Am Montag fand die vom Missy Magazine initiierte Diskussionsrunde zu #Aufschrei statt: „There is more to sexism than meets the eye„. Explizit sollten an diesem Abend Perspektiven Raum bekommen, die in der #Aufschrei-Debatte zu kurz gekommen sind, im Sinne von: Sexismus kann nie getrennt von anderen Unterdrückungen betrachtet werden und existiert immer in Verbindung mit z.B. Rassismus, Heteronormativität und Lookism. Eingeladen wurden Nana Adusei-Poku (Theoretikerin der Visual Culture & Postcolonial Studies), Angela McRobbie (Kulturtheoretikerin), Jasmin Mittag (Gründerin „Wer braucht Feminismus?“), Sookee (queere Rapperin) und Anne Wizorek (#aufschrei), moderiert hat Sonja Eismann (Missy Magazine-Herausgeberin).
Neugier, auch wie es nun nach #Aufschrei weitergehen kann, lockte die Besucher_innen ins Berliner Hau-Theater. Dieses war bis auf den letzten Platz ausverkauft. Vor dem Eingang gab es einige enttäuschte Gesichter, die keine Karte mehr ergattern konnten. Keine Frage: Es schien einer dieser feministischen ‚places-to-be‘ zu sein an diesem Montagabend.
Angela McRobbie eröffnete die Veranstaltung mit ihrer Keynote. Sie beschrieb bilderreich, wie Sexismus durch krasse Schönheitsideale am Leben erhalten bleibt. Und wie sehr ein „ironischer“ auf neoliberalen Logiken aufbauender Sexismus in den letzten Jahren boomte, einer der von Medienleuten zwar durchschaut, aber trotzdem gerne z.B. in der Werbung herangezogen wird – getreu dem Motto: anything goes. McRobbie wies auch auf neue Formen des Antifeminismus hin, die sich insbesondere durch Medien, Popkultur und die Zivilgesellschaft zeigen. Sie nannte populäre Aussagen wie etwa „Der Feminismus geht zu weit“, „das Ende des Mannes“ und „die schlechten Leistungen der Jungs“, um feministische Forderungen zu entkräften. Weiter sprach sie von drei Aspekten, die Herausforderungen für heutige feministische Politik darstellen: 1.) Das durch Konsumkultur ständig aufrecht erhaltene, gewaltvolle „Gefangensein“ im eigenen Körper bei gleichzeitiger Anrufung, nicht mehr das Opfer zu sein (oder sein zu wollen); 2.) der Aufschwung eines so genannten corporate feminism, der auf individuelle Erfolgsstories setzt und Misserfolge privatisiert (siehe: Sheryl Sandberg’s Buch „Lean In“, 2013) und 3.) die damit einhergehende Dethematisierung von sozialen Ungleichheiten und dem (meritokratischem) Mythos von weiblichem Erfolg allein durch Leistung.
Eine Frage aber drängte sich nach dem Vortrag auf: Warum wurde gerade diese Perspektive als Keynote gewählt? McRobbies Beitrag kritisierte zwar konsequent einen neoliberalen Individual-Feminismus, der sich perfekt in den Kapitalismus einbettet, liess aber an anderen Stellen Intersektionalität vermissen. Immer wieder machte sie eine Dichotomie zwischen „jungen Feminist_innen“ und „alten Feminist_innen“ auf – eine Perspektive, die gerade unterschiedliche Positionen unsichtbar macht. Zudem zielte McRobbies Kritik sehr auf die Sozialen Netzwerke ab, allen voran Facebook. Es fehlte aber eine differenzierte Betrachtung auch der Chancen dieser Medien, eben gerade für (feministischen) Aktivismus. Immerhin stand an diesem Tag die #Aufschrei-Aktion im Mittelpunkt, die ohne das soziale Netzwerk Twitter nicht hätte geschehen können.
Nach einer zehnmütigen Lufthol-Pause ging es mit der Podiumsdiskussion weiter. Wichtige Fragen an diesem Abend waren: Was ist von der #Aufschrei-Debatte übriggeblieben? Lag es an der Komplexitätsreduktion der Mainstreammedien, dass Sexismus häufig isoliert betrachtet und eindimensional auf „Männer vs. Frauen“ runtergebrochen wurde oder fehlten feministische Inputs zu komplexer Sexismuskritik und Mehrfachdiskriminierung? Nana Adusei-Poku stellte gleich zu Anfang fest: „Intersektionalität war in der #Aufschrei-Debatte nicht wirklich vorhanden.“ Anne Wizorek, die sich den Twitter-Hashtag zu #Aufschrei ausgedacht hatte, sieht den Fehler bei den Mainstream-Medien, denn die Aktion selbst sei vielfältiger gewesen, betonte sie. Angesprochen auf die Ironie, dass gerade sie das Gesicht dieses in den Massenmedien behandelten Feminismus wurde, beantwortete sie mit dem Verweis, dass die Mainstream-Medien die vielen Feminist_innen nicht sehen würde, die jeden Tag feministisch arbeiten. Es sei wie Alice Schwarzer reloaded.
Dass sich Sexismus auch im Gewand von rassistischen Stereotypen wie etwa der Exotisierung von schwarzen Frauen*/ of Color, Klassismus und heteronormativen Lebensweisen zeigt, wurde von Adusei-Poku angedeutet, indem sie auf die unterschiedliche Rezeption und Symboliken von Schwarzen und weißen Körpern einging. Dies wurde im Laufe der Podiumsdiskussion mit der Analyse zu #Aufschrei leider nicht verknüpft.
Gerade hier böten sich (selbst-)kritische Fragen an: Welche Unterdrückungserfahrungen wurden von den #Aufschrei-Aktivist_innen in ihren Tweets thematisiert, wieso bedurfte es überhaupt eines Extra-Hashtags für #queeraufschrei (der Erfahrungen unabhängig vom offiziellen #Aufschrei-Hashtag sammelte), wer kam zu Wort in massenmedialen Erzählungen zu #Aufschrei, wer saß auf Podien, in den Talkshows und gab Interviews? Über welche Erfahrungen wurde dann gesprochen, welche fielen hinten runter? Im Zuge von #Aufschrei wurde in letzter Zeit und auch auf der Podiumsdiskussion von Kompromissen gesprochen, die gemacht werden müssten, um den sexistischen Alltag zu beschreiben, so dass es auch nicht „zu kompliziert“ werde (siehe O-Töne in der Berliner Zeitung von Anne Wizorek).
Statt weiter auf diese Problematiken einzugehen, war die erste Publikumsfrage eine, die oft in der „Sexismusdebatte“ ™ gestellt wird: „Was kann getan werden, damit sich auch Männer für Feminismus interessieren?“ Anne Wizorek resümierte, dass durch #Aufschrei Männer auch ein Bildungsangebot erhielten und viele dadurch erkannt hätten, dass Sexismus nach wie vor relevant sei. Adusei-Poku sah in der Fragestellung ein heteronormatives Moment. Denn genau darin liegen ihrer Meinung nach auch die Fallstricke der aktuellen #Aufschrei-Debatte, da sie zwar auf ein gesellschaftliches Problem hinweisen, aber auch selbst ein „Mann-Frau“ Bild erzeugen und bestätigen. Die Mehrdimensionalität von Sexismus, die Adusei-Poku als „vielköpfige Hydra“ bezeichnete, könne so nicht gut transportiert werden.
Dass ein Mitdenken von verschiedenen Machtverhältnissen schwierig sein kann, wenn mensch von ihnen nicht betroffen ist, ist nachvollziehbar. Aber letztendlich geht damit auch eine Nichtthematisierung bzw. ein Nichtmitdenken von Mehrfachdiskriminierung zu Lasten der Betroffenen einher. Solche Aspekte sprach die Moderatorin Sonja Eismann auf der Podiumsdiskussion an, sie wurden aber oftmals nicht weiterverfolgt bzw. zu einem Problem der Mainstreammedien gemacht. Dieser Punkt sollte allerdings eine zentrale Frage in der Auswertung der #Aufschrei-Debatte darstellen. Was wurde vom #Aufschrei gelernt, so dass vielleicht weniger die Frage nach „den Männern“ oder der (Un)Möglichkeit des Flirtens im Vordergrund steht – was auch von einigen #Aufschrei-Initiatorinnen in der medialen Darstellung der Debatte kritisiert wurde – sondern die Frage in den Mittelpunkt gestellt wird, wie Mehrfachdiskriminierungen sichtbarer werden und gleichzeitig gesellschaftliche Veränderungen bewirkt werden können. Wie kann eine Debatte geführt werden, die eben die Vielschichtigkeit von Diskriminierung „einfach“ benennen kann, so dass die Botschaft dennoch eine klare bleibt.
Es ist ein Erfolg der #Aufschrei/Sexismus-Debatte, dass die Antidiskriminierungsstelle einen erhöhten Zulauf von Betroffenen von Sexismus verzeichnet, die sich Hilfe suchen, wie Wizorek anmerkte. Doch wie kann und soll es nun weitergehen? Insgesamt ist unser Resüme zur Podiumsdiskussion durchwachsen: Ein paar Ideen wurden durchaus angesprochen; so plädiert Sookee für eine bessere und kritische Ausbildung von Pädagog_innen und McRobbie empfiehlt Feminist_innen den „langweiligen Marsch“ durch die Bürokratie, um feministische Politiken voranzutreiben. Was von dem Abend bleibt, ist die Perspektive „Weitermachen“. Zu wenig wurde allerdings über konkrete Alternativen und Ideen gesprochen, wie feministischer (Online-)Aktivismus in Zukunft stärker komplexe Machtverhältnisse berücksichtigen kann. Auch da heißt es für uns alle: „Weitermachen“.
Den Text schrieben Sabine, Magda und Charlott.