Sezer ist eine Frau, hat aber ihren männlichen Namen aus einem früheren Leben behalten. Ich sitze mit ihr in einem Istanbuler Café und trinke Tee. Sezer erzählt. Ich höre zu.
Sie hat sich nicht geschminkt und ist schlicht angezogen. Ihre Nase ist schmal, die Lippen etwas aufgespritzt, die Brüste wirken zu groß für ihren zierlichen Körper. Sie verschränkt schützend ihre Arme davor. Sezer möchte sich verstecken, zumindest nicht herausstechen.
„Ich mag das nicht, laut und auffällig“, sagt sie fast flüsternd. So spricht sie die ganze Zeit, leise und vorsichtig.
Ein schlaksiger Mann muss sie einmal gewesen sein. „Zu schlaksig für meine sieben Brüder“, erzählt Sezer. Sie war das jüngste Kind einer großen Familie in einem Dorf im Osten der Türkei. Blond, schmal und mädchenhaft sah sie aus. Ganz anders als ihre Brüder, die sie deshalb schlugen und hänselten.
„Sie wollten mich psychisch fertigmachen, damit ich mich selbst umbringe. Damit sie das nicht selbst tun mussten“, sagt sie. Glücklicherweise ergatterte sie nach der Schule einen Platz an einer Universität, das war ihr Fluchtweg.
Seit fünf Jahren ist sie nun in Istanbul, ihre Familie hat sie seitdem nicht gesehen. Dafür aber viel Leid. „Wie ein Sack“ lag vor zwei Jahren eine ihrer Freundinnen tot auf der Straße, die Kehle von einem Freier durchschnitten.
Die Polizei kümmerte das kaum, sie stellte keine Nachforschungen an, ließ lediglich die Leiche entsorgen. Sezer sagt, Transvestiten seien hier Freiwild.
Sie geht nicht mehr auf Partys, sie nahm ohnehin nie Drogen, hat jetzt aufgehört zu rauchen. Einen Plan hat sie nicht, aber sie würde gerne „normal“ sein.
Alltag und Routine
„Ich will einen Alltag, einen unauffälligen Job, Routine. Das wilde Leben ist nichts für mich“, sagt Sezer. Sie sagt, sie wolle wieder ein Mann sein.
Sie erzählt von ihren Freundinnen, die man umbrachte, die im Gefängnis sitzen, und jenen, die sich selbst töteten. „Ab einem bestimmten Alter vereinsamen wir. Schau dir Bülent Ersoy an“, sagt sie. Bülent Ersoy ist die prominente Transvestitin der Türkei, eine berühmte und beliebte Sängerin.
„Viele meiner Freunde ahmen sie nach, aber wir alle wissen, wie unglücklich sie bei all dem Ruhm ist.“ Viele beenden ihr Leben früh, wenn ihnen nicht Drogen oder Freier zuvorkommen.
Sezers Freundinnen gehen anschaffen, um Geld nach Hause zu schicken. Dann fragen die Eltern beim nächsten Feiertag am Telefon nicht wieder, wann das Kind denn endlich wieder nach Hause kommt.
Das Geheimnis
Damit sie nie erfahren, dass der Sohn nun eine Tochter ist. Während wir reden, sucht Sezer vorsichtig den Blick der Männer, die an uns vorbeigehen. Auch Sezer arbeitet heute.
„Ich wollte eigentlich nie eine Frau sein“, sagt sie und lächelt mich an. Ich weiß nicht, ob sie das sagt, weil sie glaubt, ich wolle das hören. Ich weiß nicht, ob sie wirklich wieder ein Mann sein möchte oder sich einfach danach sehnt, ihr Leben möge der Mehrheit als normal gelten.
Sie erzählt von Freundinnen, die heiraten, von manchen, die religiös werden und gar das Kopftuch tragen.
Dann nickt ihr ein Mann zu, sie schaut mich an. Sezer atmet tief durch. Sie muss jetzt los.
(Dieser Text erschien ursprünglich als Kolumne in der Taz.)