Wir freuen uns über einen Gastbeitrag von Atif Hussein. Atif ist Regisseur, Szenograph, Autor aus Berlin. Er ist u.a. bei der Initiative Bühnenwatch aktiv und bloggt unter atifhussein.wordpress.com.
Die sich als links-alternativ verstehende Rockband Knorkator hat sich für ihr neues Album ein stereotyp rassistisches Artwork ausgesucht. Der folgende Brief ist eine Antwort an den Musikchef von rbb – Radioeins, Peter Radszuhn, nachdem dieser als Medienpartner für die Bewerbung des Albums auf ein erstes Anschreiben mit vertrauten Abwehrfloskeln reagiert hatte:
Bei Knorkator handelt es sich um eine aus dem alternativen, linken Szeneumfeld stammende, satirische Berliner Rockband. Entdeckt und gefördert wurden Knorkator u.a. von Rio Reiser und Rod Gonzales („Die Ärzte“). Die band stand und steht nie im Veracht, reaktionär oder rassistisch zu sein oder zu handeln.
Das neue Album basiert auf dem Kinderbuchklassiker „Der Struwelpeter“ von Heinrich Hoffmann. Das Artwork lehnt sich an die Illustrationen der Original – Ausgabe an. Mit Rassismus hat das aus unserer Sicht nichts zu tun.
Content Note: Der Autor hat in diesem Fall bewusst darauf verzichtet, gewaltvolle Begriffe unkenntlich zu machen, um dem Adressaten seinen Punkt klarzumachen.
Sehr geehrter Herr Radszuhn,
vielen Dank für Ihre schnelle Antwort.
Ich brauchte etwas Zeit.
Sie bitten mich, meinen „Standpunkt noch einmal zu überdenken“.
Nun, schon so lange ich denken kann, denke ich darüber nach, warum ich von Menschen in meiner Umgebung „Mohr“, „Mohrle“, „Neger“, „Nigger“, „Dachpappe“, „schwarzes Schwein (oder auch Sau, je nach dem)“, „Kanake“, „Kamelficker“ … genannt werde. Und das von den „buddies“ im Kindergarten, den Mitschüler_innen aus meiner Klasse, während des Studiums dann von „meinen“ Kommiliton_innen und später von Kolleg_innen bei der Arbeit … Dabei habe ich einen schönen Namen, wie ich finde. Ich habe ihn mir von meinem Vater übersetzen lassen, da ich nie gelernt hatte, arabisch zu sprechen. Atif bedeutet ‚Der Gütige‘ oder auch ‚Der Liebe Gebende‘. Gut, das wissen die wenigsten, die nicht arabisch sprechen oder sich mit den sogenannten ‚Neunundneunzig Namen von Allah‘ auskennen. Geschenkt. Aber an diesem Unwissen, dachte ich dann irgendwann, kann es wohl nicht liegen, daß Menschen lieber eines der oben aufgeführten Worte benutzen, anstatt mich bei meinem Namen zu nennen.
„Mohrle“, so dachte ich, heißen Katzen im Kinderlied. „Ruhig, Brauner“, so dachte ich, raunt man unruhigen Pferden zu. Meine Mutter fragte ich, als ich aus dem Kindergarten kam, warum mich die anderen Kinder immer ‚Jäger‘ rufen. Ich war fest überzeugt, kein Jäger zu sein. Sie konnte es mir nicht erklären. Heute weiß ich warum.
Als ich anfing, selbst zu lesen, fand ich einige dieser Wörter wieder. In Kinderbüchern. In Jugendbüchern. In Geschichtsbüchern. In Biologiebüchern. In Theaterstücken. In Zeitungen und Zeitschriften …
Dann kamen die Bilder. In Büchern, Comics, Filmen: Seltsam schwarz geschminkte Menschen mit Knochen in den Perücken, knallrot angemalten Lippen, weit aufgerissenen Augen, Baströckchen … Selten sprechen sie und wenn, dann haben sie eine eigenartige Diktion, beherrschen die deutsche Grammatik nicht wirklich und verhalten sich auch sonst irritierend auffällig (Wie jüngst Günter Wallraff in seinem „Dokumentarfilm“ ‚Schwarz auf Weiß – Eine Reise durch Deutschland‘) …
Es ist noch nicht allzu lange her, da meinte ein Bekannter mit dem ich zusammen in der U-Bahn fuhr, als wir an der Station MOHRENSTRASSE hielten: „Ey, deine Station! Hier mußt du ‚raus!“ Ich habe ihm nicht erklärt, daß die Straße (und damit die Station) ihren Namen daher hat, daß hier aus ‚Groß Friedrichsburg‘, einer kurbrandenburgischen Kolonie in West-Afrika, deportierte Schwarze Menschen ‚wohnen‘ mußten. „Friedrich Wilhelm I. ließ sich neben den 72.000 Dukaten, die er von den Niederländern für Groß Friedrichsburg erhielt, zwölf junge afrikanische Männer nach Berlin schicken, die dort am königlichen Hof ganz unterschiedliche Dienste verrichten mussten. Einige von ihnen, die der preußische König gemäß dem zeitgenössischen Sprachgebrauch als „Mohren“ bezeichnete, wurden als livrierte Lakaien ständige Diener seiner Kinder Wilhelmine und Fritz. Andere mussten als Trompeter und Trommler in der königlichen Militärkapelle mitmarschieren. Schließlich gab es aber auch noch Afrikaner, die dem König einen ganz besonderen Dienst erwiesen: Da er gern am Abend nach getaner Arbeit im Kreis seiner engsten Freunde und männlichen Familienmitglieder zur Entspannung Pfeife rauchte, hatten seine Schwarzen Bedienten ihm und allen anderen Teilnehmern seines „Tabakskollegiums“ hin und wieder den dazu benötigten Tabak anzureichen. Dieses exotische Genussmittel war – noch bevor es über London und Amsterdam den Weg nach Berlin gefunden hatte – von versklavten westafrikanischen Landsleuten der preußischen „Hof-Mohren“ geerntet, getrocknet und verpackt worden.“ (aus Friedrich der Große und George Washington, Jürgen Overhoff) …
‚We Want Mohr‘ mag sich, wie es die Verantwortlichen und wie Sie, Herr Radszuhn, es denken, auf Heinrich Hoffmanns Buch beziehen – richtig, es reproduziert die Illustrationen in diesem Buch. Aber, und das ist m.E. das Wesentliche, ‚We Want Mohr‘ repräsentiert den unreflektierten Umgang mit der deutschen und europäischen kolonialen Vergangenheit und den, wie schon erwähnt, absolut unempathischen, degradierenden Blick auf Schwarze Menschen und Menschen of Color.
All die oben genannten Wörter, so auch ‚Mohr‘ sind Fremdbezeichnungen – entsprungen einer Dominanzkultur, die es ablehnt, die Folgen ihres Handelns zu überdenken.
Herr Radszuhn, sicher behaupte ich nicht, daß ‚Knorkators‘ Bandmitglieder Rassisten wären. Aber auch eine linke oder linksalternative Weltsicht bewahrt nicht davor, rassistische oder andere diskriminierende Sprache und Bilder zu benutzen. – Auch wenn es vom Absender nicht ’so‘ gemeint ist, kann es sehr wohl beim Adressaten ’so‘ ankommen.
Wenn es denn nun so ist, daß ‚Knorkator‘ satirisch auf die Welt reagiert, sollten sie/Sie sich fragen, auf wessen Kosten diese „Witze“ gemacht werden. – In diesem Fall, wie zu sehen ist geht der „Witz“ nicht auf eigene Kosten …
Herzliche Grüße,
Atif Hussein
Hier noch ein paar links für vertiefende Lektüre:
Struwwelpeter und die Subalterne
Rassismus in Gesellschaft und Sprache
Noah Sow: Deutschland Schwarz Weiß
White Charity – Schwarzsein & Weißsein auf Spendenplakaten
It’s hard to see racism when you’re white
Inflationierung von Rassismus schafft ihn nicht ab
The Little Book Of Big Visions
Afrika in deutschen Medien und Schulbüchern
Des weiteren all die Texte, Theaterstücke, Gedichte, Essays von Susan Arndt, Toni Morrison, May Ayim, Angela Davis, Joshua Kwesi Aikins, (sogar) Tim Wise, Dr. W.E.B.Du Bois, Wole Soyinkas, Philip Kabo Koepsel, Prof. Dr. Maisha-Maureen Eggers, Prof. Grada Kilomba, Sharon Otoo, Frantz Fanon …
Wer dem rbb ein Feedback geben möchte, kann z.B. folgende Kontaktdaten nutzen:
Peter Radszuhn Musikchef
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