Arabisch und nordafrikanisch aussehende Menschen™

Vorab: Ich hatte ein sehr schönes Silvester, und insgesamt auch sehr angenehme Feiertage, danke der Nachfrage. Da ich ein arabisch aussehender™ Mensch bin, mit arabischen Namen (der für manche Kartoffeln eher persisch klingt, aber dazu später vielleicht mehr), ließ es sich in meinem Fall nicht vermeiden die Feiertage mit anderen arabisch aussehenden™ Menschen zu verbringen. Auch Männer (unter anderem bspw. mein Vater, der je nach Tagesform aber auch mal aussieht wie Adriano Celentano, also wie ein Italiener, aber dazu später vielleicht mehr) waren dabei, also, arabisch aussehende Männer™, von denen man ja jetzt viel in der Zeitung liest. Es geschah, auweiah auweiah, ebenfalls, dass mir arabisch und/oder nordafrikanisch™ aussehende männliche Freunde ein frohes neues Jahr wünschten.

Arabisch aussehender Mensch™ mit Raclette-Pfanne bewaffnet. Dieses Bild wurde an Silvester, jedoch nicht in Köln aufgenommen.

Als arabisch aussehender Mensch™ bin ich (wie viele andere arabisch aussehenden Menschen™) auch mit anderen arabisch und/oder nordafrikanisch aussehenden Menschen™ befreundet, wobei das nicht bedeuten muss, dass all diese Menschen zwangsläufig etwas mit irgendeinem „Arabien“™ zu tun haben – manche sind auch einfach nur türkisch, kurdisch, afghanisch oder pakistanisch, zum Beispiel.

Sieht Adriano Celentano aus wie ein arabischer Mann oder sehen arabische Männer manchmal aus wie Adriano Celentano? Fragen über Fragen!
Sieht Adriano Celentano aus wie ein arabischer Mann oder sehen arabische Männer manchmal aus wie Adriano Celentano? Fragen über Fragen über Fragen!

Ich glaube aber, dass wir arabisch aussehenden Menschen das insgesamt etwas großzügiger sehen, denn es ist ja auch alles nicht so einfach für die Kartoffeln, denn wir Schwarzköpfe sehen ja auch oft alle gleich aus. Und das sind ja nicht die einzigen Probleme bei der Identifizierung. Ich zum Beispiel, als arabisch aussehender, deutsch sprechender Mensch mit anscheinend persisch klingendem Namen sorge zum Beispiel immer wieder für Verwirrung. Die Frage „Woher kommst Du?“ ist für mich primär nicht wegen ihrer eigentlichen Unverschämtheit ein riesengroßer Nervfaktor, sondern weil ich seit Jahrzehnten zusehen muss dieses Interesse an meiner ethnischen Herkunft nicht zu einem Ratespiel auswachsen zu lassen, denn dabei geht meine Lebenszeit drauf. Warum? Darum:

„Oh, Dein Name ist aber interessant, ist das persisch?“ „Nein.“ „Eeeeeecht? Aber was dann???“ „Ist ein arabischer Name.“ „Oh! Welches arabische Land? Warte lass mich raten…“ Oh bitte. Bitte, bitte, bitte nicht.

Ich meine, gut, wenn sich die Herkunftsfrage alleine am Nachnamen entfaltet habe ich schon Zeit gespart – ich wurde auch schon für griechisch, spanisch, italienisch, maltesisch, ungarisch, bulgarisch und portugiesisch gehalten. Trotzdem, wir reden pie mal Daumen über mehr als 20 Länder, und Erdkunde ist noch oft nicht die größte Stärke linientreuer Kartoffelmenschen. Hobby-Geographen sind auch die allerwenigsten (auch wenn einige natürlich regelmäßige Nahost-Urlauber_innen sind).

Ich weiß nicht wie viele Menschen in Deutschland seit Silvester 2015 glauben, dass Syrien in Nordafrika liegt, aber ich schätze es sind mehr als zehn. Ich weiß nicht wie viele Menschen in Deutschland seit Silvester 2015 glauben, die Mehrheit der nach Deutschland geflüchteten Menschen kommt aus Nordafrika™, aber ich glaube es sind mehr als 20.

Die neudeutsche Tradition jetzt über „nordafrikanische und arabische Länder“™ zu sprechen entspricht aber natürlich dem Wunsch nach Ordnung, Vollständigkeit und Korrektheit. In Deutschland macht man keine halben Sachen, da ist man informiert und weiß Bescheid. Und Wikipedia sagt es ja schließlich auch:

„Der Begriff arabische Welt (…) bezeichnet eine Region in Nordafrika und auf der Arabischen Halbinsel. Staaten mit einer mehrheitlich arabischen Kultur sind Teil der arabischen Welt.“

Ich bezweifel trotzdem das all diejenigen, die jetzt mit großem Eifer (und auch im gut gemeinten Sinne) über arabisch und nordafrikanisch aussehende Menschen™ sprechen, überhaupt wissen, woher arabisch und nordafrikanisch aussehende Menschen™ kommen.

Deswegen begegne ich den Schlagzeilen da draußen seit einigen Tagen auch mit einer ordentlichen Portion Lethargie. In meinen schlimmsten Alpträumen nuschelte mir der allwissende BeDeNaZ (Berühmtester deutscher Nahostexperte aller Zeiten) Peter Scholl-Latour in den letzten Tagen zu: „Dumpf und monoton dröhnten die Rufe der abendländischen Gemeinde angesichts der Ereignisse von Köln. Man müsse jetzt unbedingt über den Orient reden, forderten sie. Bedrohlich, obskur, ja fast apokalyptisch wirkte das Pfeifen der Demonstrierenden – der Kampf der Kulturen war zum hundertzwölfzigstausendten Male wieder im vollen Gange. Forderungen nach Abschiebung, Schließen der Grenzen und Schutz der germanischen Gemeinde machten laut die Runde.“

Und selbst Personen, die ich sehr schätze, schreiben auf einmal Sätze wie diese: „Natürlich müssen wir über Geschlechterordnungen in arabischen und nordafrikanischen Ländern sprechen.“ Wait, but why? Macht das doch nicht liebe Freund_innen! Verlinkt wird im selben Text dann leider auch auf einen Artikel, der tendenziös mit „Warum gibt es in vielen arabischen Ländern regelmäßig sexuelle Gewalt gegen Frauen?“ betitelt ist – so, als sei regelmäßige sexuelle Gewalt gegen Frauen weniger bei „uns“, sondern primär „da drüben“ eine Spezialität.

Ich weiß, das alles ist wahrscheinlich trotzdem wie immer gut gemeint, aber ich möchte das alles nicht. Ich möchte nicht dass irgendwelche Menschen in Deutschland, die…

  • … wahrscheinlich nicht mal alle arabischen und/oder nordafrikanischen Länder kennen
  • … wenn überhaupt diese Länder nur aus Medien/Urlaub/vom Hörensagen kennen (oder weil sie mit jemandem befreundet sind, der_die „da herkommt“ (oder die Eltern dieser Person)
  • … das binäre Narrativ „Herkunftsdeutsche vs. Ausländer“ bedienen
  • … usw. usf.

… über arabische und nordafrikanische Länder sprechen. Selbst ich möchte nicht über arabische und nordafrikanische Länder sprechen because, they are not a country und ich keine Planetenexpertin. Ich bin froh wenn ich mir in Nablus ein Falafel bestellen kann ohne mich halbwegs zu blamieren – warum zum Teufel sollte ich jetzt also anfangen über Geschlechterordnungen in Mauretanien zu sprechen? Ich schätze, meine Cousins und Cousinen und Onkel und Tanten außerhalb Deutschlands (alle arabisch aussehend™, natürlich), haben mehr Sorge was mein Wohlergehen in Deutschland betrifft als das andersrum mein Orakeln über ihre akute Geschlechterordnung die Kackscheiße von Köln erklären könnte. Sie werden spätestens dann diese Sorgen entwickeln wenn sie sehen was grad in der internationalen Presse rumgeistert, nämlich die Behauptung, die Stadt in der ich lebe sei eine No-Go-Area für Frauen:

WIE BITTESCHÖN SOLL ICH DAS MEINER ARABISCH AUSSEHENDEN FAMILIE IN EINEM ARABISCHEN LAND ERKLÄREN?
WIE BITTESCHÖN SOLL ICH DAS MEINER ARABISCH AUSSEHENDEN FAMILIE IN EINEM ARABISCHEN LAND ERKLÄREN?

Ich sage nur: Sollte ich irgendwann mal kriminell werden möchte ich nicht, dass sich wegen mir eine Integrationsdebatte entspinnt. Ich möchte nicht, dass die Grenzen dicht gemacht werden oder Leute abgeschoben werden. Ich möchte auch nicht, dass wegen mir Syrien und/oder Afghanistan bombardiert werden (nicht, dass meine Wurzeln™ dorthin führen würden, aber man weiß ja nie). In meinem Fall über Ausweisung oder Abschiebung zu sprechen würde sich aber eventuell von selbst erledigen: Ich schätze, ich bekäme wahrscheinlich keinen Aufenthaltstitel für Duma in der Nähe von Nablus in der Westbank (wer hier nicht weiterkommt: Wikipedia hilft!). Ich täte einen normalen Strafprozess nehmen, denn was besseres anderes gibt es ja im Moment nicht.

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Soviel dazu heute. Dieser Text ist ein Crosspost. An anderer Stelle habe ich in dieser Woche darüber geschrieben, warum der Rassismus in vielen Debatten dieser Woche übrigens fester Bestandteil von Rape Culture ist. Den Text findet Ihr hier.

3 Kommentare zu „Arabisch und nordafrikanisch aussehende Menschen™

  1. Ich finde es unfassbar und tatsächlich anti-feministisch einen Beitrag über sexuelle Belästigung mit der Beschimpfung der Opfer zu beginnen: Die Kartoffeln, die nichts unterscheiden können. Sowas bei einem sogenannten feministischen Blog ist krass!

  2. @Purzilla: Mir ist unverständlich, wie man von einem „diese politische Couleur weißer Deutscher findet, mein Name klingt persisch“-Satz in einem Artikel, der explizit auf rassistische Berichterstattungen reagiert, auf „Beschimpfung der Opfer“ kommt. Zumal du offenbar damit gleich davon ausgehst, dass alle Betroffenen in Köln, Hamburg und anderen Orten weiße deutsche Frauen waren (und hier Kartoffeln genannt würden) und alle Täter PoC. Ich kann dieses Aufwiegen von Antisexismus und Antirassismus nicht nachvollziehen – oder, besser gesagt: Ich finde es widerlich.

    Bedingungslose Solidarität mit den Betroffenen in Köln? Ja, ohne Wenn und Aber. Rassistische Tropen zur „Erklärung“ einer angeblich nur „importierten“ Rape Culture? Nein. Das hat nichts damit zu tun, Taten zu relativieren oder Betroffene nicht Ernst zu nehmen, sondern ist schlicht intersektionaler Feminismus, bei dem nicht nur A oder B geht und in dem man nicht nur z.B. Frau oder PoC sein kann.

    Sexualisierte Gewalt ist immer zu veruteilen, egal von wem, egal wo. Dass Leute bei der MM und sonstwo dagegen seit Jahren anschreiben/-reden/-demonstrieren (siehe z.B. Nadias Artikelgeschichte hier und auf ihrem persönlichen Blog…), scheint offenbar eine Neuigkeit zu sein, wenn diese sich nicht strategisch von Nationalist_innen, die sich vorgestern noch über Antisexismus belustigten, oder Feminist_innen, die unter Rape Culture die Verletzung der „Reinheit“ weißer Frauen durch „das Fremde“ zu verstehen scheinen (siehe EMMA et al.), vereinnahmen lassen. Ich hab bei Twitter mehr dazu geschrieben, hier, hier, hier und hier.

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