Hätten die Mütter des Grundgesetzes Quoten in der Privatwirtschaft befürwortet? Diese Frage stellte sich im Januar Alexandra Kemmerer im Verfassungsblog. Der Verfassungsblog schreibt zwar über „matters constitutional“, hat sich bisher aber nicht durch die Auseinandersetzung mit Gleichstellungsfragen hervorgetan. Anlässlich der Berliner Erklärung bloggte Kemmerer zur Frage, was solche Quoten bringen, ob das eine gute Idee ist und ob durch solche gesetzlichen Regelungen ein gesellschaftlicher Diskurs über Gleichstellungsfragen in Gang kommen könnte.
Klassisch liberal gedacht ist die Durchsetzung des Gleichstellungsgebots für Alexandra Kemmerer eher keine Rechtsfrage, sondern hängt von individuellem Engagement ab:
„Am Ende hängt die Veränderung gesellschaftlicher Realitäten vom Engagement und Habitus individueller Akteurinnen und Akteure ab. Gerade Juristinnen sollten da auf die Kraft der Selbsteuerung vertrauen. Sollten nicht erst auf ein Gesetz, eine Mentorin oder den großen überfraktionellen Konsens warten, sondern die Sache selbst regeln, konsequent, konfliktfreudig und ideenreich. Wie die vier Mütter des Grundgesetzes, die uns inspirieren sollten, kreativer und einfallsreicher über die Verwirklichung des Gleichstellungsgebots nach Art. 3 Absatz 2 Satz 2 GG nachzudenken.“
Die vier Mütter des Grundgesetzes können in vieler Hinsicht Vorbild sein. Es war aber sicher nicht so, dass gerade die Juristin unter ihnen (Elisabeth Selbert) der Rolle des Rechts bei der Durchsetzung der Gleichstellung eine untergeordnete Bedeutung beigemessen hat. Während die Mehrheit der Väter des Grundgesetzes eine Formulierung der Weimarer Reichsverfassung übernehmen wollten („Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“), setzte sich Elisabeth Selbert für den Satz „Frauen und Männer sind gleichberechtigt.“ ein, der viel weitergehend war und sich nicht auf die öffentliche Sphäre (Wahlrecht und so weiter) beschränkte. Von dieser Formulierung galt es nicht nur die männlichen Kollegen zu überzeugen, sondern auch die Kolleginnen. Mehr über die Geschichte von Art. 3 Abs. 2 GG kann in der Publikation des BMFSFJ über die Mütter des Grundgesetzes nachgelesen werden.
Gerade auf verfassungsrechtlichen Konferenzen, so Kemmerer, würden „kluge Staatsrechtlerinnen (sofern überhaupt präsent) rauflustigen Fachkollegen mit übervorsichtiger Zurückhaltung die Arena überlassen.“ Das ist natürlich schade und in der Tat ist auf der deutschen Staatsrechtslehrertagung in der Regel keine Schlange vor dem Damenklo. Diese Beobachtung einer deutlichen Unterrepräsentation könnte allerdings auch gerade als Argument für Maßnahmen zu ihrer Überwindung verstanden werden – in der Wissenschaft und in der Wirtschaft. Der Vorwurf, die Frauen müssten mehr Engagement zeigen, um an Repräsentation und Einfluss zu gewinnen, rechtfertigt natürlich implizit auch ihre Unterrepräsentation, weil die auf individuelle Entscheidungen zurückgeführt werden kann und strukturelle Benachteiligungen aus dem Blick geraten.
Die Kommentare des Beitrags spiegeln beide Seiten der Quotendiskussion wieder – von der berühmten Müllfrauenquotenfrage bis hin zu Zitaten aus verfassungsrechtlichen Büchern zur Begründung von Quoten ist alles dabei. Die Autorin war wohl über das erzeugte Echo in den Kommentaren selbst überrascht und stellte später fest, sie habe nun die Berliner Erklärung doch unterschrieben und Quoten seien eine notwendige Maßnahme, um eine Debatte auf Augenhöhe erst zu ermöglichen. Zweifel hat sie weiterhin, ob ein Aufruf wie die Berliner Erklärung ausreicht, wo doch eine „überfraktionelle politische Debatte über gesellschaftliche Strukturen“ notwendig sei. Ich persönlich habe aus Gründen die Berliner Erklärung nicht unterschrieben, schätze sie aber gerade als überfraktionellen Beitrag zu dieser Debatte.