Heute startet in Berlin das lesbisch-schwule Stadtfest (Motzfest). Seit Mai und bis in den September hinein finden zahlreiche Veranstaltungen in Berlin (und Deutschland) statt, darunter natürlich der CSD sowie der Transgeniale CSD. Wieder dabei wird zumindest bei den erstgenannten Maneo sein, das schwule Anti-Gewalt-Projekt. Derzeit werben die Macher_innen erneut für ein so genanntes „Kiss in“, einen flashmob-artigen Kuss-Marathon für mehr Toleranz für Homosexuelle, der dieses Mal in kleinerem Rahmen auch auf dem Stadtfest stattfinden soll. Ich fand solche Aktionen bereits am Internationalen Tag gegen Homophobie (17. Mai) sehr fragwürdig.
Doch wieder nur buntes Küssen, buntes Treiben und ein bisschen Kuschelpolitik, die sich von den Themen Homophobie und Grundgesetzerweiterung kaum lösen kann? Auch wenn Parteien, Verbände und Vereine auf den schwullesbischen Festivitäten zahlreich vertreten sind, mehr als Klientelbeschnupperung und freundliche Handshakes sind auf solchen Veranstaltungen nicht zu erwarten. Politische Forderungen werden so homogenisiert und geschlossen homosexuell formuliert, dass sich viele Menschen außerhalb der heterosexuellen Geschlechternorm, sogar Homosexuelle selbst nicht angesprochen fühlen. Immerhin: auf dem Stadtfest haben die Trans*, Intersex, Queers, Tunten und Tussen eine Straße mit einer eigenen kleinen Bühne.
Wem das alles zu mehrheitsgesellschaftlich, zu unpolitisch, zu unkritisch, zu sexuell normativ daherkommt, der ist auf dem Transgenialen CSD in zwei Wochen sicher besser aufgehoben. Ich werde in diesem Jahr das erste Mal da sein, weil mich der CSD langweilt und ich gespannt bin auf die programmatische Ausgestaltung im Gegensatz zum Stadtfest sowie in allererster Linie auf das Publikum. Mehr Demo, mehr Policy und hoffentlich noch mehr Platz zum Tanzen.
Ich bin auf eure Meinungen, Erfahrungen zum Thema Pride Week deutschland-, europa- und weltweit gespannt. Veranstaltungstipps sind natürlich auch willkommen.
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Zum Schluss noch ein paar Links, passend zum Thema:
- in Portugal und Island ist seit kurzem die gleichgeschlechtliche Ehe gesetzlich erlaubt.
- Die Organisator_innen des Madrider Gay Pride haben einer schwulen Gruppe aus Tel Aviv die Teilnahme verwehrt. Grund dafür seien nach Angaben der Verantwortlichen die jüngsten Vorkommnisse in Israel, bei denen das Militär eine Hilfsflotille nach Gaza auf See stoppte und dabei neun Aktivist_innen eines Schiffes getötet wurden.
- Allthingsfoust erzählt von einer Lesbe, die Monogamie für einen Betrug an der Homosexualität hält. Monogame Homosexuelle seien deshalb „hetero-gay“. Offenbar hat der Begriff sogar einen theoretischen Background: Michel Foucault.
- Die Taz führte ein Interview mit Carolyn Cooper, die sich den Geschlechterrollenkonstruktionen in Jamaika widmet. Dabei geht es auch um das Thema Homophobie und Cooper kritisiert die Aktivitäten von internationalen Verbänden und Aktivist_innen, die „das Image Jamaikas allerdings soweit beschädigt [haben], dass sich lokale Aktivisten von ihnen distanziert haben.“
- Offen gelebte Homosexualität ist scheinbar immernoch eine Karrierebremse in der Privatwirtschaft, trotz implementierten Gleichstellungs- und/oder Diversity-Maßnahmen.
- Beirut gilt als homosexuelle Party-Metropole des Nahen Ostens, schreibt Spiegel Online und kann sich dabei nicht zurückhalten, gleichgeschlechtliche Liebe im Nahen Osten zu exotisieren und zu homogenisieren. (Hintergrund)
„Politische Forderungen werden so homogenisiert und geschlossen homosexuell formuliert, dass sich viele Menschen außerhalb der heterosexuellen Geschlechternorm“
Hallo Nadine,
kannst Du denn mal ausführen, inwieweit es eine „heterosexuelle Geschlechternorm“ gibt? Was meinst Du denn damit?
Hältst Du es für möglich, daß es sich dabei um eine interessengeleitete Konstruktion von Homosexuellen handeln könnte?
Hallo Beauvoir,
Einfach mal nach Heteronormativität googlen und selbst die eklatante Bildungslücke schließen :-)
Wenn du hier weiterhin kommentieren möchtest, empfehle ich dir dringend einen Blick in die Etikette.
Nadine, ich kann deine Kritik am kommerziellen, auf Party beschränkten CSD gut nachvollziehen. Mein Problem mit dem TCSD aber: Ich kann nicht alle politischen Forderungen, die dort gestellt werden, unterstützen. Würde ich hingehen, würde ich mich wohl aufgrund des Gefühls mich verbiegen zu müssen, genauso unwohl fühlen wie auf einem „normalen“ CSD.
Ich kann den Anspruch, dass queere Politik sich auch mit anderen Themen als Sexualität und Geschlecht beschäftigt auf der einen Seite gut unterstützen, auf der anderen Seite möchte ich mir doch das Recht bewahren, auch von einem queeren Standpunkt aus andere Schlüsse zu ziehen z.B. bezüglich Afghanistan.
Daher ist die Idee des TCSD für mich auch irgendwie ausschließend.
P.S.: In erster Linie nicht hingehen, tue ich aber, weil es zu weit weg ist.
Ist auch nicht direkt mein „core-business“, aber um etwas zu erweitern im Hinblick auf unsere Position im EU-internationalen
Vergleich fand ich diesen interessanten Artikel :
„Deutschland blockiert eine neue EU-Richtlinie, die Opfern von Diskriminierung mehr Schutz bieten würde“
Doch der Ministerrat, also die Vertretung von EU-Staaten, kann sich nicht auf einen entsprechenden Beschluß einigen. Deutschland
ist damit der größte Bremser. …
Der EU-Vorschlag sieht vor, den in einer Richtlinie aus dem Jahr 2000 festgeschriebenen Schutz vor Diskriminierung am
Arbeitsplatz auch auf andere Lebensbereiche und auf Diskriminierung aufgrund von Religion oder Weltanschauung, einer
Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität auszuweiten.“
(Quelle : Amnesty-Journal 06/07 2010, S. 50).
Hätte ich eher nicht vermutet.
@Thomas
wieso hättest du das nicht vermutet? Deutschland ist in Sachen Antidiskriminierung sehr restriktiv unterwegs, eigentlich war das schon immer so. Mich wundert es überhaupt nicht.
@Nele
kann ich nachvollziehen, würde aber ergänzen, dass der TCSD bzw. queere Politiken nicht geschlossen sind. Und alle politischen Forderungen muss ja nun niemand mittragen.