Hinweis: Der in der Überschrift mit Splat versehene Begriff wird im Text mehrfach ausgeschrieben. Im verlinkten Video wird außerdem sexistische und rassistische (Bild-)Sprache reproduziert.
Zum Wochenende kamen quasi zeitgleich mehrere teilweise ziemlich begeisterte Posts durch meine Facebook-Timeline, die das neue Video des Rappers Lupe Fiasco zu dessen Song „Bitch Bad“ thematisieren. Im Deutschen wird ‚bitch‘, wörtlich: ‚Hündin‘, häufig mehr schlecht als Recht mit Begriffen wie ‚Schl*mpe‘ oder auch ‚M*stst*ck‘ übersetzt.
Lupe Fiasco gilt als Vertreter des Conscious Rap, bei welchem Texte und Performance vor allem politisch oder sozialkritisch motiviert sind (‚conscious‘ = bewusst). Der Song soll nach eigenem Bekunden eine Diskussion über den Gebrauch und die verschiedenen Bedeutungen des Wortes ‚bitch‘ anregen – ein Anliegen, dass sicher nicht nur bei vielen Hip-Hop-affinen Frauen* grundsätzlich erstmal auf Wohlwollen stoßen wird. Gleichzeitig wird im Video die rassistische Praxis des Blackface aufgegriffen und problematisiert – Dodai Stewart interpretiert dies so, dass Lupe Fiasco damit eine Parallele zwischen dem Hip-Hop-Business und Minstrel Shows zieht.
Der Song selbst ist anscheinend schon etwas länger draußen, jedenfalls hat das Crunk Feminist Collective bereits Ende Juni einen Artikel darüber gebracht. Letzten Donnerstag hat dann auch Dodai Stewart auf jezebel den Song und das Video besprochen. Dieser Artikel ist besonders deshalb lesenswert, weil Stewart noch einmal an die gegensätzlichen Bedeutungen des Wortes erinnert und an die empowernde Verwendung von ‚bitch‘ als Selbstbezeichnung – eine Ebene, deren Komplexität in dem Song leider zu kurz kommt bzw. gänzlich delegitimiert wird.
Online wird es bisher überwiegend positiv aufgenommen, dass ein relativ bekannter und kommerziell erfolgreicher Rapkünstler seinen Einfluss nutzt, den Blick der Hip Hop-Community auf einen Aspekt der Misogynie, die besonders diesem Genre zugeschrieben wird¹, zu richten. Auch CFC-Autorin crunctastic, nach eigenen Angaben Lupe-Fan, freut das. Doch sie fragt weiter: Befördert der Song den Gender-Diskurs im Hip Hop? Funktioniert dieser Versuch, das im (kommerziellen) Rap so machtvolle „Bad Bitch“-Mem zu untergraben? Ihre Antwort: Leider eher nicht. So schreibt sie:
There is also my troubled sense that for all Lupe’s trying and despite the sincerity and potential truths of his critique, it is Black women and girls who come off as the villains and not the victims here. The young man in the song gets his confusion from watching his mother uncritically sing along to the copious “Bad Bitch” anthems of our times. The young woman gets her questionable ideas about Black womanhood from paying more attention to the willing video vixens than the rappers who pay them. In the end, the boy has a grip on “reality,” while the girl is “caught in an illusion.” The root of the problem becomes in Lupe’s estimation, gender role confusion, wrought by Black women’s failure to parent their sons and mentor their daughters more proactively.
Ich habe auch den unangenehmen Eindruck, dass, trotz Lupes Bemühung und trotz der Aufrichtigkeit und eventuellen Wahrheiten in seiner Kritik, es Schwarze Frauen und Mädchen sind, die hier als die Schurkinnen anstatt Opfer wegkommen. Der junge Mann im Song trägt seine Verwirrung dadurch davon, dass er erlebt, wie seine Mutter unkritisch all diese „Bad Bitch“-Hymnen unserer Zeit mitsingt. Die junge Frau erwirbt ihre fragwürdigen Vorstellungen von Schwarzem Frausein dadurch, dass sie den willigen Darstellerinnen in den Videos mehr Aufmerksamkeit schenkt als den Rappern, die diese bezahlen. Am Ende hat er die „Realität“ im Griff, während das Mädchen „in einer Illusion gefangen“ ist. Die Wurzel des Problems ist in Lupes Interpretation die Verwirrung der Geschlechterrollen, erzeugt durch das Versagen Schwarzer Frauen, ihre Söhne vorausschauender zu erziehen und entsprechend als Mentorin ihrer Töchter zu handeln.
Sie kommt dabei auch auf die zentrale Rolle zu sprechen, die die soziale Position der_des Sprechenden für die Bedeutung des Gesagten einnimmt – gerade auch, wenn es darum geht, oppressive Zustände anzuprangern:
His perspective is limited […] because he’s sympathetic to a male point of view. The thing is, I don’t think the male point-of-view he offers is the truth. Privileged perspectives (white, male, straight, able-bodied, etc) can never be seen as the final word on what is true when they aim to try to tell the truth about the experience of less privileged groups.
Seine Perspektive ist begrenzt, […] denn er identifziert sich mit einem männlichen Standpunkt. Der Punkt ist: Ich denke nicht, dass die männliche Perspektive, die er anbietet, die Wahrheit ist. Privilegierte Perspektiven (weiß, männlich, nicht-behindert usw.) können niemals als das letzte Wort darüber, was wahr ist, betrachtet werden, wenn sie darauf abzielen, die Wahrheit über die Erfahrungen weniger privilegierter Gruppen zu berichten.
Vor diesem Hintergrund wirkt auch die ausgiebige Verwendung des Wortes ‚bitch‘, sei es auch in noch so kritisierender Absicht, durch einen männlichen* Künstler nicht subversiv. Auch ein sozialkritischer Rapper kann ‚bitch‘ nur als Fremdbezeichnung benutzen – hier wird keine Tradition durchbrochen, sondern reproduziert. Eine eigenartige Methode, wenn man gerade den Gebrauch eines Wortes kritisieren möchte…
In der unbedingt lesenswerten Diskussion zum Artikel macht die Autorin ihren Standpunkt nochmals klar:
This critique could’ve been just as effective without blaming women for their poor and inattentive mothering. What is clear is that Lupe sympathizes with the male character in his song the most. The young man is confused by the conflicting messages, and as patriarchy goes, he blames women for “sending” him confusing messages rather than thinking about the mostly male rappers that put out the confusing messages in the first place.
That said, I liked the song. […] I think as Hip Hop music goes in the mainstream that it does very good work. But the standard is not “how much doesn’t he engage in stereotypes,” but rather does he provide us a new way to think, to see things, to experience them. I don’t think so. As new as it sounds to the young folks who hear it, the fact is that it is a recycling of outdated Black nationalist stereotypes about proper Black womanhood, and I think young women deserve more than bitch/lady and virgin/ho dichotomies in which to construct their lives. […]
And I concede that Hip Hop culture is confusing, as I also said in a couple of places in the post. But [the artist] seems to have very clear notions about who is responsible for the confusion or at least who can solve it, and for him, that’s women.
Diese Kritik [am Gebrauch des Wortes „bitch“] hätte genauso effektiv sein können, ohne Frauen des schlechten und unachtsamen Mutterseins zu beschuldigen. Es ist klar, dass Lupe mit dem männlichen Charakter im Song am stärksten mitfühlt. Der junge Mann ist von widersprüchlichen Botschaften verwirrt, und wie es im Patriarchat so läuft, beschuldigt er Frauen, dass sie ihm widersprüchliche Botschaften „schicken“ würden, anstatt über die vorwiegend männlichen Rapper nachzudenken, die die verwirrenden Botschaften überhaupt erst aufgebracht haben.
Nichtsdestoweniger gefiel mir der Song. […] Ich denke, als Hip Hop, der in den Mainstream gelangt, macht er seine Sache sehr gut. Aber der Maßstab ist nicht „wie sehr hält er sich von Stereotypen fern“, sondern ob er uns eine neue Weise zu denken, Dinge zu sehen, zu erfahren verschafft. Ich glaube, das tut er nicht nicht. So neu wie er für die jungen Leute, die ihn hören, klingen mag: Tatsache ist, dass hier überholte Stereotype, die in der Tradition des Black Nationalism stehen, über richtiges Schwarzes Frausein verwendet werden, und ich finde, junge Frauen verdienen mehr als ‚bitch’/Lady- und Jungfrau/Hure-Dichotomien, an welchen sie ihre Leben ausrichte sollen.
Und ich gebe zu, dass die Hip-Hop-Kultur verwirrend ist, wie ich hier schon mehrfach gesagt habe. Doch [der Künstler] scheint eine ziemlich klare Vorstellung davon zu haben, wer für diese Verwirrung verantwortlich ist oder zumindest, wer sie beheben kann, und für ihn sind das Frauen.
In diesem Zusammenhang sei auch ein Artikel empfohlen, den Tamara Winfrey Harris für – wie passend! – die aktuelle Ausgabe des US-amerikanischen Bitch Magazine geschrieben hat: No Disrespect – Black Women and the Burden of Respectability.
¹Der Beweis, dass Rap tatsächlich insgesamt frauenfeindlicher ist als Rock, Chartspop oder andere (darüber hinaus vorwiegend weiß konnotierte) Musikrichtungen, wurde zumindest meines Wissens bisher nicht erbracht
Was hat es denn mit der Heimlichtuerei bei den *nen auf sich? Es gibt doch keinen rechtlichen Grund in Deutschland, den zu benutzen!
Trigger Warnung *Vergewaltigung*
hier ein Musikvideo von Dalan Balan-„Justify Sex“, es stellt Vergewaltigung als natürlich und von Frauen gewünscht dar, zu Beginn wird das Opfer als eine Frau vorgestellt , welche ihrem Verlobten „untreu“ ist, und als solche die Vergewaltigung zu genießen scheint oder verdient, keine Ahnung was dieser Mist soll, schon lange nicht mehr so gekotzt
http://youtu.be/FWHC2hxCjtE
Auch hier gibt’s einen Beitrag zum Video von Lupe Fiasco, fand auch die Kommentare dazu interessant (ist allerdings alles auf Englisch):
http://www.msafropolitan.com/2012/08/on-bitch-bad-by-lupe-fiasco.html
@Karokaro: Danke für den Link.
Noch ein ganz spannender Text zum Thema (nicht nur über das Lupe Fiasco-Video), ebenfalls auf Englisch: http://www.theatlantic.com/entertainment/archive/2012/08/raps-long-history-of-conscious-condescension-to-women/261651/
@Christoph Knappe: Es gibt aber (auch in Deutschland) ja noch andere Gründe, Dinge zu tun oder zu lassen, als rechtliche… Wenn du hier ins Blog-Suchfeld oder in eine andere Suchmaschine mal „Triggerwarnung“ oder „Splat“ eingibst, wirst du sicher die eine oder andere Info dazu finden, warum das nichts mit Heimlichtuerei zu tun hat.