„Girls going wild in red light district“ und der Fragezeicheneffekt

Ein Video, das seit heute nachmittag auf Facebook die Runde macht, und in dem Tänzerinnen in einem Rotlichtviertel mit einer Performance auf sexuelle Ausbeutung aufmerksam machen. Vorweg: Ja, ich weiß, „gute Sache“, undsoweiter. Ich finde das Ganze dennoch diskussionswürdig, weil, Zweck hin oder her, vielleicht geht es hier doch mal wieder um [feine] Reproduktionen.

Im blauen Netzwerk postete ich das Filmchen einem ersten Impuls folgend mit diesen Anmäkelungen:

„1) Das neue Super-Gut-Find-Video auf Facebook. 2) Freu Dich. 3) Guck`s Dir genauer an und frag Dich, welcher männliche Künstler in Unterwäsche und bauchfrei in ´nem Fenster dancen würde, und alle würden das ganz spitze finden. 4) Dir fällt Peter André („Mysterious Girl“) ein. Wenn Du cool bist, vielleicht noch Mark Wahlberg. 5) Und jetzt guck das Video nochmal.“

Hier ist das Ding, und meine Frage: Wie seht Ihr diese Kampagne?

16 Kommentare zu „„Girls going wild in red light district“ und der Fragezeicheneffekt

  1. Es gab mal, es ist lange her, einen Clip, da ging ein Mädchen allein im Wald und ein Mann im Trenchcoat kam, gab ihm eine Puppe und nahm es mit, tiefer in den Wald. Abspann: „Auch kleine Kinder fühlen Schmerz. Stoppt Missbrauch jetzt!“

    Das Ding da oben ist so in der Art. Kostenloser Erotiktanz plus moralischer Appell = Thrill für Frauenschänder. Cool! Like!

  2. Ich find’s gut. Für mich hat das überraschende Ende keinen „Fragezeichen-Effekt“, sondern definitv einen „Betroffenheitseffekt“. Eben weil die Stimmung quasi von 100 auf 0 herunterfriert.
    Die meisten Leute lernen im Vorübergehen nur etwas durch diesen Überraschungseffekt, der die Denkmauern überrumpeln kann.

  3. Ich finde die Aktion auch gut.
    Klar werden hier wieder sexistische Denkstrukturen reproduziert, doch in diesem Fall finde ich die Inszenierung schlichtweg zielführend, auf die Zielgruppe abgestimmt, die message kommt an und regt definitiv zum nachdenken an.

    Ausserdem finde ich es schön anzusehen, wie Sexarbeiterinnen aktiv und selbstbewusst für selbstbestimmte Prostitution und gegen die Ausbeutung von Frauen demonstrieren.

    In diesem Fall also „form follows function“ ;-)

    @Markus: Stimme dir zu

  4. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, wie ich obiges Video interpretieren soll, tendiere aber zu Nadias Meinung, auch und gerade, weil ich erst letzte Woche spät in der Nacht eine Reportage im NDR gesehen habe, welche aus dem Leben einiger Prostituierten in Amsterdam erzählt. Ganz ohne Verklärung, ohne Rechtfertigung und ganz sicher kein verstecktes Rotlichtmarketing.

    Die Sendung hieß „Kauf mich!: Geschichten aus dem Rotlichtmilieu“ [1] und ist bezeichnenderweise nicht in der Mediathek vorhanden.

    Das was diese Frauen über ihren Alltag erzählten, hat meine Vorstellungskraft bei weitem gesprengt. Und ob jemand, dem die Empathie fehlt sich in die Prostituierte rein zu versetzen, zu der er gerade geht, so überrascht ist, dass seine Denkmauer überrumpelt wird, ist fraglich. Vermutlich funktioniert der Verdrängungsmechanismus besser. Der bezieht seine Energie nämlich auch aus der Geilheit und dem einfachen Zugriff auf die Wahre Frau.

    [1] http://www.ndr.de/fernsehen/epg/epg1157_sid-1145973.html

  5. Ich fänds mal spannend zu hören, wie Sexarbeiter_innen dieses Video verstehen und ob sie sich in der Message und der Performance wiederfinden. Ohne Zwangsprositution und das Drecksgeschäft damit relativieren zu wollen ist es wichtig zum Thema Prostitution auch immer diejenigen mitzudenken, die den Job als Job betrachten und selbstbestimmt damit umgehen. In Holland ist Prostitution doch schon länger legal als in Deutschland (seit 2000?), d.h. auch Prostituierte zahlen in die Renten- und Krankenkassen ein und zahlen auf ihr Einkommen Steuern. Ich finde es per se also erstmal zu einseitig zu sagen, alle die die Sexarbeit machen, sind Opfer.
    Die Performance der Tänzer_innen find ich super und die Aktion auch, klare Message am geeigneten Ort…

  6. @ Leo

    Wo hört die Freiwilligkeit auf und wann beginnt das Opfersein? Oder anders gefragt, warum prostituieren sich Frauen? Würden Frauen diese „Arbeit“ wählen, wenn sie eine Wahl hätten?

    Nachdem was ich über Prostitution weiß, mangelt es diesen Frauen vor allem an Alternativen und Möglichkeiten ein (eigenes) Einkommen zu „erwirtschaften“. Die Prostitution ist für sie nur ein (schlechtes) Vehikel, um wenigstens den Hauch einer Chance eines überdurchschnittlichen Einkommens zu haben – was sich allzu oft als existengefährdender Trugschluss erweist.

    Wenn Du mich fragst, landen Frauen sehr oft in der Prostitution, weil ihnen das Leben keine andere Chance lässt. Insofern halte ich das Argument der Freiwilligkeit für einen Mythos.

  7. @Fjord Springer: Warum sollte man Prostitution per se ablehnen? Ich denke, Sexarbeiter_innen sind nicht per se Opfer, sie sind in ihrer spezifischen Arbeitssituation „nur“ verletzbarer als andere. Dies gilt insbesondere für Beschaffungsprostituierte und SexarbeiterInnen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus. Außerdem ist Prostitution mit fiesen Stigmata verhaftet, mit denen Sexarbeiter_innen gesellschaftlich Tag für Tag zu kämpfen haben…Falsch fände ich es, hier ein schwarz-weiß Schema aufzumachen und zwischen Zwang und Freiwilligkeit zu argumentieren. Ich denke, die Sache ist komplexer und heterogener, bezüglich des Videos denke ich aber, es ist gelungen, die Tänzer_innen stark auftreten zu lassen, so dass gerade dieser Opferdiskurs um Prostitution nicht allein im Raum stehen bleibt, sondern auch der Eindruck, dass hinter jeder* Sexarbeiter_in eine Person steht. Ich gebe dir aber Recht in dem Punkt, dass mit Sicherheit viele Sexarbeiter_innen aus Armut diesen Job machen und dass man in diesen Fällen nicht von „Freiwilligkeit“ sprechen kann ist klar….

  8. ich fand das video gut, bis die ‚betroffenheitseinblendung‘ kam, die ich ein bisschen schwierig finde.
    mir hat das video gefallen, weil der tanz (so flaschmobmässig) die situation durchbrochen hat. der tanz war ja jetzt nicht so eine dynamische variante von dem zu erwartendem…. irgendwelchen sexy- poledance irgendwas bewegungen, die eh zu sexarbeit ‚passen‘, sondern kantiger, ausdruckstark und hat dies dienstleistungsanbieten durchbrochen und die personen konnten s/ich zeigen.

    warum ich die ‚betroffenheitseinblendungen‘ am ende etwas schwierig finde… … ich frage mich, wie sexarbeiterinnen zu einer aktion stehen, die mit einem aufruf endet, keine menschen mehr zu kaufen (people shouldn’t be bought & sold) was ja irgendwie moralisch gut klingen mag (tut es das? für wen?) aber irgendwie schlecht für ihren konkreten job ist. oder sollte das jetzt nur um menschenhandel gehen aber menschen als (sex)dienstleister_innen kaufen ist okay… oder wie jetzt?
    ich bin da grade ziemlich skeptisch wie das allso so bei sexarbeiter_innen ankommt, weil ich grade letztens den offenen brief von Hydra e.V. zu der Menschen bei Maischberger Sendung : ‚Ob Billigsex oder Edelpuff: Schafft Prostitution ab!‘ gelesen habe, wo mit dieser verquickung von menschenhandel und prostitution und dieser prostitution= opfer ziemlich aufgeräumt wurde
    http://www.hydra-berlin.de/fileadmin/users/main/pdf/Offener_Brief_zur_Sendung_Maischberger.pdf … allerdings bezogen auf die konkrete sendung, klar.

    was ich an den einblendungen gut fand war, dass diese … ich nenne es mal ‚flashmobirritation‘ nicht luftleer verpufft ist, sondern dadurch bei den tänzer_innen eine geschichte und an dem ort ein gesellschaftlicher kontext auftaucht. wobei ich mich aber frage ob das okay ist, wie das konstruiert ist….

  9. Aus dem Leitbild von Hydra e.V. http://www.hydra-berlin.de/ueber_uns/ziele_von_hydra/ zu Sexarbeit:

    […] dass Sexarbeit einerseits und sexuelle Gewalt, Ausbeutung und Frauenhandel andererseits nicht in einen Topf geworfen werden. Prostitution ist ein Job – Frauenhandel und sexuelle Gewalt sind Verbrechen. Beides ist nicht dasselbe! Prostitution an sich hat nichts mit Gewalt und Ausbeutung zu tun. Dass diese Verknüpfung in der öffentlichen Debatte immer hergestellt wird (unter dem Begriff „Zwangsprostitution“), ist Teil des Problems, nicht Teil der Lösung: So wird verhindert, dass Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter als eigenständige Akteure wahrgenommen werden und die ihnen zustehenden Rechte bekommen.“

  10. *puhhh*
    ich kann den Fragezeicheneffekt sehr gut nachvollziehen, weil das Ziel zu sein scheint Betroffenheit zwar zu erschaffen aber nicht aufweist, was stattdessen sein soll. Es wird Zwangsprostitution (was ich als sehr euphemistischen Begriff ansehe, da Prostitution für mich immer mit freiem Willen und Wahlfreiheit zu tun hat, was bei Zwang nicht gegeben ist. Korrekterweise müsste es kommerzielle Ausbeutung von Menschen durch Serienvergewaltigungen“ heißen.) mit Menschenhandel gleichgesetzt ohne zu benennen, dass es um Menschenhandel geht. Dann klick ich bisschen weiter, in der Hoffnung auf der Homepage von Stop the Trafik den Clip erklärt zu bekommen. Auf der deutschen & französischen Unterseite wird kein Wort dazu verloren. Englisch ist für mich persönlich nicht barrierefrei, les ich also nicht. Dadurch weis ich nichts über den Entstehungskontext und ggf. die Mitarbeit von „Zwangsprostituierten“ und anderen Menschenhandelsopfern (Haushaltshilfen, Küchen,…). Dass macht es mir sehr schwer, es aus meinem Blickwinkel heraus als schrecklich zu beurteilen.
    Was ich unabhängig davon als missglückt lese, ist folgendes:

    1. Der Tanz wirkt auf mich durch das abgehackte (vllt denk ich dabei zu viel an Michael Jackson) ziemlich roboterhaft. Bei mir löst das ganze Assoziationen aus, die in Richtung „Zwangsprostitution“ UND (sic! zu dem Zeitpunkt gehen alle erst mal davon aus, dass es Sexarbeiterinnen sind, die freiwillig arbeiten!) Sexarbeiterinnen sind (Geficktwerd)Maschinen geht. Was einige hier als sehr selbstbestimmt beschreiben, kommt damit für mich v.a. pseudoselbstbestimmt daher. Und die Bewegungsabläufe, die nicht parallel laufen sondern individuell gestaltet werden, werden zwar der charakterlichen Vielfalt und Arbeitsweise von Prostituierten gerecht, hat aber auch eine subtile pseudoindividuelle Unternote dabei. Schließlich bleibt der Tanzstil kantig und roboterig statt, dass der Tanzstil ggf. wider die Musik läuft und dadurch tatsächliche Individualität zuließe.

    2. Das Wort „Sadly“ im letzten Abspannst. Tut mir echt leid, aber äh zum einen ist es auch ziemlich sadly, dass Menschen in andere Arbeitsbereiche eingehandelt werden. Zum anderen muss davon auszugehen sein, dass in den Köpfen sehr vieler Menschen kaum eine klare Differenzierung zwischen „Zwangsprostitution“ und Sexarbeit vorhanden ist. Damit werden sämtliche Sexarbeiter_innen egal unter welchen Freiwilligkeitsprämissen sie in die Sexarbeit selbstbestimmt eingestiegen sind über den selben Kamm geschert. Ganz nach dem Motto: „Liebe arme, bemitleidenswerte Frauen, (ihr Opfer!), die nichts anderes können als sich hinlegen und Beine breitmachen. Wir müssen euch hier rausholen, denn wir wissen was gut für euch ist und geben uns das Recht uns zu eurem Vormund aufzuspielen.“

    @Fjiord Springer Kennst du Frauen die von sich aus behaupten freiwillig in der Sexarbeit zu arbeiten? Solange du von dir nicht behaupten kannst dir psychische Atteste von Sexarbeiter_innen von neutralen Gutachter_innen besorgt zu haben, die deine These (Mythos der Freiwilligkeit) unterstützten, würde es nicht schaden mit ebendieser etwas vorsichtiger umzugehen.

    3. Ich werde den Beigeschmack nicht los, dass bei sehr vielen Konsument_innen dieses Clips dieselbe Botschaft ankommt wie, jene die folgendes Video beabsichtigt: http://www.youtube.com/watch?v=a0Di3sCpXFw
    Eine prostitutionsfreie Gesellschaft wird wohl nur noch in einer Gesellschaft ohne Markt verwirklichbar sein. Oder durch die Bevormundung von Menschen diesen Beruf nicht freiwillig ergreifen zu dürfen – andernfalls wird es immer Menschen geben, die versuchen aus sexueller Dienstleistungen für sich Kapital (in welcher Form auch immer) zu schlagen. Eine marktfreie Gesellschaft will aber wohl die European Women’s Lobby auch nicht. Damit ist der Ansatz des wegradierens ein Sackgassenprojekt.

    Gibt es von dieser Organisation eigentlich auch ähnliche Videos, die für die in z.B. haushaltsnahe Tätigkeiten gehandelte Menschen eintreten?

  11. „3) Guck`s Dir genauer an und frag Dich, welcher männliche Künstler in Unterwäsche und bauchfrei in ´nem Fenster dancen würde, und alle würden das ganz spitze finden.“

    Ich nehme an, die Autorin war lange nicht mehr im Ballett oder Tanztheater. Denn die Tänzer dort sind oft nicht nur bauchfrei, sondern gleich ganz mit freiem Oberkörper.

    Und zur Popmusik: Achtet mal mehr auf die die Backgroundtänzer in Musikvideos und Liveauftritten, ein vorhandenes Sixpack wird üblicherweise nicht versteckt.

  12. @Weatherwax: Du sagst es selber: Du sprichst von ganz anderen Kontexten. Im übrigen ist öffentliches Oben-Ohne bei Männern* was komplett anderes als bei Frauen* – aus Kontextgründen.

  13. Ich finde die Aktion grundsätzlich nicht schlecht. Sie trifft genau das Zielpublikum, und die Perfomance ist catchy. Schade finde ich aber, dass der Clip den Eindruck reproduziert, die meisten Sexarbeiterinnen seien unfreiwillig da, gerade weil in letzter Zeit wieder gerne Zwangsprostitution/Trafficking als Normalfall dargestellt und mit Sexarbeit verwechselt wird. Das ist einerseits irreführend, denn die meisten ausländischen Prostituierten migrieren wohl wissend um ihre Tätigkeit und bezahlen sogar für Schleuser falls es keinen legalen Weg gibt in das Land zu kommen, was dann zur Schuldenfalle führt (zumindest nach allem was ich bisher zum Thema gesehen und gehört habe). Zudem lenkt es vom Problem ab, das tatsächlich hinter ausbeuterischen Bedingungen steht: Nämlich nicht Menschenhandel im engeren Sinne, sondern Armut und kulturelle Misstände.

  14. Das Video finde ich mehr als fragwürdig.

    Ich sehe auch keine Sexarbeiterinnen-Migrantinnen-Kolleginnen dort tanzen, sondern gedungene Tänzerinnen, damit sich eine Werbeagentur mit pro bono Arbeit profilieren kann für ein gesellschaftlich poppulistisches Thema.

    Der Kampf gegen sog. Zwangsprostitution hat eine über 100 Jahre Geschichte beginnend mit der „White Slavery Moral Panic“ in den USA, wo weiße Europäerinnen als Opfer von farbigen [bitte Selbstbezeichnungen von politischen Gruppen beachten, z.B. PoC oder Schwarze. Anm. der Red.] Zuhältern oder Menschenhändlern gesehen wurden (Gründungsmotiv vom FBI; Prozess gegen Boxstar Jack Johnson fallen mir dazu ein). Heute sind es die armen Opfer aus dem Osten. Doch für USA, UK und D wurde nachgewiesen, dass die Polizei trotz größter Anstrengungen nur Promille der offiziell geschätzten Opfer-Zahlen findet. Ich glaube weil es mehr Opfer auch gar tatsächlich nicht gibt und auch zu geben braucht, weil Sexarbeit freiwillig viel besser flutscht. Prostitutionsgegner GLAUBEN und verbreiten natürlich was anderes. Wir bezeichnen solche Kampagnen als „War against Whores“. Es ist ein Krieg wie der „War against Terror“, der auf viel Propaganda, Lügen und Machtinteressen beruht. In USA werden die Prostitutionsgegner (Abolitionismus, auch gegen Abtreibung und Homoehe…) z.B. aus rechten evangelikalen Kreisen finanziert…

    In keinem Ort ist das Rotlichtmilieu besser überwacht als in den Rotlicht-Ghettos in Großstädten Amsterdam Hamburg Frankfurt… Dort gibt es regelmäßig Sozialarbeiter, Gesundheitsamt, Ordnunsamt, Bauamt, Steuerfahndung und Polizei per Razzien, die alle kontrollieren. Ferner lauften täglich Hundertausende Männer durch die öffentlichen Häuser, die sich Bordelle nennen. Es sind Sexarbeiter-Arbeitsstätten.

    Ich kenne keine Sexworker oder Sexworker-Gewerkschaft oder -Anlaufstelle, die den SexArbeitsplatz oder Stadtteil so dargestellt wissen wollen wie in diesem Machwerk. Es ist ein „Mißbrauch unserer Bildsprache“, die wir Sexworker benutzen (müssen) um Kunden zu finden. Es ist erst in zweiter Linie ein Klischee und Milieu für Literatur, Kunst und Medien. Und erst in dritter Linie wird unsere sexy Bildsprache mißbraucht fürs Geschäft von Auflagesteigerung und moralischen Kreuzzügen.

    Der Kampf gegen Menschenhandel ist m.E. vielfach ein verkappter Kampf gegen Prostituion und freie Sexualität selbst. Prostitution wird bekanntlich von feministischen oder religiösen Fundamentalisten per se als Ausbeutung und Vergewaltigung definiert, weil Sexualität angeblich nur mit Zeugung oder Liebe verbunden sei. Als subjektives Werturteil ist derartiges nicht zu kritisieren, aber als politischer Leitlinie, die ständige Razzien und diskriminierende Strafgesetze begründet ist das mehr als stigmatisierend. Es ist kriminalisierend und victimisierend. Alles Schlechte zwischen den Geschlechtern (Patriarchat) und in der Marktwirtschaft (Warenfetisch, Geldherrschaft, Materialismus) wird auf Prostitution projiziert und soll an Sexworkern (bad girls, boys und ts), ihren Kunden, Partnern und Vermittlern (bad boys) stellvertretend abgestraft werden. Das gilt es zu verhindern. Die psychologischen Mechanismen sind zu dekonstruieren.

    Hinter dieser Kampagneninitiative stop the traffick steckt ein Baptisten-Missionarsprogram vom Oasis Trust in England mit dem Gründer Pastor Steve Chalke. Er wird von höchsten Kreisen und Industrie gefördert, weil er „moralischen Geldwäsche“ für die Mächtigen in Politik und Wirtschaft ermöglicht. Mit UK Ex-Ministerpräsidentengattin Cherie Blair hat er eine Anleitung für solche vereinfachenden Anti-Menschenhandels-Kampagnen veröffentlicht.

    Für mich und viele Sexworker könnte der Film auch diesen Abspann haben:

    „we love to entertain you … yes, sex work is the timeless high art of sensual, emotional & sexual entertainment … our job gives us good money, high flexibility and independence … we can pursue a sex work career for some years as side job e.g. with education or manage it professionally until higher ages or even up to retirement when good working conditions are available … what is unacceptable are the missing human rights and workers rights for sex professionals and migrants due to taboo, stigma, exclusion, alienation, marginalisation up to criminalisation and victimization … we demand equal rights and support from the institutions as other professions … we want sex worker academy and our own research centre, unions like in UK, Germany and US, self-regulatory boards like in India, sex worker saving banks and mutual credit unions like in India … we want sex worker social security, pension plan and elderly homes like in Mexico … united we dance with the beats and fight for tolerance and acceptance … we are not the problem but part of the solution … we give our clients price-worthy pleasure time, sexual release and realize their most secret dreams and needs … we give society satisfied men and make it for a more relaxed human world!“

    Faktensammlung
    http://www.sexworker.at/menschenhandel
    Länder-Lageberichte zur Prostitution
    http://www.sexworker.at/international

  15. Ich finde die Aktion an sich ganz gut. Dass dabei Bilder reproduziert werden, ist hier der Schlüssel um da anzusetzen, wo angesetzt werden soll und diejenigen zu erreichen, die angesprochen werden sollen. Außerdem mag ich diesen Bruch und die Reaktionen.

    Ich hab wie die meisten hier vielmehr ein Problem mit dem Inhalt. Die Vermischung von Menschenhandel und Sexarbeit ist ein gängiges Muster und auch ich behaupte hier mal, dass ist nicht wirklich die Aktion politisch engagierter Sexarbeiterinnen.

    „Wo hört die Freiwilligkeit auf und wann beginnt das Opfersein? Oder anders gefragt, warum prostituieren sich Frauen? Würden Frauen diese “Arbeit” wählen, wenn sie eine Wahl hätten?

    Nachdem was ich über Prostitution weiß, mangelt es diesen Frauen vor allem an Alternativen und Möglichkeiten ein (eigenes) Einkommen zu “erwirtschaften”. Die Prostitution ist für sie nur ein (schlechtes) Vehikel, um wenigstens den Hauch einer Chance eines überdurchschnittlichen Einkommens zu haben – was sich allzu oft als existengefährdender Trugschluss erweist.

    Wenn Du mich fragst, landen Frauen sehr oft in der Prostitution, weil ihnen das Leben keine andere Chance lässt. Insofern halte ich das Argument der Freiwilligkeit für einen Mythos.“

    All deine Fragen zielen darauf ab, ob nicht auch finanzieller Zwang in unserer Gesellschaft Zwang ist. Und damit hast du sicher recht, auch wenn es hier nicht um tatsächliche existenzielle Bedürfnisse geht, die zumindest grundlegend abgesichert sind, aber nicht zuletzt um die soziale Existenz. Damit hast du Recht. die meisten Sexarbeiterinnen täten ihren Job wohl nicht ohne Notwendigkeit.
    Aber das gilt längst nicht nur für sie. Ich bin genau so dem Zwang und Druck ausgesetzt, in meinem doofen Bürojob zu sitzen, um mir mein Studium und das Leben zu finanzieren. Freiwillig tät ich’s nicht, gäb es Alternativen oder müsst ich es nicht. Und das gilt nun mal für die meisten Menschen, auch wenn einige ihre Arbeit wirklich mögen. Selbst die würden wohl nicht zwingend ihrer 40-Stunden-Woche mit allen Hochs und Tiefs ihres Berufs nachgehen, wenn ihnen alle Möglichkeiten der Welt offen stünden.
    Uns alle eint doch, dass Freiwilligkeit ein Mythos ist.

    Mit deinem zweiten Absatz weist du aber daraufhin, dass du Prostituierte für Frauen hältst, die nur das können, sich nicht frei und bewusst entschieden haben, per se bemitleidenswerte Opfer sind.
    Und das stimmt nicht nur nicht, es ist auch unverschämt, auch wenn du das gar nicht so meinst. Aber es gibt genug Sexarbeiterinnen, die sich bewusst, trotz anderer Möglichkeiten, einer guten Ausbildung oder anderen Finanzierungsquellen hierfür entscheiden. Weil sie den Job mögen. Auch wenn das schwer nachzuvollziehen ist, in einer Gesellschaft, in der Sex verkaufen, damit gleichgesetzt wird „den Körper“, das Selbst gleich mit zu verramschen, etwas das keine ordentlich und nicht dazu (durch die Umstände oder aktiv) gezwungene Frau täte.

    Sehr spannend finde ich auch deine Formulierung, es sei ein „existenzgefährdender Trugschluss“, warum das denn? Weil Prostituierte krank werden, sozial ausgeschlossen sind, keine Familie haben können oder keine glückliche, kein_e Partner_in haben will, automatisch eine Drogenkarriere beginnen? Natürlich gibt es genug Probleme, gerade in der gesellschaftlichen Reaktion, die es anzugehen heißt – aber das entspricht nun mal nicht der Lebenswelt einer jeden Sexarbeiterin.

    Wichtig ist wohl der Satzanfang „Nachdem was ich über Prostitution weiß“, denn das scheint (ohne so angreifend sein zu wollen, wie es vielleicht klingt), nicht so viel zu sein und vor allem nur aus bestimmten Bereichen. Da nehmen sich engagierte (auch feministische) politische Positionen oft nichts von denen der Massenmedien. Alle basteln an diesem Bild mit, das Zwang und Prostitution gar nicht trennen kann.
    Aber da lohnt es sich wirklich, sich die Selbstpositionierungen anzusehen.Sehr empfehlenswert ist z.B. das HWG-Buch „Handbuch Prostitution“ oder auch die schon genannte Hydra.

    Nicht jede Sexarbeiterin geht ihrer Arbeit freiwillig nach, ist glücklich in dem Job und nicht alles ist rosarot und nicht veränderungsbedürftig. Aber all die Sexarbeiterinnen, die ihren Job als ganz normale Arbeit gerne tun, zu bemitleiden und zu opfern zu machen, diskreditiert sie und hilft nicht, sondern baut mit an den Problemen, die mit der Sexarbeit verbunden sind.

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