Sex auf Rezept

In dieser Woche gab es ein kleines Sex-Special bei der ZEIT, das sich unter anderem mit der Frage nach sexueller Leistungsfähigkeit – vor allem von weiblicher Seite – beschäftigte.

In „Projekt Pink Viagra“ stellt Heike Faller die Bemühungen der Pharmaindustrie vor, die weibliche Sexualität erfüllender zu gestalten. Verhilft das ‚blaue’ Viagra seit mehr als zehn Jahren Männern zum Lustgewinn, erzeugt es zwar auch bei Frauen die entsprechende Reaktion, indem die Genitalien anschwellen, auf das psychische Empfinden aber hat es keine Auswirkung.

Also muss ein ‚pinkes Viagra’ her. Und da wird es interessant, denn nach Ansicht der Forscher und mitunter ja auch der Gesellschaft spielt bei der Frau das körperliche Erleben weniger eine Rolle, als die Bereitschaft im Kopf, Lust zu empfinden. Wie genau das Zusammenspiel von genitaler und gefühlter Erregung bei Frauen funktioniert, darüber herrscht Uneinigkeit.

Die weibliche Erregungsstörung ist sehr viel komplexer als die Erektile Dysfunktion. Um sie zu diagnostizieren, müssen körperliche, emotionale und Beziehungs-Faktoren in Erwägung gezogen werden, und diese komplexen und voneinander unabhängigen Faktoren machen es sehr schwierig, die Wirkung eines Medikaments zu messen.

Trotzdem haben Forscher eines Schwäbischen Pharmaunternehmens einen Wirkstoff entwickelt, der lustentfachend auf das zentrale Nervensystem der Frauen wirken soll – Filbanserin heißt der Wirkstoff, den die Firma gerade an 5000 Frauen in Europa und Nordamerika testet.

Sehr treffend stellt sich Frage, warum Frauen eine Pille schlucken sollten, um ihre sexuellen Bedürfnisse in Bahnen zu lenken, die am männlichen Sexualverhalten gemessen werden?

Angeblich liegt die Zahl der Frauen, die an vermindertem sexuellen Verlangen (hypoactive sexual desire disorder) oder an einer übergeordneten Funktionsstörung (female sexual dysfunction) leiden, bei zehn bis dreißig Prozent. Dass es schwierig ist, bei einem Phänomen, das jede dritte Frau betrifft, von einer »Störung« zu reden, ist offensichtlich. In einem Aufsatz im Journal of British Medicine von 2003 wurde die female sexual dysfunction als krassestes Beispiel für eine »unternehmensgesponserte Krankheitserfindung« kritisiert. Die Diagnose sei eine abermalige Gleichsetzung männlicher und weiblicher Sexualität, die etwas pathologisiere, was bei Frauen einfach normal sei.

Meiner Meinung nach wird auch männliches Sexualverhalten stark pauschalisiert, aber für alle Geschlechter und jedes Individuum gilt es außerdem zu überlegen, ob mehr Sex auch gleich besserer Sex ist.

Auch ZEIT-Kolumnistin Sigrid Neudecker warnt einen Klick weiter vor der Lust als Muss…

Wer sich der sexuellen Leistungsgesellschaft entzieht, macht sich verdächtig. {…} Höchstwahrscheinlich haben wir den gleichen Sex wie seit Jahren, Jahrzehnten. Aber das Messsystem wurde verschoben. Wer vor 20 Jahren noch im guten Mittelfeld lag, ist heute ein Underachiever. Links und rechts rauschen sie vorbei, die sexuell Aufgeschlossenen, die sicher viel mehr Spaß im Bett haben. Das zumindest suggerieren die Frauen- und Männermagazine, die mittlerweile alle eine eigene Rubrik für das Thema Sex haben.

… und fragt ironisch…

Soll denn die ganze sexuelle Revolution zu gar nichts gut gewesen sein? Multipel müssen die Orgasmen immerhin nicht mehr sein, aber bitte wenigstens regelmäßig. Sonst müssen Maßnahmen ergriffen werden. Vibrator, Therapie, und irgendwann gibt es sicher auch dafür eine Pille.

Also Mädels, die Entwicklung läuft – aber wie geschildert, ist fraglich, ob so ein Stück Chemie direkt Bock auf mehr macht. Und wenn der oder die PartnerIn sexuell eine Vollniete ist, hilft sowieso keine Pille der Welt. Die Pharmaindustrie kann eben auch nicht alle Probleme der Welt lösen:

Pharmakritische Wissenschaftlerinnen wiederum machen darauf aufmerksam, dass Ganztagskindergärten dem Sexleben junger Mütter mehr helfen würden als alle Medikamentenforschung der Welt zusammengenommen.

20 Kommentare zu „Sex auf Rezept

  1. Schon allein die Vorstellung, daß Sex irgendwas mit Leistung zu tun haben soll, finde ich abartig. Es gibt Dinge, die sind einfach konträr zu dem, was wir als „Leistung“ bezeichnen, z.B. auch spielen (also richtiges Spielen, nicht im Sinne von Wettbewerben), ausruhen oder träumen.

    Für mich ist das nur eine Gelddruckmaschine der Pharmaindustrie.

    Gruß, Frosch

  2. Eigentlich ist die Pharmaindustrie doch genial:
    Mit der Pille und ähnlichen hormonellen Verhütungsmitteln wird richtig viel Geld verdient. Als eines der häufigen Nebenwirkungen steht ja Libidoverlust/Libidoverminderung im Beipackzettel. Dann wird ein Medikament raus gebracht, dass das Verlangen wieder steigert – und damit können diese Firmen dann weiter Geld scheffeln.

    Eigentlich, wenn ich mir das recht überlege ist doch Gleitmittel das „viagra“ für die Frau: Sie will, aber kann gerade nicht körperlich. Viagra wirkt ja auch nur, wenn der Mann Sex haben will.

  3. Vielleicht sehe ich das falsch, aber Viagra ist doch für Männer, die wollen, aber nicht können, oder? Die also erregt sind, aber keine Erektion haben? Und die dann aber trotzdem Geschlechtsverkehr wollen und nicht anderen Sex?

    Ist die Analogie nicht einfach eine Frau, die nicht feucht genug wird? Ist das pinke Viagra nicht einfach Gleitmittel?

    Oder geht die Rechnung so: Männer sind geil, sie nehmen Viagra, und weil sie dann geil sind und einen Ständer haben, muss die Frau geil werden, um das Bedürfnis zu bedienen?

  4. Sehr treffend stellt sich Frage, warum Frauen eine Pille schlucken sollten, um ihre sexuellen Bedürfnisse in Bahnen zu lenken, die am männlichen Sexualverhalten gemessen werden?

    Die Frage ist ja leicht zu beantworten: Weil eine der Forderungen des Feminismus es war (und ist?), die weibliche Sexualität gleichrangig zur männlichen zu machen.

    Da ist es dann ja nur folgerichtig, dies mit Hilfe von Pillen zu fördern, wenn die Biologie dabei nicht mitspielt.

    „Naturbelassen“ gestaltet sich weibliche Sexualität eben nunmal ganz anders als männliche. Nicht vergleichbar und damit eben auch niemals gleichrangig.

  5. Wenn man den Artikel in der Zeit nicht gelesen hat, dann kommt dieser Post hier tatsächlich etwas verkürzend rüber, wie man an den Kommentaren sehen kann.
    (Bei den zitierten „Ganztagskindergärten“ mußte ich bei der gestrigen ZEIT-Lektüre schon lachen, heute bin ich wenigstens zum Nicken gekommen.)

  6. @ Peter:
    gleichrangig
    auf einer/auf der gleichen Stufe stehend, ebenbürtig, gleichberechtigt, gleichgestellt, gleichstehend, von gleichem Rang.

    Quelle: Duden – Das Synonymwörterbuch. Ein Wörterbuch sinnverwandter WörterMannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenverlag 2006.

    Männliche und weibliche Sexualität sind vielleicht nicht direkt miteinander vergleichbar, aber gleichrangig sind sie schon, weil beide gleich wichtig ist.

  7. Das Filbanserin soll ja dort im Kopf wirken, wo auch Medikamente für Depressionen wirken. Da ich gerade auf dem nebenwirkungstrip bin: Ob dann ähnlich schwere Nebenwirkungen auftreten wie bei Antidepressiva?
    Wenn dem so ist, dann ist doch eine Erhöhung der „Satisfying sexual events“ um 1 oder 2 im Monat eigentilch echt nicht viel im vergleich zu den Nebenwirkungsunannehmlichkeiten.

  8. @steve:
    Habe mich beim Lesen des Artikels auch gefragt, von was für einem Standard die Studie ausgeht, wenn eine Erhöhung um 2 solcher „events“ als significkante Steigerung angesehen wird.

  9. @ Emily

    Gleich wichtig wäre, sie wenn sie bei den Individuuen im statistischen Mittel denselben Stellenwert hätten.

    Seit Shere Hite ist erwisen, dass dem nicht so ist.

    Wenn also die weibliche Sexualität in Art und Umfang auf das Level der männlichen gebracht werden soll (also Gleichstellung, der Mann als Maß aller Dinge – argumentativ ist das sogar kongruent zu anderen feministischen Forderungen) dann ist Doping hier die logische Konsequenz.

  10. Hatte den gleichen Gedankengang wie Steve und Patrick.

    Wenn es also darum geht, „Verlangen im Kopf“ zu wecken, versteh ich die Motivation nicht so recht dahinter. Ich meine, blöder Vergleich, aber wäre das nicht etwa so, wie eine Pille zu schlucken um hungrig zu sein und dann zu essen und den Hunger stillen zu können? Wozu, wenn ich „satt“ bin, ein Bedürfnis künstlich durch Pharmazeutika mit diversen Nebenwirkungen erzeugen? In wessen Interesse? Vielleicht ist das paranoid, aber der Gedanke, dass der Zweck „öftere Bereitschaft der Frau um die Nachfrage des Partners zu befriedigen“ ist, drängt sich irgendwie auf. Also, ich meine, ok, wenn jemand will und nicht kann – toll dass es Abhilfe gibt. Aber wenn jemand eben *nicht* will? Braucht man dann eine Pille, weil da was „nicht stimmen kann“?

  11. Peter: Ich dachte eigentlich, weibliche Sexualität solle in der Gesellschaft und in der Partnerschaft als gleichrangig, gleichwertig angesehen werden (nicht als gleich). Und damit dort der anderen weiblichen Sexualität derselbe Raum eingeräumt werden. Nicht im Hirn der Frau.

  12. Peter,

    sorry, aber „gleichrangig“ ist doch der falsche Begriff in dem Zusammenhang. OK, mag sein, daß es so ist, daß Frauen alle 2 Minuten an Sex denken und Männer alle 2 Minuten mal nicht an Sex denken. Damit bekommt das Denken an Sex für Männer natürlich eine andere Bedeutung als für Frauen. Aber das bedeutet doch nicht, daß Sex Frauen deswegen weniger WERT ist. Dinge können unterschiedlich sein, und trotzdem GLEICHWERTIG.

    Patrick, ob weibliche Sexualität in der Gesellschaft den gleichen Raum einnehmen kann/sollte/wird, ist eine offene Frage, die ich aufgrund der oft unterschiedlichen individuellen Bedeutung von Sexualität für Frauen persönlich eher mal verneinen würde. Aber das hat keinen Einfluß auf die Frage der Wertigkeit.

  13. @peter:
    aha. die männliche und weibliche sexualität also. augen. roll.

    onT:
    also der gewünschte effekt lässt sich ja sicher auch über die einnahme herkömmlicher drogen bewirken, aber als „seriöses medikament“ finde ich das etwas, also…. oO

  14. @ jj

    Deine Argumentation ist unlogisch. Wenn Männer im statistischen Mittel viel häufiger an Sex denken als Frauen, dann ist ihnen Sex natürlich mehr wert. Sie verwenden ja auch mehr Zeit darauf (zumindest um an ihn zu denken).

    Hinter der ganzen Debatte steckt m.E. unterschwellig die Angst von Frauen, dass ihnen, wenn sie denn zugeben, dass Sex Frauen im Schnitt deutlich weniger wert ist, ihnen sogleich von der Gesellschaft jegliche eigene Sexualität abgesprochen wird.

    Diese Angst mag aus einem historischen Kontext heraus verständlich sein, führt aber in der Konsequenz dann eben zur intergeschlechtlichen sexuellen Leistungsschau (Wettbewerb um öffentliche Wahrnehmung) inklusive händereibendem Sponsoring der Pharmaindustrie.

    Das wollte ich mit meinem Beitrag aussagen.

    @ illith

    Du siehst keine Unterschiede zwischen der männlichen und der weiblichen Sexualität? augen roll

  15. @Peter:
    Menschliche Sexualität ist ein kulturelles Konstrukt. Wenn es biologische/natürliche Unterschiede geben sollte, die ‚vorkulturell‘ sein sollten, kommen wir da ohnehin nicht hin, weil es keine ausreichend neutrale Sprache gibt, sie zu beschreiben. Allein für das Wort ‚Sexualität‘ und die mit ihm verbundenen Vorstellungen lassen sich die kulturellen und historischen Wandlungen leicht nachweisen, siehe Foucault. Was ‚dahinter‘ noch übrigbleiben soll, möge man bitte erstmal herausstellen…

Kommentare sind geschlossen.

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