„Inklusion“ ist kein Tu- Wort

Hannah C. Rosenblatt bloggt auf “Ein Blog von Vielen” über Gewalt, ihre Formen und Folgen, Inklusion und ihr Leben mit dissoziativer Identitätsstruktur. Sie ist auch bei Twitter aktiv. Zuletzt schrieb sie bei der Mädchenmannschaft zu „Behinderungsmerkmal: Mehrfachdiskriminiert„.

Er legt seine Brille mit dickem schwarzen Rand auf den Tisch und reibt sich die Augen “Inklusion ist ja so ein sperriger Begriff.”, sagt er und blinzelt auf sein IPhone. “Das sagt doch gar nichts – man sollte besser irgendwas mit Teilhabe sagen.”. Zum Glück habe ich den Mund voll und kann mich beherrschen. Ich sollte solche Bemerkungen aber noch öfter hören auf dem Zukunftskongress “Inklusion 2025”. Gerne von Menschen, die entweder mit Menschen mit Behinderungen arbeiten, oder über sie, wie der Mensch, der da vor mir sitzt und mit einem Stofftuch seine RayBan-Nerdstylebrille putzt.

Inklusion ist ihm also zu sperrig. Er kann damit nichts anfangen und deshalb sollte es anders heißen. Ich denke darüber nach, ob ich mir ein Bullshitbingo anlege, eine Diskussion über Arbeitsbegriffe innerhalb bestimmter Bezugsgruppen anfange oder kommentarlos weiter esse.

Letztlich habe ich weitergegessen und mir gewünscht, dass sich irgendwann jemand findet, der die Kraft hat, in diesem Kopf etwas gerade zu biegen. Ich bin verbrannt für Bystander- und Verbündeten– Aufklärung, die als Belehrung oder Missionierung gelesen werden will.

Meine Behinderung ist sozial konstruiert, wie mein Geschlecht, meine ‚Rasse‘, meine Klasse etc. und unterliegt immer wieder Be-Wertungen, die nichts mit mir und meinen Ansichten auf mich zu tun haben. Persönlich erlebe ich den Begriff der “Behinderung” sehr oft als Synonym für “kann nicht” und in bestimmten Kontexten auch: “konnte noch nie”. Inklusion wird in der Folge oft als “Wir machen, dass alle können” verstanden und das ist ziemlich gemütlich. Das bedeutet nämlich, dass man einfach nur machen muss, dass alle das Gleiche können und das kann man dann folgerichtig auch einfach “Teilhabe ermöglichen” nennen.

Aber so einfach ist das einfach nicht.
Inklusion ist kein rein praktisch erreichbares Ziel. Natürlich zählen alle Gesten, die Menschen berechtigen und darüber an-teilhaben lassen. Doch ein Recht zu haben, bedeutet in Deutschland leider bis heute nicht auch Recht zu bekommen. Menschen mit Rechten auszustatten, heißt nicht, sie auch zu ermächtigen, dass sie einfordern und bestimmen können entsprechend dieses Rechtes behandelt zu werden. Genauso wenig bilden Verbote einen Schutzschild vor Menschen oder dem Lauf der Dinge, die sie brechen (wollen). Rechte, Ge- und Verbote– alle unsere Gesetze machen vor allem Eines: sie ordnen und definieren unsere Gesellschaft™. Nicht mehr und nicht weniger.

Vor dem Gesetz sollen alle gleich sein, aber vor der Gesellschaft™ sind wir es nicht.
Die Inklusionsdebatte wiederholt für mein Empfinden viele Punkte, die auf Exklusion aufbauen, weil sie sich an einer derzeit exkludierenden Gesellschaft orientiert. So findet immer wieder stellvertretendes Sprechen statt, werden Barrieren und Lösungsvorschläge innerhalb bestimmter gesetzlicher Normierungen diskutiert und Radikalität vermieden.

Es kommt mir oft vor, als wolle man “die Anderen” oder “die Gesellschaft ™” nicht verschrecken, nicht überfordern, von seinen Vorzügen überzeugen und vermitteln: “Du musst gar nicht viel tun…”. In solchen Kontexten ist Radikalität natürlich schnell erreicht. Zum Beispiel, wenn man wie die plötzlich verstorbene Aktivistin Stella Young sagt: “Ich bin nicht zu deiner Inspiration da.” oder, wenn ich sage: “Ich wurde durch Gewalt einzelner Personen zu einer Behinderten gemacht und werde nun durch die Gewalt des Gesellschaftssystems behindert gehalten”.

Was Menschen, wie der, dem der Begriff Inklusion zu sperrig erscheint, machen wollen, ist ein Plakat hochhalten auf dem steht: “Du kannst alles schaffen, was du willst” und mit einem bunten Werbeplakettchen auf der gesponserten Rampe daran erinnern, wem diese unsere “Inklusion” zu verdanken ist.
Was solche Menschen nicht wollen ist, dass diese Teilhabe in eine Position bringt, in der wir sagen können: “Danke dir ab jetzt komme ich auch ohne dich klar.“ Deshalb definieren sie den Begriff “Inklusion” einfach um und machen etwas daraus, was vor allem für sie dienlich und erstrebenswert ist.

Und deshalb wird diese Debatte auch oft so apolitisch geführt. Sobald man sie politisiert, landen wir inmitten der vielen emanzipatorischen Strömungen und an einem Punkt an dem klar wird: “Fuck – eine Rampe, ein zwei neue Gesetze werden nicht reichen. Hier ist mehr gefragt, als eine neue Art zu systematisieren und zu definieren.”.

Doch von der Erkenntnis, dass Stellvertreterei am Ende das Letzte ist, was als Ziel dieser Bewegung anerkannt wird, sind manche Menschen offensichtlich noch weit entfernt.

Der Begriff der Inklusion beschreibt ein Gesellschaftskonzept ohne definierte Normalität. Es gibt die bedingungslose Teilhabe, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung aller Personen mit jedwedem individuellem Merkmal.

Was sie begreifen müssen ist, dass “Inklusion” ein Ziel ist.
Und kein optionaler Weg, der sich ihnen wie so viele andere optionale Wege, die letztlich einzig dem Selbstherhalt einer exkludierenden Ordnung dienen, nun eröffnet.

Inklusion ist nichts, was man machen kann.
Inklusion wird gelebt.

2 Kommentare zu „„Inklusion“ ist kein Tu- Wort

  1. Thx für den Artikel. „Hier“, also da, wo ich wohne, denke ich oft, ich sei die einzige „behinderte Spinnerin“, aka grundundankbare Krüppelfrau, die so denkt. Wie gesagt: thx :-)

  2. Danke für diese Perspektive! Ich war auch auf dem Kongress und war als nicht behinderte Frau erstmal total angetan von dem was da gesprochen wurde und wem ich da begegnet bin. Ich bin immer wieder froh wenn mir meine Sichtweise ein kleines bisschen erweitert wird.

Kommentare sind geschlossen.

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