Im Blog XX Factor auf Slate schrieb gerade Jenna Krajeski über die Teilnahme von Frauen an den ägyptischen Protesten. In einem Land, das seit Jahren mit sexueller Belästigung in unglaublichem Ausmaß kämpft, waren sie bisher wenig beteiligt. Statt mageren 10 Prozent Anteil unter den Protestierenden, liegt ihr Anteil diesmal aber doppelt so hoch, einige Schätzungen gehen sogar von 50 Prozent aus.
Diesmal aber wurden die Proteste auf Facebook organisiert, ohne Beteiligung alt eingesessener Gruppen und mit großem Fokus auf friedliches Verhalten. Eine Aktivistin beschrieb, dass es bei der Demonstration am Dienstag erstmals viele Frauen gab, die darüber hinaus auch respektvoll von den männlichen Mitprotestierern behandelt wurden. Dies könnte sich nun aber ändern, aufgrund der Polizeigewalt. Die Veranstalter_innen raten Frauen inzwischen von der Teilnahme ab, da sie um ihre Sicherheit fürchten.
Schließlich: Warum schaffte es der Kampf der iranischen Frauen für mehr Beteiligung in das allgemeine Bewußtsein, die Kämpfe der Frauen in Tunesien und Ägypten aber (erstmal?) noch nicht? Und werden wir ihr Engagement und die wichtigen Aktivistinnen am Ende wieder vergessen, werden wir allein von den Revolutionären sprechen und Frauen nur als unschuldige Opfer wie Neda in Erinnerung behalten?
„Und werden wir ihr Engagement und die wichtigen Aktivistinnen am Ende wieder vergessen, werden wir allein von den Revolutionären sprechen und Frauen nur als unschuldige Opfer wie Neda in Erinnerung behalten?“
Solange Frauen immer „nur“ zu 10-20% den Kopf hinhalten, werden Sie auch nur in 10-20% der Fälle als Revolutionärinnen in Erinnerung bleiben.
Versteh mich nicht falsch, die 10-20% zeigen mehr Mut als ich – als Kerl – vermutlich je aufbringen werde. Aber es gehört zum fairen Gesamtbild, daß es eben meist auch Kerle sind, die in solchen Situation sterben. Sie ziehen sich eben nicht zurück, nur weil weil ein anderer Aktivist aus Sorge zum Rückzug rät, weil die eigene Sicherheit dann doch wichtiger ist.
anfi: Dass sich der Anteil der Frauen unter den Protestierenden verdoppelt hat im Vergleich zu früheren Protesten, wäre alleine schon eine Meldung. Einige Berichte sprechen ja auch von 50 % Anteil – von nur Männern, die den Kopf hinhalten kann also keine Rede sein. Gerade bei unserem Bild der zutiefst patriachalischen, geradezu rückständigen arabischen Länder, die alle ihre Frauen unterdrücken, schütteln diese Zahlen uns erstmal wieder wach. Wir erwarten eigentlich nur finster dreinschauende Männer mit langen Bärten, die ihre Fäuste schütteln – tatsächlich sind aber jede Menge Frauen dabei, mit Kopftuch, ohne Kopftuch, jung und alt.
Ob sich sie Aktivistinnen nun zurückziehen, bleibt außerdem abzuwarten – auf Twitter und Facebook sind sie jedenfalls weiterhin äußerst aktiv, soweit das mit den Resten an Internet in Ägypten geht.
Und nein: Meistens werden Revolutionärinnen dann nicht mal mehr zu 10 oder 20 % erwähnt. Dass es sie gab ist meistens so eine „Ach echt? wußte ich gar nicht“ Meldung, die alle Jahre auch wieder recyclet werden kann, weil sie schon wieder alle vergessen wurden.
Diese Reihung 10%, 20% und als nächsten Schritt dann gleich 50% mutet etwas merkwürdig an, findest du nicht? Zumal man sich bei den „50%“ auf Schätzungen beruft, deren Quelle aber nicht nennt.
Wenn ich mir die Streams aus Ägypten ansehe, sehe ich in der Regel steinewerfende junge Männer. Gemessen an dem was ich in diesen Aufnahmen sehe, scheinen mir 10%-20% Frauenanteil realistischer als 50%.
Ich erwarte übrigens keine „finster dreinschauende Männer mit langen Bärten“. Keine Ahnung, wo du dieses Bild herhast.
Und so sehr ich es begrüße, daß die Menschen vom PC aus mitprotestieren, so klar ist doch aber auch, daß ein solches Keyboardheldinnentum sich nur schlecht dazu eignet, als Märtyrerin in die Geschichte einzugehen, oder als echte Revoluzzerin. Vom heimischen PC aus ist es immer leicht zu protestieren und das Maul aufzureissen. Einem Polizisten in voller Montur gegenüber zu stehen und zu wissen, daß die Kugel in seiner Waffe echt und tödlich sind, ist dann doch noch etwas anderes. Insofern möchte ich die Twitter- und Facebookhelden und -heldinnen nicht mit den Reallifedemonstranten auf die gleiche Stufe stellen.
@anfi: Wie im Artikel steht, waren es früher 10 Prozent – inzwischen sind es je nach Bericht zwischen 20 und 50 Prozent Frauen. Wie Krajeski im verlinkten Artikel erzählt, waren es früher auch meistens deutlich weniger Frauen als 10 Prozent. Etwa weil frühere Aktivisten auf Frauen keinen Wert gelegt haben, dieses Mal aber eine deutlich frauenfreundlichere Atmosphäre herrscht. Wie bereits gesagt, gerade in Ägypten ist das angesichts der letzten Probleme mit Belästigung wirklich etwas Neues.
Und auch der Wertigkeit des Protestes widerspreche ich. Zum einen sitzen in Ägypten schon lange Blogger_innen im Gefängnis, ohne dass irgendwer weiß, was dort mit ihnen passiert – Cyberaktivismus ist genauso gefährlich, wie anderer Aktivismus. Zum anderen ist es eine furchtbar wichtige Sache, der Welt von den Protesten mitzuteilen, internationalen Druck aufzubauen, moralische Unterstützung zu bieten, Aktivist_innen zu vernetzen, eben diese Polizeigewalt anzuprangern – wenn all das fehlt, verhallt der Protest am Ende nur, niemand bekommt was mit und alles war für die Katz.
Wie gesagt, die Reihung (zunächst) 10%, dann (später) bis zu 20% oder gar 50% ist eine Reihung, die per se unglaubwürdig ist. Da muß man nicht Statistik studiert haben, um das zu verstehen.
Schau dir die Berichte im Fernsehen an. Wenn – als statistisches Mittel – 50% richtig wären, müßten in den Fernsehberichten zu 50% Frauen zu sehen sein. Ich sehe aber überwiegend Männer.
Daß auch Blogger und Bloggerinnen in dem Konflik und dessen mediale Verbreitung eine Rolle spielen, bestreite ich nicht. Aber daß sie auf die gleiche Stufe zu setzen sind, wie die tatsächlichen Demonstranten ist lächerlich. Sorry.
Ohne die „echten“ Demonstranten, hätten die Blogger und Bloggerinen nichts worüber sie berichten könnten.
Es gibt doch einige Revolutionärinnen in der Geschichte, deren Namen relativ bekannt sind. Louise Michel und Rosa Luxemburg, Emma Goldmann oder Alexandra Kollontai sind nur die bekanntesten. Und Marianne ist das Symbol der französischen Revolutuion. Trotzdem stimmt es: Oft spielen Frauen in der Revolution eine große Rolle und werden danach von ihren eigenen Genossen wieder an die Kochtöpfe geschickt und die einflußreichen Positionen werden von Männern eingenommen.
Hier gibt es vom Spiegel eine Bildstrecke zum Thema #egypt mit Aufnahmen unterschiedlicher Detailsstärke:
http://www.spiegel.de/fotostrecke/fotostrecke-64052.html
Man zeige mir mal, wo der 50% Frauenanteil ist.
@stephan Daß es starke Frauen gibt, die man wirklich zu Recht als „Heldinnen“ feiert bestreitet keiner. Ich denke da vor allem an die iranische Anwältin, die sich für die Rechte der Frauen im Iran einsetzt. Ihre Geschichte imponiert mir. Die Frau riskiert etwas.
In der Regel sehe ich aber immerwieder, daß es in der Regel (noch) Männer sind, die als erste aufstehen und protestieren.
Ich habe tatsächlich in den Streams aus Ägypten, die ich gestern verfolgt habe, sehr wenige bis gar keine Frauen ausmachen können.
Dagegen war das Bild während der Unruhen im Iran ja ein ganz anderes – so wie ich mich erinnere, konnte man dort tatsächlich von einem Frauenanteil von 50% auf den Demos sprechen, und mit Neda hatte man dann ja schließlich auch ein weibliches Gesicht für diese Proteste.
Ich bin mit Ägypten nicht so gut vertraut, aber jedenfalls im Iran ist es durchaus so, dass Frauen in der Öffentlichkeit allgemein gut sichtbar sind. Vielleicht schlägt sich dass dan auch im Verhalten während (gewaltsamer) Proteste nieder.
Noch ein Nachtrag, weil ich voreilig auf „Abschicken“ geklickt hatte: Mit dem Ägypten-Iran-Vergleich meinte ich, dass Frauen im Iran öffentlich recht präsent sind (ohne genau zu wissen, wie es in Ägypten ist) und dass sie dadurch evtl. einfach auch selbstverständlicher auf die Straße gehen – gerade weil sie sich selbstverständlicher im öffentlichen Raum bewegen.
Aber nur wer auf die Straße geht, kommt auch aufs Pressefoto – deswegen ist es schon wichtig, auch auf die Aktivitäten im Hintergrund aufmerksam zu machen, um diese Leute nicht komplett zu vergessen.
@anfi schau mal nicht bei Spiegel, sondern bei Aljazeera.net vorbei, da dürftest du eher Bilder von protestierenden Frauen in Ägypten finden.
@E. möchtest du mir damit sagen, daß der Spiegel selektiert und bevorzugt Bilder mit männlichen Ägyptern zeigt? Rly?
Bei Aljazeera.net habe ich schlicht nichts gefunden. Das hat aber damit zu tun, daß ich nicht wüßte wohin ich klicken muß. Hast du vielleicht einen Link für mich?
Ich möchte dir damit sagen dass dir beim Livestream gucken auf http://english.aljazeera.net/ sehr wohl Frauen und Frauengruppen auffallen werden.
Warum der Spiegel nur Bilder mit männlichen Protestierern zeigt weiß ich nicht und ich werd den Teufen tun da irgendwelche Absichten reinzuinterpretieren.
Dass in der Fotostrecke vom Spiegel keine Frauen auftauchen zeigt nur dass in der Fotostrecke vom Spiegel keine Frauen auftauchen.
@anfi:
Women of Egypt (Facebook Album) zusammengestellt von Leil-Zahra Mortada
http://www.facebook.com/album.php?aid=268523&id=586357675&fbid=493689677675
Danke, @Sabrina, über den Link bin ich in facebook auch gerade gestolpert. Es sind auf jeden Fall verhältnismäßig viele Frauen dabei, wenn auch meinem Eindruck nach nicht ganz so viele wie in Iran. Es freut mich wirklich, dass es wohl kaum Übergriffe auf Frauen gibt. Denn sowas war bisher, vor allem bei Massenveranstaltungen, absolut üblich. Es scheint, dass das momentane Gefühl des Zusammenhalts dem entgegenwirkt.
Es gibt einen deutschen Reporter, der sich dorthin durchgeschlagen hat.
Unter
http://gutjahr.biz/blog/2011/01/kairo/
berichtet er von seinen Eindrücken dort. Man beachte dort den Text unter Update Nummer 4. Ihm sind
„unglaublich viele Frauen und Kinder unter den Demonstranten“
aufgefallen. Insofern muß ich mein Urteil etwas revidieren.
Dorthin zu reisen, war eine spontane Idee. Wäre super, wenn ihr seine Updates ggf. flattrn könntet.