Nach erfolgreichem (= abgeschlossenem) Lehramtsstudium in Musik und Physik arbeitet Julia-Josefine in der Physikdidaktik einer Berliner Uni. Und wenn sie gerade nicht die Studierenden mit Physik quält, liest sie gerne Bücher oder spielt Gitarre in der Band Totally Stressed. Für die Mädchenmannschaft hat sie die Biographie von Lieselott Herforth: Die erste Rektorin einer deutschen Universität von Waltraud Voss gelesen, erschienen im Transcript-Verlag (2016).
Dieses Jahr wäre Lieselott Herforth, Kernphysikerin und erste Rektorin an einer deutschen Universität, 100 Jahre alt geworden. Ein sehr guter Grund, sich mit dieser bemerkenswerten Frau zu beschäftigen. Das dachte sich auch Waltraud Voss und schrieb diese umfangreiche Biographie.
Physik studieren und eine Frau sein, das ist auch heute noch mit einigen Vorurteilen verbunden. Ich musste leider hin und wieder die Erfahrung machen, nicht als kompetent genug betrachtet zu werden und wenn doch, dann wurde mir abgesprochen eine „richtige“ Frau zu sein. Wie muss es wohl zu Zeiten von Lieselott Herforth gewesen sein? Daher war ich sehr begierig darauf zu lesen, welche Erfahrungen sie gemacht hatte und wie ihr Umgang damit war. Immerhin hatte sie es bis zur Rektorin der Technischen Universität Dresden geschafft und war damit die erste Frau in Deutschland, die solch eine Stellung annahm.
Aber schon in der einleitenden Bemerkung wurde mir klar, dass diese Erwartungen wohl nicht erfüllt werden. Waltraud Voss stellt klar: Das Buch ist eine „Bestandsaufnahme“ ist. Was meinem Leseinteresse keinen Abbruch tat.
Das Buch ist eine umfangreiche und übersichtliche Darstellung von Lieselott Herforths Leben. Viele Originalquellen und Bilder sind zu sehen und Waltraud Voss nimmt sich ausreichend Zeit für alle Aspekte in Lieselotts Leben. So findet sich auch eine kleine und liebevoll ausgesuchte Zusammenstellung von Originalbriefen des Vaters an Lieselott.
Zu Beginn von jedem Kapitel findet sich ein gesellschaftlicher Abriss. Dies ist wichtig, denn Lieselott Herforth war Kernphysikerin. Der zweite Weltkrieg, der Bau der Atombombe, der Energiewechsel von Kohle zu Kernenergie, die Gründung der DDR bis hin zum Mauerbau, der Kalte Krieg: Das waren die Zeiten, in denen Lieselott in diesem Bereich tätig war, sich immer für eine friedliche Nutzung einsetzte und in entsprechenden Gremien vertreten war.
Wer sich nicht von diversen unerklärten physikalischen Begriffen wie „Strömungsionisationskammer“, „Szintillationszähler“ oder „Sekundärelektronenvervielfacher“ abhalten lässt und eine gut recherchierte und zusammengestellte Biografie lesen möchte, wird hier nicht enttäuscht. Denn auch ohne das physikalische Verständnis wird klar, dass diese Frau in Ihrem Gebiet viel geleistet hat. Als Wissenschaftlerin, aber auch als hervorragende Lehrerin und Reformatorin zur praxisnaheren Ausbildung. Das Buch ist eine angemessene Würdigung für das umfangreiche und beeindruckende Leben der Lieselott Herforth.