Dieser Kommentar ist in der Februar-Ausgabe der an.schläge erschienen. Wir dürfen ihn hier mit freundlicher Genehmigung zweitveröffentlichen und haben das Original an einigen Stellen verändert.
Noch bevor Critical Whiteness Ansätze ihren Weg in die queer_feministische oder linke Praxis gefunden haben – von einer Kanonisierung in den kritischen Wissenschaften hierzulande ganz zu schweigen –, werden diese bereits auf ihre angeblich in die antirassistische Sackgasse führenden Annahmen hin überprüft. Bemerkenswert ist, dass dafür nicht etwa bereits diskutierte Punkte von Theoretiker_innen of Color die Grundlage bilden, sondern vornehmlich jene Kritiker_innen zitiert werden, die Critical Whiteness Ansätze von vornherein ablehnen.
Ein hier gern angeführtes Argument ist das „Übertragbarkeitsproblem“: Aus vermeintlich historischen Gründen würde weiß als kritisch zu betrachtende Norm und Folie, auf der die anderen rassifiziert und entwertet werden, nur in einem US-amerikanischen, nicht aber in einem deutschen bzw. europäischen Kontext Sinn machen. Dieses Argument sagt viel darüber aus, wie weit die Aufarbeitung eigener Kolonialgeschichte vorangeschritten ist (oder auch nicht). Dieses Argument zeigt auch, wie weiß und damit eklatant unzureichend und eindimensional das Verständnis von Rassismus ist: Rassismus als ausschließliches Problem der Institutionen Nationalstaat und EU und ihren Behördenapparaten, die über Zugehörigkeiten und Teilhabe von „Ausländern“ entscheiden und Rassismus dabei als Rechtfertigungsideologie für supra_nationalökonomische Verwertungsinteressen funktioniert. Rassismus als Problem von „Prügelbullen“, Nazis und populistisch argumentierenden Einzelpersonen wie Gauck, Sarrazin und Buschkowsky. Unberücksichtigt bleibt, wie diese Politiken, Ideologien, „Meinungen“ und „Argumente“ miteinander zusammenhängen, an welche kolonialrassistischen Praktiken und Diskurse sie anknüpfen, auf welchen Normsetzungen sie beruhen und wie fundamental Weißsein für die Konstituierung von „Deutsch“ und Nation nach wie vor ist.
Die Debatte um die Streichung rassistischer Begriffe aus Kinderbüchern zeigt: weißes Überlegenheitsdenken findet auch jenseits von Nazis und Polizeistaat statt. (Kolonial)Rassismus spielt auch heute noch eine Rolle. Die ihm zugrunde liegenden Normen und Konstruktionsprozesse sind nach wie vor diskursiv wirkmächtig und strukturbildend.
Um in rassistische Diskurse und Strukturen intervenieren zu können, ist sicherlich mehr als eine einzige Perspektive und ein Bezugspunkt nötig. Nur so können Rassismus, seine Argumentations- und Realisierungsformen überhaupt verstanden werden. Trotzdem ist Rassismus ein Machtverhältnis, das Hierarchien benötigt und soziale Positionen hervorbringt, die diskriminiert oder privilegiert sind. Und dass die privilegierte Position weiß zugleich die unhinterfragbare und permanent entnannte Norm dieses Machtverhältnisses bildet, mit der Individuen ständig konfrontiert sind und sich immer zu ihr verhalten.
Der Sinn von Critical Whiteness Ansätzen besteht unter anderem darin, diese Norm als solche an_zu_erkennen und ihre Auswirkungen als weißes Subjekt in der eigenen rassismuskritischen Praxis mitzudenken, sich als weißes Subjekt in Bezug zu Rassismus zu setzen und aufgrund rassistischer Privilegierungen den Fokus ebenfalls auf diese Aspekte von Rassismus zu richten. Sonst sind struktureller Rassismus und weiße Dominanz auch innerhalb feministischer Bewegungen weder kritisier- noch veränderbar.
Warum beobachte ich in letzter Zeit, dass in weiß dominierten feministischen und linken Kontexten eine kritische Besprechung von Critical Whiteness stattfindet, während Rassismus kein selbstverständliches Thema ist, selten interdependent zu Sexismus gedacht wird und weiß nie benannt wird? Was wären die Reaktionen, würde anstatt Critical Whiteness die Legitimität von Feminismus diskutiert? Was sagt das über die weiße Normsetzung innerhalb feministischer Ansätze aus?
Es tut mir leid, aber dieser Text stimmt so leider nicht. Es ist ja nicht so, dass „Critical Whiteness“ deshalb in linken Zusammenhängen kontrovers diskutiert wird, weil es im Sinne einer kritischen Wissenschaft an Universitäten gelehrt wird. Da gehört es hin und ich denke da wird auch niemand widersprechen. Diskutiert wird es unter anderem deshalb, weil antirassistische Arbeit in der Praxis behindert wird.
So schöne Anekdoten wie folgende, bei denen durch die Praxis von „Critical Whiteness“ rassistische Zuschreibungen weiter transportiert werden, gibt es einige: ein Artikel in einer antirassistischen Zeitung wurde ablehnt, da der Name der Verfasserin zu Deutsch erschien, was diese zur wütenden Überlegung brachte, ob sie denn jetzt zu jedem Artikel ein Foto von sich mitschicken soll, damit diese veröffentlicht werden (weil ja doch PoC). Dass es ernsthaft die Ideen gibt auf Camps eigene Bereiche für PoC einzurichten geht in diesselbe Richtung. Wer bestimmt denn, wer PoC ist? Muss ich da einen Nachweis über meine Familiengschichte abgeben? Wie gesagt im weißen Herrschaftsdiskurs der Universitäten, da macht „Critical Whiteness“ Sinn – in der politischen Praxis, hat es sich bisher als kontraproduktiv erwiesen.
Edita,
ich sehe nicht, was die Schaffung von Schutzräumen für People of Color auf einer weiß dominierten Veranstaltung wie dem No Border Camp (darauf spielst du ja sicher an, oder?) per se mit dem Konzept von Critical Whiteness zu tun haben. auch schon wieder so ein Fehlschluss, der gerne Konzepten angeheftet wird, nicht aber der praktischen Umsetzung. Bestimmen, wer PoC ist und wer nicht, tun in erster Linie Menschen, die von Rassismus betroffen sind (Weiße Deutsche gehören nicht dazu) und die diesen Begriff für sich als Selbstbezeichnung sehen, um als Kollektiv über Rassismuserfahrungen sprechen zu können.
Ich sehe auch nicht, wie sich Wissenschaft von politischer Praxis lösen lässt. Das Konzept macht überall dort Sinn, wo in erster Linie weiße Menschen dominant sind und Strukturen vorherrschen, die von weißen installiert wurden, wo Menschen, die von Rassismus betroffen sind, kein Gehör finden. Critical Whiteness bedeutet auch, als weiße Person Definitionsmacht über antirassistische Kämpfe abzugeben – an Betroffene. Ihnen zuzuhören, ihre Anliegen zu unterstützen und die eigene Position hinterfragbar zu machen.
Zum Zeitschriften-Beispiel kann ich nicht viel sagen, weil mir das nicht bekannt ist. Hast du einen Link zu der Debatte? Dieses Beispiel zeigt in erster Linie einen fatalen Fehlschluss in der Praxis, der nicht am Konzept selbst liegt, sondern in der Umsetzung. Wo genau ist jetzt also dein Kritikpunkt am Konzept?
Hallo Nadine,
Ich sehe das nicht so. Tatsächlich würde ich sagen, dass es gerade in den Flüchtlingsorganisationen vor allem eine Selbstorganisation der Flüchtlinge war und keine paternalistisch gelenkte „Wir Weißen wissen besser was Du brauchst als Du selbst“ Bestimmung von außen. Aber vielleicht hab ich da die löblichen Ausnahmen erlebt. Im Bereich des Rassismus ist das alles doch viel schwieriger, weil es ja PoC auch als „echte Deutsche“ auch gibt, was immer gerne vergessen wird und ja auch gerne gerade von Menschen, die sich selbst politisch aktiv auf der richtigen Spur befindlich meinen. Ich will jetzt hier niemanden hinhängen, aber wenn jemand Lieschen Müller heißt, dann wird es schwierig, wenn die Redaktion auf der anderen Seite gerne jemand mit einem exotischen Namen hätte um ihre eigene Selbstverpflichtung zur „Wir lassen die Betroffenen selbst schreiben“ erfüllt zu haben. Wenn Lieschen Müller PoC ist, dann geht das aber aus dem Namen nicht hervor…
Zur Verbindung von Theorie und Praxis. Auch da habe ich eine andere Meinung. Denn ja natürlich ist Theorie wichtig, aber wenn ich ganz pragmatisch z.B. eine Abschiebung verhindern will, dann rechne ich nicht die weißen gegen die PoC Demonstranten. Wenn Du hier die Linie zum Feminismus ziehen willst, dann gehöre ich auch hier zu Menschen, die, wenn es z.B. gegen den 1.000 Kreuze Marsch geht, auch um jeden männlichen Demonstranten froh ist. Ich habe ich die Diskussionen um „Critical Whiteness“ als ausgrenzenden Diskurs erlebt, ausgrenzend weißen Aktiven gegenüber, die gute Arbeit leisten und auch ausgrenzend den PoC Deutschen gegenüber, die dem Rassismus der Deutschen ja auch ihr ganzes Leben lang ausgesetzt waren.
Versteh mich bitte nicht falsch. Natürlich sind Rassismen auch bei politisch Aktiven zu finden, aber ich halte es für falsch politische Erkenntnis aus biografischer Erfahrung abzuleiten (und auch das ist mir bei den Vertretern der „Critical Whiteness“ aufgestoßen – wer reden will muss einen seelischen Stripstease hinlegen). Überspitzt gesagt, dürfte es nach der Logik der „Critical Whiteness“ (so wie sie mir in der Praxis untergekommen ist) jemand wie Philipp Rösler als Mitglied der FDP nicht geben. Als theoretisches Konzept und universitäre Grundverpflichtung habe ich gegen die Critical Whiteness überhaupt nichts auszusetzten – in der praktischen politischen Arbeit erlebe ich es als Herrschaftsinstrument. Ich denke mit den neuen Überlegungen der Flüchtlinge sich als Nicht-Bürger zu bergreifen, wird der Diskurs entzerrt. Aber das ist wieder eine neue Diskussion.
Die besten Grüße
Edita
Hallo Edita,
ich finde, das geht gerade in eine Scheindiskussion über: Wer behauptet denn bitte die Nicht-Existenz von PoC mit deutscher Staatsbürger_innenschaft? Doch sicher nicht das Konzept! Das Namen-Beispiel ist kein Gegenargument, sondern eine rassistische Vorannahme seitens des Magazins und hat nichts mit dem Text oder mit dem Konzept zu tun.
Weiterhin werden nicht aus biografischer Erfahrung politische Handlungen abgeleitet, sondern aus der sozialen Positionierung der Akteur_innen heraus, die ganz klar mit Machtverhältnissen verknüpft sind. Das sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe, hat weniger mit Identitätspolitik und schon gar nichts mit „seelenstriptease“ zu tun. Auch behauptet keine Person, dass sich weiße nicht mehr gegen Rassismus engagieren sollen (das Beispiel mit dem 1000 Kreuze Marsch lasse ich mal weg, weil Rassismuskritik Feminismus einschließt und umgekehrt – sagt auch schon einiges darüber aus, wen du bei Feminismus im Kopf hast und wen nicht). Weiße sollen eben bedenken, dass Rassismuskritik für sie etwas anderes sein muss, weil Rassismus nun mal auch mit ihnen zu tun hat und nicht nur mit denen, die davon betroffen sind. Rassismus ist von Weißsein schlicht nicht zu trennen. Critical Whiteness hebt das hervor, wenngleich es nicht der einzige Aspekt bleiben sollte (allerdings auch nicht ist – nach meinem Kenntnisstand weder in Theorie noch Praxis). Ich finde es bemerkenswert, dass die Debatte in antirassistischen Zusammenhängen, die nicht weiß dominiert sind, längst viel weiter ist und wie stark die Abwehr gegen eine Perspektive ist, die Menschen, die von Rassismus betroffen sind, jeden Tag einnehmen (müssen).
Antirassistische Ansätze als Herrschaftsinstrument zu bezeichnen, ist schlichtweg falsch, weil es die Machtdimension ausklammert, die Rassismus zu Grunde liegt. So als gäbe es Rassismus gegen weiße. oder als könne ein(!) Konzept, dass Rassismus nun mal auch auf der Seite der Profiteur_innen verortet und damit arbeitet, rassistische Verhältnisse umdrehen. Von solchen Bemerkungen bitte ich im weiteren Verlauf der Diskussion abzusehen, da sie Rassismus reproduzieren.