Superweiblichkeit und hartgekochte Bälle: Frauenfußball in Brasilien


Mehr Frauenfußball aus dem Rest der Welt: Im Rahmen der Kampagne der Heinrich-Böll-Stiftung zur WM 2011  kamen die brasilianische Streetworkerin mit viel Herz für Fußball, Diana Sousa, und die US-amerikanische Anthropologin und ehemalige Fußballerin Caitlin Fisher nach Deutschland, um von ihren Erfahrungen mit dem Frauenfußball in Brasilien zu berichten.
Wie in zahlreichen europäischen Ländern kommt auch die Geschichte des Frauenfußballs in Brasilien nicht ohne Verbote aus. Für das Jahr 1921 ist das erste Fußballspiel zwischen zwei Frauenteams aus Santa Catarina und Tremembé verzeichnet, das von den Zeitgenossen eher als „Zirkusspektakel“ betrachtet wurde. In der Zeit der Militärdiktatur zwischen 1964 und 1981 war Frauenfußball verboten, erst danach wurde den Frauen zumindest theoretisch wieder gestattet zu spielen, praktisch haben sie auch heute noch mit Vorurteilen zu kämpfen.

Fußball als Emanzipation
Wie die aussehen, berichtet die 20-jährige Diana Sousa. Sie ist im armen Nordosten Brasiliens groß geworden, und der Fußball rollt schon lange durch ihr Leben. „Bei uns zu Hause spielen alle Fußball, auf der Straße und wo immer gerade Platz ist. Die Mädchen allerdings nur, wenn die Jungs sie mitspielen lassen und die Eltern es ihnen erlauben. Denn natürlich ist es so, dass Jungs Bälle und Autos als Spielzeug bekommen und die Mädchen Puppen und Spielzeuggeschirr, damit sie sich schon mal auf ihre künftige Aufgabe als Hausfrau vorbereiten können.“ Diana selbst hat viel Unterstützung von ihrer Oma bekommen – und Fußballschuhe als Geschenk. Die sind ihr natürlich längst zu klein, als Glücksbringer sind sie jedoch auch bei der Reise nach Deutschland im Koffer dabei.
In ihrer Kindheit hat Diana Sousa so stundenlang mit ihren Freunden und Freundinnen draußen gespielt, mit einem billigen Plastikball. „Der ist immer wieder am Stacheldraht kaputt gegangen. Wir haben ihn dann abgekocht, um das Plastik härter zu machen, das funktioniert nämlich ganz gut.“ Aber schließlich haben die Mädchen der Gruppe dann genug Geld für einen richtigen Ball gesammelt und dafür auf Süßigkeiten verzichtet. Ihre Ansage war dann eindeutig: „Wir haben den Ball bezahlt, ist ja wohl klar, dass wir mitspielen dürfen.“

Diana hat als Teenager am Straßenfußballprojekt des Instituto Formação, einer NGO für Bildungsarbeit, teilgenommen. Auch dort drehte sich alles um Fußball, aber mit einem anderen Anspruch: Alle, die wollen, können spielen, und zwar nach Regeln, die sie selbst vorher vereinbaren. Ein Grundkonzept: Mädchen und Jungs, Frauen und Männer spielen zusammen. Hinterher wird darüber gesprochen, ob die Umsetzung gelungen ist. „So lernt man Respekt voreinander, Solidarität und Gemeinschaft“, sagt Diana. „Darum geht es und nicht um den Wettbewerb, nicht um Geld und Tore.“ Eine Lektion, die sie auch für ihr eigenes Leben verinnerlicht: Das Angebot eines Talentscouts schlägt sie mit 16 aus, weil ihr das, was sie die „emanzipatorische Kraft des Fußballs“ nennt, wichtiger ist. Heute arbeitet Diana selbst bei Formação, außerdem studiert sie Sport und Jura. Ihr Ziel: „Die Freiheit zu wählen – für Jungs und für Mädchen –, ob sie mit Puppen oder Bällen spielen wollen“

Land des (Männer-)Fußballs
Caitlin Fisher hatte sich längst für den Fußball entschieden, als sie nach Brasilien kam. Sie war in der US-amerikanischen Collegeliga aktiv und hatte eine Profikarriere vor Augen. Damit hatte sie schon fast das Ziel erreicht, von dem kickende Mädchen und Frauen in aller Welt träumen. Caitlin allerdings hatte noch einen anderen Traum: „Brasilien ist das Land des Fußballs“ sagt sie. „Dort wollte ich unbedingt spielen. Aber dann habe ich festgestellt, dass es eben nur das Land des Männerfußballs ist.“ Caitlin Fisher ging 2004/2005 aus den USA zum FC Santos, dem Klub von Pelé. Der Unterschied zwischen dem Männer- und dem Frauenteam war riesig, „nur das Trikot war gleich“, wie Caitlin sagt. Die Frauen bekamen keine Unterstützung, wohnten weit weg von den Trainingsplätzen und durften ihre Spiele nicht im Stadion austragen.

Der FC Santos ist aber nicht nur der Klub von Pelé, sondern auch der von Marta. Die mehrfache Weltfußballerin ist für brasilianische Spielerinnen natürlich das große Vorbild, auch und gerade für Mädchen aus armen Verhältnissen, die sich über den Fußball eine Aufstiegschance erhoffen. Die Strukturen eines Ligabetriebs, genügend nationale Wettbewerbe oder gar eine flächendeckende staatliche Förderung fehlen allerdings auch heute noch. Seit 2007 gibt es mit der Copa do Brasil de Futebol Feminino einen nationalen Teamwettbewerb in einem Turnierformat, der sich allerdings nur über etwa drei Monate erstreckt. Bei manchen Vereinen sind Sponsoren in die Förderung eingestiegen, Copagas etwa unterstützt auch die Frauen des FC Santos.

Bitte etwas weiblicher
Caitlin Fisher ist sechs Jahre später nach Brasilien zurückgekommen und stellte fest, dass sich bei Santos einiges verändert hat. „Die Strukturen waren für den Frauenfußball auf einmal viel offener, die Ausstattung ist besser, es gibt ein neues Wohnheim. Die Frauen durften inzwischen im Stadion spielen.“ Was auf den ersten Blick nach Fortschritt aussieht, entpuppte sich für Caitlin bei einem Blick hinter die Kulissen allerdings als ambivalente Entwicklung. Der Grund für die bessere Förderung nämlich ist kein plötzlich gewachsenes Bewusstsein für Geschlechtergerechtigkeit oder den sportlichen Wert des Frauenfußballs, sondern ein neues Image des Sports: „Frauenfußball wird inzwischen mit einer Art Superweiblichkeit verbunden und vermarktet“, sagt Caitlin. Das heißt aber auch: Die Spielerinnen sollen bitte weiblicher auftreten, um das Interesse der Medien zu befriedigen. „Als ich dort gespielt habe, hatten die Spielerinnen noch kurze Haare. Heute – und wir reden teilweise von denselben Frauen – keine einzige mehr.“ In den Gesprächen erfährt Caitlin, dass der Wunsch nach weiblicherem Aussehen, nicht nur beim FC Santos, vonseiten der Trainer und Offiziellen an die Frauen herangetragen wird: „Die Spielerinnen haben das Gefühl, dass diese Anpassung sich lohnt, wenn es die einzige Möglichkeit ist, Unterstützung und Finanzierung zu bekommen. Es ist sehr schwer, in Brasilien Fußball und eine Berufsausbildung oder ein Studium zu verbinden. Die Frauen bringen dafür große Opfer und verlieren vielleicht auch einen Teil ihrer Identität, wenn sie ihr Aussehen verändern.“

Parallel zu den Forderungen nach mehr Weiblichkeit und Sexyness existiert auch in Brasilien das Vorurteil, Fußballspielen würde die Frauen vermännlichen. „‘Dann wirst du doch ein Kerl‘ – solche Dinge bekommen Mädchen auch heute noch von ihren Eltern zu hören, wenn sie Fußball spielen wollen“, berichten die beiden Frauen von ihren Erfahrungen. Ihr Fazit klingt nicht so viel anders als die aktuellen Entwicklungen vor der Weltmeisterschaft 2011 in Deutschland: Männerfußball wird über das Spiel und die Emotionen verkauft, Frauenfußball über die Frauen und ihre Attraktivität. „Die Frage ist doch, wo wollen wir hin“, sagt Diana. „Soll es damit enden, dass wir einen Swimmingpool im Stadion haben, damit sich die Frauen im Bikini in die Sonne legen?“

Gemeinsam mit ihrer Kollegin, der Fotografin Adrienne Grunwald, arbeitet Caitlin Fisher an dem Multimediaprojekt Guerreiras Women‘s Futebol in Brazil – Juggling Roles & Creating Space. Sie begleiten und dokumentieren das Leben der Spielerinnen des FC Santos und beobachten die Veränderungen und Entwicklungen im brasilianischen Frauenfußball.

Diane Sousa erzählt für die „gender kicks“-Kampagne der Böll-Stiftung ihre eigene Fußballgeschichte.

Einen Bericht von Helga zur Böll-Veranstaltung in Bremen mit Diana Sousa findet ihr hier.

3 Kommentare zu „Superweiblichkeit und hartgekochte Bälle: Frauenfußball in Brasilien

  1. Wie in zahlreichen europäischen Ländern[…]

    Ihr meint bestimmt außereuropäisch oder? Trotzdem schöner Artikel.

  2. @Printmedium Ne, das stimmt schon so. Hier wird die Situation in Brasilien mit der in Europa verglichen. Um es enger zu fassen könnte man auch schreiben, „wie in Deutschland, war auch in Brasilien Frauenfußball lange verboten“. Über die Situation in allen anderen Ländern ist damit natürlich noch nichts gesagt.

Kommentare sind geschlossen.

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