Fußball, Homophobie, Tabu – drei Begriffe, die wie füreinander gemacht scheinen. Kaum ein Text über das Thema Homosexualität und gesellschaftliche Anerkennung, der ohne einen Verweis auf die noch gänzlich straighte Bastion des Männerfußballs und dessen homophoben Auswüchse auskommt, ganz so, als wäre Homophobie im Rest der Gesellschaft ein überwundenes Übel. Das ist, wie so oft, nur ein Teil der Wahrheit. Tatsächlich ist das Thema in den vergangenen Jahren im Fußball vermutlich so viel behandelt worden wie in kaum einem anderen Bereich außerhalb der schwul-lesbischen oder queeren Communities. Schwullesbische Fanklubs gibt es mittlerweile bei fast allen Bundesligavereinen, sie machen Aktionen gemeinsam mit Klubs, DFB und anderen Fangruppen. Allein, es fehlt der schwule Profi, der sich outet. Wie es ihm damit tatsächlich erginge, ob und wie viel Anfeindungen und durch wen er zu erleiden hätte, darüber wird viel spekuliert. Das Beispiel des walisischen Rugby-Spielers Gareth Thomas, der sich vor einem Jahr outete, könnte da allerdings sogar eher Mut machen.
Anders geht es im Frauenfußball zu, auf der anderen Seite der Medaille „Harter Männersport“ steht nämlich „Lesbensport“. Das jedoch bedeutete bis vor einigen Monaten nicht unbedingt, dass es deswegen auch offen lesbische prominente Spielerinnen, etwa aus dem Nationalteam, gegeben hätte. Auch hier war die Angst davor, was Sponsoren, Medien, Verein oder Verband dazu sagen, anscheinend zu groß. Die Medien allerdings interessieren sich nur mäßig für die kickenden Lesben, schon gar nicht, wenn sie sich auch noch selbst outen. Bereits im Juli verpartnerte sich die Nummer zwei im deutschen Tor, Ursula Holl, mit ihrer Lebensgefährtin. Und Ende November zog die Nummer eins, Torfrau Nadine Angerer vom 1. FFC Frankfurt, nach: Buchstäblich am Rande, nämlich zum Schluss eines längeren Interviews, das sie der Zeit gab, ging es auch um Privates:
ZEITmagazin: Es gibt ja immer diese Gerüchte, dass es im Fußball mehr lesbische Frauen gibt als anderswo. Wie stehen Sie zu diesem Thema?
Angerer: Ich persönlich bin da offen, weil ich der Meinung bin, dass es nette Männer und nette Frauen gibt, und weil ich eine Festlegung generell total albern finde.
ZEITmagazin: Und Sie können beide Seiten leben?
Angerer: Auf jeden Fall.
Dass Nadine Angerer bisexuell ist, damit offensichtlich ganz gut leben kann und auch bereit ist, dies in einem Interview zu thematisieren, hätte möglicherweise weiter niemanden interessiert. Bei den Frauenfußball-Websites www.womensoccer.de und http://ffmagazin.com/ etwa waren in den vergangenen zwei Wochen die WM-Auslosung 2011 und der laufende Ligabetrieb irgendwie interessanter. Als sich jedoch die Bild des Themas annahm, sorgte das dafür, dass andere Medien nachzogen und auch die Welt, der schweizerische Tagesanzeiger oder das Oberbayrische Volksblatt meldeten: „WM-Torhüterin Nadine Angerer outet sich als bisexuell.“ Das war der taz anscheinend alles nicht spektakulär genug: „Aufregung über bisexuelle WM-Torhüterin“ hieß es dort und „Jetzt zerreißen die Medien sie, und im Netz wird die deutsche WM-Torhüterin als Heldin gefeiert wegen ihres Mutes, und sie wird infrage gestellt: Na, was soll das denn für ein Frauenfußball sein?“ Wer genau Angerer „zerreißt“, so konkret wird die Autorin leider nicht. Die Bild war’s zumindest nicht, dort ist sie weiter „unsere WM-Torhüterin“, auch wenn sie dem Blatt auf neugierige Nachfrage nach ihrem aktuellen Liebesleben völlig zutreffend beschied: „Das hat niemanden zu interessieren.“ (Ein Screenshot der Bild-Schlagzeile und ein wenig Gespött darüber findet sich beim Frauenfußball-Blog spielfeldschnitte, der Link zum Artikel selbst sollte ebenfalls leicht auffindbar sein). Dass nicht alle Menschen lesbische, bisexuelle und überhaupt fußballspielende Frauen schätzen, ist unerfreulich, aber das sollte keine Nachricht, die als „Aufreger“ markiert ist, wert sein. Dass einige dieser Menschen zudem auf der taz-Website Artikel kommentieren, ist vielleicht auch nicht so überraschend.
Die Lehre daraus: Was für die Medien aufregend ist oder nicht, bestimmt selbst beim Frauenfußball doch eher die Bild als die taz. Eine bisexuelle Frau im deutschen Tor ist es aber anscheinend nicht.
Kleine Info für die, die‘ s interessiert: L-MAG hatte das Thema in Ausgabe 10/Nr. 4 (Juli/August 2010) als Schwerpunkt.
So gehen die Medien eben vor: sie berichten, dass „man“ über etwas berichte, und dann können sie darüber wieder berichten. Gut, dass das nicht immer geht.
Was mich nervt, ist dieser arrogante Ton Angerers: „… weil ich eine Festlegung generell total albern finde“. Das is ein unnötiger Angriff auf Leute, die sich als rein hetero- oder homosexuell bezeichnen und kommt damit der Entwicklung zur sexuellen Vielfalt nicht gerade entgegen. Das wäre ja genauso, als würde ich sagen, dass ich es total doof fände, wenn man sich vom gleichen (homophob) oder vom anderen Geschlecht (heterophob) angezogen fühle.
„Die Lehre daraus: Was für die Medien aufregend ist oder nicht, bestimmt selbst beim Frauenfußball doch eher die Bild als die taz. Eine bisexuelle Frau im deutschen Tor ist es aber anscheinend nicht.“
Na, das ist doch gut so, dass solch eine Angelegenheit im Jahre 2010 keinen Skandal in den Medien mehr erzeugt. Sehts mal so: man/frau kann sich heutzutage outen und es wird als völlig normal hingenommen. Find ich gut so : )
Wie blauäugig muss Frau sein um so eine Diskussion zu führen.
Ja, die Medien machen die Musik und ich habe sie in den letzten Jahren genutzt wo und wann ich konnte um die Situation von Trans, Bi und Homo im Spitzensport nicht vergessen zulassen. Zumindest war diese Arbeit konkret, nicht nur am Thema sondern auch an den Menschen. Das pseudowissentschaftliche und ach so „tolerante, aufgeklärte“ Mainstreamgejammer schadet allen und gerade die ach so verständnisvollen „BedauerInnen“ opfern für ihr Verdrängen gemeinsame, solidarische Entwicklung und damit konkrete Erfolge. Da muss Frau dann lernen mit den Meinungsverbiegern von den Medien umzugehen. Ob diese beim Stern, beim Spiegel, bei der Bild oder im öffentlich rechtlichen sitzen.
Seit doch froh das, dass Thema überhaupt noch lebt. Davon einmal abgesehen, habe ich für viele vielleicht erstaunlich, gerade mit SportBild in 2007 und 2008 extrem fair, differenziert und respektvoll zusammen gearbeitet. Die Folge war das Herr Zwanziger planbare Ideen zudem Thema wollte und auch bekommen hat. Frage war allerdings schon damals, was geht indem rückständigen und unzeitgemäßen DFB zeitnah und überhaupt ? So schnell werden die verkalkten Herren Funktionäre ihre mittelalterlichen Denkweisen nicht verlieren, da braucht es eine neue, eine zeitgemäße Funktionärsplattform. Einige wenige hatte ich auch als aktive SR, nach Outing, dass Glück kennen zu lernen. Darum kann ich auch Nadine Angerer gut verstehen, die wenigen ehrlichen, ohne Lebenslüge, die welche selbst geoutet sind, haben das Recht ihr Ding zuleben und offen, deutlich zu artikulieren.
Es geht halt auch ohne Lebenslüge und ohne falsche Scham und die welche den Schritt gegangen sind , fragen sich dann: „.. was für Diskussionen ?“
Marie
@Julian
Sich selbst als bisexuell zu bezeichen, weil mensch nicht ausschließlich hetero- oder homosexuell leben möchte, sollte zunächst respektiert statt merkwürdig interpretiert werden. Oder standest du neben Angerer, als sie das gesagt hat? Kennst du ihre Einstellung zu sexuellen Orientierungen?
@cloudless_sky
dass sich Angerer als bi outen konnte, ohne dass es mensch juckte, hat leider (auch) andere Gründe als die Toleranz unserer Gesellschaft. Und es macht definitiv einen Unterschied, wer sich im Fußball outet. Ich hatte dazu an anderer Stelle mal etwas geschrieben, wenn du Lust hast:
http://missy-magazine.de/2010/06/14/homophobie-im-fusball-alles-eine-frage-von-geschlechterinszenierungen/
@ Nadine
WTF?! Julian hat lediglich auf Angerers “… weil ich eine Festlegung generell total albern finde” kritisch reagiert.
Nicht auf ihre Selbstbezeichung als bisexuell!
(Ihre „Begründung“ fand ich im übrigen auch etwas arrogant gegenüber den eindeutig hetero- oder homosexuell Ausgerichteten.)
@Nadine
Natürlich verdient sie meinen Respekt, wenn sie an die Öffentlichkeit geht und zu ihrer Bisexualität steht. Hätte ich noch dazu schreiben sollen. Aber wieso darf ich sie nicht kritisieren, wenn sie gegenüber anderen Einstellungen Respekt vermissen lässt?
Und ihre Einstellung zu sexuellen Orientierungen hat sie doch im Interview mit der von mir zitierten Stelle offengelegt: Sie findet es „total albern“, wenn man sich auf ein Geschlecht festlegt.
Also: Ich bin schwul, lege mich somit bewusst auf ein Geschlecht fest. Interpretation: Ich bin (bzw. meine Einstellung/sexuelle Orientierung ist) für Nadine Angerer total albern.
@Julian und pika: Ich habe Angerer eher so verstanden, dass sie die ganze Diskussion im Frauenfußball und das Festgenagelt-werden auf eine sexuelle Orientierung blöd findet, nicht sexuelle Orientierung an sich. Es geht in der Frage ja auch explizit um ihre Meinung zu den Gerüchten – sie wird nicht gefragt, wie sie nun Lesben fände.
Zu dem Angerer-Zitat: Ja, glaube ich auch eher, dass es so gemeint ist, wie Helga sagt, gerade im Kontext von Fußball mit dem Image Lesbensport. Dass man die Bedeutung „Sich auf hetero- oder homosexuell zu festzulegen, finde ich albern“ ohne den Kontext auch reinlesen kann, finde ich auch, aber wie gesagt, ich denke, das ist es hier nicht.
@Nadine: ja, genau, es kommt drauf an, wer sich outet und wo, aber es gibt da im frauenfußball eben mehrere schleifen in der debatte. von der Annahme, es seien eh alle out, bis zu der taz-Sehnsucht nach dem Aufreger und mittendrin der DFB, der sich mit seinem „20Elf von seiner schönsten Seite“-Slogan auch noch mal wieder in eine unglückliche Rolle manövriert hat.
Ist doch erfreulich, zu sehen, daß eine prominente Person sich problemlos als bi outen kann und keiner sich drüber aufregt. Ich halte das für einen Fortschritt.
Den Vorwurf der Arroganz kann ich nicht nachvollziehen. Angerer war offensichtlich leicht genervt von diesem Klischee: Frauen im Fußball sind doch alle lesbisch. Das Klischee gilt natürlich für alle Hochburgen der Maskulinität, auch Kampfsport, Basketball, Football usw. Kommt von dem Klischee, daß Lesben keine Frauen sind und deshalb in die Männerbereiche eindringen. Zu viel Testosteron oder so?
Ich habe ihre Äußerung nicht so verstanden, daß sie monosexuelle Menschen bescheuert findet, sondern daß sie keine Lust hat, ihre Erfahrungs- und Erlebensmöglichkeiten zu beschneiden. Das klingt für mich völlig vernünftig und nicht nicht gegen andere sondern für die eigene Freiheit.
“… weil ich eine Festlegung generell total albern finde”.
Also ich verstehe das überhaupt nicht als Angriff. Im Gegenteil: mir ist sehr sympathisch dass sie damit auch darauf hinweist, dass Geschlecht und Begehren fluide sind und Festlegungen meist nur einen normativen Diskurs befriedigen. Obwohl natürlich aus so einem kurzen Zitat nicht ersichtlich wird, ob dieser Hinweis so von ihr beabsichtigt ist.