Dieser Text erschien vor kurzem bereits bei Danger!Bananas. Wir danken Naekubi für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung!
Jetzt wo München in Eis und Schnee versinkt, ist die ideale Zeit für Fernreisen. Warum nicht einfach dem Grau entfliehen und gen Süden ziehen.
Das müssen sich auch meine Kollegen gedacht haben. Bei ihnen steht ein Land hoch im Kurs, das sich auch außerhalb des PR-Büros größter Beliebtheit erfreut: Vietnam. Vor Jahren noch ein Backpacker-Geheimtipp, hat sich das Land zu einer Destination fast massentouristischen Ausmaßes gemausert. Im Büro werden Bilder getauscht, Restauranttipps zugeflüstert, Reiserouten verglichen und Anekdoten von Traumstränden und anderen Reisenden zum Besten gegeben.
Ich sitze schweigend daneben. Was soll ich dazu sagen? Viel kann ich zu den Unterhaltungen ohnehin nicht beitragen, denn Vietnam habe ich das letzte Mal vor fünfzehn Jahren gesehen. Damals war ich zwölf und es war meine allererste Fernreise überhaupt. Ihre Begeisterung kann ich nicht teilen. Vietnam – ich erinnere mich an die schwüle Hitze, die mich, die ich in Mitteleuropa akklimatisiert wurde, nur ermattete. Die Menschen auf der Straße waren mir fremd – irgendwie sprachen sie eine ähnliche Sprache wie ich, aber ich spürte keine Verbindung zu ihnen. Sollte das mein Volk sein? Die Menschen auf der Straße waren tiefbraun gebrannt und arm, bettelten mich an, beklauten meine Familie oder waren körperlich versehrt.
An Saigon erinnere ich mich als eine furchteinflößende Stadt – Cyclo-Fahrer schienen jederzeit bereit, uns im dichten Straßenverkehr zugunsten schnelleren Fortkommens über den Haufen zu fahren. Bei Monsun waren die Straßen teilweise kniehoch überflutet mit braunem Wasser, das ungesund aussah. Vom ungewohnten Klima und dem Essen hatte ich ständig Magenschmerzen.
Ich verlasse die Unterhaltung im Büro und gehe nach draußen, weil ich meine eigene Gefühlsgemengelage ordnen muss.
Da ist Trauer über das Konzept von Heimat, das für mich einfach nicht gilt. Ist bei mir Heimat verloren gegangen und wenn ja, was habe ich eigentlich verloren? Und warum sollte mir das wichtig sein?
Neid mischt sich hinein, weil da jemand meine Herkunft besser kennt als ich. Das Herkunftsland meiner Eltern würde ich auch genauer kennen wollen, warum schaffe ich das nicht? Was hält mich auf, warum kriege ich das nicht hin? Warum kann ich kein unverkrampftes Verhältnis zu diesem Land haben?
Und schließlich: Verlegenheit, weil ich doch meine Herkunft besser kennen sollte als andere. Stammen meine Eltern nicht von dort? Spreche ich nicht die Sprache, zumindest ansatzweise? Fließt neben Blut nicht auch Fischsoße durch meine Adern?
Viele Menschen mit Migrationshintergrund kennen diesen emotionalen Zwiespalt: Selbstbild, Fremdverortung und Verhalten wollen kein stimmiges Bild ergeben. Die Puzzleteile scheinen von verschiedenen Puzzlebildern zu stammen. Wie umgehen mit dem, was an einem selbst „anders“ ist? Ignorieren des als „anders“ erfahrenen Persönlichkeitsanteils? Völlige Ablehnung, Leugnung, Hass? Ich versuche, aus mir selbst ein stimmiges Bild zu formen. Ein Monet wird es nicht. Eher so etwas wie ein Kandinsky oder Kirchner.
Die KollegInnen gehen dazu über, die Verkehrsverbindungen zu diskutieren, es geht um Hanoi, Ha-Long-Bucht, die kaiserlichen Anlagen in Hue und das Museum über die Tunnel der Vietcong.
Insgeheim plane ich, es zu wagen.
Eines Tages fahre ich hin. Nicht heute, nicht morgen, aber bald. Wird es eine Rückkehr oder eine Expedition?