Zum Tod von Ursula K. Le Guin: Realistin größerer Realitäten

Dieser Text ist Teil 52 von 53 der Serie Wer war eigentlich …

Sie wollte ungern ausschließlich als Sci-Fi-Autorin bezeichnet werden – nicht etwa, weil sie sich von dem Genre abgrenzen wollte – ganz im Gegenteil hat sie doch Jahrzehnte lang gegen Ansichten der „ernsteren“ Literatur zu Genre-Fiktion angeschrieben – sondern weil es ihrem Schaffen nicht gerecht wird, sie einfache Kästen verabscheute. Nun ist am 22. Januar die us-amerikanische Schriftstellerin Ursula K. Le Guin im Alter von 88 Jahren verstorben. Sie hinterlässt ein unglaubliches Schaffenswerk: Romane, Kurzgeschichtenbände, Kinderbücher, Gedichte, Essays, Reden, Briefe; alles auf einem großen Spektrum von realistisch zu fantastisch. Ihre Werke wurden regelmäßig seit den 1960ern veröffentlicht, nachdem in den 50ern ihre ersten fünf Romane als zu seltsam von Verlagen abgewiesen wurden.

Mit ihrem 1969 veröffentlichten Roman The Left Hand of Darkness, in dem sie eine Welt entwarf, in der alle Personen fluide Geschlechter haben, schaffte sie einen Klassiker der feministischen Sci Fi Literatur. Im Jahr 1974 veröffentlichte sie einen der ersten (und wenigen) utopistisch-anarchistischen Romane, inspiriert von Kropotkin und ihren Auseinandersetzungen mit Gewaltlosigkeit. Über die Unterscheidung von realistischer und fantastischer Literatur (und deren unterschiedlichen Gewichtung) sprach und schrieb Le Guin regelmäßig. Sie, die die wunderschöne Beschreibung „Realist_in einer größeren Realität“ verwandte, verdeutlichte, wie wichtig es ist Utopien zu entwerfen, über mögliche Formen des Zusammenlebens fortwährend nachzudenken, sich nicht eingrenzen zu lassen.

“We live in capitalism. Its power seems inescapable. So did the divine right of kings. Any human power can be resisted and changed by human beings. Resistance and change often begin in art, and very often in our art, the art of words.” ―Ursula K. Le Guin

Kunst, und vor allem das Schreiben, verstand Le Guin als einen wichtigen Ansatz Systeme (wie auch den Kapitalismus) zu verändern. Literatur als einen Widerstandsort, an dem Worte für neue Realitäten gefunden werden können. Mit ihrem Schreiben wollte sie Mauern einreißen, auch in dem sie Charaktere abseits der weißen männlichen Norm schuf. Ihre vielen Leser_innen nahmen dies dankend an. Schriftstellerinnen wie Nnedi Okorafor, Margeret Atwood und N.K. Jemisin haben ihr heute gedacht. Die Filmemacherin Arwen Curry (u.a. Regarding Susan Sontag) arbeitet derzeitig an der Post-Produktion eines Dokumentarfilms über Ursula K. Le Guin.

Im Jahr 1987 wurde Ursula K. Le Guin gefragt, einen Kommentar für den ersten Band einer neuen Science Fiction Reihe, die etablierte und neue Autor_innen (oder wie sich zeigte eher Autoren) zusammenbringen sollte, zu schreiben. Ihr Antwortschreiben an den Verleger John Radziewicz ist mittlerweile legendär:

I can imagine myself blurbing a book in which Brian Aldis, predictably, sneers at my work, because then I could preen myself on my magnanimity. But I cannot imagine myself blurbing a book, the first of a new series and hence presumably exemplary of the series, which not only contains no writing by women, but the tone of which is so self-contentedly, exclusively male, like a club, or a locker room. That would not be magnanimity, but foolishness. Gentlemen, I just don’t belong here.

„Meine Herren, ich gehöre hier einfach nicht hin.“ ist kein Kleinmachen, kein Bitten nach kläglichen Veränderungen, sondern eine direkte Absage an Typen-Clubs, weil sie – und wir – besseres verdient haben.

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