zu Gewalt legitimierender Gewalt

Meine aktivistische Timeline bemüht sich gerade darum aufzuzeigen, wie rassistisch derzeit über die Gewalt in der Silvesternacht in Köln berichtet wird.
Dort wurden Vergewaltigungen, Belästigungen und Diebstähle angezeigt. Gesprochen wird von Gruppengewalt und von vielen unbestätigten Personenzahlangaben.
NRWs Innenminister Ralf Jäger wird zitiert:  “Wir nehmen es nicht hin, dass sich nordafrikanische Männergruppen organisieren, um wehrlose Frauen mit dreisten sexuellen Attacken zu erniedrigen”.
Und das Rassismus – rape culture – Bingo ist voll, wie die Schnauzen der “Frauen gegen Gewalt e.V.”, die sich nun versammeln um sich „zu wehren“.

Vielleicht liegt es an rosenblattschen Sprachknall – aber ich habe gelernt “sich zu wehren” passiere erst, wenn man angegriffen wird. Agiert man gegen Personen oder Umstände außerhalb eines konkreten Bedrohungsmoments, so handelt es sich weniger um Abwehr zum Zwecke des Selbstschutzes, als um Verstärkung bzw. Etablierung bestehender Abwehrmechanismen. Das kann dann auch mal bedeuten, dass es um Rassismus, rassistische Ressentiments, cissexistische Täter-Opferspaltung und diverse viele (alle) andere mögliche *ismen geht.
Nur halt leider nicht darum, ein gutes und respektvolles Miteinander zu suchen und zu etablieren.

Und eigentlich könnte dieses schon an der Stelle beginnen, wie es kommt, dass es bei Großveranstaltungen, wie einer Silvesterfeier, die durch die Kombination von Menschenmasse, Alkohol und freien Zugang zu Sprengstoffen grundsätzlich hochgefährlich ist, ein ganzes Aufgebot von Polizist_innen und Sondereinheiten bereitsteht – dieses jedoch nicht in der Lage ist, Straftaten jeder Art auch tatsächlich zu verhindern bzw. Täter_innen noch vor Ort auch zu stellen und in Gewahrsam zu nehmen.
Die gleiche Frage stellt sich in Bayern zu jedem Oktoberfest und vermutlich steht diese Frage zu jeder größeren Veranstaltung gleichsam im Raum.

Aber nein – diesmal gibt es die rassistische Nische, die dann auch von Kristina Schröder genutzt wird, um von “gewaltlegitimierender Männlichkeitsnorm muslimischer Kultur” zu sprechen, statt davon, wie der Umgang mit Gewalt, ihren Opfern und denen, die sie ausüben, generell so ist.
Es wird “der muslimische Mann” in den Fokus gerückt und wieder einmal ist “der deutsche Ehemann und Vater”, der vielleicht nicht einmal tatsächlich auch ein Mann sondern ein Nongender, Agender, ein was auch immer ist, aus dem Kreis möglicherweise problematisch gewaltlegitimierend sozialisierter Personen gestrichen.
Und wieder einmal sind es weiße deutsche Frauen, die als Schutzobjekt herhalten müssen. Wieder geht es nicht um geflüchtete Frauen, behinderte Frauen, Frauen, die nicht als weiß und deutsch kategorisiert werden, die zu Frauen erklärten Personen, die Transfrauen und und und, die, alle jeden Tag, mit Gewalt konfrontiert sind, die manchmal mit, manchmal ohne physische Spuren bleibt.

Die derzeitige Debatte lockt antifeministisch bis pseudomaskulinistisches Pack an, das sich von rechtspopulistischen Figuren wie Birgit –rape culture seems legit – Kelle nur bestätigt fühlen kann und viele Twitteraktivist_innen erleben gerade einen Aufschrei-Flashback. Es ist wie die tausendste Runde Kackscheiße, die weh tut, die verletzt, die zermürbt und letztlich – trotz Grimme online Award und so vielem gutem mehr, das aus dem Hashtag hervor ging – wenig Konkretes in den Köpfen derer, die Verantwortung übernehmen müssten und auch können! stehen ließ.

Ich würde gerne die Silvesterstatistiken der letzten Jahre sehen. Würde gerne überprüfen, ob es sich um ein echtes “mehr Gewalt” handelt, oder um einen Grund “über eine personelle Verstärkung der Polizei sowie eine temporäre Videoüberwachung” zu diskutieren.
Ich möchte eine Auseinandersetzung damit, dass Gewalt – insbesondere sexualisierte Gewalt an Frauen und als “Frauen” (trotz anderer Geschlechtsidentität) benannter Personen – mehr und mehr zu einem gewaltlegitimierendem Grund für Rassismus und andere Formen von Diskriminierung und damit: Gewalt wird, statt zum Anlass sich ganz konkret mit Aufklärungs-, Präventions- , Schutz- und Hilfemaßnahmen für alle Personen gleich auseinander zu setzen.

Hier ein paar Missstände, an denen man sich gleichermaßen abarbeiten kann
– es gibt zu wenig Schutz- und Beratungsstellen für Menschen, die Gewalt erfahren (haben)
– es gibt zu wenig Therapieplätze für Personen, die Gewalt erfuhren und Verarbeitungsprobleme haben
– es gibt zu wenig kultursensible Beratungs- und Hilfsangebote
– es gibt zu wenig gendersensible Hilfs- und Beratungsangebote
– es gibt zu wenig gute und sichere Unterkünfte für geflüchtete Personen
– es gibt eine erbärmliche Rechtslage in Sachen sexualisierter Gewalt
– es gibt erbärmliche Rechtsgrundlagen in Bezug auf alles, was zwischenmenschliche (im Sinne von sozialer) Gewalt angeht
– es gibt zu wenig Menschen, die begreifen, was Rassismus, Sexismus – allgemein Diskriminierung und Gewalt überhaupt ist
– es gibt zu wenig Orte, an denen respektvolles Miteinander für alle gleichermaßen einzuüben ist
– es gibt zu wenig Menschen, die begreifen, dass sie gemeint sind, wenn es um Aufrufe zum angenehmen und inklusivem Miteinander geht

Es gibt so verdammt viel mehr zu tun, als ausgerechnet jetzt seinen Rassismus auf Kosten von Personen, die zu Opfern wurden, zu legitimieren!

10 Kommentare zu „zu Gewalt legitimierender Gewalt

  1. Du hast sicher Recht mit einigem, was du sagst. Es ist wichtig, die rassistische Komponente der derzeitigen Berichterstattung zu benennen, und vor Allem auch den Rassismus, der in manchen Kommentaren wie eine Welle über das Internet hereinbricht. Die Geschehnisse finden definitiv gierige Abnehmer, die Wasser auf ihren Mühlen brauchen und es ist gut, dass du dich dagegen aussprichst.
    Dennoch finde ich deinen Kommentar etwas kalt gegenüber den Opfern. Ja, es sind weiße Frauen, aber nicht nur, mit Sicherheit, denn Köln ist ziemlich bunt. Im TV etwa berichtete eine junge Frau, die eher asiatisch als weiß aussah. Sicherlich haben die Täter nicht nach Hautfarbe aussortiert, sondern einfach im Gewühl zugegriffen.
    Es ist nach meiner Erfahrung einfach ein furchtbares Erlebnis, wenn einem so etwas in der Enge einer Masse passiert und man kann es weder verhindern noch sich wehren. Auf dem Oktoberfest und auf Karnevalsveranstaltungen kommt es zu Übergriffen, durfte ich selbst schon erfahren. Als Beispiel hier einmal ein Bericht zum Oktoberfest: http://www.taz.de/!5156348/ Insofern halte ich es durchaus für legitim, dass über diese massenhaften Übergriffe in nur einer Nacht auf geringem Raum auch berichtet werden muss. Zumal diese Kombi aus Belästigung und Diebstahl seine ganz eigene Tücken hat. Ich stelle es mir wirklich unangenehm vor, als Opfer auch noch mein Handy oder Geld loszusein und mich doppelt hilflos zu fühlen.
    Viele der Reaktionen sind rassistisch und das ist scheiße. Ich finde dennoch, sich ausschließlich mit Rassismus aufzuhalten, so wie du es hier tust, ist leider unvollständig und wird der Situation nicht gerecht. Wir sehen schon wieder die üblichen Reaktionen auf sexuellen Missbrauch von Frauen: Frau Reker, die Kölner OB, hat bereits „Verhaltensregeln“ für Frauen herausgegeben, an die sie sich halten sollen, um etwa auch im kommenden Karneval nichts befürchten zu müssen: http://www.rp-online.de/nrw/panorama/koeln-frauen-sollen-zu-fremden-eine-armlaenge-distanz-halten-aid-1.5669639
    Diese Regeln sind natürlich Schwachsinn, was jede Frau weiß, die schon einmal auf einer Feier oder in einer Menschenmenge belästigt wurde. Außerdem passiert hier aus meiner Sicht feinstes Victim Blaming. Ich nehme an, dass die betroffenen Mädels an Silvester nicht begrabscht, beleidigt und bestohlen wurden, weil sie sich Fremden körperlich leichtsinnig genähert haben oder mit Fremden mitgegangen sind. Und ich werde mich auch in Zukunft keinesfalls verstecken, dicker anziehen oder von Menschenmengen und Partys fernbleiben.
    Dass auch das mal deutlich gesagt wird, sehe ich leider gerade gar nicht von feministischer Seite. Was ist los mit euch, ihr seid euch doch sonst nicht zu schade dafür? Was haben uns all die Slutwalks, die Aufschreie und anderen Aktionen der letzten Jahre gebracht, wenn wir jetzt schweigen und gefälligst lange Hosen anziehen müssen?

  2. @Marga: Ich finde es etwas schade, wie über einiges an Inhalt in Hannahs Text hinweggegangen wird. In den letzten Absätzen geht es ja gerade darum, was alles wichtig wäre für eine Arbeit gegen Gewalt. Ich lese Hannahs Text so, dass eigentlich gerade auch in Köln wieder deutlich wird, wie vollkommen egal die Betroffenen von Gewalt sind, denn eine Hinwendung zu den Dingen, die wirklich hilfreich wären bei Anti-Gewalt/Gewalterfahrungs-Arbeit, gibt es ja eben nicht (stattdessen rassistische ‚Debatten‘, die Gewalt zu ‚den Anderen‘ schieben, aber halt auch nicht wirklich an den Betroffenen interessiert sind). Die Aussagen von Frau Reker sind dafür ein weiteres gutes Beispiel: Eine Auseinandersetzung mit rape culture gibt es wie immer nicht. Dann der „feministischen Seite“ vorzuwerfen sich nicht zu äußern, macht mich ratlos. (Auch weil in meiner Wahrnehmung sich sehr viele Feminist_innen sich geäußert haben, nur vielleicht nicht in langen Blogposts. Die meisten von uns schreiben seit vielen, vielen Jahren zu genau diesen Themen und Mechaniken.)

  3. Verstörend ist auch der Ruf nach mehr Polizei. Welcher salto mortale wurde denn hier hingelegt? Mit ‚linker‘ Politik oder Empowerment hat das wenig zu tun.

  4. @Charlott: Ich habe die letzten Absätze durchaus gelesen. Die enthalten natürlich absolut Richtiges, aber auch viele Gemeinplätze. Mir geht das nicht weit genug, ist nicht deutlich genug.

    Ich finde die Aussagen von Frau Reker, die sich erst gestern Abend erneut gegenüber Claus Kleber im ZDF unsäglich geäußert hat, unerträglich (http://www.heute.de/koelner-oberbuergermeisterin-reker-im-interview-ueberfuehrung-der-taeter-schwierig-kaum-erinnerungen-bei-zeugen-41695720.html „Man verhält sich auch klug, wenn man nicht in überschwänglicher Freude jedem, den man trifft und der einen sympathisch anlächelt, um den Hals fällt. Da können Angebote falsch verstanden werden“ Zum Kotzen!).
    Diese Frau wird von den Grünen unterstützt! Ihre Aussagen seien halt „unglücklich“ aber doch richtig gewesen. Ich hätte nicht gedacht, dass gerade von grüner Seite sowas kommt. Ich finde auch, da wird von feministischer und linker Seite immer noch viel zu still gehalten, aber warum? Ich begreife es nicht. Weil man einerseits vielleicht keinen Ärger mit den Grünen will? Weil man vor Allem mit dem Aspekt Rassismus beschäftigt ist? Natürlich haben sich einige auch geäußert, gestern Nacht ein paar Dröppel auf Twitter, heute fing es erst so richtig an, aber das war eben doch alles too little, too late. (Das ist ja leider auch vielen Angry White Men aufgefallen, die nun meinen, das gegen uns verwenden zu können, uns damit unglaubwürdig machen zu können, auch hier spült man nur wieder Wasser auf die Mühlen)
    Mir ist es wichtig, das zu sagen. Ich bin da schon enttäuscht und auch verwirrt, hätte da einfach mehr erwartet und weiß nicht so richtig, warum das ausbleibt. Wenn du jetzt sagst, man hätte ja schon genug dazu gesagt und das sei jetzt der Grund für die Zurückhaltung, finde ich das ziemlich unbefriedigend. So funktioniert doch Aktivismus nicht!

    Wenn jemand Links für mich hat und ich nur einfach nicht die richtigen Beiträge gefunden habe, lasse ich mich allerdings gerne korrigieren.

  5. @Marga: Ich finde es sehr müßig, jetzt ‚beweisen‘ zu sollen, dass es Reaktionen von Feminist_innen gab (die dann auch noch dir passen sollen, denn einiges strafst du ja bereits als „nicht genug“/ „nicht zu weit“ ab). Und meiner Blase gibt es sicher vieles, aber Angst vor „Ärger mit den Grünen“ wäre mir sehr neu. Einen sehr guten (und auch im aktuellen Kurz Verlinkt verlinkten Text hat zu dem Hengameh bei der taz verfasst. Weitere Texte hat fia Dortmund zusammengetragen. Und ja auf Twitter wurde unter dem Hashtag #einearmlänge sehr genau von Feminist_innen herausgestellt, warum dies victim blaiming und Teil einer Vergewaltigungskultur ist. (Das hat es sogar in internationale Medien geschafft.) Reker hat sich übrigens mittlerweile zu Wort gemeldet und meint, sie sei nicht gut zitiert worden, sie möchte natürlich nicht die Last auf die Schultern der Frauen legen, sondern gegen Täter vorgehen – mit mehr Polizei. Ich hoffe, dass diese Aussage ebenso kritisch hinterfragt wird (Hengameh hat ja beispielsweise im oben verlinkten Text bereits ein wenig dazu geschrieben), denn bei Analysen von Polizei, Gewalt und Rechtsstaat sollte auch immer deutlich werden, dass Sexismus und Rassismus eben keine voneinander getrennten Phänomene, sondern komplex-ineinandergreifende Unterdrückungsverhältnisse sind.

    Wie für mich Aktivismus ‚funktioniert‘: Meine Solidarität mit den Personen, die in Köln an Silvester, sexualisierte Gewalt erfahren haben, auszudrücken und zu hoffen, dass sie ausreichend/ für sie passende Unterstützung erhalten, nicht zu rassistischer Rahmung zu schweigen – und ansonsten mich weiter allgemein (und das fordert ja auch Hannah und hat nichts mit Allgemeinplätzen zu tun) und jahr-umfassend gegen rape culture und sexualisierte Gewalt und für Betroffene einzusetzen.

  6. Hallo Marga,
    ich kann deinen Wunsch nach mehr „laut sein“ vielleicht (so verstehe ich dich) oder „noch mehr machen“ total verstehen.
    Konstruktiv wäre nun natürlich aber nicht nur „laut sein“ und „macht mehr“ von mir („der MM“ oder „linken progressiven Szene“) zu fordern, sondern konkret darüber nachzudenken, was denn funktionieren könnte, in Anbetracht all dessen, was seit Jahren gemacht und getan, gefordert und erstritten zu werden versucht wird und wurde.
    Ich bin für so ziemlich jeden Versuch den man starten kann, um zu einem respektvoll und gleichberechtigten Miteinander zu kommen, offen. Für ein Gerangel wie „gut“ oder „laut“ oder „fordernd“ „die linke progressive feministische Szene“ (wer soll das eigentlich sein?) mit der öffentlichen Debatte befasst, will ich aber keine Kapazitäten frei machen.
    Mal abgesehen davon bin ich keine Aktivistin, sondern Autorin/Bloggerin bei, mit und für die Mädchenannschaft. Vielleicht erscheint dir mein Artikel auch deshalb „zu leise“.

    Viele Grüße

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