Der Hass, der im Internet sichtbar wird, nimmt zum Teil erschreckende Formen an. Die Reaktionen auf #aufschrei zeigen das erneut. Feministische und antirassistische Blogger_innen werden beleidigt, verleumdet, beschimpft, beobachtet, verfolgt, ihre Arbeitgeber kontaktiert und sie werden auf sonstige Art und Weise unter Druck gesetzt, weil sie in der Öffentlichkeit eine Meinung vertreten. Die Diskussion Safe Cyber Spaces am 21. November hat gezeigt, dass die juristischen Möglichkeiten, gegen diese Art von Einschüchterungen vorzugehen, sehr begrenzt sind.
Die Medienrechtsanwältin Ama Walton hat erklärt, wie strikt die Rechtsprechung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist. Der Jurist Simon Assion hat deutlich gemacht, dass zudem das gewünschte Ergebnis, wenn man sich juristisch wehrt, häufig auch nicht eintritt und man erst recht in das Fadenkreuz von Verfolgungen geraten kann. Ein Problem ist auch, dass die beschriebenen Shitstorms eine Wand aus Einzeläußerungen sind, die wenn sie allein stehen würden, vielleicht gar nicht so dramatisch wären. Sie fügen sich aber zusammen zu einer Wand aus überwiegend anonymem Hass, vor der die betroffene Person dann steht und zumindest juristisch kaum adäquate Möglichkeiten der Reaktion hat.
Was bedeutet das alles nun für das Recht und die Gesellschaft? Ich bin der Meinung, dass die beschriebenen Phänomene in erster Linie ein gesellschaftliches Problem sind und nicht in erster Linie ein Rechtsproblem. Wir haben es hier mit einer neuen und wichtigen Facette der öffentlichen Sphäre zu tun. Sich in diese Sphäre zu begeben als Mensch, der nicht zur Gruppe weißer Männer gehört, ist traditionell mit einem gewissen Risiko behaftet. Gerade junge Frauen, die diese Öffentlichkeit für sich und ihre Anliegen nutzen, machen diese Erfahrung.
Eine ältere feministische Juristin ohne Twitteraccount und Blog hat vor kurzem zu mir gesagt „Das ist doch klar, das Internet ist jetzt eben euer Bahnhof“. Der Bahnhof, meinte sie, war für viele Frauen (und ist es vielleicht immer noch) ein Ort, wo man nicht so gern hingeht, weil man dort Angriffen ausgesetzt sein kann, verbal oder körperlich. Nun können Menschen dann verschiedene Strategien entwickeln, wie damit umzugehen ist. Nicht hingehen, sich vorher überlegen, wie verhalte ich mich, nur zu bestimmten Tageszeiten hingehen… Das Problem sei aber das gleiche, online wie offline. In gewisser Weise ist das richtig. Es ist ein Privileg, sich mit dem selbstverständlichen Anspruch in die Öffentlichkeit zu begeben, respektiert und gehört zu werden, einfach so, als Mensch. Wie alle Privilegien wird auch dieses von denen, die es genießen, kaum wahrgenommen.
Wie jeder öffentliche Ort ist das Netz auch ein Ort, der die Gesellschaft und ihre Machtverhältnisse spiegelt. Auf der anderen Seite ist das Netz aber nicht unser Bahnhof – wir wollen und können nämlich nicht darauf verzichten, den Zug zu nehmen. Mobilität im alten wie im neuen Sinne ist ein menschenrechtliches Thema, vielleicht ist der Gedanke, auf öffentlichen Nahverkehr zu verzichten, aber auch ähnlich absurd wie der Verzicht auf Meinungsäußerungen im Netz.
Der Bahnhof, um in dem Bild zu bleiben, ist heute häufig ein sicherer und freundlicher Ort. Er ist in der Regel auch einer der überwachtesten öffentlichen Orte. Selbst das Verteilen von Flyern durch Aktivist_innen ist dort mitunter ein Problem und kann nicht stattfinden. Deshalb ist die Diskussion über Privatsphäre und Sicherheit der Debatten im Netz auch zu Recht immer verknüpft mit dem Anspruch, nicht mehr Kontrolle und Überwachung zuzulassen. Das macht auch die Ambivalenz aus der feministischen Perspektiven in dieser Diskussion mit aus – ich möchte die Freiheit im Netz nicht beschränken, aber ich möchte eine Gesellschaft ohne Diskriminierung und mit Partizipation für alle.
Trotzdem bin ich nicht pessimistisch. Das Netz bietet uns eine Öffentlichkeit für unsere Themen. Feministische Interventionen können gesellschaftliche Debatten prägen und neue Öffentlichkeiten zu erreichen. #Aufschrei hat das gezeigt, aber auch die Entwicklung der feministischen „Netzgemeinde“ davor. Feministische Räume im Netz machen thematische Angebote jenseits der Themen der etablierten Medien und Politik jenseits der etablierten Institutionen. Wenn mich jemand vor 10 Jahren gefragt hätte, wo eigentlich in Deutschland die Frauenbewegung ist, dann hätte ich gesagt, in den Gewerkschaften gibt es sie noch. Heute sind Feminist_innen und ihre Bündnispartner_innen vernetzt und haben wieder deutlich an Öffentlichkeit und Macht gewonnen.
Dieser Text ist eine überarbeitete Version des Statements von Maria bei der Podiumsdiskussion „SafeCyberSpaces“ am 21.11.2013 an der Humboldt Universität zu Berlin.