„Flickernde Jugend“: Was Jungen und Mädchen mit ihren durchschnittlich 13 Stunden pro Woche im Internet für eine Bilderwelt erzeugen, wurde nun erstmals wissenschaftlich untersucht.
Heutige Jugendliche sind mit dem Internet aufgewachsen. Sie gehen anders damit um, als die heute 30-Jährigen oder ältere Generationen. Manchmal ist ihr Umgang damit für uns schwer verständlich, manchmal fast verstörend: Wenn Jugendliche in der U-Bahn auf einen Menschen einschlagen und davon triumphierend ein Handy-Video machen, das sie bei Youtube einstellen, erschüttert uns das. Vielleicht kommt es uns auch so vor, als würden die jungen Frauen heute nur noch sexuell aufgeladene Profilbilder von sich ins Internet stellen? Prügelnde Jungen, sexy Playboy-Häschen – Welche Rolle spielen Geschlechterrollen in den Bildern der Jugendlichen? Was machen die da eigentlich die ganze Zeit, wenn sie – wie Studien ergeben – im Durchschnitt 13 Stunden pro Woche im Internet sind? „Flickernde Jugend – rauschende Bilder. Netzkulturen im Web 2.0“ heißt eine frisch herausgegebene Untersuchung über das Verhalten von Jugendlichen in den typischen Online-Bild-Plattformen wie Flickr und Youtube. Birgit Richard, Professorin für Neue Medien am Institut für Kunstpädagogik der Universität Frankfurt, hat mit ihrem Team die Plattformen besucht und akribisch durchstöbert. Sie legen erstmals eine Studie vor, die nachzeichnet, was Jugendliche im Netz mit Selbst- und Fremdbildern inszenieren.
Das zentrale Ergebnis der Untersuchung ist, dass ein großer Teil der Jugendlichen, die sich über bewegte und unbewegte Bilder im Netz zeigen, sich an sogenannten Stars orientiert. Ihre Posen, ihre Mimik, ihre Maskerade – all das gilt als Schablone für Jugendliche, wenn sie zum Beispiel ein Profilbild von sich bei Facebook oder ein Selbstporträt bei Flickr einstellen. Anders gesagt: die Pose ist für heutige Jugendliche größtenteils so selbstverständlich, wie Händeschütteln. „Wesentlicher Bestandteil der digitalen Jugendkultur ist die körperbetonte sinnliche Selbstdarstellung“ schreiben Richard und ihr Team. Die Visitenkarte des „Ich“ im Netz wird in einem aktiven Prozess gestaltet. Noch Interessanter wird die Untersuchung an dieser Stelle, wenn sie auf die Unterschiede bei Jungen und Mädchen eingeht.
Men act – Women appear
„Men act – Women appear“ heißt ein Leitsatz von John Berger, der die Repräsentation von Gender in Bildern oder im öffentlichen Leben auf einen Nenner zu bringen versucht. Die WissenschaftlerInnen scheinen diesen Leitsatz in der „flickernden. Jugend“ wieder zu finden: Weibliche User ironisieren zum Beispiel mittels gespielter Weiblichkeit und Niedlichkeit, wie zum Beispiel ein unschuldig-schief gelegtes Köpfchen, die geltende Norm von Weiblichkeit. Damit seien Frauen, so die These, in der Lage, Stereotype gezielt zu unterwandern und zu brechen. Männern hingegen sei das verwehrt. Sie träten nicht um der bloßen Erscheinung wegen auf eine Bildfläche, sondern um einer Tätigkeit Willen. Wenn sich also eine sehr große Zahl von Frauen als „kleines Mädchen“ inszeniert, so wird hier ein spielerischer, stereotypbrechender Umgang mit dem Selbstbild angenommen. Wenn Männer sich als „starke Männer“ inszenieren, gibt es keine subversiven Momente in ihrer Darstellung. Vielleicht liegt es daran, dass junge Männer häufiger gesichtslos bleiben, als junge Frauen?
Beide Geschlechter, so betonen die WissenschaftlerInnen, halten sich gleichermaßen weitestgehend an die Geschlechterordnung der westlichen Gesellschaft. Frauenkörper sind dabei in besonderem Maße dem Qualitätsurteil der Obenflächenmakellosigkeit unterzogen, was sich in Zeiten von Photoshop allerdings mit Links realisieren lässt. Wollen Männer die engen Vorgaben dieser Norm einhalten, so scheint es Common sense zu sein, dass dies vor allem durch muskulöse Oberkörper einzulösen sei. Frauen hingegen erreichen die Norm, wenn sie durch geschicktes Posen ihre Brüste und ihren Po gut zur Geltung bringen können. Sexyness, so die Quintessenz, ist inhärenter Bestandteil einer als erstrebenswert angesehenen Selbstdarstellung bei Flickr. Egoshots bei flickr geben ein buntes Bild jugendlicher Selbstdarstellung wieder: vom „Indie-Boy“ bis zum „Macho“ sind viele Facetten der Männlichkeit möglich. Beide aber, so resümieren die AutorInnen, sind ernst gemeint, kaum subversiv. Weiblichkeiten reichen von „niedliche Grazie in einer Heilen Welt“ zur bewusst „hässlichen“, Grimassen schneidenden „Anti-Heldin“, die alles ändere als weiblich aussieht, wenn sie gerade eine Kotz-Pose einnimmt. Beide aber sind wenig ernst gemeint.
Frauen mit Bart
Eine besondere, und besonders häufig vertretene Form des Brechens mit stereotyper Weiblichkeit, ist die Frau mit Bart. Die Untersuchung dieses Phänomens nimmt immerhin ein ganzes Kapitel bei Richard und ihrem Team ein. Die Intentionen der Abweichung qua Bart sind vielfältig: bewusster Bruch mit Klischeeweiblichkeit, Parodie von Männlichkeit, echte Mannwerdungsabsichten oder einfach nur Nonsense in Ballermann-Manier – die Frau mit Bart kann viele Motive haben. Eine weitere Dimension der Abweichung ist die aggressive Frau: beispielsweise die sexuell aggressiv auftretende Lady Bitch Ray. Sie provoziert gezielt und erfolgreich eine Abwehrreaktion in den eingespielten Auseinandersetzungen zwischen Männlichkeit, Weiblichkeit und Herrschaftsverhältnissen zwischen beiden. Sowohl eingefleischte Feministinnen, wie auch konservative Männer reagieren alarmiert – was genau die Intention der Protagonistin sein dürfte. Abweichendes Verhalten und dann auch noch derart sexuell aufgeladen – nicht erst im Web 2.0 eine Form des Protests, bereits die Schwulenbewegung wusste, wie man damit einen Protest erfolgreich sichtbar machen und aufheizen kann.
Zusammenfassend kann also festgehalten werden: neben einer Mehrheit, die sich affirmativ an den Rollenbildern von Stars und Ikonen der Moderne orientiert und sie als Vorbilder für die eigene Selbstinszenierung heranzieht, formiert sich eine Bewegung der „Abweicher“, die mit Stereotypen bricht. Frauen inszenieren dieses Abweichen jedoch deutlich häufiger und radikaler, als es Männer bislang tun.
Ein ganzes Kapitel der Untersuchung ist der Betachtung der Phänomene Cyber-Mobbing, Happy Slapping und demütigenden Bildern. Die Ergebnisse sind recht unspektakulär: Während gerade die Medien sowie die Politik diese Phänomene gerne aufbauscht, um eine gewaltbereite, asoziale und unmoralische Jugend zu inszenieren, so kann davon ausgegangen werden, dass sie nichts anderes als eine Art „logische Fortsetzung“ von sozialem Verhalten bei Konflikten und Wut, eine nun eben ver-Web-2.0te Form der Rache sind, wie es sie schon immer in und zwischen Peer Groups gab. Öffentliche Demütigung gehörte immer schon dazu – nur war sie nie so öffentlich möglich, wie jetzt. Das ist problematisch, denn sind Bilder einmal im Netz, ist ihre Halbwertszeit nicht zu unterschätzen. Doch eine gewalttätigere, unmoralischere Jugend als früher gibt es nicht. Sie hat jetzt nur andere Mittel, wenn sie Rache übt. Was die AutorInnen jedoch als sehr wohl problematisch empfinden, sind die unterschiedlichen Botschaften, die von Öffentlichkeit und Politik an Jungen und Mädchen gesendet werden.
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Klingt nach einem sehr interessanten Buch. Allerdings funktioniert der Link zum Kaufen nicht :/
danke für den hinweis, wird umgehend geändert :)
so, jetzt geht’s
Hey Mädchenmannschaft, großartiger Blog. Wieso seit ihr mir nicht schon viel früher über den Monitor gestolpert.
Danke für die Zusammenfassung:
http://breitflachschnell.posterous.com/flickernde-jugend-rauschende-bilder
Lukasch
Ich verstehe nicht, warum dieser Subversionsmythos immer wieder hergestellt wird. Im Bezug auf sich wiederholende abweichende Darstellung stereotyper Vorstellungen von Weiblichkeit kann ich das durchaus nachvollziehen, aber wenn Frauen sich als „kleines Mädchen“ mit „schief gelegten Köpfchen“ darstellen, ist das dann nicht viel eher die Reproduktion einer von der Ökonomie des männlichen Blicks erzeugte objektifizierende Darstellung von Weiblichkeit, die sich in Bilderwelten und in der Handlung der Subjekte (in dem Falle der Frauen) widerspiegelt? Und warum ist das mehr ironisch als männliches Muskelgeprotze- und somit auch Darstellung von Stärke, Tatendrang, einer Darstellung des Subjekt-Seins. Sind nicht beide Darstellungen Inszenierungen, weil sie nicht „wirklich“ die dahinter steckenden Menschen darstellen bzw. ist Geschlecht nicht immer Inszenierung? Wer liest in welchem Kontext diese Bilder als ironisch? Und wenn die Subversionsthese zutreffen sollte: Wo findet durch das wiederholte Auftauchen dieser Bilder eine Verschiebung des herrschenden Diskurses bezogen auf Geschlechterstereotype statt- wäre also subversiv? Vielleicht werde ich ja schlauer, wenn ich das Buch lese. Vielleicht mag mir ja auch jemand hier auf die Sprünge helfen…
Vielleicht geht das Wort Subversion ein Wenig zu weit… Aber im Grunde ist es schon so der Unterschied zwischen Pflicht und Kür… Mädels haben die Möglichkeit in ihrem Rahmen ein wenig herumzustylen und individuelle Aspekte einzubringen, wärend Jungs eher darum kämpfen, bestimmte Mindestanforderungen an Männlichkeit visuell darzustellen Spielerische Elemente sieht man da selten, solange es nicht um die Darstellung von Alkoholkonsum geht…
Das hört sich sehr interessant an – und erinnert mich auch sehr an mein Buch, was ich vor gut einem Jahr rausgegeben habe.
Auch hier geht es um Selbstpräsentation vor der Kamera, auch am Beispiel von Onlineportalen, hier im Speziellen „StudiVZ“.
Der Titel lautet „Selbstinszenierung durch Fotografie – Die Pose als Mittel Selbstdarstellung am Beispiel von StudiVZ“.
Neben der Bild- und vor allem Posenanalyse am Schluss gehe ich aber im ersten theoretischen Teil vor allem auf die Selbstinszenierung ein, darauf, wie sie psychologisch und auch sozial bedingt ist und auch auf die Funktionen, die ein Bild von uns für uns erfüllt. Neben Jacques Lacan und Kaja Silverman, die sich mit dem Blick der anderen auf das Individuum beschäftigen und damit, wie sich der einzelne unter diesem Blick verhält und welchen Bildern er in seiner Selbstpräsentation entsprechen will, beziehe ich mich im soziologischen Teil vor allem auf Pierre Bourdieu und Erving Goffman, die sowohl die geschlechtsspezifische Inszenierung und die gesellschaftliche Vorgabe von idealen Bildern für die Selbstpräsentation thematisieren. In Bezug auf die geschlechtsspezifische Darstellung tauscht auch bei mir John Berger auf. Daneben sind Laura Mulvey, die die Lust am Schauen untersucht („Visuelle Lust und narratives Kino“) und Roland Barthes, der das Erstarren des Einzelnen in einer Pose vor dem Kamera behandelt, also das sich-Einordnen in ein vorgegebenes Bild, das zum-Bild-Werden in der Pose im Fotomoment, für mich wichtige Bezugspunkte.
Letztlich untersuche ich vor allem auch die besondere Bedeutung des Blicks auf Fotografien und die Verbindung, die durch den Blick des Abgebildeten und seine Positionierung zur Kamera (gleiche Augenhöhe, Unter- oder Aufsicht) mit dem Betrachter des Bildes entsteht. Theo van Leeuwen und Gunther Kress beschreiben dies als „image acts“, im Sinne von Forderungen, die das Bild bzw. der Abgebildete an den Betrachter stellen. Der Betrachter wird durch die entstehende Blickkonstellation in eine Beziehung mit dem Abgebildeten versetzt, z.B.: übergeordnet, untergeordnet, auf Augenhöhe, er wird auf Abstand gehalten durch einen harten Blick und ein unbewegtes Gesicht, oder es wird eher Kontakt aufgebaut durch einen schief gelegten Kopf und ein Lächeln.
Letztenendes komme ich bei meiner Untersuchung der Bilder unter anderem auch zu dem Ergebnis, dass geschlechtsspezifische Inszenierungsgrenzen bestehen und diese eher selten überschritten werden und es auch fraglich ist, inwiefern eine Inszenierung wirklich unterlaufen oder gebrochen wird, wenn sie einmal untypisch, z.B. vom anderen Geschlecht angewendet wird.
Insofern interessiert mich also das Thema sehr und auch das hier vorgestellte Buch.
Vielleicht hat diese kleine Beschreibung ja auch Interesse an meinem Buch geweckt, was mich natürlich sehr freuen würde. Es ist im Dezember 2009 beim vwh Verlag erschienen.
Interessanter Artikel und prinzipiell erst mal interessant anmutendes Buch. Nur ist mir die empirische Grundlage des ganzen nicht wirklich klar. Aus dem Artikel lese ich heraus, dass hier Bildanalysen in Sozialen Netzwerken durchgeführt wurden. Nur, wie kann ich aufgrund dessen auf die Absichten der NutzerInnen schließen? Also, wie kann ich schlussfolgern, dass die Pose der „kleinen Mädchen“ mit „schief gelegtem Kopf“ subversiv gemeint ist und die der „starken Männer“ nicht? Aus der Perspektive der BetrachterInnen (sprich der AutorInnen der Studie) mag dies so scheinen. Um den subj. gemeinten Sinn der User herauszufinden müsste man diese befragen.
Ohne Befragung find ich die Argumentation, zumindest wie sie hier im Artikel dargestellt wird, eher dürftig und ziemlich flach.
Hallo Hans Hansen,
ich habe mich das beim lesen auch manchmal gefragt und das ist mit sicherheit ein wichtiger Kritikpunkt.
es sind ein paar Bilder mit dabei, da kann man sich dann einen eigenen Eindruck machen und dann kann man das oft auch besser nachvollziehen.
das buch enthält neben den hier dargestellten geschlechter-bezogenen Inhalten noch eine ganze Menge mehr, zum Beispiel das Thema „Rausch“ in den bildern von Jugendlichen oder die Frage der Medienkompetenz. Es ist also trotz des kleinen Schwachpunktes interessant und lesenswert. Eine gute Ausgangsgrundlage für weitere Analysen.