Paula hat recht: Die Mainstream-Berichterstattung über die Slutwalks ist ein gutes Beispiel jener Art von Sensationsjournalismus, der von seinen LeserInnen wenig hält. Zuspitzung, Vereinfachung und letztendlich die Verstellung der Realität, über die berichtet wird. Schlimmer noch ist, dass, wenn selbst in einem Bericht über dieses Thema ein kleiner Teil des Gesamtbilds gleich als Gesamtbild dargestellt wird, stehen die Chancen äußerst schlecht, dass Stereotype und Vorurteile je überwunden werden können.
Ich möchte aber argumentieren, dass das nur halb so schlimm ist. Tatsächlich passiert jedes Mal, wenn die Mainstream-Medien über den CSD berichten, ein ähnliches Phänomen: Obwohl die überwiegende Mehrheit der TeilnehmerInnen ganz alltäglich gekleidet sind, laufen im Fernsehen immer wieder die gleichen Bilder von „abgefahrenen Kostümen“ und „halbnackten Körpern“. Und insofern, dass dadurch Stereotype und Allgemeinplätze bestätigt, ja verstärkt werden, läuft das nicht nur gegen die minimalen Regeln eines kritischen Journalismus, sondern vor allem gegen die Hauptziele der Veranstaltung selbst. Das ist natürlich ärgerlich, aber auch witzig, denn das heißt, dass die JournalistInnen eigentlich gar nicht verstanden haben, worum es hier geht.
Doch der Grundgedanke von performativen politischen Statements wie den Slut Walks oder den (ursprünglichen) CSDs lautet: Stereotype aneignen und sie durch Zuspitzung und Übertreibung entkräften. Vereinfachung durch den (medial vermittelten) Blick der Anderen gilt hier als wichtiger strategischer Moment in der Kommunikation, und gleichzeitig als Ausgangspunkt für die performative Dekonstruktion dieses Blicks: „Wir sind doch alle Schlampen, aber wie!“
„Schlampe“, genau wie „queer“ oder „Tunte“, funktioniert hier weniger als sachlicher Begriff, der als mögliche Beschreibung auf die Realität zutrifft oder eben nicht. Vielmehr haben diese Wörter von vornherein eine performative Funktion: Wer sie verwendet, gestaltet die soziale Realität.
Ich sehe eine banale Ursache, wenn schlagzeilenartig und stereotyp berichtet wird: Medien wollen wahrgenommen werden, müssen sich auf dem Markt durchsetzen. Knackige Schlagzeilen, möglichst garniert mit entsprechenden Fotos, sind da ein Muss, um Aufmerksamkeit zu erheischen. Eine sachliche Schilderung, noch dazu in der Überschrift, und Fotos, die die reale Situation widerspiegeln, entsprechen nicht diesen Erfordernissen. Das kann man bei den meisten Berichten erleben, nicht nur in der Knallpresse sondern auch bei vermeintlich seriösen Medien und insbesondere auch dann, wenn es um, irgendwie abgrenzbare Menschengruppen geht.
Wie beim CSD lässt sich das alljährlich z.B. auch bei den Berichten über das WGT bemerken – Schlagzeilen/Berichte und v.a. Fotos sind stereotyp und über die Jahre beliebig austauschbar; die Veranstaltungen, Musik, die spielenden Bands etc. sind hingegen für die Berichtenden nebensächlich, dass sie üblicherweise nicht einmal erwähnt werden. Anderes Beispiel: Vor ca. zehn Jahren bei einem sog. Star-Trek-Kino-Marathon – alle Star-Trek-Filme am Stück – waren für einen Bericht hierüber ausschließlich die zwei bis drei einzigen irgendwie kostümierten Kinogäste für Fotos ausgewählt.
Ergänzung zu weatherwax Kommentar: Meist ist es so, dass wenn man journalistische Artikel über Themen, auch in ,,seriösen“ Medien liest, von denen man auch nur geringfügig Ahnung hat, feststellen muss, dass Recherche anscheinend nicht stattgefunden hat, und Sachverhalte oftmals falsch dargestellt werden, und die AutorInnen nicht verstanden zu haben scheinen, worüber sie schreiben. Dies zusätzlich zur obig erwähnten Zuspitzung und Vereinfachung der Realität.
Anscheinend werden JournalistInnen nicht gut bezahlt.
@ In: Ich bin mir – vorsichtig ausgedrückt – nicht sicher, ob die (wie auch immer definierte) Qualität der Bezahlung, egal in welcher Branche, grundsätzlich symmetrisch mit der Qualität der abgelieferten Arbeit einhergeht… Manche Journalist_innen werden übrigens gar nicht bezahlt und machen ihren Job trotzdem vernünftig.
@ Weatherwax: Ja, so scheint es zu sein – umso wichtiger, dass diese tendenziöse Art der Berichterstattung immer wieder kritisiert wird und wir alle als Medienkonsument_innen unseren Anspruch auf seriöses Informiertwerden vertreten.
Es nervt einfach nur: http://www.zeit.de/2011/35/Martenstein