Wie misst man Geschlechtergerechtigkeit?

Spiegel Online befasst sich mit einem „deutschen Reizthema – die Gleichstellung der Frauen“ – und titelte vor ein paar Tagen: „Deutschland fällt bei Frauen-Gleichstellung zurück“. Waaas?! Unerhört! Aber es wird sogar noch schlimmer: Den aktuellen Global Gender Gap Report in investigativ-journalistischer Manier untersuchend fällt dem Autor oder der Autorin ebenfalls auf: Lesotho und Südafrika sind in der Auswertung sogar noch vor Deutschland gelandet. Welt Online lässt es sich nicht nehmen und skandalisiert gleich mit: „Deutsche bei Emanzipation schlechter als Lesotho“. Da fallen ja die Weißwürste vom Teller!

Die ersten 20 Länder des Global Gender Gap Index (Screenshot)
Die ersten 20 Länder des Global Gender Gap Index (Screenshot)

Aber mal von vorn: Der Global Gender Gap Report vom World Economic Forum prüft seit 2006, wie es um die Kluft zwischen Frauen und Männern in der Wirtschaft, (zum Beispiel bei Lohngleichheit oder Aufstiegschancen), beim Zugang zur Grund- und höheren Ausbildung, bei der politischen Beteiligung sowie bei Gesundheit und Lebenserwartung in den einzelnen Ländern steht.

Gemessen werden – wie übrigens auch Welt Online trotz reißerischen Titels betont – relative Differenzen zwischen den Geschlechtern, um einen internationalen Vergleich überhaupt erst möglich werden zu lassen. Die absolute wirtschaftliche Entwicklung des Landes spielt bei dem Ranking keine Rolle. Bewertet wird ebenso wenig die Gleichstellungspolitik (und deren Qualität), sondern lediglich Faktoren, die klar quantifizierbar sind: Wie viele Mädchen und Jungen gehen jeweils in die Schule, wie viele Ministerinnen gibt es im Vergleich zu Ministern etc. Das ist die Stärke der Studie in Hinblick auf Vergleichbarkeit, aber offenbart auch ihre Grenzen: Gleichberechtigung ist eben nicht nur in Zahlen messbar.

Die deutschen Geschlechterverhältnisse haben sich sogar verbessert und trotzdem sinkt Deutschland um einen Platz, weil die Werte der anderen Länder zur gleichen Zeit noch schneller gestiegen sind. So stellt sich die Frage, wie hilfreich solche Studien sind, wenn zwar ein hoher Wert an quantitativ ermittelter Geschlechtergerechtigkeit aufgezeichnet wurde, aber ganz andere Probleme im Land vorherrschen. Ein Beispiel: Gehen im Land X 40% aller Jungen und 39% aller Mädchen auf eine weiterführende Schule, ist der gender gap zwar niedrig und der Wert für Geschlechtergerechtigkeit hoch. Was sich in der Studie aber kaum niederschlägt: Eine Menge Kinder – ob Junge oder Mädchen – gehen nach der Grundschule ab. Land X punktet zwar in der Gleichstellung, die Frage aber bleibt: Hat Land X ein zufriedenstellendes Bildungssystem?

Kritikwürdig an der Studie ist außerdem, dass sich ein gender gap zu Ungunsten von Jungs und Männern nicht negativ auf den Index ausschlägt. Welt Online merkt an, dass zum Beispiel der niedrige Männeranteil in isländischen Universitäten als geschlechtergerecht gewertet wird.

Was neben der ganzen „Wir sind noch hinter Lesotho!!“-Hysterie und den methodischen Fallen außerdem wenig Beachtung findet: Auch die Länder der vorderen Plätze haben nach den berechneten Faktoren keine Gleichberechtigung. Islands Wert von 0,85 entspricht eben auch nur einer knappen Zwei auf der schulischen Notenskala. Ob nun im Vergleich zu Lesotho oder Island: Deutschland hat noch einiges zu tun in Sachen Geschlechtergerechtigkeit.

2 Kommentare zu „Wie misst man Geschlechtergerechtigkeit?

  1. Sind „Ministergattin“, „Spielerfrau“ und „It-Girl“ (etc.) eigentlich zertifizierte Ausbildungsberufe? Dann sollten sie aber auch Männern offenstehen.

  2. „Deutschland hat noch einiges zu tun in Sachen Geschlechtergerechtigkeit.“

    Das ist richtig, denn seit vielen Jahren haben wir ein stark wirksames staatliches Förderungsprogramm für die Alleinverdienerehe :

    Das Ehegattensplitting.

    „Die Verteidigung patriarchaler Regularien ertönt immer dann besonders lautstark und parteiübergreifend, wenn Änderungsvorschläge mit finanziellen Nachteilen für traditionell lebende Paare verbunden sind. Deshalb lässt sich auch die anderswo längst selbstverständliche Individualbesteuerung nicht durchsetzen. Das Ehegattensplitting stützt unter dem Deckmantel der Familienförderung die alte Bereichsteilung von Arbeitsmann und Familienfrau.“

    (Quelle : Dr. Gesterkamp, Die neuen Väter zwischen Kind und Karriere, S.112)

    „“..Laschet sprach von „Umerziehungsrhetorik aus den siebziger Jahren“, Ministerpräsident Jürgen Rüttgers gleich von Verfassungswidrigkeit. Es sei nicht Aufgabe der Politik, „den Menschen zu sagen, wie sie zu leben und ihre Familie zu organisieren haben“. Den aufgeregten Kritikern kam gar nicht erst in den Sinn, dass der sanfte Zwang, sich für ein bestimmtes Modell von Elternschaft zu entscheiden, seit Jahrzehnten wirkt – vor allem durch das von ihnen stets verteidigte (und meist selbst genutzte) Ehegattensplitting. Und zwar in einer finanziellen Größenordnung, die die Kosten der Prämie für die beiden Papamonate bei weitem übertrifft.“ (ebd., S.108)

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