Love me or leave me – was wäre das Leben einfach, wenn sich solche Pauschalregeln durchsetzen ließen. Doris Guth und Heide Hammer haben aber mit der gleichnamigen Aufsatzsammlung niemandem ein Ultimatum stellen wollen. Vielmehr geben sie elf AutorInnen die Gelegenheit „Liebeskonstrukte in der Populärkultur“ aufzudecken. In der Einleitung schreiben die Herausgeberinnen:
In der Perspektive des Cultural Studies verfolgen wir die changierenden Bewegungen zwischen dem überaus intimen, persönlichen Bereich der Liebesbeziehungen und ihren gesellschaftlichen wie medial vermittelten Faktoren.
Dabei können die Konstruktionen so leicht enttarnbar sein wie in deutschen Lifystylezeitschriften oder der us-amerikanischen Serie „The L-Word“, in deren Mittelpunkt eine lesbische FreundInnen-Community“ steht. Oder sie stellen feministische Grundthesen in Frage, wie die Annahme, Frauen in liberalen Gesellschaftssystemen wären durch die Schaffung „privater“ (weiblicher) und „öffentlicher“ (männlicher) Räume stärker benachteiligt als Frauen eines kommunitaristischen Gemeinwesens. Die Anthropologen Eva Illouz und Eitan Wilf belegen ihre Thesen anhand einer vergleichenden Studie us-amerikanischer und israelischer Frauenzeitschriften. Andere AutorInnnen konzentrieren sich auf den eigenen Kulturkreis und untersuchen zum Beispiel die Liebesdiskurse im deutschsprachigen Rap.
Was als rein wissenschaftliche Lektüre beginnt, erweitert sich im weiteren Verlauf des Sammelbandes zur populärkulturtypischen Diskursanalyse eines Diedrich Diederichsen. Wen das in seinem auf Stringenz gepolten akademischen Denken verunsichert, den dürfte Stephanie Kiesslings Beitrag auflächeln lassen. In „These foolish things remind me of you – eine kleine Verschwörungstheorie der Dinge“ gibt sie – begleitet von wunderbaren Illustrationen – dem Begehren des Sammelns einen emotionalen Fetisch-Anstrich als Zeichen romantischer Liebessehnsüchte.
Ähnlich unkonventionell nähert sich Sissi Szabó literarischen Liebeskonstrukte. Ihr „automatischer copy-paste-Schreibworkshop“ zeigt in der ihr eigenen Sprache alltägliche Kommunikationskanäle von Liebenden auf.
Mit „Love me or leave me“ setzen die Herausgeberinnen Guth und Hammer ganz bewusst auf die individuellen Formate ihrer AutorInnen. Dadurch entsteht ein vielseitiger Blick auf die unterschiedlichen Herangehensweisen, die von der Populärkultur begünstigten Konstruktionen zu hinterfragen. Die gleiche Wirkung erzielt die Wahl der behandelten Medien, die von Zeitschriften und Musik, über Fernsehen und Film bis hin zur Literatur reicht. Dass auch internationale Perspektiven – nicht zuletzt in Ruby Sicars Beitrag über die Queerness in südasiatischen Filmen – eine Rolle spielen, ist ein weitere Pluspunkt für die Sammlung.
„Love me or leave me“ wird auch diejenigen ansprechen, die bisher eher wenig Berührung mit dem Hinterfragen gängiger „Liebes-Codes“ in der Populärkultur hatten, oder gerade erst anfangen, sich damit zu beschäftigen. Für alle anderen halten die teilweise originellen Forschungsansätze sicher trotzdem neue Erkenntnisse bereit.
Erschienen bei Campus, 231 Seiten, 24,90 Euro
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klingt nach forschungsgrundlage für bitterfotze. wundervoll. danke für die gute rezension, dieses buch wird nach der strafrechtsklausur erstanden und gelesen.
beste grüße – achja und danke für samstag [offtopic]
eva
Was ich da lese, ist genial und hilft hoffentlich unsere konservativen Konstrukte und Liebesverständnisse zu hinterfragen und aufzubrechen.
Schön fand ich, daß entgegen früherer Auseinandersetzungen die Liebe nicht mehr als Gefährdung für die weibliche Souveränität diskutiert wird, sondern sogar als historische Entwicklung, diese zu befördern, statt eines wirtschaftlich geprägten funktionalisierten Ehearrangements, was Simone de Beauvoir berechtigterweise kritisch diskutiert hat. Dieser Punkt wird auf S. 84 angeschnitten mit Hinweis auf Überlegungen von Judith Butler 2007 und sich veränderter Verhältnisse.
„Wenn sich ein Mensch in die Einzigartigkeit eines anderen verliebt, drückt er dadurch gleichzeitig seine eigene Einzigartigkeit aus“ (S. 21).
S. 22 zeigt einen interessanten Aspekt :
„Eine der dramatischsten Auswirkungen der Aufteilung in privat und öffentlich auf das Selbstbild der Frau war, daß mit fortschreitendem Kapitalismus der Bereich Arbeit und Politik immer mehr als unauthentisch, erzwungen und künslich betrachtet wurde, der Ort des Privaten und Emotionalen hingegen als idealer Ort, um das wahre Ich auszuleben. Die private Sphäre war identitätsstiftend geworden, was dazu führte, daß die Frauen ihr Ich nun über ihre Innerlichkeit definierten, sich fortan nur noch mit ihren Emitionen und persönlichen Beziehungen beschäftigten und diese Beziehungen als die einzig wahre, authentische Bühne der Selbstverwirklichung postulierten.“
Der Vergleich der liberalen US-Verhältnisse mit den kommunitaristischen Israels ist geschickt gewählt.
„Liebe als eine Form des praktischen Wissens, der affektiven Fähigkeit und emotionalen Kompetenz ist geeignet, Dominanzverhältnisse umzuarbeiten – ohne zum Allheilmittel erhoben oder Unterwerfungsgeste abgeschrieben zu werden, sondern als ein dynamisches Begehrens- und Bewegungsmoment.“ (S. 86).
M.E. eine weitere Chance im Geschlechterpuzzle.
Interessant die Anmerkung bzgl. der israelischen Frauenzeitschrift La`Isha auf S. 26 :
„Und drittens ist La `Isha der ideale Schauplatz für eine Analyse des Patriarchats, wenn man bedenkt, dass die Redaktionsmitglieder und Herausgeber der Zeitschrift von Anfang an Männer waren. So gut wie alle Artikel, die dort erschienen sind, wurden unter div. weiblichen Pseudonymen von diesen Männern verfasst.“
Bemerkenswert ist m.E. auch der Hinweis auf die Gemeinsamkeit der inhaltlichen Linie (S. 62) und der bis zu 50% ausmachenden Werbung der heutigen gängigen Lifestyle-Zeitschriften aufgrund der ökonomischen Abängigkeit auf Inserate.
Mal sehen, was auf den weiteren Seiten noch alles zu lesen ist.