In jeder Folge der WWW Girls stellen wir euch eine Bloggerin und ihr Weblog vor. Heute:
MELDUNGEN-AUS-DEM-EXIL.noblogs.org
Wie heißt du?
Élise Hendrick
Seit wann bloggst du?
Ich schreibe, seit ich einen Füller in der Hand halten kann. Ich habe online schon (ziemlich vergessenswerte) Texte veröffentlicht, als das Internet noch neu, der Schröder noch Hoffnungsträger und „Blog“ noch eine lautmalerische Darstellung des Erbrechens war. Meine derzeitigen Blogs (englischsprachige Politsachen bei lifeaftergonzales.blogspot.com, Lyrik bei versivitalotta.noblogs.org, deutschsprachige Polittexte bei meldungen-aus-dem-exil.noblogs.org) führe ich seit ca. 1 bis 4 Jahren. Am neuesten sind die beiden deutschsprachigen Blogs.
(c) Frl. Zucker, fraeuleinzucker.blogspot.com
Warum hast du damit angefangen?
Ich schreibe eigentlich v.a., weil ich irgendetwas loswerden will oder dafür sorgen will, dass etwas Anderen bekannt wird, was sonst keiner erfahren würde. Meistens sind beide Faktoren dabei. Ich habe in einem meiner meistgelesenen Texte mal geschrieben, dass die Satire (aus der Meldungen aus dem Exil mittlerweile zum größten Teil besteht) ein „geistiges Abführmittel“ ist. Von morgens bis abends hört, sieht und liest man jeden nur erdenklichen Scheiß – mal sollen Nacktscanner unsere Privatsphäre schützen, mal soll die Ostgrenze der BRD am Hindukusch liegen – und das häuft sich dann langsam. Die Satire lässt das Publikum wissen: Ihr seid nicht bescheuert, die haben einen an der Waffel. Dadurch kann die sonst unvermeidliche Schädelexplosion verhindert werden.
Auch für mich als Schriftstellerin spielt die Satire (sowie auch die Polemik) eine ähnliche Rolle. Ich lese irgendetwas, und komme erst dann wieder zur Ruhe, wenn ich ganz genau darlegen kann, was daran falsch, verlogen oder einfach nur bizarr ist. Oft wird uns ein richtig mehrschichtiger Schwachsinn aufgetischt, dessen Inhalt irgendwie so bescheuert ist, dass man zunächst einmal gar nicht erklären kann, was daran nicht stimmt. Vielleicht gibt es Menschen, die da noch irgendwie abschalten können. Ich kann das jedenfalls überhaupt nicht – also lasse ich das Ganze in meinem Kopf rumkreisen, bis ich es genau aus dem Blickwinkel betrachten kann, der die faule Stelle erkennen lässt, und schreibe dann alles auf, was ich da sehe. Sobald es auf dem Papier ganz genau steht, kann ich’s eintippen, abschicken und mich dann endlich entspannen.
Außerdem bin ich der Meinung, dass über vieles überhaupt nicht bzw. mit falschen Ansätzen geredet wird. Es ist so leicht, bei der Darstellung von Ereignissen und Strukturen das ideologische Grundgerüst der Herrschenden einfach so stehen zu lassen, und wenn man das tut, kommt man gar nicht mehr dagegen an. Erst wenn man etwas „mentales Selbstverteidigungstraining“ (Noam Chomsky) intus hat, kann man das dann durchschauen und ggf. handeln. Um handeln zu können, muss man wissen, wo die Probleme liegen, und welche Lösungen denkbar wären.
Ebenfalls lähmend ist das Gefühl der Vereinzelung. Wenn man nicht weiß, dass man mit seinen Ansichten einer großen Mehrheit angehört (z.B. Deutsche, die für Mindestlohn sind), oder gar glaubt, ganz alleine zu sein, hat man Angst, die Themen mit anderen zu besprechen, was auf Hoffnungslosigkeit und Apathie hinausläuft. Darauf, dass ich mich zu vielen Themen durchaus mit einer großen Mehrheit der Weltbevölkerung einig wissen kann, bin ich erst durchs Lesen aufmerksam geworden. Das ermutigt. Diese Ermutigung, dieses „du bist nicht allein“ will ich auch an andere weitergeben.
Worüber schreibst du?
Vor allem über politische Themen. Irak, Afghanistan, Rassismus, Sozialraub, Israel und Palästina, Menschenrechte, Meinungsfreiheit, das bedrückende Niveau der sog. „Qualitätsmedien“, Antisemitimus (v.a. über dessen Missbrauch), Islamisierungswahn, usw. – kurz, die üblichen „Rosa Plüschblog“-Themen. In meinen Gedichten geht es aber größtenteils um Liebe, Sehnsucht/Heimweh, die kleinen Irritationsquellen des Lebens. Meine Vorbilder dabei sind Mascha Kaléko, Kurt Tucholsky, Heinrich Heine und Felice Schragenheim.
Was dir ohne Internet nicht passiert wäre:
Ohne Internet hätte ich nie eine Online-Sexualbelästigungs-Abwehrmasche entwickeln müssen.
Das läuft ungefähr so:
IrgendsonSackgesicht1983: Sag ma bist du geil?
Früher hätte ich den Ankotzpartner gleich beschimpfungstechnisch verhauen. Inzwischen bin ich cleverer geworden.
Ich: Also, ich hätt da eine Idee.
IsSg1983: was geiles? erzähl doch mal!
Ich: Es wird dir bestimmt gefallen…
IsSg1983: Na komm schon…
Ich: Also gut….
IsSg1983: Ja?
Ich: Wie wär’s, wenn du dich mal aufn Topf setzt, dir auf das Brigitte-Heft deiner Mutter einen runterholst, und mir gefälligst aus der Sonne gehst?
[Die meisten melden sich danach gar nicht mehr].
Wovon braucht das Internet mehr?
Kritische Sachen, schöne Sachen, intellektuell anspruchsvolle Sachen, und Menschen, die es verstehen, so zu schreiben, dass man’s auch gern liest.
Frauen im Web…
…befinden sich in der merkwürdigen Lage, dass es uns gefühlt gar nicht gibt. Egal, wieviele von uns dabei sind, werden manche das Gefühl nicht, los, dass wir gar nicht da seien. Andererseits haben wir im Netz auch den Vorteil, dass uns unsere gefühlte Nichtexistenz nicht immer interessieren muss. Wir können – viel leichter als in sonstigen Lebensbereichen – eigene Einrichtungen, eigene Strukturen, eigene Kulturen aufbauen und pflegen, was dann auch im netzfernen Leben seine Wirkung entfalten kann.
Deine tägliche Web-Lektüre:
ZNet, die israelische Tageszeitung Haaretz, die auch mal ganz gute Beiträge zum Thema Menschenrechte bringt, mein Lieblings-Webcomic XKCD – einfach genial, und die Taz.
Tipps und Bewerbungen für die WWW Girls an mannschaftspost(at)web.de.