst subjektiv.
Es ist nicht schlecht, dass du zur Arbeit gehst, Spaß daran hast und zudem auch noch einen tollen Uniabschluss hast. Ich gebe zu, dass ich in deinen Beitrag vielleicht überbewertet oder zu viel hineingelesen habe. Ich sehe nur eine Tendenz, dass uns im medialen Diskurs hauptsächlich ein Feminismus repräsentiert wird, der ganz viel subjektive Geschichten von Karrierefrauen beinhaltet. Warum mir das nicht reicht, habe ich schon deutlich gemacht. Dass du die geballte Ladung Kritik abbekommen hast und auch ein Stück weit auf dich bezogen hast, obwohl ich versucht habe meine Aussagen nicht zu sehr auf deine individuelle Lebenssituation zu beziehen und schon gar keine normativen Handlungsanweisungen zu geben, tut mir leid.
Dass du allerdings in der Art und Weise reagierst, wie du es getan hast („Reflexhafte Kapitalismuskritik“, Christa Müller Vergleich), habe ich schon auch den Eindruck, dass meine Kritik an androzentrischen, hegemonialen Strukturen und Denkmustern nicht unbedingt teilst, weil du mir ja nicht mal in der Theorie zustimmst.
Würde ich so nicht unterschreiben. In der Theorie ärgert es mich nämlich auch, dass Arbeit oft nicht so organisiert ist, dass sie in kleineren Zeiteinheiten abgearbeitet werden kann. Und das betrifft vor allem Berufe ohne akademischen Hintergrund, um mal dem Bild entgegenzuwirken, ich würde nur an weiße Akademikerinnen denken, wenn ich von Feminismus spreche… Aber ich bin nach wie vor skeptisch, ob diese Arbeitsstruktur tatsächlich auf androzentrische Denkmuster zurückzuführen ist. Deshalb sehe ich einfach keinen Anlass, warum man Arbeitsstrukturen reflektieren sollte, wenn es um das Hinterfragen von Vater- oder Mutterrollen geht. Das bedeutet aber nicht, dass ich in anderen Zusammenhängen Arbeitsstrukturen aus feministischer Sicht nicht reflektiere.
Was die Abwesenheit von dienstreisenden oder ortsfremd arbeitenden Müttern betrifft:
In Deutschland werden wir, wenn nicht beim Kind, ständig aufgefordert, uns dazu verhalten „Ist das nicht toll…“ „Fehlt dir nichts…“ „Wollt ihr das auf Dauer…“
Frauen stehen in dieser Situation unter Rechtfertigungszwang bzw. Begründungszwang. Männer werden selten aufgefordert sich dazu zu verhalten, dass sie nicht dort sind, wo ihre kleinen Kinder sind.
Die Interpretation „Frau traut es Mann nicht zu“ halte ich häufig für zu kurz gegriffen. Die abwesende Frau wird für die Situation zuhause häufig noch „zur Rechenschaft“ gezogen. Frau wird verantwortlich gemacht, ob wir wollen oder nicht.
Und die Erwartung an dienstreisende/ortsfremd arbeitende Väter ist einerseits keine Schwäche zu zeigen (z.B. indem sie nach Frau und Kind „jammern“) und andererseits ihre Freiheit zu genießen.
na, wenn das so einfach ist mit dem „zwang“: einfach nachfragen und *peng* hat man sie gezwungen!?
es bestimmt ja gottseidank noch jede/r selbst, wovon man sich gezwungen fühlt.
wieder die übliche argumetationsfigur des handlungunfähigen objektes: „frau wird … gemacht.“
frau kann aber auch selbst machen und entscheiden, inwieweit sich mit sich machen lässt.
Kurzer Einwurf: Ist nicht der Begriff „Karrierefrau“ an sich schon diskriminierend? Oder hat schonmal jemand vom „Karrieremann“ gehört?