Nach der Ermordung der feministischen Politikerin Marielle Francos: Hunderttausende protestieren in Brasilien

(Bild via facebook.com/MarielleFrancoPSOL/)

Am 14. März 2018 wurde die prominente linke Politikerin und Aktivistin Marielle Franco in Rio de Janeiro auf offener Straße von Unbekannten erschossen. Bei dem Mordanschlag wurde auch ihr Fahrer getötet. Sie kam gerade von einer Veranstaltung, wo sie über das Empowerment Schwarzer Frauen gesprochen hatte. Franco war eine wichtige feministische und queere Stimme in Brasilien, die sich als Vorkämpferin für die Rechte Schwarzer Frauen in der brasilianischen Gesellschaft einsetzte. Auch in der deutschsprachigen Presse wird der Fall seit zwei Tagen aufgegriffen, wobei ihr Tod hauptsächlich in Zusammenhang mit ihrer Kritik an der Sicherheitspolitik Rio de Janeiros gebracht wird. Dies ignoriert jedoch wesentliche Aspekte ihres Lebens und Wirkens, wie die Journalistin Caren Miesenberger festhält, die Franco zwei Mal traf – zuletzt vergangene Woche bei der Frauen*kampftagsdemonstration in Rio de Janeiro:

„Franco lebte offen in einer Beziehung mit einer Frau und brachte ein Gesetz auf den Weg, das den Tag der lesbischen Sichtbarkeit in den offiziellen Kalender Rio de Janeiros einbringen sollte. Sie setzte sich außerdem für afrobrasilianische Religionen ein und entwarf ein Gesetz, das den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen unter den gegebenen gesetzlichen Bedingungen garantieren sollte. Auch andere Politiker*innen aus Rio de Janeiro wie Renato Cinco oder Marcelo Freixo setzten sich für Sicherheit ein. Auch wenn unklar ist, weshalb genau Franco ermordet wurde: Im Gegensatz zu ihr, einer Schwarzen, queeren, Favelada, bezahlten diese Politiker dafür nicht mit ihrem Leben.“

Seit Jahren hat sich die 38-Jährige Franco unter anderem gegen rassistische Polizeigewalt und Armut in den Favelas eingesetzt.  Seit Mitte Februar leitete sie die neu gestartete Menschenrechtskommission, die die Intervention des Militärs in Rio de Janeiro überwachte. Gestern gingen in Brasilien mindestens eine halbe Million Menschen auf die Straße, um für sie – und die Themen, für die sie stand – zu demonstrieren.

(Fotos von Anne Engelhardt)

Anne Engelhardt, die sich im Rahmen ihrer Forschung mit Streiks und sozialen Bewegungen beschäftigt, ist derzeit in Brasilien und hat die Proteste miterlebt. Sie fasst zusammen:

„Die Proteste waren denkbar riesig. Etwa zwischen einer halben und einer Million Menschen gingen heute spontan in ganz Brasilien auf die Straße, um Marielle zu gedenken und Polizeigewalt und Rassismus anzuprangern. Schon beim Lehrer*innenstreik in Sao Paulo, an dem etwa 40.000 Menschen teilnahmen, wurde die rassistische und sexistische Gewalt in Brasilien thematisiert, denn es sind Lehrer*innen, die in den Favelas ebenfalls täglich mit der rassistischen Polizeigewalt und der Armut konfrontiert sind, die häufig selbst von Rassismus und sexueller Gewalt betroffen sind und es irgendwie „geschafft“ haben, doch die aktuellen Kürzungen drücken sie zurück in die Armut. Abends nahmen viele der Lehrer*innen am Trauermarsch für Marielle teil. Es gab Tränen, Wut und vor allem die Forderung die Militärpolizei aufzulösen und der Rücktritt der rassistischen, neoliberalen -nicht gewählten – Temer Regierung wurde mehrfach lautstark gefordert.“

Franco war Soziologin und wurde nach der Wahl Marcelo Freixos der PSOL (Partei für Sozialismus und Befreiung) dessen politische Beraterin, 2016 war sie erstmals selbst Kandidatin bei der Kommunalwahl. Mit fast 50.000 Stimmen wurde sie damals ins Stadtparlament gewählt – als eine von nur sieben weibliche Abgeordnete. Auch in den sozialen Netztwerken prangerte sie regelmäßig Rassismus und Sexismus an. Ihre Magisterarbeit in Soziologie schrieb sie über die 2008 gestartete „Befriedung“ von Rios Favelas durch die Polizei.

Michel Temer, der aktuelle, nicht gewählte, Präsident Brasiliens nutzt nun bereits den Mord an Franco um Militärinterventionen in Rio zu rechtfertigen und auszuweiten – also genau das, wogegen Franco mit vollem Einsatz eintrat.

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