Aufregung in Frankreich: Rachida Dati, Justizministerin des Landes, ist fünf Tage nach ihrer Entbindung, einem Kaiserschnitt, wieder zur Arbeit erschienen. Nun sollte man annehmen, dass diese Entscheidung ganz und gar ihre Privatsache ist und das diejenigen, die ihr eine Vorbildfunktion zuschreiben, berücksichtigen würden, dass Dati nun mal Ministerin eines Landes ist – doch all das wird in der Debatte schön außen vorgelassen und Rachida Dati von den einen bejubelt, von den anderen beschimpft. Die Süddeutsche Zeitung schreibt:
Einige loben die Professionalität und Aufopferungsbereitschaft der Ministerin. Die große Mehrheit der veröffentlichten Kommentare kritisiert Dati jedoch. Sie habe den Frauen einen Tort angetan – aus arbeitsrechtlichen, gesellschaftlichen und medizinischen, vor allem aber aus psychologischen Gründen.
So bemängelt die Frauenrechtlerin Maya Sturduts, die Arbeitgeber könnten das Beispiel nutzen und einen „unerträglichen Druck“ auf arbeitende Mütter ausüben. Die Auffassung „Schaut her, es geht doch“ könnte zur gesellschaftlichen Maxime werden. Andere fürchten, Datis Verhalten bewirke bei Müttern, die ihren Kindern mehr Zeit widmen wollen, ein schlechtes Gewissen.
(…)
„Dati hätte ihre Karriere auf das Spiel gesetzt, wenn sie länger zu Hause geblieben wäre“, sagt die Leiterin der französischen Profamilia, Marie-Pierre Martinez. Der Kinderpsychiater Alain Lazartigues geht noch weiter: „Jemand tut ihr da Gewalt an, wenn sie es nicht selber tut“, sagt er. Die Bedürfnisse von Mutter und Kind würden nicht ausreichend respektiert.
Großartig, dieser Streit!
Vor allem deswegen, weil aus deutscher mainstream-feuilletonistischer Sicht ja eigentlich Deutschland der Hort der Supermuttis und ewig Apfelkuchen backenden Unheilprophetinnen ist und Frankreich als das Paradies der von Vorurteilen und schlechtem Gewissen losgelöst agierenden Karrieremami gilt.
Wäre es da nicht logisch, dass eine wie Rachida Dati im eigenen Land nur Zustimmung erfährt? Tut sie offenbar nicht, nicht mal bei Feministinnen. Was aus meiner Sicht bedeutet, dass die Wirklichkeit und die Menschen darin komplexer sind, als es sog. Feuilletondebatten gelegentlich suggerieren.
Meine eigene Meinung zu Frau Dati, falls das von Belang ist, lautet: Wow, so wäre ich auch gerne fünf Tage nach dem Kaiserschnitt unterwegs gewesen. Ein tough cookie, die Madame. Chapeau!
Hier wird meiner Meinung nach der Konflikt zwischen zwei Positionen sehr deutlich:
Ein Teil der Frauen möchte Kindererziehung vornehmen und ist daran interessiert diese Betreuung als besonders wertvoll darzustellen und sich gleichzeitig alle Optionen im Berufsleben offen zu halten, also während der Kinderbetreuung so gut wie möglich geschützt zu werden. Dies Gesellschaft muss dafür sorgen, dass Frauen durch die Kindererziehung keinen Nachteil im Beruf haben
Der andere Teil der Frauen geht davon aus, dass jemand, der sich für Karriere entscheidet dann gleichzeitig bei der Familie zurückstecken muss und es klar ist, dass nach der Geburt eines Kindes kurzfristig wieder gearbeitet werden muss um nicht den Anschluß zu verlieren. Der Unternehmer hat nichts davon Lasten der Gesellschaft zu übernehmen, solange er dies nicht muß.
Die beiden Positionen stehen sich gegenüber und sind von ihren Ansichten her nur schwer zu vereinen.
Denn Interesse der einen Seite ist es die Kindererziehung durch den Elternteil aufzuwerten und dazustellen, dass ein Erziehungszeit keine Auswirkungen auf das Berufsleben haben darf.
Interesse der anderen Seite ist es die Bedeutung der Kindererziehung durch einen Elternteil persönlich herabzusetzen und die Möglichkeiten der Drittbetreuung zu betonen und die Wichtigkeit der Weiterarbeit zu betonen.
Aber handelt es sich bei diesen beiden extremen Positionen nicht, wie Susanne schon schrieb, um rein private Entscheidungen der jeweiligen Frauen? Zwischen diesen beiden Extremen gibt es wohl einige Nuancen, die ganz genauso die private Entscheiduung einer jeden Frau sein sollten. Wenn Eltern sich dazu entscheiden, ihre Kinder in den ersten Lebensjahren selbst zu betreuen, dann sollten sie dies ohne gesellschaftliche Ächtung oder Nachteile im Beruf genauso tun können, wie es möglich sein sollte, 5 Tage nach der Entbindung wieder zu arbeiten. Die persönlichen Einstellungen sind vielleicht unvereinbar, aber das heißt doch nicht, dass in einer Gesellschaft keine Toleranz für diese Extremfälle vorhanden sein kann.
Ich möchte weder beim Vorstellungsgespräch als potenziell „schwanger und 3 Jahre in Elternzeit“ angesehen werden, noch möchte ich, dass der Mutterschutz aufgeweicht wird.
„rein private Entscheidungen der jeweiligen Frauen?“
Im Einzelfall schon. Aber diese Entscheidungen haben Auswirkungen auf das Ganze.
Wenn es möglich ist 5 Tage nach dem Kaiserschnitt wieder zu arbeiten dann schwächt das die „Mutterfraktion“ und stärkt die „Karrierefraktion“, wenn es schlecht für das Kind ist eben umgekehrt.
„Ich möchte weder beim Vorstellungsgespräch als potenziell “schwanger und 3 Jahre in Elternzeit” angesehen werden, noch möchte ich, dass der Mutterschutz aufgeweicht wird.“
Klingt etwas nach wasch mir den Pelz aber mach mich nicht nass. Wie würdest du dich denn als Personalerin bei der Entscheidung einer leitenden Position entscheiden, wenn du zwei Frauen zur Auswahl hättest: Beide haben die ersten Jahre hart gearbeitet und gute Ergebnisse erzielt. Beide wollen demnächst Kinder bekommen, eine möglichst schnell danach wieder an den Arbeitsplatz, die andere 2 jahr Erziehungszeit nehmen?
Und natürlich ist es ein Problem für viele Bereiche eine Stelle freihalten zu müssen, während die Person in der Erziehungszeit ist.
Eine Redensart in der Wirtschaft ist ja: „Es wurde noch nie jemand gefeuert, weil er IBM gekauft hat“ Wer auf Nummer sicher geht und den Marktführer nimmt, der kann seine Entscheidung leichter vertreten. Und momentan sind Männer eben „Marktführer“ darin, durchgängig zu arbeiten. Das macht das Risiko für den Personaler/die Personalerin geringer eine falsche Entscheidung getroffen zu haben und eine Überbrückungslösung finden zu müssen. Um so großzügiger und akzeptierter Erziehungszeiten geregelt sind um so schwerer wiegt eine „falsche“ Entscheidung.
Nein, ich finde nicht, dass das nach „wasch mir den Pelz aber mach mich nicht nass“ klingt. Es geht um Toleranz. Eltern zu werden ist eine private Entscheidung und demnach sollte es auch eine private Entscheidung sein, wie man das mit der Betreuung regelt und nicht durch gesellschaftlichen Druck geschehen. Und deshalb sollten beide Szenarien lebbar sein.
Um mal bei deinem Beispiel der Personalentscheidung zu bleiben: Stell dir vor, du hast einen Mann Anfang dreißig und eine Frau Anfang dreißig zur Auswahl. Da wird überhaupt nicht gefragt, wie die Lebensplanung der beiden aussieht, es wird selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Frau potenziell ausfällt, weil sie ein Kind bekommt. Dass auch der Mann ein potenzieller Vater ist, der in Elternzeit gehen könnte, ist eher nicht vorgesehen (okay, diese zwei Monate, die der moderne Mann heutzutage nimmt, um die 14 Monate Elterngeld auszuschöpfen, lassen sich easy überbrücken, aber die Mutter ist ja auch nach der Elternzeit nicht voll einsatzfähig, so Kinder sind ja ständig krank und müssen dann selbstverständlich von der Mutter betreut werden).
Aber ich komme zu sehr vom Thema ab…
Nein, das sehe ich anders. Um so breiter der Handlungsspielraum bei Erziehungszeiten für BEIDE Partner, desto geringer das Risiko, dass nur die Frau als Risiko für eine Fehlentscheidung angesehen wird.
Und überhaupt frage ich mich, was das für eine Gesellschaft ist, in der Elternschaft als betriebswirtschaftliches Risiko angesehen wird. Aber so richtig schizophren daran ist ja, dass auf der anderen Seite aufgrund des Fachkräftemangels laut geschrien wird, dass doch wieder mehr Kinder geboren werden sollen. Das klingt für mich nach „wasch mir den Pelz aber mach mich nicht nass“.
Den Punkt „was das für eine Gesellschaft ist, in der Elternschaft als betriebswirtschaftliches Risiko angesehen wird“, möchte ich doppelt unterstreichen. In so einer Gesellschaft will ich nicht leben.
Der Staat ist dafür da, die Menschen zu schützen, die in ihm leben, also auch (potenziell) schwangere Frauen. Inwieweit jede Frau diesen Schutz dann nutzt oder nicht, ist Teil genau der Freiheit, die diese Sicherheit beinhaltet.
„Lebbar“ sind ja beide Szenarien. Nur haben die Entscheidungen eben Konsequenzen. Wer sich für mehr Familie entscheidet hat damit weniger Karriere.
Wie würdest du, Miriam, dich denn in meinem obigen Beispiel mit den zwei Frauen entscheiden?
Wenn du dich für die Frau, die keine Erziehungszeit nehmen will entscheidest – was ist dann an der Entscheidung für den Mann, der die gleiche Karriereorientiertheit aufweist wie die Frau, die schnell wieder in den Beruf zurückgeht, unverständlich?
Männer, die Erziehungszeiten nehmen haben übrigens noch geringere Chancen Karriere zu machen. Weil es von ihnen erwartet wird im Beruf zu bleiben wird ihre Entscheidung noch kritischer bewertet.
Zum Thema „Beide nehmen Erziehungszeit“: Dann müßte man aber ganz anders vorgehen als bisher und die Vaterrolle aufwerten. Schau dir die gesetzlichen Vorschriften an, da werden die Rechte am Kind recht deutlich der Mutter zugesprochen. Wenn man will, dass Väter sich für die Erziehung einsetzen, dann muss man ihnen auch die gleichen Rechte zubilligen und sie fördern. Dann brauch man Gleichstellungsbeauftragte (auch ruhig mal Männer), die dafür sorgen, dass Männer es leichter haben in die Erziehungszeit zu gehen und die hierfür eine Akzeptanz schaffen.
Im übrigen wird es in höheren Managmentpositionen dennoch so bleiben, dass einem eine Elternzeit angelastet wird. Da herrscht nun einmal ein wirtschaftliches Denken vor. Demnach sollten Frauen, die Karriere machen wollen, vielleicht einfach ihre Partnerwahl darauf ausrichten, dass er die Kinder erzieht. Grundschullehrer zB wären da eine gute Wahl. Schließlich gibt es genug Männer, die sich Frauen suchen, die gerne Kinder erziehen wollen um sich in die Karriere stürzen zu können. Warum sollten die Firmen dieses Angebot zu Mehrarbeit nicht annehmen?
Zum Fachkräftemangel: Eine Verbesserung der Möglichkeiten zur Eigenbetreuung ist nicht der einzige Weg. Die Länder, die eine hohe Akzeptanz von Drittbetreuung haben haben gleichzeitig auch mehr Frauen in Führungspositionen als Länder, die diese ablehnen.
@ Christian: Ich glaube, der dritte Satz deines Kommentars ist ein fundamentaler Denkfehler, vor allem hier in Deutschland. Du schreibst:
Genau das denke ich nämlich nicht.
Und die Beweise, dass es auch anders geht, können wir überall sehen – in modernen Unternehmen, im Ausland. Man muss sie halt sehen wollen.
Mir gefällt grundsätzlich dieser „Aufmischungseffekt“, den Frauen der Marke Dati oder auch diese sehr schnell nach der Geburt zurückgekehrte spanische Verteidigungsministerin auslösen.
Beispielsweise weil sie, wie die aktuelle Diskussion in Frankreich zeigt, völlig ohne eigene Absicht für ordentlich Unruhe unter den BesitzstandswahrerInnen in Sachen Mutterschutz sorgen. Da fürchtet eine Frauenrechtlerin den „Schaut-her-es-geht-doch“-Druck von gegnerischer Seite (Arbeitgebern)! Verkehrte Welt! Jahrzehntelang redet die Frauenbewegung sich und den Frauen den Mund fusselig, von wegen Hausarbeit macht doof und unselbstständig, und dann kommt eine Amazone wie Dati daher, die sich mal eben in der Sitzungspause ein Kind aus dem Bauch schneiden lässt – und nu isses auch wieder nich recht!
Dann müssen Frauenrechtlerinnen wie Maya Sturduts die Arbeitnehmerinnen halt rhetorisch für diese Situation schulen, also etwa so: Sagt Dein böser Arbeitgeber, ’schau auf Frau Dati, die geht auch nicht in Elternzeit‘, dann antworte: ’schau auf Eva Herman, die sagt, mein Kind wird kriminell, wenn es nicht mindestens 10 Jahre auf meinem Schoß gesessen hat‘. Anschließend kann man sich ja dann auf irgendwas in der Mitte einigen.
Auch an der (z. B. in Deutschland) häufig gehörten Klage, eine Mutter, die kurz nach der Geburt ihres Kindes an den Arbeitsplatz zurückkehrt, müsse unter dem Rabenmutter-Vorwurf leiden, rütteln die beiden Ministerinnen: Die machen beide auf mich nicht den Eindruck, als würde es ihnen was ausmachen, wenn sich „die Gesellschaft“ das Maul zerreißt über die Privatangelegenheiten derer da oben.
In Datis Fall sieht es sogar fast danach aus, als genösse die Ministerin die Publicity um ihre (einstweilen) unbefleckte Empfängnis ein bisschen. Ihr Privatleben sei „kompliziert“, gibt sie zu Protokoll und zeigt sich auf Fotos geheimnisvoll lächelnd. (Wenn hier eine Querverbindung zum benachbarten Thread erlaubt ist: Dort hieß es ja, Sex sollte ‚locker‘ und ‚einfach‘ sein – das geht, wie das „Privatleben“ der Madame Dati zeigt, meist nur so lange gut, bis es kompliziert wird; wobei kompliziert ja nicht unspannend sein muss. ‚Locker‘ und ‚einfach‘ klingt in meinen Ohren jedenfalls nicht sehr spannend. Eher nach Yogurette oder so.)
@ Schnatterinchen
Ich will mich weder auf Dati noch auf Herrmann beziehen, um meine Position zu rechtfertigen. Gleich wie ich Herrmanns Position verurteile, gleich ist auch die von Dati falsch – falls sie denn wirklich damit ein Zeichen setzen wollte.
Frauen werden natürlich unter Rechtfertigungsdruck gesetzt, wenn sie eine längere „Pause“ beanspruchen, wenn es so prominente Vorbilder gibt.
Dati kann es sich aber leisten. Erstens ist Kinderbetreuung für sie kein finanzielle Problem (sicher privates „Kindermädchen“ plus Ärzte, etc.), zweitens wirf niemand eine Ministerin raus, wenn sie in den nächsten Wochen nicht vollumfänglich arbeitsfähig ist. Würde mal gerne sehen, wie ihre „Arbeit“ ausschaut, ob sie wirklich nun täglich wieder 10 Stunden in ihrem Büro sitzt und voll einsatzfähig ist. Wahrscheinlich eher ein Programm light, da ein Pläuderchen, da ein paar Glückwünsche entgegennehmen und wieder ab nach Hause.
Aber das sieht natürlich niemand. Früher oder später wird darunter die Fabrikarbeiterin zu leiden haben, wenn sie sagt, sie kann nicht arbeiten, weil sie auf die Schnelle keine Babybetreuung organisieren konnte… oder wenn ihr Chef sie anschreit, sie könne doch problemlos 5 Tage nach ihrem Kaiserschnitt wieder an ihrer Maschine stehen – Frau Dati macht es ja auch so.
Guter Hinweis ariane. Bei der Frage, wie bald nach der Entbindung Frauen wieder arbeiten können, sollte der jeweilige Beruf dann doch in Betracht gezogen werden.
Und ich glaube auch nicht, dass Beispiele wie Dati oder Palin (verheimlicht ihre Schwangerschaft so lange wie möglich und arbeitet noch, nachdem die Fruchtblase geplatzt ist) den Frauen im Allgemeinen helfen.
Ideal wäre meiner Meinung nach eine Welt, in der Mütter arbeiten, also nicht die Geschichte mit der finanziellen Abhängigkeit haben, aber die Arbeitgeber einsehen, dass Erwerbsarbeit eben nicht das Wichtigste im Leben ihrer Angestellten ist. Ich sollte mal wieder utopische Romane lesen, die sind nicht so deprimierend wie die Realität. :-)
ariane: „gleich ist auch die [Position] von Dati falsch – falls sie denn wirklich damit ein Zeichen setzen wollte.“
Was ist daran denn „falsch“? Was kann an einer Privatangelegenheit wie dem (in Datis Fall im Übrigen legalen) Zeitpunkt der Rückkehr in den Beruf nach einer Geburt aus außenstehender Sicht „falsch“ sein? Wir wissen nicht, ob Dati „ein Zeichen setzen“ wollte. Ich habe bisher keine entsprechende Äußerung von ihr vernommen.
Du argumentierst ähnlich wie diese französische Frauenrechtlerin, indem Du Dir Fälle ausdenkst, in denen einer erwerbstätigen Mutter die Ministerin als leuchtendes Beispiel vorgehalten werden könnte. (Ich stelle mir gerade die bedauernswerten schwarzen Jugendlichen in den USA vor, die jetzt fortwährend von Eltern, Lehrern etc. drangsaliert werden, sie sollen doch bitte Barack Obama nacheifern.)
Ist das jetzt die Schuld von Frau Dati? Doch wohl nicht. Bedanken kann man sich nur direkt bei der Person, die einem dies unter die Nase reibt. Sich wehren kann man lernen und muss man üben. Mittel und Wege gibt es. Der Wind ist rauer geworden, auch für Frauen: Seit es immer mehr sog. „Karrierefrauen“ gibt, müssen auch Nicht-Karrierefrauen sich gelegentlich an jenen messen lassen. Männern dürfte dieses Spielchen besser vertraut sein.
Zu Deinem konkreten Beispiel mit der Fabrikarbeiterin: ArbeitgeberInnen sind ja bekanntlich eine fiese Sorte Mensch. Aber man kann, jedenfalls in Ländern wie D und F, davon ausgehen, dass sie mehrheitlich über gewisse Arbeitnehmerschutzbedingungen informiert sind (oder zumindest jemanden beschäftigen, der darüber informiert ist) und genau wissen, dass es nicht sehr ratsam wäre, wenn sie in der beschriebenen Weise ihren Mitarbeiterinnen gegenüber aufträten.
Ich habe übrigens auch nicht pausiert nach den Geburten meiner Kinder. Nicht weil ich ein Zeichen setzen wollte (hätte eh keiner geguckt – bin halt kein Promi), sondern weil es betrieblich notwendig war. Muss ich jetzt ein Schuldgefühl haben, weil ich möglicherweise bei Müttern in meinem Bekanntenkreis, die eine längere Babypause gemacht haben, durch mein Beispiel einen Rechtfertigungsdruck ausgelöst habe?
Der Obama-Vergleich ist gut: Auch eine Vorbild-Situation, die Schwarzen sehen, es kann „einer von ihnen“ es schaffen. Ich will mir nicht ausdenken, wie häufig junge Schwarze heute gesagt bekommen, oder sich sagen, „Obama aht es ja auch geschafft“ (traurig ist immer noch dieses Denken nach Hautfarbe, die in meinen Augen überhaupt kein Kriterium sein dürfte. Abgesehen davon, Obama=schwarz, Obama ist ein „Mischling“, eigentlich hat er gleich viele europäische wie afrikanische Wurzeln in seinen „Genen“ :-)).
Wer in die Politik geht, der setzt Zeichen, egal ob er sich dessen bewusst ist oder nicht. Sarkozy sagt uns: Schaut mal, es ist normal, sich zum x-ten man zu scheiden und zu heiraten. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die eher Ehe und Affäre parallel gelebt haben. Das ist ein Zeichen. Es ist auch ein Zeichen, wenn eine Ministerin sagt, sie sei schwanger, es gehe niemanden etwas an, wer der Vater ist. Früher vollkommen undenkbar.
Wer sich exponiert, der gibt sein Privatleben auf. Und setzt Zeichen, wenn er etwas an sich ungwöhnliches oder verpöhntes tut.
Der Arbeitnehmerschutz ist gut und notwendig. Aber so lange es mehr Arbeitslose als Arbeitsplätze gibt, ist der informelle Druck immens. Nur ein kleiner Bruchteil der Frauen, denen der Chef sagt, sie würden Nachteile zu spüren bekommen, wenn sie überhaupt ein Kind bekommen oder so lange wie gesetzlich garantiert Mutterschutz wollen, hat den Mut und die Kraft, vor Gericht zu ziehen.
@ ariane: Aber auch wenn das alles Zeichen sind, ist es doch noch lange nicht Pflicht, sich genauso zu entscheiden wie die jeweilige Person (das ginge auch nicht, weil sich nicht alle öffentlichen Personen gleich verhalten), und nicht jeder wird gleich versuchen wollen, andere zu genau diesem Handeln zu zwingen.
Neben Rachida Dati, die nach wenigen Tagen wieder zum Dienst antritt, gibt es viele Frauen in der Öffentlichkeit, die nach der Geburt eines Kindes verkünden, dass sie jetzt erst mal ganz Mutter sein wollen. Da gibt es schon genug Ausgleich in beide Richtungen. Und beispielsweise in Deutschland ist wohl doch die Moralkeule gegen Frauen, die schnell wieder in den Beruf einsteigen, sehr viel wuchtiger als die gegen Frauen, die erst mal zuhause bleiben wollen.
@ Susanne
Ich stimme dir völlig zu. Wir diskutieren hier ja auch nur den Fall, weil er eher „abnormal“ ist. Ich verurteile das Handeln der Ministerin ja auch nicht, sondern sage nur, wie ihr Fall instrumentalisiert werden könnte. Persönlich, wenn ich in so einer Situation wäre (was für ein Gedanke :-)) würde ich wahrscheinlich aus so schnell wie möglich wieder bei meinem Job erscheinen, da ich es zu Hause nie lange aushalten kann (in der Konsequenz sehe ich mich nicht als Muttermensch, aber keine Ahnung was ich tun werde wenn meine biologische Uhr langsam zu ticken aufhöhrt).
Mit den Moralkeulen ist es so eine Sache, eine Frau kann was die Reproduktion angeht, nur Fehler machen. Entweder ist sie verantwortungslos, weil sie Kinder in die Welt setzt oder ein Biest, weil sie abtreibt, sie schädigt die Umwelt, weil sie zu viele Kinder bekommt oder sie ist mitschuldig am Aussterben der Deutschen, weil sie eben keine Kinder hat, eine Rabenmutter, wenn sie sofort arbeiten geht oder ein Schmarotzer weil sie den Mutterschutz voll ausschöpft.
Ich glaube nicht, dass der Mutterschutz durch das Beispiel Dati obsolet wird. Hab auf die Schnelle nicht herausgefunden, seit wann es den Mutterschutz in Europa überhaupt gibt, aber ich erinnere mich daran, dass es hier in der Schweiz als großer Durchbruch gefeiert wurde, als 2005 der 16-wöchige Mutterschutz mit Teil-Lohnfortzahlung per Volksabstimmung angenommen wurde.
Als Europa noch eine Agrargesellschaft war, war es vollkommen selbstverständlich, dass eine Wöchnerin sehr bald nach der Geburt wieder als Arbeitskraft zur Verfügung stand.
Gegenbeispiel zu Dati ist übrigens Angelina Jolie:
http://www.spiegel.de/panorama/leute/0,1518,600566,00.html
Da steckt wahrscheinlich viel Wahres drin. Und deshalb bin ich der Meinung, dass unsere Gesellschaft mehr Toleranz braucht und individuelle Entscheidungen auch als solche toleriert werden.
Und individuelle Entscheidungen sollen als solche toleriert werden. Und vor allem als solche gesehen werden. Datis individuelle Entscheidungen verdienen meinen Respekt. Aber sie sollen als individuell auch wahrgenommen werden.
ariane: „eine Frau kann was die Reproduktion angeht, nur Fehler machen. Entweder ist sie verantwortungslos, weil sie Kinder in die Welt setzt oder ein Biest, weil sie abtreibt, sie schädigt die Umwelt, weil sie zu viele Kinder bekommt oder sie ist mitschuldig am Aussterben der Deutschen, weil sie eben keine Kinder hat, eine Rabenmutter, wenn sie sofort arbeiten geht oder ein Schmarotzer weil sie den Mutterschutz voll ausschöpft.“
Wenn man nur lange genug sucht, findet man für jede Handlung, die man tut oder unterlässt, jemanden, der das nicht gutheißt. So gesehen wird das Leben zu einem wasserdichten Konstrukt, innerhalb dessen nur Falsches passieren kann.
Habe nur das Gefühl, denn Männern wird dies nicht immer vorenthalten. Oder bin ich nur paranoid?
@Miriam: In der Schweiz gab es schon früher Mutterschutz: Die Mutter durfte von Gesetzes wegen nicht arbeiten in den ersten Wochen nach der Geburt, kriegte aber auch keinen Lohnersatz, weil es die Mutterschaftsversicherung noch nicht gab… Seither haben wir wenigstens einen kleinen Fortschritt gemacht.
Ich sehe kein Problem in Datis Verhalten. Sicher kann niemand verpflichtet sein, nach einer Geburt so-und-so-lange Pause zu machen. Allerdings sollte es keinen Druck in die Richtung geben, dass Frauen nur eine extrem kurze „Pause“ nach der Geburt zugestanden wird. Und die Befürchtung ist wohl, dass solcher Druck begünstigt wird, wenn prominente Frauen so schnell wieder arbeiten. Aber eigentlich sollte allen klar sein, dass es bei Dati ihr Ministerinnenamt ist, das bewirkt, dass sie bereits wieder arbeitet. Es sollte auch klar sein, dass sich Frauen kurz nach einer Geburt sehr unterschiedlich fit fühlen und dass man sich beim Mutterschutz nicht an denen orientieren kann, die am schnellsten wieder arbeiten können.
Ich habe auch nicht behauptet, dass es vor 2005 keinen Mutterschutz in der Schweiz gab, aber dieser war deutlich kürzer (8 Wochen).
ich finds taff von dati.
»es geht doch« klar, das ist ein argument – und kein schlechtes, wenn ich an die zahllosen diskussionen denke, wo das kindes wohl für alles mögliche herhalten muss, natürlich völlig selbstlos *gg*
man sollte sich mal vor augen führen, WARUM frauen diskriminiert werden: für mich ist das eindeutig das (polemisch) »handicap« der fortpflanzung.
Rachida Datis rasant verkürzter Mutterschaftsurlaub ist heute auch Glossenthema in der FAZ
»In scheinbar bester Verfassung nahm Dati an der ersten Kabinettssitzung des Jahres teil. Und löste in den Kreisen der Konservativen wie unter den Feministinnen, welche die selbstbestimmte Schwangerschaft der selbstbewussten Powerfrau mit bewunderndem Wohlwollen beobachtet hatten, eine Welle der Empörung aus.« (FAZ)
schon seltsam, wenn konservative und feministinnen ins gleiche horn blasen, oder?
Wie die Süddeutsche am Montag berichtet, hat das Ganze noch andere machtpolitische Komponenten, die den Handlungsspielraum von Dati erheblich einschränken, was ihre Entscheidung angeht, wann sie in den Dienst zurückkehrt.
Dati ist von Sarkozy als Vorzeigepolitikerin besetzt worden. Zugleich wird sie von ihm instrumentalisiert, um eine heftige Justizreform durchzudrücken.
Es war wohl mehr oder weniger die Wahl zwischen
„Jetzt zurückkommen und im Amt bleiben“
und
„Länger im Mutterschutz bleiben und dann ggf. den Posten sehr schnell los sein“
Und auch wenn die Darstellung des Konflikt Dati-Sarkozy durchaus Gender-Komponenten hat und genderspezifisch stattfindet (Mächtiger Mann setzt junge Ministerin für seine Machtinteressen ein) ist diese Zwangssituation existent – zumindestens wenn Dati ihr dasein als Justizministerin wichtig ist.
(leider kriege ich den SZ Link nicht mehr)