Kleine Mengen von Alkohol in der Schwangerschaft führen zu besserer emotionaler Entwicklung des Kindes? Über Verbote

Dieser Text ist Teil 43 von 45 der Serie Muttiblog
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Provokation (Foto: Fuckermothers)

Mütter und ganz besonders Schwangere müssen strengen Regeln folgen. Diese Regeln werden gern mit den Erkenntnissen wissenschaftlicher Untersuchungen ‚belegt‘, über die sich Mütter natürlich ebenfalls informieren müssen. Sie sollen lesen und Rat suchen, sie sollen Studien studieren, sie sollen wissen, welche Babynahrung und -kleidung am gesündesten ist, dass Stillen das Beste ist, welcher Kindersitz der sicherste und welcher Erziehungsstil am entwicklungsförderndsten. Dieser Glaube an die Wissenschaft und die Forderung nach der belesenen Mutter scheint aber eine Grenze zu haben: Wissen, das das Befolgen strenger Regeln in Frage stellt. Sobald es Anzeichen gibt, dass die Mutter sich etwas entspannen könnte, dass sie sich nicht komplett für das Wohl ihres Kindes zurücknehmen muss, gilt dieses Wissen als falsch und gefährlich. Denn: Verbote sind eben Verbote.

Besonders schön illustriert dies das totale Alkoholverbot in der Schwangerschaft. Denn das vollständige Verbot lässt sich nicht wirklich mit Studien begründen. Schon vor zwei Jahren gab es hier einen kritischen Beitrag zur Kampagne ‚Kein Glas in Ehren‘, in dem auf die schon lange vorliegenden Ergebnisse verwiesen wurde, dass moderater (!) Alkoholkonsum in der Schwangerschaft keine nachweisbaren Auswirkungen auf die Gesundheit des Kindes hat. Nun gab es erneut eine Studie zum Thema, die ein lustiges Ergebnis hatte. Die Psychologin Janni Niclasens fand heraus „dass Kinder von Frauen, die in der Schwangerschaft kleine Mengen von Alkohol konsumierten, im Alter von sieben Jahren emotional besser entwickelt waren und ein besseres Sozialverhalten zeigten als Kinder von Frauen, die als Schwangere gar nicht getrunken hatten.“

Dieses Ergebnis passt nicht zur strengen Reglementierung der Schwangerschaft. Niclasens musste ihr Ergebnis deswegen relativieren und trotzdem öffentlich dafür plädieren, dass Schwangere keinen Tropfen Alkohol trinken dürfen. Mit entsprechend seltsamen Windungen stellte auch die FAZ die Studie in ihrem Wissensteil vor (Christina Hucklenbroich: Rausch und Risiko). Denn weder der Wissenschaft noch der mündigen Mutter kann dort vertraut werden. Gemäß dem Artikel sind beide gefährlich und höchst fehleranfällig. Studien liefern nicht schlicht Daten, die dem gängigen totalen Verbot von Alkohol widersprechen, sondern sie liefern „so missverständliche Daten, dass die Autoren selbst anfangen, werdende Mütter eindringlich zu warnen“. Puh. Fragt sich natürlich, womit die Mütter gewarnt werden sollen.

Mit Informationen natürlich, aber welchen? Studienergebnisse scheinen die Warnungen ja nicht unbedingt zu bestätigen. Und komischer Weise sind es gerade „die am besten informierten und sozial integrierten Mütter“ beziehungsweise die „am besten ausgebildeten Teilnehmerinnen der Studie“, die zugeben, Alkohol in der Schwangerschaft zu trinken. Warum? Weil sie ihre Schlüsse aus den vorliegenden Informationen ziehen? Oder weil sie sich in einer priveligierteren Position befinden als weniger gut ausgebildete und marginalisierte Mütter, deren Erziehungskompetenzen schon beim kleinsten Fehltritt angezweifelt werden? Schließlich ist es für Frauen, deren Mutterschaft sozial erwünscht ist, sehr viel leichter gegen Normen zu verstoßen oder solche Verstöße zuzugeben. Aber nein, das sind nicht die Gründe, die der Artikel nennt. Die best informierten Mütter trinken gelegentlich Alkohol, denn sie sind nicht „unabhängig genug, um ihren Lebensstil in der Schwangerschaft zu ändern.“ Aha.

Was also als Maßnahme ergreifen, um Unabhängigkeit zu fördern, aber zugleich das Verbot dennoch nicht in Frage zu stellen? Vielleicht ja: Aufklärung (denn die hat ja nichts mit Informationen oder Wissenschaft oder Unabhängigkeit zu tun). Da auch die nicht zu wirken scheint, schließt der Artikel mit einer Argumentation, deren Bedeutung sich mir bislang nicht voll erschloss: „Aufklärung allein scheint nicht zu reichen. Es könnte eine neue Aufgabe für das Gesundheitssystem sein, Mütter darin zu bestärken, ihre eigenen Interessen wahrzunehmen – wenigstens neun Monate lang.“ Aber … vielleicht nehmen Schwangere ihre Interessen ja auch teilweise einfach schon wahr indem sie, selten und in Maßen, mitunter Alkohol trinken? Könnte das nicht gar ein Zeichen von Unabhängigkeit sein?

Wir sind nie modern gewesen, heißt es bei Latour. Und dass die Moderne zwar Fortschritt durch ‚reine‘ Wissenschaft predigt, zugleich aber ständig ‚unreine‘ Mischungen aus Wissenschaft und Politik, Natur und Gesellschaft, Wahrheit und sozialen Regeln hervorbringt. Die (nicht-geführte) Debatte um das totale Alkoholverbot in der Schwangerschaft hat mich wieder daran erinnert.

8 Kommentare zu „Kleine Mengen von Alkohol in der Schwangerschaft führen zu besserer emotionaler Entwicklung des Kindes? Über Verbote

  1. Danke sehr für diesen Artikel. Ich wünsche mir eine öffentliche Debatte um Alkoholkonsum während der Schwangerschaft – oder überhaupt, dass mehr darüber gesprochen wird, wie es eine Person geht, wenn sie schwanger wird.
    In meiner Erfahrung ist mein Körper plötzlich zum Gegenstand Diskussionen geworden an dem ich nicht unbedingt in der Lage war, gleichberechtigt teilnehmen zu können (weil Hormone usw).

  2. Danke für den interessanten Artikel! Vielleicht muss man einige Wissenschaftler ja mal wieder an Paracelsus‘ „Die Dosis macht das Gift“ erinnern…
    Was den Aspekt der Entscheidungsfreiheit anbelangt, läuft eine hoffentlich stattfindende Debatte zum Thema Alkoholkonsum in der Schwangerschaft leider wahrscheinlich wieder Gefahr, wie das aktuelle Gezerre um die „Pille danach“ auszusehen.

  3. Und weiter…

    Alle Entscheidungen, die ich bezüglich Essen und Getränke getroffen habe dürften kommentiert werden – weil Babywohl etc. Ich liebe alles an Schwangersein außer diesen Aspekt – dass mir immer wieder (egal wie alt ich war oder wieviele Kinder ich bereits hatte) mir eine gewisse Kompetenz abgesprochen worden ist. Ständig. Auch von Personen, die krine Kinder hatten und nie selber schwanger waren.

    Alkoholkonsum in der Schwangerschaft gehört zu den Themen über die ich gerne mehr diskutieren würde – allerdings nie wieder als schwangere Person.

  4. … und bald heißt es, wer während der Schwangerschaft abstinent lebt (vielleicht, weil sie es sonst auch tut) läuft Gefahr, ihr Kind zum emotional rückständigen Sonderling zu machen… Wann gibt es denn endlich mal eine Studie, die „beweist“, dass es völlig der Schwangeren überlassen bleiben sollte, was sie während der Schwangerschaft tut oder nicht tut, und dass sie damit keinesfalls das gesamte Lebensschicksal ihres Kindes vorherbestimmt?

  5. Ich hab zwei Punkte zu dem Artikel: 1) Studien und FAS Organisationen betonen immer wieder, dass es nicht möglich ist eine Schwellendosis für Alkoholkonsum festzulegen! Die Aussage des Artikls, dass moderater Alkoholkonsum unschädlich ist, ist daher einfach falsch. Sie ist durch das komplexe Krankheitsbild nicht zu belegen und es wird in der Literatur die ich kenne immer wieder darauf hingewiesen, dass je nach Phase der Schwangerschaft auch kleinste Menge zu Symptomen beim Kind führen können. 2.) Das sollte jedoch keinswegs das alleinige Recht der Schwangeren auf Selbstbestimmung über ihren Körper einschränken. Ich sehe auch, dass Diskussionen über „richtiges“ Verhalten in der Schwangerschaft durch sexistische und klassistische Strukturen geprägt ist. Und ja, ich halte es auch für notwendig, das zu problematisieren, wie es der Artikel tut. Ich finde es aber notwendig, obwohl Alkoholkonsum immer ein Risiko für das Kind ist; und nicht notwendig oder sinnvoll, dieses Risiko einfach zu verleugnen um damit das Recht jeder Frau über ihren Körper zu bestimmen zu belegen. Ich denke, es geht auch beides zusammen.

  6. Es werden nicht nur „Frauen“ schwanger. Schade, dass Trans*- und Inter*-Menschen beim Thema Schwangerschaft so gut wie nie mitgedacht werden…

  7. Die Psychologin Janni Niclasens fand heraus “dass Kinder von Frauen, die in der Schwangerschaft kleine Mengen von Alkohol konsumierten, im Alter von sieben Jahren emotional besser entwickelt waren und ein besseres Sozialverhalten zeigten als Kinder von Frauen, die als Schwangere gar nicht getrunken hatten.”

    Hier liegt die Vermutung nahe, dass sich nicht der Alhoholkonsum der Mutter (in dr Studie unabhängige Varibale) auf die Charakterentwicklung des Kindes ausgewirkt hat, sondern der Charakter der Mutter (unabhängige Varibale) auf ihren Alkoholkonsum (abhängige Variable 1) und auf die Entwicklung des Kindes (abhängige Variable 2).
    Außerdem wäre es interessant zu wissen wie der Alkoholkonsum der Mutter gemessen wurde, wenn per eigene Angabe, so können hier Faktoren wie soziale Erwünschtheit die Daten verfälschen.
    Ohne die Studie im Detail zu kennen, lässt diese sich aber eh nicht beurteilen.

    Ansonsten schließe ich mich dem Beitrag von MitOhne an.

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