[Trigger Warnung]
Das Erleben von Geburt und Mutterschaft ist sehr unterschiedlich. Für Überlebende sexueller Gewalt stellt es oft eine besondere Herausforderung dar. Auf ‚The Feminist Wire‘ berichtet Gretchen Davidson im Text ‚On Motherhood and Surviving Sexual Violence‚ von ihrer eigenen Geschichte – die selbstverständlich nicht stellvertretend für alle Überlebenden ist. Dabei geht sie sowohl auf problematische Aspekte ein als auch auf Möglichkeiten des Empowerments, also der Selbstermächtigung. Davidson erzählt, dass sie, durch die vorangehende Gewalterfahrung besonders der Kontrollverlust während der Geburt ängstigte. Leider bestätigte ihre erste Geburt ihre Befürchtungen: sie wurde von einem wenig einfühlsamen und respektlosen Arzt geleitet und endete in einem Kaiserschnitt. Davidson nutzte dieses negative Ereignis, um sich intensiver mit ihrem Kontrollbedürfnis auseinanderzusetzen und ihre folgenden Geburten bewusst besser zu gestalten. Begleitet von einer Hebamme und ihrem Partner konnte sie den Kontrollverlust beim nächsten Mal positiv erleben.
Sie beschreibt den Einfluss der Mutterschaft auf ihr Trauma als eine Art ‚Zwischenraum‘, in dem sich Vergangenheit und mögliche Zukunft, Schmerz und Heilung treffen (Übersetzung folgt): „Becoming a mother has been a profound part of my journey to heal from sexual violence, bringing me the opportunity to reclaim a powerful connection to my body and my womanhood. Through these experiences I have become better at embracing my vulnerability and celebrating my strength. I know that I am affected by my environment, by what happens in the world, by the privileges and inequities that exist in our society, and by the shifting energies that ripple through my little family, my extended family, and my community. I am affected by my past and it lives inside me. I try to be affected by my future too, especially the futures of my children. This is a complex and difficult space to live in, but it is real. It gives room for acknowledging pain, and it gives room for healing. It gives room for our many imperfections, but it also gives space for infinite potential.“
[„Mutter zu werden war ein tiefgreifender Schritt auf meinem Weg der Heilung nach sexualisierter Gewalt, denn es gab mir die Möglichkeit, eine kraftvolle Verbindung zu meinem Körper und meinem Frausein zurück zu erlangen. Durch diese Erfahrung bin ich besser darin geworden, meine Verletzlichkeit zu akzeptieren und meine Stärke zu kennen. Ich weiß dass ich von dem, was in meiner Umgebung geschieht, beeinflusst bin, von dem was in der Welt passiert, von den Privilegien und Ungerechtigkeiten die in unserer Gesellschaft existieren, und von den wechselnden Energien die durch meine kleine Familie, meine erweiterte Familie und meine Community/Gemeinschaft strömen. Ich bin beeinflusst von meiner Vergangenheit und sie lebt in mir fort. Ich versuche ebenso von meiner Zukunft beeinflusst zu sein, vor allem der Zukunft meiner Kinder. Dies ist ein komplexer und schwieriger Ort zum leben, aber er ist real. Er gibt den Raum, Schmerz anzuerkennen, und er gibt Raum zum heilen. Er gibt Raum für all unsere Unvollkommenheiten, aber er gibt auch Raum für unbegrenzte Möglichkeiten.“]
In der medizinischen Geburtshilfe wird sexuelle Traumatisierung wenig beachtet. Dies beanstanden auch die Autorinnen eines 2003 erschienenen Artikels im ‚Deutschen Ärzteblatt‘. Darin erklären sie, dass zwar jede dritte bis fünfte Frau sexuelle Missbrauchserfahrungen im Kindesalter machen musste, dass aber „betroffene Frauen häufig nicht die auf ihre Situation abgestimmte prä-, peri- und postnatale Betreuung“ erhalten. Sie empfehlen medizinischen Personal, sich besser über mögliche Folgen sexueller Gewalt zu informieren und offen dafür zu sein, wenn Frauen bei der Geburtsvorbereitung diesbezügliche Erlebnisse ansprechen. Besonders wichtig sei, in der Betreuung Wahlfreiheit und Gestaltungsmöglichkeiten in den Vordergrund zu stellen. Dazu gehören selbstverständlich auch Schmerzmedikation und Wunschkaiserschnitt – also auch der Abschied von Normen wie der vermeintlich ’natürlichen Geburt‘.