Am 13. Februar hat Anna Grodzka, polnische Abgeordnete und Gründerin von Trans-Fuzja, ihre Kandidatur bei den nächsten Präsidentschaftswahlen offiziell angekündigt. Seit 2011 sitzt Anna Grodzka im Parlament, zuerst als Mitglied der Palikot-Bewegung und seit 2014 bei der Grünen Partei Zieloni. Auf ihrem Programm: mehr soziale Gerechtigkeit, eine neue Energiepolitik und mehr Mitwirkung von Bürger_innen an politischen Entscheidungen. (dpa)
Hier ein Interview, das ich 2012 mit ihr für die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit geführt habe, als ich Stipendiat der Villa Decius in Krakau war. Erstveröffentlichung auf jayromeaufdeutsch.
JAYRÔME C. ROBINET: Anna Grodzka, Sie sind seit Oktober 2011 als Abgeordnete der Palikot-Bewegung gewählt worden und haben das Amt im November angetreten. Können Sie nach 8 Monaten schon eine erste Bilanz ziehen?
ANNA GRODZKA: Ich kann sagen, dass ich tatsächlich von vielen Dingen überrascht bin, in einigen sehe ich mich dagegen bestätigt. Es hat sich mir bestätigt, dass die Politik eine unglaublich schwierige Angelegenheit ist, und dass man die Welt nicht so einfach verbessern kann, wie man es gerne würde. Das war mir vom Vorherein klar, aber ich hätte nicht vermutet, dass es noch so viel Arbeit im Parlament zu tun gibt. Ich schätze, davon bin ich überrascht.
J.C.R.: 2008 haben Sie den Verein Trans-Fuzja, eine Selbsthilfeorganisation für Transmenschen, gegründet. Rechtliche Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit gibt es in Polen seit den späten 1960er Jahren. Wiktor Dynarski, seit 2011 im Vorstand vom Verein Transgender Europe, hat eine Geschichte der Transgender Aktivismus in Polen seit 1989 geschrieben. In seiner Studie heisst es, dass der Aktivismus erst 2001 anfing. Können Sie kurz etwas dazu sagen?
A.G.: Ab dem Jahr 2001 begann sich die LGBT-Bewegung in Polen tatsächlich ernsthaft zu entwickeln. Außerdem taten sich noch andere Dinge in Zusammenhang mit Transpersonen. Zunächst entstanden Internetportale, die begannen Menschen um sich zu sammeln und dann Organisationen, die sich um LGBT kümmern sollten, somit auch um Transmenschen, wobei der Hauptschwerpunkt eher auf die Situation von Homosexuellen gelegt wurde. Mit anderen Personen hat sich damals niemand besonders auseinandergesetzt. Erst mit der Entstehung von Trans- Fuzja, die übrigens mit großer Freude von den beiden anderen großen Organisationen, Lambda und KPH, aufgenommen wurde und ihrerseits viel Unterstützung und Hilfe bekam, begann sich der Einsatz für die Rechte von Transpersonen ernsthaft zu entwickeln.
J.C.R.: Heute scheint sich Polen diesbezüglich in Aufbruchstimmung zu befinden: Im November 2011 erklärte der damalige Vize-Justizminister Zbigniew Wrona, dass neue Regelungen für Transgender Menschen notwendig seien. Im April 2012 fand in Warschau die Gender unter Kontrolle-Konferenz statt, die von Trans-Fuzja und mit Unterstützung der Heinrich-Böll-Stiftung organisiert wurde und als Schwerpunkt die Notwendigkeit gesetzlicher Änderungen für Transmenschen in Polen hatte. Wie sieht heutzutage die Situation von Trans*menschen aus?
A.G.: Vor allen Dingen redet man zurzeit sehr viel von Transgender Personen. Das war das Ziel unserer Organisation. Wir wollten das Bewusstsein der Gesellschaft fördern. Ziel ist es auch, dadurch zu erreichen, dass Transmenschen auf offene Weise funktionieren können. Tatsächlich ist es uns dank unserer Aktivität in den Medien und vor allem auch dadurch, dass ich ins Parlament gewählt wurde, gelungen, allgemeines Interesse für transgeschlechtliche Menschen zu wecken. Es werden Trans-Fuzja viele Fragen gestellt, die wir versuchen sachlich zu beantworten. Zur zweiten Ebene gehören Maßnahmen, die die aktive Hilfeleistung gegenüber Transsexuellen und Transgender betreffen. Wir organisieren Selbsthilfegruppen, nicht nur in Warschau sondern auch in anderen Städten. Und die dritte Sphäre besteht in Maßnahmen auf politischer Ebene. Das Ziel hierbei ist es, in die polnische Gesetzgebung solche Änderungen einzubringen, die die Beseitigung oder Vermeidung von Diskriminierung von Transmenschen mit sich führen. Mir geht es dabei insbesondere um den Gesetzentwurf zur Geschlechtsbezeichnung, den ich im Parlament vorgeschlagen habe.
J.C.R.: Sie haben diesen Gesetzentwurf im Mai unterbreitet. Was sind die Hauptforderungen?
A.G.: Zunächst muss ich dazu sagen, dass das, was ich im Gesetzesentwurf vorschlage, nicht dem entspricht, was ich am liebsten vorschlagen würde. Meiner Meinung nach sollte unser Gesetz die gleiche Lösung beinhalten wie z.B. das argentinische, das kürzlich durchgesetzt wurde. Laut diesem Gesetz kann eine Transperson eine Erklärung ihres Geschlechts abgeben und auf dieser Grundlage ihren Personenstandsänderung gesetzlich anerkennen lassen. Die argentinische Regierung unterstützt im Rahmen der Krankenversicherung die jeweilige Person und hilft, den gewünschten Zustand zu erreichen. Die Daten der Person werden in allen Dokumenten bearbeitet, und sie tritt als Person des für sich erklärten Geschlechts auf. Wir in Polen haben dagegen vorgeschlagen, dass doch zwei Ärzte/Psychiater ein Gutachten erstellen, und dass die Angelegenheit vor Gericht bestritten werden soll, aber nicht mehr im Verfahren gegen die Eltern, sondern in einem sogenannten nicht-streitbaren Verfahren. Daraufhin soll der neue Personenstand in die Geburtsurkunde eingetragen werden, und somit wird auch die vorherige Geschlechtsidentität modifiziert. Aber sogar ein solches Gesetz hat Probleme, in Polen verabschiedet zu werden. Ich würde gern einen solchen Entwurf wie in Argentinien vorschlagen, aber dann wären die Chancen quasi null.
J.C.R.: Und wie waren die Reaktionen im Parlament, als Sie den Gesetzentwurf präsentiert haben?
A.G.: Im Moment gibt es keine Reaktion, denn der Entwurf ist zur Parlamentsvorsitzenden gelangt, die verfassungsrechtliche Zweifel erhoben und ihn zur Gesetzeskommission weitergeleitet hat. Ich befürchte, dass es so endet, wie in dem Fall des von Robert Biedron und mir vorgelegten Projektes betreffend gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in der Kommission, das „ertränkt“ wurde. Das wird wahrscheinlich auch mit diesem Gesetzentwurf geschehen. Die Bürgerplattform, die momentan regiert, ist de facto eine konservative Partei und lässt keine Gesetze zu sogenannten Weltanschauungsfragen durch, wie z.B. das Gesetz zur invitro- Befruchtung oder eben gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Wir werden jedoch weiterhin um die Verabschiedung dieser Gesetze kämpfen, und gewisse Chancen gibt es.
J.C.R.: In Deutschland trat 1981 das Transsexuellengesetz (TSG) in Kraft, das die Voraussetzungen für die Zulassung zur Hormotherapie und Namensänderung – die sogenannte „kleine Lösung“ – sowie zur Personenstandsänderung – die „große Lösung“ – regelt. Im Laufe der Zeit wurden Teile des TSG für nichtig erklärt, z.B. die Zwangsscheidung und Sterilisierung für eine Änderung des Personenstandes. Wie sieht die rechtliche Lage in Polen aus?
A.G.: Die Situation in Polen ist die, dass es im Grunde kein Gesetz gibt, das eine Geschlechtsangleichung genau beschreiben würde. So ein Fall findet auf Grundlage eines Gerichtsentscheides vom Obersten Gericht aus dem Jahr 1995 statt. Eine Geschlechtsangleichung ist rechtlich zulässig, Bedingung einer solchen Eingriffes ist die Erlangung eines medizinischen und psychiatrischen Gutachtens über die Transsexualität und ihrer Darstellung vor Gericht. Die Sache spielt sich ja vor Gericht ab, und was interessant ist: Das Ganze geschieht in einem Verfahren, bei dem die Eltern des Betroffenen auf der anderen Seite des Gerichtverfahrens stehen, also quasi angeklagt werden. So verläuft das Ganze, und diese Situation muss sich ändern.
J.C.R.: Bis Januar 2011 mussten sich Transmenschen in Deutschland geschlechtsangleichenden Operationen und einer Fortpflanzungsunfähigkeit – also einer Art Zwangssterilisierung – unterziehen, als Voraussetzung für die rechtliche Anerkennung des neuen Personenstandes. Mit der Operation sollte dem TSG nach „die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit“ der Transsexualität unter Beweis gestellt werden. Diesen Zwang hat 2011 das Bundesverfassungericht für unvereinbar mit der Menschenwürde und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit erklärt.
A.G.: Was körperliche Eingriffe angeht, gibt es in Polen ein Gesetz, das Ärzten verbietet, einem gesunden Menschen die Möglichkeit zur Fortpflanzung zu nehmen. Dieser Arzt würde dafür bestraft werden. Nur unter der Annahme, dass ein solcher Anpassungseingriff die psychologische Gesundheit einer Person verbessert und diese Notwendigkeit dominiert, werden Operationen und weitere Veränderungen rechtlich zulässig.
J.C.R.: Sie erwähnten das neue argentinische Gesetz, das im Mai 2012 erlassen wurde, wonach keine pathologisierende Diagnose merh für die Vornamens- und Personenstandsänderung erforderlich ist, und falls geschlechtsangleichende Massnahmen ergriffen werden, die Kosten staatlich übernommen werden. Argentinien ist ein katholisches Land, andere Länder wie Spanien oder Portugal sind auch römisch-katholisch und haben eine relativ offene Gesetzgebung für Transmenschen. Es gibt auch Transgender Leute in der Kirche, im Juli hat die Episkopalkirche die Ordination von Transmenschen erlaubt. Welche Rolle spielt in Polen die Kirche für die Rechte der sexuellen Minderheiten?
A.G.: So wie ich das sehe, herrscht in Polen eine spezifische Art von Katholizismus. In Spanien, Portugal oder Argentinien äußert er sich ganz anders. In Polen ist das eine sehr orthodoxe Herangehensweise, die sich entschieden solchen Veränderungen wie Geschlechtsangleichungen widersetzt. Im Übrigen akzeptiert die Vatikanische Auslegung auch keine Geschlechtsangleichung. Diese Auslegung wurde erstellt, als Johannes Paul II Papst war, der ja aus der polnischen Kirche kam. Und auch Ratzinger ist nicht gerade ein Modernist, sondern Konservativer. Und es deutet eher nichts darauf hin, dass der Standpunkt der katholischen Kirche als Hierarchie sich bald ändert. Die Rolle der Kirche in Polen ist die Erhaltung des Status quo, eine konservative Haltung. Ich hatte z.B. Gelegenheit, mich mit einem katholischen Pfarrer aus Spanien zu unterhalten, der die negative Haltung der Kirche Transsexuellen gegenüber scharf kritisierte. Er war der Meinung, dass die Seele das Wichtigste sei, und wenn Gott es so wolle, dass ein Mensch sich eines anderen Geschlechts zugehörig fühle, als das worauf sein Körper hinweist, dann müsse man das akzeptieren. Ein ganz anderer starker Standpunkt, als der der polnischen Kirche.
J.C.R.: Die Palikot-Bewegung äußerte sich außenpolitisch für einen Schulterschluss mit Deutschland. Wie könnte eine Zusammenarbeit bezüglich der Rechte der Minderheiten zwischen Polen und Deutschland aussehen ?
A.G.: Ich sehe das vor allem so, dass ein gemeinsamer europäischer – aber nicht nur europäischer – Kampf für die Freiheit und Respekt nichtheteronormativer Personen – denn es geht hier nicht nur um Transmenschen – wichtig ist, und dass es in diesem Bereich durchaus sehr viel Zusammenarbeit innerhalb außerstaatlichen Organisationen gibt. Schlechter ist es um die staatliche Zusammenarbeit bestellt. Weder die EU noch die Regierungen bestimmter Länder wollen dieses Problem genauer betrachten, aber gerade eine solche Zusammenarbeit sollte man fördern. Ich denke, dass man vor allen Dingen die Demokratie verbessern muss, denn die Demokratie ist keine Diktatur der Mehrheit und sollte keine Diktatur der Mehrheit sein. Aber in allen europäischen Ländern wird aus der Demokratie in gewissem Grad leider eine Diktatur. Die Demokratie sollte ein humanistisches System sein, das sich um die Rechte von Minderheiten bemüht und sie berücksichtigt. Wenn es uns gelingt, die Demokratie zu verbessern, gäbe es in keinem dieser Länder Probleme mit der Anerkennung der Rechte von Minderheiten – der sexuellen oder der nationalen.
J.C.R.: Anna Grodzka, herzlichen Dank für das Gespräch.
Übersetzung: Carolin Zaniewicz