Marie Kondo: Noch ein Bashing, dieses Mal über die unordentlichen Privileged White People dieser Welt

Netflix

Hallo, ich bin wahrscheinlich ein bisschen spät dran mit diesem Artikel. Das kommt daher, weil ich im Januar meine Wohnung entrümpelt habe, und zwar radikal, und ein bisschen auch nach der KonMari-Methode (die ich bereits 2014 mal punktuell in meinen Räumlichkeiten durchgezogen habe, und was soll ich sagen, it changed my life). Nun ist Marie Kondo phänomenal erfolgreich und das fast schon seit knapp einem halben Jahrzehnt, und das heisst auch es gibt mittlerweile ungefähr eine Million Memes (oft auch richtig gute!), und ordentlich Lob, und ordentlich Bashing, und Bashing des Bashings weil es oft eindimensional und racist und überflüssig ist. Die Universalschubladen des Kondo-Bashings sollten mittlerweile bekannt sein: Marie Kondo ist das Gegenteil von Feminismus blabla, Marie Kondo propagiert ein problematisches Bild von Häuslichkeit blabla, Marie Kondo versteht nicht dass nicht die Unordnung das Problem ist sondern das Patriarchat in dem zumeist nur die „Frauen“(tm) putzen oder zumindest am allermeisten putzen blabla, dieses Aufräumprogramm von Marie Kondo ist nur für Privilegierte die überhaupt auch Zeug haben dass sie wegwerfen können blabla. Vorab: Natürlich sind das Patriarchat und Hetenbeziehungen und soziale Ungleichheit ein Problem, wenn nicht sogar die gewaltigsten. Aber, das ist der Punkt: Sie sind nicht Marie Kondos Problem. Und, was gerne unter den Tisch fällt bei der ganzen Meckerei: Dass Unordnung und Horterei auch einfach ein Kulturmuster sein kann, erwachsen aus Kapitalismus, den verschiedenen Gelegenheiten die Wohnraum so bieten kann und vielleicht auch einem, sagen wir, historischem Hang zu Dreck und Schmutz.

Unordnung und Sammelwahn – maybe it`s white?

Das Marie Kondo-Bashing gibt es meiner Meinung nach in erster Linie aufgrund des Zusammenstoßens der Unordnung weißer Menschen mit Marie Kondos frischer Aufgeräumtheit. Denn, Hand aufs Herz, mit Tinnef und Staubfängern vollgestopfte Wohnungen sind das Spezialgebiet der Spezies weiße Europäer_innen nordwestlicher Prägung (egal wo sie am Ende gelandet sind auf diesem Planeten) – und all derer die in ihrem Dunstkreis leben müssen. Nehmen wir der Einfachheit halber nur Deutschland: Hier bin ich groß geworden, und hier habe ich seit über drei Jahrzehnten den Horror des Wohnschrottes miterlebt und auch mitgemacht. Aufgewachsen im Deutschland der 80er und 90er Jahre habe auch ich vieles nicht ausgelassen: Tigerenten aus Holz (omg). Lava-Lampen. Kresse-Igel. Klamottenberge. Zaubertrolle. Kurzum: SCHROTT, aber manchmal brauchte ich ihn irgendwie für mein Leben. Und don`t judge me wenn Ihr nichts davon hattet, ich bin sicher, Ihr hattet anderen Sinnlos-Müll!

Viel Wohnraum für wenige Personen ergo viel Platz für Schrott

Viel Wohnraum für wenige Personen gab es damals noch, dazu in den Jahren der berühmten Neubausiedlungen (roter Klinker, weiße Fenster) manchmal auch noch die berüchtigten Spielkeller für die Kinder (es wäre Marie Kondos Alptraum gewesen!), Kisten voll mit Lego und mit Playmobil, und in der ganzen Republik turnten Bälger herum von denen viele, sehr viele sogar, ein eigenes Zimmer bewohnten mit mehr oder weniger viel Spielzeug darin. Ich kenne erwachsene Menschen die bei Ebay regelmäßig den Preis von Castle Grayskull checken (unter anderem ich selber), und ich habe Menschen gesehen, die jedes Marmeladenglas das ihnen in die Quere kommt auswaschen um es auf die Fensterbank in der Küche zu stellen, so lange bis dort 100 Gläser stehen und man im Sommer nicht mehr das Fenster aufmachen kann, und das ist besonders dann tragisch wenn der Müll nur alle neun Tage hinunter gebracht wird weil bei dem ganzen Müll sparen der Beutel nicht schnell genug voll genug wird, was löblich aber auch ein bisschen stinkig ist.

Außerdem, das ganze Gewäsch um Tiny Häuser und Minimalismus und unverpackte Sachen kaufen wiederum ist erst seit ein paar Jahren so richtig richtig hip, aus Gründen die andere Leute schon besser untersucht haben als ich, aber ich weiß auch: Diese Ahnung, dass außerhalb der mit Tinnef und Zeugs vollgepackten Behausungen auch noch luftige, nicht vollgestopfte Wohnungen und Häuser auf diesem Planeten existierten, vor allem vielleicht auch da, wo sich besonders viele Menschen weniger Wohnraum teilen, die hatte ich schon bevor ich überhaupt mit dem Soziologiestudium anfing, also auch schon Ende der 90er Jahre.

Außerdem war und ist mir bekannt, dass

  • … im mittelalterlichen Europa Dreck zum Alltag gehörte (auch da man nicht viel von der Kunst des Waschens hielt, und zwar auch nicht dann, wenn es um den eigenen Körper ging). Perücke statt Haare waschen war angesagt (ich möchte niemandem zu nahe treten, aber ich finde dieser kulturelle Tiefpunkt wird schrecklicherweise grad wieder mit dem Trockenshampoo-Hype wiederholt), und in mittelalterlichen Städten gab es Erkerlatrinen und öffentliche Abtritte, enge und ungepflasterte Straßen, und weil das Betreten dieser unter diesen Umständen nicht möglich war, benutzte man zum Laufen Springsteine und Holzzapfen. Ich sag mal so: I guess it didn`t spark joy! Gut, nun haben wir das Zeitalter des Flachspülers von Villeroy & Boch erreicht, und auch die moderne Anlagenmechanik hat einiges zu bieten, aber never forget: Es war Teil der Geschichte!
  • … wir Jahrzehnte des Kapitalismus und Konsumismus hinter und auch noch vor uns haben, der zu bizarren Verhaltensmodi führt – etwa kennzeichnen Menschen ihre neuerliche Hinwendung zum Minimalismus damit, dass sie Windlichter und Deko-Krams und Lampenschirme aus Draht oder in Drahtoptik, gerne in roségold oder auch schwarz (je nachdem wohin die Fahne des Gendermarketings baumelt) in ihre Bude verfrachten – ergo: Schrott.

    Hast Du so einen Teelichthalter oder erwägst Du so einen zu kaufen? Denk lieber nochmal drüber nach!!! Ansonsten gibt es die Teile aber z.B. bei Urban Outfitters, natürlich.

Was ich sagen will ist: White People haben Jahrhunderte und Jahrzehnte des Schmutz und Drecks und/oder Kapitalismus hinter sich und nun kommt Marie Kondo mit einem Sack voller Ideen, gespeist aus einer historischen, sozialen, kulturellen Entwicklung einer spezifischen Art der Wohnkunst, und: People are losing their shit. Weil sie nicht begreifen, dass Marie Kondo nicht das 1950er Jahre-Hausfrauen-Bild der Europäer_innen nordwestlicher Prägung verkauft, sondern einfach nur: Ordnung. Es geht um ORDNUNG IHR BITCHES.

Marie Kondo hat Euren Kapitalismus nicht erfunden, Ihr Bitches

Vor allem privileged white people sind einfach ein Problem, seien wir ehrlich. Marie Kondo kann nix dafür dass sie umgeben von Öko-Kiefernwohnwänden, unbehandelt, in die kiloweise Zeug gestopft wurden, aufgewachsen sind. Marie Kondo kann nix dafür dass Geschirr nicht mehr nur ein Mittel zum Zweck sondern auch Deko-und Sammelware geworden ist, scheißegal ob es sich um das dritte Rosenthal-Service von Muttern oder den neuesten Kaffeebecher von Xenos oder irgendeinem Teller aus dem Second Hand-Laden den man als Sammelstück an die Wand nageln kann handelt. Marie Kondo kann auch nix für Gedöns das aufgrund von Cultural Approbiation die Hütten erobert(e), weil sie weder das Zeitalter des glitzernden Deko-Buddhas noch des angeeigneten Zen-Gartens noch der Ethno-Abteilung bei Depot erfunden hat. Marie Kondo kann nix dafür dass Ihr seit Ihr 18 seid Euer halbes Kinderzimmer mit Euch rumschleppt (es sei denn natürlich Ihr habt den Schrott einfach im elterlichen Keller archiviert, was aber auch schlecht ist). Kann Marie Kondo was dafür dass ihr nicht einfach fünf Teile aus dem Badezimmer räumt und dann einmal mit dem Schlauch durchgeht, so wie normale Menschen, so wie so viele der Omas und Tanten südlich-jenseits der Festung die auf den Prinzipien des Schengener Abkommens basiert? NEIN. Kann Marie Kondo was dafür dass ihr jeden Jogurtbecher ausgewaschen im Schrank hortet bloß weil der Kunstlehrer auf dem Gymnasium gesagt hat die wären prima zum Pinsel auswaschen wenn man mit Wasserfarben hantiert? NEIN. So stop your Eurozentrismus-Müll, please!

Das alles sollte man im Hinterkopf haben, wenn man sich die ersten Folge der Marie-Kondo-Netflix-Serie anschaut, denn dann sieht man sie ja, die unordentlichen privileged white people, und sie sind einfach nur NERVIG. Umgeben von viel zu vielen und arschteuren Möbeln steht zum Beispiel in der ersten Folge die weiße US-Amerikanerin ein bisschen verzeifelt im vollgestopften Haus und sinniert über ihre Hetenbeziehung zu ihrem meckernden Holhbrotmann – so, als ob sie nix besseres zu tun hätte (hat sie wahrscheinlich leider auch nicht). Die ganze Szenerie inspirierte mich persönlich überhaupt kein bisschen zu Marie Kondo-Bashing, sondern erinnerte mich eher an eine Baby-Version der „Die Königin von Versailles“-Doku: Wir erinnern uns, eine Geschichte über eine schwerreiche US-Familie die nach dem finanziellen Abstieg (von Milliardären zu Millionären) im eigenen Wohnschloss einigermaßen verwahrloste weil sie den Trupp der Hausangestellten die sie beschäftigten halbieren mussten. Die Marie Kondo-Doku brachte mich nicht dazu, Marie Kondo zu ihrem vermeintlich fehlendem Feminismus anzuklagen, ich lernte eigentlich nur eins: Privilegierte weiße Menschen mit einem Arsch voll Geld die einfach zu inkompetent zum Aufräumen sind, die gehen mir knallhart am Arsch vorbei, mit denen habe ich kein Mitleid, denn wer trotz Knete zu hohl ist zum Aufräumen, an den verschenke ich nicht eine Sekunde meiner Weltverbesserinnenkraft. Also um nochmal auf dieses ätzende Pärchen aus der ersten Kondo-Folge zurückzukommen: Ich kann mir sehr gut vorstellen wie das langweilige Ehepaar nach der Ausstrahlung eine Watch-Party für befreundete Familien ausgerichtet hat, wahrscheinlich noch mit neuem Geschirr und Häppchen und einem kleinen Sektempfang, und ganz viel „It was so exciting, Marie changed our lifes!“-Geschwafel. Üargs.

Das System Marie Kondo entlarvt in erster Linie nämlich vor allem diese: Betuchte Amis, oft auch gerne solche die mehr oder weniger „bourgeois“ sind (vor der Netflix-Serie erspähte ich auch mal eine Folge auf YouTube wo Marie Kondo tonnenweise Bücher einer reputierten Journalistin sortierte), die es aber einfach nicht packen, mal für Ordnung zu sorgen. Nein, stattdessen müssen sie Marie Kondo einladen, und ich sage Euch, Marie Kondo verdient jeden einzelnen Dollar den sie durch diese unfähigen Hohlpiepen einnimmt. Deswegen ist es oft aber auch viel langweiliger, „Tidying Up with Marie Kondo“ zu gucken, viel viel langweiliger als zum Beispiel „Queer Eye“, und das liegt nicht an Kondo selbst sondern einfach an den schnarchnasigen Hohlbroten mit denen sie beim Aufräumen Händchen halten muss weil sie gar nix über die Welt wissen, noch nicht mal wie man zum Beispiel einen Kleiderschrank entrümpelt, schnarch – und das, obwohl sie jahrhundertelang einen Großteil der Welt kolonialisiert haben. Deswegen: Throw them away, they don`t spark joy!

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[Dieser Text ist ein Crosspost.]

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