Das „Aktionsbündnis Zwangsheirat“: Wirklich „Hand in Hand gegen Zwangsheirat“?

In der FAZ vom 29. Juli findet sich ein interessanter Artikel von Necla Kelek. Kelek ist Sozialwissenschaftlerin und hat 2005 das Buch „Die fremde Braut“ veröffentlicht, in dem sie die These aufstellt, dass islamische Religiosität ein Hindernis für eine gelungene Integration darstellen kann. Unter anderem begründet sie dies mit der Tradition der arrangierten Ehe bzw. Zwangsheirat.

Im FAZ-Artikel kommentiert und kritisiert Kelek nun die Rotterdamer Initiative „Hand in Hand gegen Zwangsheirat“, die am 15. Juli im Kreuzberg Museum vorgestellt wurde und zugleich Auftaktveranstaltung des „Aktionsbündnis Zwangsheirat“ ist. Unterstützt wird diese von Tariq Ramadan (einem „Vordenker für einen europäischen Islam“) angestoßene Initiative unter anderem vom Berliner Integrationsbeauftragten.

„Hand in Hand gegen Zwangsheirat“ will muslimischen Frauen und Mädchen eine muslimische Beratung in Sachen Zwangsheirat anbieten. Doch während die Unterstützer vor allem erfreut darüber sind, dass das Thema in der „islamischen Community“ nicht mehr tot geschwiegen wird, kritisiert Kelek die Initiative scharf. So gebe es eine muslimische Beratung nur, damit die Frauen, so Kelek, nicht mehr in Frauenhäuser flüchten „und so Allah verloren gehen“:

„Unter dem Motto ‚Gegen Zwangsheirat‘ wird also schlicht islamische Eheberatung betrieben. Dabei wird ausdrücklich die arrangierte Ehe als Modell gepriesen, auch wenn eingestanden wird, dass dabei oft Zwang im Spiel ist. (…) Vor Mischehen wird gewarnt: ‚Ein muslimischer Junge kann zwar ein christliches Mädchen heiraten, aber ein muslimisches Mädchen darf nicht einen christlichen Jungen heiraten.’“

Sie kritisiert unter anderem die Definition von Familie, die nicht die klassische Kernfamilie wäre, sondern „der Stamm“. Eine (Zwangs-)heirat ist immer die Verbindung zweier Familiengruppen, die Ehepartner werden entsprechend gewählt:

„Ramadan und seine Schüler versuchen, die Grundrechte und Werte der europäischen Zivilgesellschaft umzudeuten. Sie sprechen dem Einzelnen das Selbstbestimmungsrecht ab, definieren den Menschen als Sozialwesen und nicht als Individuum, befürworten das System der ‚Schamgesellschaft‘ mit einem fatalen Ehrbegriff. Nirgendwo in dem Büchlein (Anm. d. A.: die Info-Broschüre des Vereins) wird dem Einzelnen das Recht eingeräumt, selbst zu entscheiden, ob er überhaupt heiraten will. ‚Die Familie bildet den Kern der islamischen Gesellschaft, und die Ehe ist im Islam die einzige gestattete Weise, Familien zu gründen.‘ Seine eigene Sexualität zu leben, ist nicht statthaft.“

Kelek fordert:

„Die Initiative ist deshalb ein Etikettenschwindel. Es muss der Grundsatz gelten: Ehen von Jugendlichen unter achtzehn Jahren sind grundsätzlich als Zwangsehen zu ächten. Jedem jungen Menschen, der in die Lage kommt, von seinen Eltern gegen seinen Willen verheiratet zu werden, muss der Schutz der Gesellschaft gewährt werden.“

6 Kommentare zu „Das „Aktionsbündnis Zwangsheirat“: Wirklich „Hand in Hand gegen Zwangsheirat“?

  1. ja, es gibt pro-choice katholiken, anti-zwangsehe moslems und anti-kastenwesen hindus. warum führt das immer so zu irritationen?
    sollen sich türkinnen denn besser von zwangskatholischen (–> zwangsnichtgeschiedenen mit anderen worten sozusagen fast zwangs.. sorry, der polemische stil von kelek ist irgendwie ansteckend) caritasmitarbeiterinnen, beraten und darüber aufklären lassen, dass sie die falsche religion haben?
    ist doch zuallererst mal schön, dass es auch moslems gibt, die gegen zwangsehe eintreten…

  2. Judith, Du machst den Fehler, verschiedene religiöse Systeme, die ganz unterschiedlich zugeschnitten sind, in einen Topf zu werfen.

    Der Islam ist in seinen orthodoxen Formen nicht nur Religion im westlichen Sinn, sondern auch gleichzeitig Rechts- und Herrschaftssystem. Das war er übrigens von Anfang an.

    Dieses Recht- und Herrschaftssystem ist göttlich eingesetzt und aus Koran und der Überlieferung über Mohammed („sunna“) abzuleiten. Wie es im Einzelnen aussieht, wurde bald schriftlich festgehalten und galt dann unangefochten bis weit ins 19. Jahrhundert

    Dieses System zu ändern, bedeutet nicht nur den Befehl Gottes, unter den sich der Muslim und die Muslimin als Unterworfene/r begibt, zurückzuweisen, sondern nach den klassischen Lehren sind die wirklichen Muslime aufgerufen, die Gesetze Gottes zu erzwingen.

    Der koranische Befehl dazu lautet: das Gute, anerkannte zu befehlen und das Schlechte, nicht anerkannte zu verbieten.

    Wo immer Muslime Macht und Einfluss erlangen, setzen sich schnell diejenigen durch, die sich von den allgemein unter Muslimen anerkannten Grundsätzen leiten lassen.

    Dann beginnen die Mechanismen des psychischen und physischen Drucks zu wirken. Heute kann man in West-Europa sehr gut beobacheten, wie diese Mechanismen zu wirken beginnen.

    Mit Gewalt und Terror wird ein Klima der Angst geschaffen, das jede Kritik am Islam unterdrückt. Wo es nützlich ist, wird vom islamischen Establishment mit Lüge, die im Krieg und in der Auseinandersetzung mit Nichtmuslimen erlaubt ist, gearbeitet.

    Die ersten Opfer diese System sind immer die Frauen.

    Katholizismus und Hinduismus sind ganz anders gewebt.

    Das Christentum hat die strikten Einzelregelungen des Alten Testaments entweder abgeschafft oder zu ethischen Grundsätzen transformiert. In seiner Entstehungszeit hat es, außer was den Kaiserkult angeht, ziemlich problemlos mit dem weltlichen System des Römischen Reiches zusammengelebt.

    Später, nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches ist das Christentum in staatliche Bereiche expandiert. Von dort kann man es aber wieder zurückdrängen, ohne es als Religion zu beschädigen.

    Die vielen religiösen Systeme des Hinduismus sind in ein gesellschaftliches System eingebunden, das auf der Kaste beruht.

    Das Kastensystem ist aber nirgends, wie das islamische Recht, ein weitestgehend fixiertes Recht, das den Anspruch erhebt, alleiniges staatlichen Recht zu sein. Das Kastenwesen ist ein System gewachsener Taditionen.

    Es ist sehr schwerfällig, weil es auch mit psychischem und physischem Druck arbeitet. Aber es ist nirgends ein für alle Mal fixiert. Es ist überhaupt nicht fixiert. Es gibt überhaupt keine gemeinsame Grundlage, auf die sich die verschiedensten hinduistischen Gruppen einigen könnten, keine Orthodoxie.

    Der ist Islam ist anders! Und zwar in so gut wie allen zentralen Formen, nur am Rande, bei Aleviten beispielsweise, gelten die allgemeinen islamischen Grundsätze nicht.

    Das Hauptproblem besteht darin, den Islam primar als Religion zu betrachten. Der Islam beinhaltet natürlich AUCH eine Religion, er ist aber ein umfassendes, nicht von Menschen veränderbares System, das alles menschliche Handeln regelt.

  3. „ja, es gibt pro-choice katholiken, anti-zwangsehe moslems und anti-kastenwesen hindus. warum führt das immer so zu irritationen?“

    Es geht um die Frage ob die „Anti-Zwangsehe Moslems“ auch wirklich Anti-Zwangsehe sind.

    „Nirgendwo in dem Büchlein (Anm. d. A.: die Info-Broschüre des Vereins) wird dem Einzelnen das Recht eingeräumt, selbst zu entscheiden, ob er überhaupt heiraten will.“

    Klingt nicht danach oder?

    „sollen sich türkinnen denn besser von zwangskatholischen […] caritasmitarbeiterinnen, beraten und darüber aufklären lassen, dass sie die falsche religion haben?“

    Nöö, die beraten dann lieber Frauen und Mädchen die über eine Abtreibung nachdenken.
    Beratungstellen sollten frei von religiösem Mumpitz sein und sich wirklich um den Menschen kümmern, der Hilfe braucht.
    Nicht alle Türken sind Moslems btw.

  4. Die Kelek macht nur ständig neue Frontkämpfe auf.

    Immerhin fangen die Muslime an, das Problem überhaupt wahrzunehmen. Dass sie da noch nicht weit genug gehen, mag ja sein. Aber den Versuch gleich wieder runterzumachen, und dann noch mit der Begründung, das Islam per se die Frauenfeindlichkeit ist, hilft doch auch nicht weiter.

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