Im Zuge der so genannten „Burka-Verbote“ in Frankreich, Belgien und in Teilen Spaniens im letzten Jahr führten wir auf der Mädchenmannschaft heiße Diskussionen über den Sinn und Unsinn solcher gesetzlichen Vorstöße. In der Diskussion um das Vermummungsverbot in Belgien fragte ich mich, wer eigentlich von diesen Gesetzen profitiert: Sind es die Niqab- und Burkaträgerinnen, die sich nach dem Ablegen der Ganzkörperverhüllung plötzlich in einer ach-so-emanzipierten Gesellschaft befinden oder ist es nicht viel mehr die Mehrheitsgesellschaft, die sich eines unliebsamen Kleidungsstückes entledigt, das ihrer Meinung nach für den „gefährlichen“ Islam und Frauenverachtung steht – ohne, dass die Trägerinnen selbst dazu befragt werden.
Kriker_innen der Verbote waren und sind sich einig: Gesetzliche Maßnahmen in Form von Verboten führen nicht zu Emanzipation, sondern zu erhöhter Stigmatisierung der Burka- und Niqabträgerinnen und nähren die bereits existierenden gesamtgesellschaftlichen anti-islamischen Ressentiments. Nicht nur die Verbote, sondern bereits die Debatten um „den Islam“, „die verschleierten Frauen“ oder „die unterdrückten Muslima“ führen zu einer Verschärfung der klischeebeladenen und eindimensionalen Zuschreibungen an Muslima mit (Voll-)Verschleierung, die teils zu skurrilen Koalitionen von zum Beispiel Rechtspopulist_innen und diversen Frauenrechtler_innen führt.
Eine vor einigen Monaten veröffentlichte Studie mit 32 Burka- und Niqabträgerinnen in Frankreich bestätigt die Annahmen der Kritiker_innen: Die unter der Leitung von Naima Bouteldja und von der Open Society Foundation durchgeführte Studie beschreibt die zum Teil entwürdigenden Erlebnisse der Teilnehmerinnen nach dem Inkrafttreten des Verbots in Frankreich. Fast alle Studienteilnehmerinnen berichten von sexistischen und rassistischen Beleidigungen, wenn sie in der Öffentlichkeit unterwegs sind – teils auch von anderen Muslim_innen. Einige erlebten gar körperliche Angriffe, z.B. das Herunterreißen der Schleier. Durch die medial angeheizte Diskussion und das Verbot werden Mitmenschen auf der Straße also plötzlich zu Hüter_innen von Recht und Ordnung. Die mögliche Konsequenz: Jene Frauen, die vom Gesetz betroffen sind, meiden öffentliche Einrichtungen und Plätze, um den Anfeindungen aus dem Weg zu gehen. Die Möglichkeiten zur Ausübung eines Berufes oder einer ehrenamtlichen Tätigkeit sind dadurch enorm eingeschränkt: Vollverschleiert fallen diese Optionen weg.
Das Fazit der Studie: Durch das französische Verbot sind Niqab- und Burkaträgerinnen einer erhöhten Stigmatisierung ausgesetzt, hören vermehrt diskriminierende Äußerungen, sind teilweise von körperlichen Übergriffen und von (räumlicher) Isolation betroffen. Emanzipation? Sieht wohl nicht so aus.
Links und Beiträge zum Thema:
- Hilal Sezgin: Feminismus als antiislamisches Argument.
- Burka-Verbote in Frankreich und Belgien
- Selber kämpfen, statt befreit zu werden