Hoppla, da landeten wir also in der Sommerpause ohne uns vorher zünftig abzumelden – wahrscheinlich kam uns die Hitzewelle dazwischen. Hier also eine kurze Zwischenmeldung mit unseren Tipps zum Hören/Lesen/Schauen für die Restsommertage. Bücher, Texte aus dem Netz, Serien, Musik – wir haben für Euch unsere Empfehlungen zusammengesucht. Habt noch ein paar schöne Wochen! Wir melden uns wieder regelmäßiger wenn es sich abgekühlt hat. Bis bald!
Nadia: „Women sing Waits“, The Highwomen und neue Tracks von Bat for Lashes
Musik, achja. Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll diesen Sommer. Auf Lizzo kommt Charlott gleich noch zu sprechen, und auf andere Highend-Acts wie Angel Haze & Dorothy haben wir an anderer Stelle auch schon mal hingewiesen. Ich vertreibe mir den Restsommer damit, auf das fulminant angekündigte „Women sing Waits“ zu warten (die Cover von Patty Griffin („Ruby`s Arms“) und Courtney Marie Andrews („Downtown Train“) sind schon veröffentlicht worden), höre in die neuen Bat for Lashes-Tracks aus „Lost Girls“ rein und verfolge jeden Schnipsel der über die total gehypte Formation „The Highwomen“ (ein Zusammenschluss von Brandi Carlile, Maren Morris, Amanda Shires und Natalie Hemby) veröffentlicht wird.
What/If
Vom Wetter gezeichnet war ich in diesem Sommer nicht so richtig in der Lage, schwere Kost zu schauen. Da kam mir der Thriller-Trash „What/If“ mit Renée Zellweger sehr recht: Klischeehaft, stumpf, von der Story her sehr konstruiert, schmonzettenhaft und auch ein bisschen plem-plem, aber Zellweger spielt toll und ich habe es geliebt, ja, verurteilt mich. Die Story ist schnell erzählt: Zellweger spielt die schwerreiche Kapitalgeberin Anne die eine ganz große Intrige gegen die Genforscherin Jung-Unternehmerin Lisa zu spinnen scheint, fabelhaft aussieht und im Dauerrausch Machiavelli-Plattitüden von sich gibt (Kostprobe: „Entferne die lästigen Fesseln, die die Gesellschaft geschaffen hat, um uns zu limitieren: Liebe, Ehe Kinder, die Moralvorstellungen minderwertiger Menschen.“ L-O-L). Kann man mit einer Apfelsaftschorle im Weinglas vor sich in wenigen Tagen wegzocken – klare Empfehlung von mir! Inhaltlich aber völlig Gurke, so viel sei gesagt!
The Crane Wife
Zum Bücher lesen war ich in diesem Sommer nicht wirklich fähig, aber ich stolperte über den ein oder anderen Text im Netz der mich nicht losließ. Mitte Juli etwa schoss ein Raunen durch meine Social Media-Kanäle, und gefühlt überall wurde der Text „The Crane Wife“ von CJ Hauser geteilt. In ihrem wunderbaren Essay beschreibt CJ Hauser die Verdrängung von Bedürfnissen, vor allem in Beziehungen. Außerdem bewunderte ich im August den sehr ehrlichen, tieftraurigen und berührenden Text über Trauer von Chloe Higgins, „The night we lost the girls, and everything changed„.
„I would not be a woman who needed these things, I decided. I would need less. And less. I got very good at this.“ (CJ Hauser, „The Crane Wife“)
Lantzschi: Gentleman Jack (HBO / BBC)
Wer den Sommer auch nutzen möchte, um neben Sonne ein bisschen Selbstvertrauen zu tanken, sollte zur Serienadaption des Lebens von Anne Lister greifen. Auf Basis ihrer berühmten Tagebücher, die Lister teilweise mit einem selbst kreierten Verschlüsselungscode schrieb, entwirft Drehbuchautorin, Regisseurin und Produzentin Sally Wainwright das Leben der eigenwilligen lesbischen Unternehmerin, Landbesitzerin und Aristokratin in den Anfangsjahren der Industrialisierung in England. Anne konkurriert hauptsächlich mit Typen um Geld, Macht, Anerkennung – und Frauen. Nichts wünscht sie sich allerdings mehr als eine Partnerin an ihrer Seite, mit der sie alt werden kann.
Suranne Jones, die Anne Lister mit einer atemberaubenden wie einnehmenden Verve performt, bekommt durch Wainwright einige glühende Monologe auf den Leib geschrieben, die selten sind im Serienuniversum und ordentlich knallen: Wie informiert eine lesbische Identität, die frei und offen gelebt wird, die eigene Gender-Identität und umgekehrt? Welche Verbindungen existieren zwischen gesellschaftlichem Frauenbild und Heteronormativität? Was bedeutet Sichtbarkeit im Alltag von Lesben?
Es gibt viele Gründe, Gentleman Jack zu feiern. Das Happy End zum Beispiel, weil es in Serien, die queere Charaktere zentrieren, fast nie eines gibt. Doch vor allem die Unmissverständlichkeit in Annes lesbischer Identität macht Gentleman Jack zu einer absoluten Wohltat mit Selfempowerment-Booster.
Magda: Unter den Udala Bäumen
„Mann und Frau, sagte die Bibel. Ein schöner Gedanke, aber letztlich doch nur graue Theorie.“
Die nigerianisch-amerikanische Schriftstellerin Chinelo Okparanta hat einen beachtlichen Roman geschrieben, der 2018 auf Deutsch erschien. Unter den Udala Bäumen befasst sich mit fast all den großen Themen: Krieg, Verlust und Trauer, Liebe und Sexualität, Religion und Diskriminierung. Der Roman beginnt Ende der 1960er während des Biafra Krieges (1967 – 70). Die Republik Biafra war der süd-östliche Teil des heutigen Nigerias, der Unabhängigkeit von Nigeria erklärte (letzten Endes nicht erfolgreich).
Die 11-jährige christliche Igbo Ijeoma verliert in diesem Krieg ihren Vater. Ihre Mutter kann mit dem Verlust schwer umgehen und schickt Ijeoma zu einer befreundeten Familie, in der sie während des Krieges als Hausmädchen arbeitet. Dort trifft sie auf Amina, eine muslimische Hausa, die ihre ganze Familie verloren hat. Zwischen den beiden entwickelt sich eine Liebesgeschichte. Von da an nimmt die Geschichte ihren Lauf, mit all den Zwängen christlicher Moralvorstellung, religiös begründeter Diskriminierung und Gewalt.
Es ist keine fröhliche Sommerlektüre, aber ein Kriegs- und Liebesroman zugleich, der sich der Coming-Out Geschichte eines jungen Mädchens widmet, mit allen Höhen und Tiefen.
Charlott: Lizzo’s Cuz I Love You
Im April veröffentlichte Lizzo ihr drittes Album und versorgte uns somit mit dem besten Soundtrack für Frühling und Sommer. Keine Woche ist seitdem vergangen, in dem nicht mindestens einige der Songs bei mir zu Hause oder unterwegs liefen. Bereits ihre letzten beiden Alben Lizzobangers (2013) und Big Grrrl Small World (2015) so wie ihre EP Coconout Oil (2016) waren formidable Werke mit viel Hitpotential – zB jener Songs, die wir hier bei der Mädchenmannschaft 2015 und 2017 feierten. Cuz I Love You jedoch hat Lizzo endlich ansatzweise den Bekanntheitsgrad verpasst, den sie verdient hat. In dem Sog wurde sogar „Truth Hurts“, ihr Knallersong von 2017, zum nachträglichen Megahit. Lizzo zentriert in ihren Liedern wie auch Videos Schwarze dicke Körper, singt über Selbstliebe und präsentiert lautes Selbstvertrauen, in einer Welt, in der häufig kleinmachen (vor allem dicker Schwarzer Frauen) gefordert wird. Dass dann in „Tempo“ auch noch Missy Elliott (die uns ebenfalls mit einer neuen EP den Sommer verbesserte!) auftaucht, tut natürlich auch nicht weh. Die halbe Mädchenmannschaft konnte sich diesen Sommer auch live von Lizzo begeistern lassen: ekstatisches Publikum, eine unglaubliche Stimme, fantastische Tänzerinnen, Ansagen, die auch gut als Manifeste gedruckt werden könnten (Abgesang auf Typen, Erinnerung dicke Körper nicht nur auf der Bühne zu feiern, extra Shoutouts ans queere Publikum), feministische Hymen wie „Like a Girl“ und natürlich der Querflöteneinsatz. Wer versuchen möchte sich mit dieser Energie auch durch den Winter tragen zu lassen: Im November ist Lizzo nochmals auf Tour und kommt unter anderem nach Köln, Berlin und München.
Charlott: To Be Taught, If Fortunate
Elena likes visual checks. She likes tangibility. The wind and sky were ephemeral enough, she told me once. If she’s going to study them, she wants to feel them.
Becky Chambers ist nach drei bereits erschienenen Romanen (die Wayfarer Serie) mittlerweile bekannt für ihre ganz spezifische Art der Science Fiction Erzählungen: ruhig, irgendwie soft – auch wenn Konflikte durchaus auftreten, interessiert an Alltag und immer queer. Ihre neue Novelle To Be Taught, If Fortunate spielt nicht in der Welt der Wayfarer Bücher und erzählt eine ganz distinkte Geschichte, sie ähnelt den Vorgängern trotzdem im Vibe.
To Be Taught, If Fortunate spielt im 22. Jahrhundert. Die Menschheit hat Möglichkeiten der (temporären) Körperveränderung (somaforming) entwickelt, die es Menschen ermöglichen, sich leichter an die Gegebenheiten anderer Planeten anzupassen – als Alternative zu „terraforming“, dem Versuch anderer Planeten der Erde anzupassen, so dass es Menschen auf ihnen leichter haben. Ariadne ist Ingenieurin und Teil einer vierköpfigen Expedition, die unterwegs ist vier verschiedene Planeten zu erforschen. Die Novelle besteht aus einer langen Nachricht, die Ariadne an die Erde sendet und in der sie von ihren Erfahrungen berichtet. Sie versucht zu dem die Empfänger_innen der Nachricht von ihrer Arbeit zu überzeugen – denn mittlerweile sind sie seit Jahrzehnten unterwegs und auf der Erde ist etwas furchtbares passiert.
Die Novelle ist langsam erzählt und voller nerdiger Details (Chambers hat sich durch konkrete wissenschaftliche Erkenntnisse inspirieren lassen) – ich habe diese Aspekte geliebt. Während Ariadne die „Abenteuer“ der Crew beschreibt, transportiert sie nicht nur die Freuden des Erwerbs von Wissen, sondern diskutiert auch Ethik und Grenzen dessen. Chambers hat es geschafft eine Science Fiction Geschichte zu erzählen, die sich mit „Entdeckungen“ auseinandersetzt aber gleichzeitig kolonialistische Denkmuster kritisch hinterfragt. Zu dem schafft sie es eine Sprache vorzuschlagen, die ermöglicht über Gesundheit und körperliche Unterschiede zu schreibe, ohne verschiedene Normen zu bestärken. Alle vier Hauptcharaktere gehören irgendwie unter den LGBTQ+-Schirm, ohne dass sie immer konkret ihre Identitäten benennen (stattdessen wird es innerhalb der Erzählung deutlich gemacht). Für ein Buch, was nur 130 Seiten lang ist, und somit nicht viel Platz in der Freibad-Tasche wegnimmt, gibt es hier viel Gedankenanregendes!