Über das Nicht-Kinder-Haben

Dieser Text ist Teil 72 von 140 der Serie Die Feministische Bibliothek

„Niemals.“ […]

„Du glaubst nicht, dass du irgendwann mal deine Meinung änderst? Da ist keine Möglichkeit, dass das JEMALS passiert?“

Erschöpft wurde ich schwächer. „Naja, ich schätze theoretisch ist es schon möglich, dass ich eines Tages meine Meinung ändere, aber —“

„—Siehst du? Ich wusste, dass du Kinder möchtest!“* (Bonnie Datt, What to Expect When You’re Never Expecting)

In dem Sammelband No Kidding. Women Writers On Bypassing Parenthood schreiben neben Bonnie Datt noch 36 weitere Autorinnen (die meisten aus dem Comedy-/Stand-Up-Bereich) über das Nicht-Kinder-Haben, wobei es noch konkreter vor allem darum geht keine Kinder geboren zu haben oder_und dies nicht vorzuhaben. In kurzen Beiträgen schreiben diese Frauen über Erfahrungen mit Kindern, von den unterschiedlichen Gründen ein „kinderloses“ Leben zu führen und wie diese Entscheidung_Tatsache von ihrem sozialen Umfeld aufgenommen wird.

no kiddingSo weit, so die Prämisse. Nur leider ist das Buch nicht empfehlenswert. Das größte Problem: Zwar gibt es hier eine Ansammlung unterschiedlicher (in einem engen Rahmen, aber dazu gleich mehr) Geschichten, doch gibt es fast nie eine Verortung in gesellschaftlichen Strukturen. Viele der Autorinnen versuchen sich abzugrenzen von einer gesellschaftlichen Anrufung als (potentielle) Mutter, sie thematisieren aber nie an welche Personen sich diese Anrufung überhaupt in welchem Maße richtet und dass die Möglichkeit sich zwischen „Kinder bekommen“ und „nicht Kinder bekommen“ zu entscheiden auch nicht für alle Menschen gleich möglich ist.

Dass dies kein Thema wird, macht schon die Einleitung klar, in der postuliert wird, dass Kinder bekommen ja so einfach wäre. Die Autorinnen sind mehrheitlich weiß, überwiegend hetero, soweit ich das richtig gelesen habe ausschließlich Cis-Frauen, fast alle sind nicht-behindert und zum großen Teil in der Mittelklasse und aufwärts zu verorten. Und da sich alle Essays um das ganz eigene Erleben drehen, bleibt der Fokus äußerst begrenzt.

Das Nicht-Hinterfragen von Machtstrukturen und vorherschenden Gesellschaftsvorschstellungen von dem, was eigentlich Familie ist, wie Elternschaft auszusehen hat etc., zeigt sich in vielen Aussagen, die so nebenbei, vollkommen unproblematisiert, in dem Buch getroffen werden. So schreibt Wendy Liebmann in ihrem Essay Bearing It:

Ich habe bereits zwei Stiefsöhne im Teenager-Alter. […] Aber ich habe sie nicht geboren. Ich habe sie aufgezogen und sie sind zwei der Menschen, die ich am meisten liebe. Aber sie sind nicht mein Fleisch und Blut. Milch. Eier. Ich habe sie erzogen, aber nicht geboren. They got my nurture, not my nature.

Diese Essentialisierung von Mutter-Kind-Beziehungen findet nicht nur in diesem Text statt, sondern zieht sich als einer der roten Fäden durch die Sammlung. Sie hängt auch eng mit eben jenen Mutter-Mythen zusammen, die ständig wiederholt und verstärkt werden, um sich dann von ihnen abzugrenzen. Viele der Autorinnen scheinen sich dafür zu entschuldigen, dass sie keine Kinder geboren haben. Dies tun sie, indem sie ihre Karrieren als Ersatz-Kinder betiteln oder ihre eigene Unfähigkeit (in was auch immer) hervorheben. Eine dritte Strategie, wie sie zum Beispiel von Maureen Langan in Sitting On The Fence angewandt wird, ist es zu betonen, dass bereits andersweitig im Leben Sorgearbeit (für Kinder) übernommen wurde:

Ich mag nicht die offizielle Mutter von irgendwem sein, aber ich habe in meinem Leben schon viel bemuttert. Ich war mehr eine Mutter, als ich viel mehr Kind hätte sein sollen. […] Darum ist es für mich ok keine Kinder zu haben, weil ich bereits erzogen habe.

Dazu passt dann auch, das in vielen der Essays hetero-Beziehungen und deren Wichtigkeit im Mittelpunkt stehen. Und selbst wenn sich von der Vorstellung „Mutter zu werden“ abgegrenzt wird, wird häufig im Gegenzug hervorgehoben, dass die Autorin „trotzdem“ geheiratet habe (obwohl es ja schwierig sei, Partner zu finden, die auch keine Kinder möchten) oder es wird als wichtiger Faktor bekräftigt. So schreibt Judy Nielsen:

Ich dachte, ich hätte viel Zeit um Kinder zu haben. So dachte ich, warte ich einfach bis zum richtigen Zeitpunkt, dem richtigen Mann, Vater, Partner.

Darüber hinaus ist aber ihr Text einer der wenigen, der in der Sammlung eine Perspektive jenseits der oben genannten Parameter bietet, da sie in diesem ihre Multiple-Sklerose-Diagnose thematisiert. Allgemein bleibt aber festzustellen, dass die meisten Texte nur in einem geringen Raum des Vorstellbaren agieren, Normen kaum in Frage stellen und stattdessen viele verstärken. Dies passiert auch in dem „Witz“, den die meisten Texte auszustrahlen versuchen. Dies geschieht oft auf dem Rücken anderer Menschen, da wird gegen Mütter gebasht, es werden ständig fatshamende Kommentare eingebaut oder auch rassistische, ableistische, hetero_sexistische Aussagen getroffen.

Es ist also kein Wunder – und natürlich auch besser so – das beim Klappentext und in den Ankündigungen zum Buch selten bis nie das Wort „feministisch“ fällt. Trotz allem bin ich auf das Buch aufmerksam geworden, weil es in einer feministischen Zeitschrift (Bitch Magazine) wohlwollend besprochen wurde. Aufgrund dieses feministischen Rahmens hatte ich auch eine kritischere Auseinandersetzung im Buch erwartet. Was bleibt? Essays, die sich irgendwie nur um die eigenen Bauchnabel drehen und dabei – wenn sie nicht gerade auffallend *istisch sind – zu einem gewissen Grad auch leicht verwechselbar werden.

Henriette Mantel (Herausgeberin). 2013. No Kidding. Women Writers on Bypassing Parenthood. Seal Press. 233 Seiten.

* Alle Zitate sind im Orginal auf Englisch. Die Übersetzungen sind von mir.

9 Kommentare zu „Über das Nicht-Kinder-Haben

  1. Schade eigentlich. Ich hätte gerne mal ein kritisches Einstiegsbuch zum Thema „Warum Menschen sich gegen Kinder entscheiden“ gelesen.

  2. Na, das versuche ich jetzt mal besser zu machen:
    Für ein Buchprojekt interviewe ich Frauen, die keine Kinder wollen.
    Ich suche vor allem noch Frauen, die nicht aus der akademischen weissen Mittelschicht kommen.
    Nachricht an sarah.diehl@yahoo.de

  3. Sonja Siegert und Anja Uhlig haben letztens auch ein Buch zu dem Thema veröffentlicht „Ich will kein Kind. Dreizehn Geschichten über eine unpopuläre Entscheidung“.
    Ich habe es allerdings noch nicht gelesen, daher kann ich nicht beurteilen, inwieweit es sich in einem ebenso engen Kontext bewegt, oder ob es sich da unterscheidet.

  4. Was ich von Herzen gerne empfehle ist „Choice: True Stories of Birth, Contraception, Infertility, Adoption, Single Parenthood, & Abortion“ http://www.amazon.com/Choice-Contraception-Infertility-Adoption-Parenthood/dp/1596920629

    Da geht es zwar mehr um das wie (nicht) Kinderbekommen, aber die Essays sind so klug und touching, es lohnen sich auch die, in denen es ums dringend Kinderhabenwollen geht.

    Was ich auch sehr mochte, so sehr, dass ich es noch immer nicht fertig hab, um noch was übrig zu haben ist „Opting in – on having a child without losing yourself“ http://www.amazon.com/Opting-Having-Without-Losing-Yourself/dp/0374226725/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1383053469&sr=1-1&keywords=opting+in+having+a+child+without+losing+yourself

    Das geht es zwar eher um das Gegenteil von „No kidding“, aber das Buch beschäftigt sich auch mit gesellschaftlichen Aspekten, beleuchtet zum Beispiel rassistische Bevölkerungspolitik oder reproduktive Rechte. Superperfekt ist auch dieses Buch nicht; queere Elternschaft ist, wenn ich mich nicht falsch erinnere, eher ein Nebensatzthema und geschlechtsoffene Erziehung ist sehr halbherzig behandelt, dafür ist es in anderen Bereichen (z.B. Freundschaften zwischen Eltern und Kinderlosen) ein sehr angenehmes Buch, das über seinen Titel hinaus geht.

    (und von mir ein kleines Fangirlwinken an Sarah Diehl!)

  5. Zu dem Buch: Sonja Siegert, Anja Uhling “ Ich will kein Kind. Dreizehn Geschichten über eine unpopuläre Entscheidung“ : dazu gibt es in der aktuellen „an.schläge“ ein Rezension, die positiv ausfällt und es wirkt so, als wäre hier der gesellschaftliche Rahmen deutlich mehr Thema.
    Die Rezension klang so, dass ich Lust bekommen habe, das Buch zu lesen.
    Lieben Gruß,
    Renée

  6. Das Buch von Siegert und Uhlig klingt wirklich ganz gut. Ich hoffe es in nicht allzu ferner Zukunft zu lesen und vielleicht bespreche ich es dann auch noch an dieser Stelle.

Kommentare sind geschlossen.

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