Julia Roßhart ist Lektorin für feministischen, lesbischen und queeren Text und promoviert zu anti-klassistischen Interventionen in der Frauen-/Lesbenbewegung der BRD. Zur Erholung liest sie Fiktionales. Und gärtnert. Julia verschlingt lesbisch_trans_queere Neuerscheinungen – Belletristik! – und schreibt bereits Empfehlungen und Rezensionen unter der Überschrift Lesbisch_queere Bücherwelten für die feministische Onlinebuchhandlung FEMBooks. Auch für die Mädchenmannschaft stellt sie von nun an Empfehlenswertes zusammen.
In wissenschaftlichen Neuerscheinungen der Gender und Queer Studies taucht der Begriff Lesbe nur randständig auf. Gilt wohl als zu identitätspolitisch. Oder zu alltäglich, ‚gewöhnlich‘? Vielleicht auch zu 80er oder – naja, zu lesbisch halt. Ausnahme aus 2014: Perverse Bürgerinnen. Staatsbürgerschaft und lesbische Existenz von Christine M. Klapeer (Ich habe es noch nicht gelesen, deshalb kann ich nicht mehr dazu sagen als: klingt vielversprechend!).
In der Belletristik sieht es etwas anders aus, was lesbische Präsenz angeht. (Das haben wir vor allem den alten und neuen lesbischen und queeren Verlagen zu verdanken.)
Einen sehr berührenden und politisch überzeugenden Lesbenroman hat im vergangenen Jahr Peggy Wolf geschrieben: Acker auf den Schuhen, vom Berliner Querverlag veröffentlicht. Die einzige lesbische Protagonistin, Susann, taucht in Persona allerdings nie auf, sondern lediglich in den Erinnerungen der anderen ProtagonistInnen. Susann ist nämlich tot – sie hat ihr Leben beendet. Warum, darüber schweigt das familiäre und dörfliche Umfeld beharrlich. Wie einst Susann, findet sich die_der Leser_in in eine Umgebung gebannt, die geprägt ist durch alltägliche, stillschweigende, kaum gebrochene Heteronormativität – alleine. Die Geschichte, die Peggy Wolf überzeugend erzählt, ist ein fiktional umgesetztes, schmerzhaftes Stück lesbischer Geschichte und auch Gegenwart.
Eher spaßig kommen indessen Die wundersamen Weltraumabenteuer von Helen Hayer und Christine de Castelbaraque daher, von der Autorin Judith Jennewein, 2013 beim jungen, queeren Wiener Verlag zaglossus erschienen. Eine zweifellos (mehr als) unterhaltsame lesbische Science-Fiction-Geschichte. Besondere queer-feministische Schmankerl sind: variantenreiche Formen von Geschlechtlichkeit – je nach Zeitdimension und Planet!– , die sprachpolitisch ebenso vielfältig umgesetzt werden; feministische ‚Ur-Themen‘ wie Reproduktionstechnologien; dazu eine Portion Kapitalismuskritik. Verpackt ist das Ganze in ein Weltall-Reiseabenteuer, das zugleich eine Liebesgeschichte ist, und dabei: voller origineller Ideen mit Witz, die eine_n zum Schmunzeln, manchmal sogar zum Lachen bringen.
Ein kluger Lesbenroman zum Thema Gentrifizierung erschien 2014 beim Berliner Lesbenverlag Krug und Schadenberg: Windmühlen auf dem Wedding von Astrid Wenke. Das Haus im Berliner Stadtteil Wedding, in dem Sybilla Kischotta wohnt, wird gerade verkauft, Eigentumswohnungen sollen es werden; und die Betreiberinnen der nahegelegenen Stammkneipe haben eine saftige Mieterhöhung im Briefkasten – Berliner Verdrängungsalltag und Weddinger Kiezgeschichte.
Es ist nicht die ganz schlimme Verdrängungsrealität – Entmietung um jeden Preis, Zwangsräumung, Obdachlosigkeit –, die Astrid Wenke hier erzählt. Die Hauptfiguren können der Verdrängung widerstehen: mal aufgrund von Geldprivilegien, mal aus purem Glück, mal durch gegenseitige Unterstützung und Organisierung. Es ist eben nur eine Geschichte.
Eine große Stärke des Romans liegt im Nachspüren von alltäglichen Klassenbeziehungen und damit verbundenen Widersprüchen. Da ist einmal Kischotta selbst: mit kleinem Einkommen und kleiner Wohnung, aber bildungsbürgerlicher Herkunft. Da ist die Tango tanzende Amalia, in die sich Sybilla verliebt – und das, obwohl sie für Sybilla das Bürgerlichwerden des Weddings verkörpert (Tango! Im Wedding!). Da ist die Hausbewohnerin Martha, proletarisch und inzwischen Rentnerin, die Sybilla mehr als einmal mit deren inneren (Klassen-)Widersprüchen konfrontiert. Und da ist Jutta, langjährige Freundin Sybillas und Anwältin, die proletarischer Herkunft ist und auch deshalb andere Strategien rund um Wohnen und Wedding verfolgt als Sybilla …