Letzte Woche hat Mia McKenzie einen tollen Text über produktive Umgänge mit eigenen Privilegien auf Black Girl Dangerous veröffentlicht. Was Punkt 2 („Just don’t go“ – deutsch: geh einfach nicht hin) betrifft, habe ich auch andere Erfahrungen gemacht und wähle teilweise andere Umgänge, die an die Verantwortung von vielen appellieren: Sich aus Räumen zurückzuziehen oder Events nicht zu besuchen, die für andere diskriminierend sind oder Ausschlüsse produzieren, kann eine (zu) einfache Lösung sein für alle, die Zugang zu diesen Räumen und Events haben. Ich versuche mich einerseits an den Kritiken und ggf. darin enthaltenen Forderungen zu orientieren und je nach dem nach zusätzlichen Interventions-Möglichkeiten zu suchen, bspw. in Kontakt mit Organisator_innen und Veranstalter_innen zu treten. Da die meisten diskriminierenden Raumstrukturen sehr normalisiert sind, fällt mein Wegbleiben oft nicht als “Kritik” auf, auch “angekündigt” in Form einer Mitteilung oder mittels Weitertragen der Kritik an die Verantwortlichen nicht. Kollektive Verweigerung wäre ein probates Mittel, allerdings habe ich das noch nie erlebt, gerade, wenn es sich um beliebte Szeneorte oder -events handelt. Was in der Konsequenz aber auch nicht bedeutet, dass mein Wegbleiben nicht auch als wertvolle Unterstützung angesehen werden kann.
Wer spricht worüber?
Wenn ich irgendwo zum Sprechen eingeladen bin, versuche ich verschiedene Perspektiven unterzubringen und nicht nur die, die mir in meiner sozialen Position am nächsten sind. Allerdings mit wechselnden Erkenntnissen: Nur wenige haben Lust, sich auf Unbekanntes oder Unbequemes einzulassen und nur wenige (wollen) verstehen, dass das eigene Wohlbefinden in/auf “emanzipatorischen” Gruppen/Räumen/Events oft ein Marker von bereits erfolgten Ausschlüssen ist, weil Themensetzung und Personen zur eigenen Lebensrealität und eigenen Bedürfnissen passen. Teilweise wird sogar passiv-aggressiv reagiert, wenn mein Publikum nicht das von ihnen erwartete “jetzt erzähle ich euch eure kollektive Lebensgeschichte”-Narrativ vorgesetzt bekommt.
Zusätzlich ist es wichtig, sich darüber Gedanken zu machen, warum eine_r zu welchen Sachen zum Sprechen eingeladen wird und nicht andere Expert_innen. Auch hier gibt es neben dem Weiterreichen des eigenen Platzes (wichtig für mich ist dabei die Frage: “wem mute ich welche Räume zu?”) oder einer mit konstruktiver Kritik versehenen Absage, vieles, was zu überlegen ist. Gerade, wenn es um die Besetzung und inhaltliche Ausrichtung eines Panels geht. Habe ich Möglichkeiten meine Kritik vorzubringen, zu intervenieren oder soll meine Anwesenheit selbst schon als Killjoy (Spaßbremse) herhalten, deren Kritik nur dazu da ist, zu polarisieren und die dann vielleicht gar nicht ankommt?
Die „guten“ weißen
In Bezug auf rassistische Strukturen gibt es manchmal die Tendenz unter uns weißen, entsprechende Orte zu “verdammen”, Kritik an diesen Orten herum zu erzählen (und leider selten an die Verantwortlichen zu richten) und damit einen Konsens herstellen zu wollen im eigenen (weiß-dominierten) sozialen Umfeld: Dieser Raum/Ort/dieses Event/diese Orgagruppe ist total rassistisch, “wir” gehen da jetzt nicht mehr hin/arbeiten nicht mehr zusammen. (Oder?) Und wenn doch, dann kann ich an dir/euch Kritik üben.
Hier geht es viel darum, sich selbst als gute weiße Person zu inszenieren, das eigene Handeln nicht kritisch zu prüfen und sich teilweise Umgangsstrategien rassistisch Diskriminierter anzueignen. Es bleibt dann eine Wohlfühlposition, die mehr an moralischen Urteilen als an Transformation interessiert ist. Entsprechende Räume/Gruppen/Events sind in der Zeit aber weiterhin Bestandteil der Szene (weil Rassismus), zu der ich mich dazurechne und zu der ich in Bezug auf Rassismus immer Zugang habe, also liegt es auch in meiner Verantwortung hier gegen Rassismus zu arbeiten.
Viel Energie für Kritik. Und dann?
Ich sehe dieses Verhalten auch in einem Verständnis von Aktivismus begründet, welches viel auf Skandalisierung aufbaut. Natürlich ist es wichtig, Diskriminierung zu kritisieren, oft bleibt es aber dabei, sich über Strukturen und Verhaltensweisen zu echauffieren, die anstrengende Arbeit wird dann liegen gelassen. Ich finde das einerseits nachvollziehbar, weil es bei Kritik an Diskriminierung auch wieder darum geht, einen kollektiven Konsens herzustellen, sich selbst sicherer zu fühlen mit dem Wissen: auch andere finden Diskriminierung scheiße. Weil es ja in den allermeisten Fällen so ist, dass das Vorhandensein von Diskriminierung geleugnet wird und allein das eine Form von Diskriminierung ist.
Ich bin vorsichtiger geworden oder überlege mir genauer, was ich wann wo in welchem Zusammenhang wie kritisiere und ob eine Veränderung der Situation überhaupt möglich ist. Was bringt es mir, mich an dem x-ten diskriminierenden Zeitungsartikel aufzureiben? Meine Energie in weiße Typen oder Heteras zu stecken, die Bockmist schreiben? Frage ich mich dann, wo meine Kraft eher “gebraucht” wird? Habe ich so überhaupt im Blick, an welchen Machtverhältnissen und Diskriminierungen ich mitwirke?
Eine weitere oft erlebte Konsequenz einer Orts- und Gruppen”verdammung” ist, dass weiße vermehrt Orte/Events aufsuchen, die sie selbst als “diverser” und kritischer wahrnehmen, weil dort z.B. (mehr) Menschen of Color abhängen. Das ist auf mehreren Ebenen problematisch: Was nehme ich als divers wahr und warum? Wer weicht von wem ab? Fühle ich mich hier (auch) wohl, weil mein weißsein “sichtbarer” ist und ich damit suggeriere, aware für rassistische Verhältnisse zu sein? Konstruiere ich Gemeinsamkeiten zwischen meiner Awareness für Rassismus und er/ge-lebten Rassismuserfahrungen? Habe ich mich überhaupt im Vorfeld gefragt, wie meine (selbstverständliche) Anwesenheit und mein (selbstverständliches) Bewegen auf andere im Raum wirkt?
Welche Form der Unterstützung wird gebraucht?
Es ist einfacher, sich aus Räumen oder von Events zurückzuziehen, wenn mein Wegbleiben ein freiwilliges ist und ich Verantwortung abgeben kann. Es ist auch einfacher für mich als weiße Person Räume aufzusuchen, die PoC als diskriminierungssensibler wahrnehmen, weil ich als weiße mir sowieso selten_er Gedanken um Ausschlüsse machen muss. Und es ist einfacher, Komplexitäten und Widersprüche im eigenen Handeln zu reduzieren, statt einen Umgang mit ihnen zu finden, der Möglichkeiten für viele verschiedene (und auch unbequeme) Entscheidungen lässt.
Für mich hilfreiche Überlegungen im Umgang mit Privilegien sind, meine Motivation immer wieder kritisch zu prüfen und das eigene Handeln vor allen an denen auszurichten, die ich unterstützen und für die ich solidarisch handeln möchte. Und dennoch eigene Entscheidungen zu treffen, mir also teilweise bestimmte Forderungen zu übersetzen: Was bedeutet diese Kritik/Forderung für mich in meiner sozialen Position und den damit verbundenen Möglichkeiten der Intervention? Wie kann ich meine Intervention dann solidarisch gestalten? Was bedeutet solidarisches Handeln für andere? Wie bleibe ich beweglich, wenn ich (trotzdem) Kritik auf mein Handeln erhalte? Mache ich meine Intervention vom Beifall und der Zustimmung anderer abhängig?